Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. Juni 2006

Über gottgefällige Opfer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Zwei Tatsachen sind der Menschheit von Anfang an eingebrannt, nämlich ihre allseitige Abhängigkeit von Gott und ihr Pflicht, für die Sünden Sühne zu tun. Diese allseitige Abhängigkeit von Gott und die Pflicht, Sühne zu leisten, haben in der Menschheit von Anfang an Opfer hervorgetrieben. Die Menschen haben Opfer dargebracht, um ihre Abhängigkeit von Gott anzuerkennen und um für ihre Schuld Sühne zu leisten.

Ein Opfer ist eine Gabe, die Gott als dem höchsten Herrn dargebracht wird, um ihn als König und Herrscher zu ehren und um Sühne zu leisten für die Schuld und für die Sünden. Von Anfang an haben die Menschen die Notwendigkeit verspürt, sich Gott in dieser Weise zu nahen. Schon die ältesten Sammler und Jäger haben Opfer dargebracht, haben einen Teil der Jagdbeute Gott überlassen, um ihn anzuerkennen und zu ehren – und zu sühnen. Die Nomaden, die umherzogen, haben das gleiche getan, haben von ihren Tieren Gott geopfert. Wir lesen im Alten Testament, wie Kain und Abel Gott Opfer darbrachten. Kain, der Nomaden-Viehzüchter, opferte von seinen Tieren, und Abel, der das Land bebaute, opferte von seinen Früchten. Sie haben einen Altar errichtet aus Steinen und darauf ihre Opfergabe gelegt, und das, was sie darauf legten, das Tier oder die Früchte des Feldes, war ein Sinnbild, ein Sinnbild dafür, dass sie sich selbst Gott opfern wollten. So wie dieses Tier auf dem Altare liegt, so wie diese Garben auf dem Altare liegen, so liege ich vor dir, Herr, und erkenne dich an, deine Herrlichkeit, deine Macht und deine Größe – und meine Schuld. Die Opfergaben wurden dann verbrannt; sie sollten keinem irdischen Wesen mehr zugute kommen. Sie wurden verbrannt, und der Rauch stieg wie lieblicher Wohlgeruch zu Gott empor. Freilich kam es entscheidend auf die innere Opfergesinnung an. Das Opfer Abels nahm Gott an, das Opfer Kains verwarf er, weil seine innere Opfergesinnung nicht mit der äußeren Gabe übereinstimmte.

So haben die Heiden Gott Opfer dargebracht. Die alten Völker, ob Sumerer oder Chaldäer, ob Griechen oder Römer, ob Germanen oder Slawen, sie alle kennen Priester, die Opfer darbringen. Der Kaiser Caligula, der im 1. Jahrhundert n. Chr. regierte, ließ, als er seine Regierung antrat, 160.000 Opfer darbringen, um auf diese Weise die Huld der Götter zu erflehen. Es waren Lob- und Dankopfer, um Gott zu preisen und ihm zu danken; es waren Opfer der Sühne, die für die eigene Schuld dargebracht wurden; es waren Opfer der Anerkennung und des Lobpreises Gottes. Und weil die Menschen das Empfinden hatten, dass alle diese Opfer nicht ausreichten, dass sie nicht genügten, dass die Gott nicht zufriedenstellen konnten, haben sie zum äußersten Mittel gegriffen: sie haben Menschenopfer dargebracht. Bei vielen Völkern wurden Menschen geopfert, um die Gottheit zu erfreuen, um sie milde zu stimmen, um ihr zu danken, auch natürlich um zu sühnen. Man hat die Hände auf die Opfertiere oder auf die Menschen, die man opferte, gelegt und dadurch versucht, die eigene Schuld auf sie zu übertragen und dann diese Opfergaben Gott anzubieten. Bei den Ägyptern war es eine nationale Sitte, Menschen zu opfern, um Regen zu erflehen in diesem heißen Lande. Auch bei Siegesfesten wurden Kriegsgefangene geopfert. Im Alten Bund ist die Rede von dem König Mesar, der auf der Stadtmauer seinen eigenen Sohn schlachtete in höchster Kriegsnot. Besonders grauenhaft, aber natürlich auch beispielhaft waren die Opfer der Mexikaner. Als ein großer Tempel in Mexiko eingeweiht wurde, hat man 80.000 Menschen geopfert. Das waren teils Volksgenossen, teils Kriesgefangene, teils Sklaven. Bei den Germanen, die man uns ja im Dritten Reiche immer als vorbildlich hingestellt hat, waren bis ins 12. Jahrhundert Menschenopfer üblich.

Die ganze Religionsgeschichte zeigt: Der Mensch weiß, wir sind abhängig von Gott, wir müssen diese Abhängigkeit anerkennen. Wir sind Gottes Schuldner durch unsere Sünde, und wir müssen Sühne leisten. Und so haben eben die Menschen immer Opfer dargebracht. Wo Religion ist, da ist auch das Opfer. Opfer und Religion gehören wesentlich zusammen.

Auch im Alten Bunde gab es einen reichen Opferkult. Der Sinn dieser Opfer war der gleiche wie bei allen Völkern, nämlich Gott zu ehren, Gott anzuerkennen, Gott zu danken, Gott zu bitten, Sühne zu leisten. Eine große Mannigfaltigkeit von Opfern war im Alten Bunde ausgebildet. Es wurden unblutige Opfer dargebracht, also Mehl, Weizen, Wein; es wurden auch blutige Opfer dargebracht, Tiere, Rinder, Schafe. Die Menschenopfer waren im Alten Bunde nicht üblich, denn Gott hatte sie verboten.

Die Opfer des Alten Bundes waren auch teilweise mit einem Opfermahl verbunden. Das heißt, nachdem das Opfer Gott dargebracht war, durfte das, was übrig blieb, von den Menschen verzehrt werden. Das hatte einen guten Sinn. Man wollte durch die Gabe, die man Gott dargebracht hatte, mit der Gottheit, also mit Jahwe, dem Gott des Alten Bundes, in Verbindung treten. Das Opfermahl sollte die Verbundenheit zwischen den Opfernden und Gott herstellen. Eine besondere Bedeutung hatte das Sinai-Opfer. Am Berge Sinai, wo der Bund zwischen dem Volke und Gott geschlossen wurde, opferte Moses blutige Opfer und besprengte das Blut über das Volk: „Das ist der Bund, den Gott mit euch geschlossen hat.“ Wir wissen, dass der Herr an dieses Opfer angeknüpft hatte, als er sagte im Abendmahlssaal: „Das ist das Blut des Neuen Bundes, mein Blut, das für euch und für viele vergossen wird.“ Auch das Osterlamm war ein Opfer als Dank für die Befreiung aus dem Sklavenhause Ägypten.

Alle diese Opfer hatten einen Sinn. Sie waren in der Absicht dargebracht, Gott anzuerkennen, zu ehren, ihm zu danken, ihn zu bitten und Sühne zu leisten. Aber sie waren alle unvollkommen. Sie waren alle ungenügend. Sie konnten das nicht leisten, was man ihnen zutraute, nämlich Gott wirklich versöhnen. Und deswegen gibt es im Neuen Bunde ein alle anderen Opfer überragendes Opfer, ein Lob- und Anbetungsopfer, das der Majestät Gottes würdig ist, ein Dankopfer, um Gott eine würdige Gegengabe anzubieten für alle Geschenke der Natur und der Gnade, ein Sühnopfer, das in Wahrheit die Sünden der Welt hinwegnimmt, ein einziges vollkommenes Opfer anstelle der vielen unvollkommenen Opfer der Vorzeit, ein reines Opfer anstelle der vielen unreinen Opfer, ein erhabenes Opfer, das alle anderen Opfer überragt, wie die Religion des Gottmenschen alle anderen Religionen, die ja von Menschen gemacht sind, übertrifft. Dieses Opfer ist das Kreuzesopfer.

In Jerusalem erhebt sich ein Hügel, der Hügel Kalvaria. Dort hinauf steigt Jesus am ersten Karfreitag. Auf seinen Schultern trägt er das Kreuz, und dieses Kreuz ist sein Opferaltar. Droben angekommen, tritt der Opferpriester Jesus im Namen der Menschheit an den Altar. Er ist ein Priester, rein und makellos, ohne Sünde und Schuld, das Wohlgefallen des Vaters, göttlich groß und erhaben, des ewigen Gottes würdig. Und er kommt, um zu opfern. „Brand- und Schlachtopfer hast du nicht gewollt, aber einen Leib hast du mir bereitet. Siehe, ich komme, ihn zu opfern.“ Und so erklärt denn später der Hebräerbrief ausführlich, dass Jesus der Hohepriester des Neuen Bundes ist. „Er erschien als Hoherpriester der zukünftigen Güter und ging durch das höhere und vollkommene Zelt, nämlich durch sein eigenes Blut, nicht durch das Blut von Böcken und Stieren, und nur durch sein eigenes Blut ein für allemal ein in das Allerheiligste, nachdem er eine ewige Erlösung bewirkt hatte. Ein solcher Hoherpriester“, schreibt der Hebräerbrief, „tat uns not. Heilig und schuldlos, nicht aus der Zahl der Sünder, über die Himmel erhaben.“ Er hat nicht nötig, wie die Hohenpriester der alten Zeit, Tag für Tag Opfer darzubringen für seine eigenen Sünden und für die Sünden des Volkes. Das hat er ein für allemal getan, da er sich selbst zum Opfer darbrachte.

Christus ist der ewige Hohepriester. Er hat ein Opfer dargebracht, und zwar sein eigenes Leben. Bei Gerhard Hauptmann steht in einem seiner Dramen der schöne Satz: „Und gäbst du alles außer’m Leben, so wisse: du hast nichts gegeben.“ Und gäbst du alles außer’m Leben, so wisse, du hast nicht gegeben. Und dieses Leben bietet der Opferpriester Jesus dem Vater im Himmel an als Opfergabe für die Welt, gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze. Es ist ein sichtbares Opfer. Damit alle Welt es sehe, breitet er seine Arme aus. Er lässt seine Hände und Füße annageln, und er verblutet in dreistündigem Opferleiden als das Lamm Gottes, „geopfert, weil er selbst es wollte“, wie der Prophet Isaias vorausgesagt hatte.

Die großen Lehrer der folgenden christlichen Zeit haben dann mit Begriffen, die ihnen zur Verfügung standen, dieses Opferleiden ausgedeutet und uns übermittelt. Papst Leo der Große, der wie kein anderer in die Geheimnisse des Opferleidens Christi eingedrungen ist, schreibt einmal: „Um die Menschen wieder mit Gott zu versöhnen, musste ein Opfer dargebracht werden, und zwar ein Opfer, das mit uns das gleiche Geschlecht teilte, aber von unserer Befleckung rein war.“ Das war der Grund, warum der Gottmensch Jesus Christus geopfert wurde. Geopfert werden konnte nur ein Mensch, aber eine vollkommene Sühne leisten konnte kein Mensch, das konnte nur Gott. Deswegen musste der Gottmensch am Kreuze verbluten. Augustinus hat diesen Gedanken in ähnlicher Weise formuliert: „Von deinen beiden Übeln besteht eines in der Schuld und das andere in der Strafe. Schuld ist es, dass du sündig bist. Strafe ist es, dass du sterblich bist. Um dir nun ganz nahe zu kommen, übernahm der Herr die Strafe ohne die Schuld. Er wurde nicht sündig wie du, aber sterblich wie du. Und indem er sich schuldlos der Strafe unterzog, tilgte er Schuld und Strafe.“

Meine lieben Freunde, man hat in vielen Jahrhunderten andere Gedanken geäußert. Aber übertroffen hat sie niemand, wie diese Sätze des heiligen Augustinus es uns übermittelt haben. Zum ersten Male hat die Welt ein Opfer gesehen, das in Wahrheit ein vollkommenes Opfer ist. Es ist das größte Anbetungs- und Dankopfer aller Zeiten. Denn Christus ist das Haupt der Menschheit, und er ist der Gottmensch. Er ist Opferpriester und Opfergabe. Es ist auch das größte Sühnopfer, denn der Heiligste, vor dem selbst die Himmel nicht rein sind, ist Priester und Opfer, das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt. Es ist auch das erhabenste Bitt- und Dankopfer. Gottes Sohn breitet die Arme aus und betet: „Vater, verzeih ihnen.“ „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Es ist das größte Friedopfer, denn es bringt Versöhnung und Gemeinschaft mit Gott. Seitdem dieses Opfer dargebracht wurde, hören alle anderen Opfer auf. Alle Schattenbilder weichen vor der Wirklichkeit. Der Vorhang des Tempels ist zerrissen, als Jesus starb, d.h. der Weg zum Allerheiligsten ist frei, der Himmel steht offen. Gott ist versöhnt, es fließen die Ströme der Gnade vom Fuße des Kreuzes hin über die ganze Erde. Alle Heiligkeit und Gnade kommt uns aus diesem Opfer Jesu Christi zu. Er ward geopfert, weil er selbst es wollte. Er wollte aber nur, dass alle Menschheit an diesen Opferaltar tritt und von diesem Opferaltar seine Erlösung schöpft. Aus deinen Wunden, Herr, schöpfen wir das Heil. Und wir werden am kommenden Sonntag sehen, dass wir noch immer fähig sind, aus den Wunden des Heilandes unser Heil zu schöpfen.

Amen.

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