Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. Mai 2005

Gottes Geist in Sturm und Feuer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Pfingstfreude Versammelte!

Es ist eigenartig, dass das Pfingstfest in den Herzen der Gläubigen so tiefe Wurzeln geschlagen hat. Jeder, der mit der Kirche lebt und das Kirchenjahr mit ihr vollzieht, weiß, was Pfingsten bedeutet, und sein Herz schlägt höher, wenn er hört, dass vom Pfingstgeist, von der Pfingstglut und vom Pfingstfeuer die Rede ist. Das ist eigentlich zu verwundern, denn an Pfingsten feiern wir ja das tiefste Geheimnis Gottes, den Abgrund seiner Liebe und den Gipfel seines Wesens, nämlich wir feiern die Person des Heiligen Geistes, der das Liebesband zwischen Vater und Sohn ist. Wenn das Pfingstgeheimnis so tief in die Herzen der Gläubigen eingedrungen ist, dann ist das ein Zeichen dafür, dass Gott uns in seiner unermesslichen Weisheit Symbole des Heiligen Geistes gegeben hat, die uns etwas aussagen von seinem Wesen und von seinem Wirken.

Als Gott die zweite Person in der Gottheit uns nahebringen wollte, da tat er es in der Gestalt eines Kindes. Welch ein Geheimnis ist ein Kind! Und doch, wie deutlich und aus sich redend ist ein Kind! Als Gott nun die dritte Person in der Gottheit uns nahebringen wollte, da hat er auch Symbole gewählt, Naturdinge und menschliche Dinge, die uns etwas aussagen von der Wirklichkeit des Heiligen Geistes. Diese Dinge, die Gott uns geoffenbart hat, damit wir den Geist verstehen, sind der Sturm, das Feuer und die Sprache. Wenn wir nachsinnen über diese drei Symbole, dann wissen wir, was es bedeutet, wenn in der Heiligen Schrift gesagt wird, dass der Geist Gottes ausgegossen ist in unsere Herzen. An diesen Gleichnissen können wir ersehen, wie der Geist ist und wie die sind, die vom Geiste erfüllt werden.

Der Sturm ist das erste dieser Gleichnisse. Als der Pfingstmorgen anbrach, da war es wie das Brausen eines gewaltigen Sturmes, der vom Himmel daherfuhr. Jesus hatte ja schon bei Nikodemus bemerkt, dass der Geist weht, wo er will. Du hörst seine Stimme, aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er geht. So ist es mit allen, die aus dem Geiste geboren sind. Diese Ankündigung gegenüber Nikodemus hat sich erfüllt am Pfingstmorgen. Da kam der Geist wie ein Sturm über diejenigen, die bereit waren, ihn zu empfangen. Und das bedeutet ein Dreifaches. Es soll andeuten, dass der Geist ein Geheimnis ist, dass er frei ist und dass er unwiderstehlich ist. Das sind die drei Eigenschaften des Sturmes: er ist geheimnisvoll, er ist frei, und er ist unwiderstehlich.

Nun, dass der Geist Gottes geheimnisvoll ist, das braucht uns nicht zu verwundern, ist ja Gott selbst ein Geheimnis, ein unermessliches Geheimnis, ein undurchdringliches Geheimnis. Und wenn von Gott gesagt wird, dass er in unzugänglichem Lichte wohnt, dann gilt das in besonderer Weise für den Lichtbogen, für den Flammenbogen, der sich zwischen Vater und Sohn spannt. Dieser Flammenbogen ist der Heilige Geist, ist die Person des Heiligen Geistes. Der Geist ist geheimnisvoll, weil er Anteil hat am Wesen Gottes, weil er die dritte Person in der Gottheit ist. Wenn schon in einem Menschen das innerste Geheimnis die Liebe ist, dann muss erst recht das inwendigste Geheimnis in Gott die Liebe sein, der Abgrund seines Lebens, der Gipfel seines Herzens. Das ist die Person des Heiligen Geistes, der innerste Bezirk in der Gottheit, die letzte Kammer des göttlichen Denkens und Wollens.

Weil der Heilige Geist geheimnisvoll ist und die Person der Liebe, deswegen ist er auch die Person der Freiheit. Keine menschliche Macht kann ihm seinen Weg vorschreiben; er folgt nur seinem eigenen Gesetz. So ist die Liebe. Die Liebe trägt ihr Gesetz in sich selbst. Sie ist völlig frei von allem, was außer ihr liegt. Sie erfüllt mit Notwendigkeit nur ihr eigenes inneres Müssen, und eben darin besteht ihre Freiheit. In der Liebe ist Notwendigkeit und Freiheit eins. Wegen dieser Freiheit ist die Liebe auch ein stetig neuer Ausbruch von Leben, eine ewigwährende Erneuerung des Seins, ein beständiges Hinausschreiten über das Bisherige, und so ist auch der Pfingstgeist über die Jünger gekommen an jenem ersten Pfingsttage. Unter dem Brausen dieses Geistes ist eine ganze Welt zusammengestürzt, die ganze alte Welt des Judentums. Neue Menschen, neue Ideale, neue Gesinnungen und eine neue Liebe sind aufgebrochen in den Menschen, die der Geist erfüllt hatte. Und so ist es auch im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder gewesen, meine Freunde. Immer wieder gab es Menschen, in denen Gottes Geist schöpferisch durchbrach und Neues erschuf, Heilige, die kühn wie Propheten oder einfältig wie Kinder, frei wie der Sturmwind über das Bisherige hinausschritten und einen neuen Weg, ein neues Leben, eine neue Kraft schenkten.

Darum ist der Geist auch unwiderstehlich wie der Sturmwind, denn so ist der Geist Gottes. Diese paar galiläischen Männer, die am Pfingsttag zum ersten Mal vor die Welt hintraten, waren gering an Zahl, an Wissen, an Einfluß, an Vermögen. Armseliger kann man nicht anfangen, als sie angefangen haben. Und doch waren sie unwiderstehlich. Sie haben eine Bewegung hervorgerufen, die im Laufe von wenigen Jahrhunderten zu einer neuen Kultur, zu einer neuen Religion, zu einem neuen Ideal und zu neuen Maßstäben und zu ewig gültigen neuen Erkenntnissen des Geistes und des Herzens geführt haben. So ist es immer. Wo wirklich der Geist Gottes eintritt und wirkt, da ist er auch siegreich, da setzt er sich durch. Er kann durch keine Gewalt, keine Verfolgung, keinen Terror wieder ausgelöscht werden. Im Gegenteil, er wächst an dem Widerstand, den er findet. Daher kommt es, dass die vom Geiste Gottes ergriffenen Menschen so seelenruhig und gelassen sind. Sie brauchen nicht zu schelten und zu toben; sie brauchen nicht zu wüten und mit Eisen zu klirren. Das tun die Menschen, die von ihrem eigenen Geist bewegt sind. Diese Menschen erliegen über kurz oder lang der Geschäftigkeit, der Hast, der Angst und dem Kleinmut. Nein, wer vom Geist bewegt ist, der kann so geruhsam seinen Weg gehen und sein Wort sprechen, wie es die Apostel getan haben. Es ist eine seltsame Beredsamkeit, von der uns in der Apostelgeschichte ein Nachhall überkommen ist: „Männer, Brüder“, so sagen die Apostel ganz ruhig und einfach treten sie vor die Menge hin. Es ist wie eine ruhige, sachliche Auseinandersetzung unter Freunden, keine Wirkung auf Masse, keine Reklame, keine Berechnung, nein, das ist alles in eine lächelnde Ruhe gekleidet, die ein Mensch haben kann, der seiner Sache sicher ist, weil es die Sache Gottes ist.

Diese Ruhe ist tausendfach bestätigt worden. Wo wirklicher Geist war, Geist vom Geiste Gottes, da ist auch immer etwas durchgesetzt worden in dieser Welt, da ist auch immer etwas Neues und Gutes aufgewachsen, da ist auch immer ein offenes Tor und ein neuer Weg gewesen. Mächtig und siegreich ist auf die Dauer nur die Wahrheit und das Recht und die Liebe, d.h. der Heilige Geist. Alles andere vergeht, der Geist aber besteht! Wer mit dem Geiste Gottes verbunden ist, der trägt den Sturmwind in seinem Herzen und in seinen Händen, den Sturm, der die Tennen rein fegt und die Fruchtkeime über die Frühlingsfelder weht.

Meine lieben Christen, wenn uns das Leben manchmal so leer, so schal, so flach vorkommt, wenn wir uns so ohnmächtig fühlen, so voll von Hemmungen und Störungen innen und außen, so niedergedrückt von schweren Trieben und matten Herzen, dann kann das nur davon kommen, dass wir den Geist des göttlichen Sturmwinds zu wenig in uns tragen. Es kann nur davon kommen, dass der Geist einer alles besiegenden und alles aufreißenden Liebe in uns zusammengesunken ist, dass der freie Sturm nicht mehr in uns weht und dass wir uns nicht fassen lassen von diesem Geist. Aber man kann sich doch öffnen; man kann sich doch dem Geist eröffnen und darf sich ihm nicht verschließen. Man kann die Funken des Geistes, die allüberall durch die Herzen fliegen, pflegen und darf sie nicht zertreten. Man kann sich selbst zu größerer Weite, zu Großmut und Großzügigkeit des Denkens und des Handelns erziehen. Dann wird auch der Sturm des Geistes, der die weiten Räume liebt, durch unsere Fenster und Türen fahren und in uns Einkehr nehmen.

Das zweite Symbol, in dem der Geist am Pfingsttage offenbar wurde, ist das Feuer. Nun, das ist ja von selbst verständlich. Kein Symbol ist uns so vertraut wie das Feuer, nicht als zerstörende und verzehrende Macht, sondern als der größte Wohltäter der Menschheit. Das Feuer gewährt uns Wärme, Licht und Bewegung. Es vertreibt die Kälte, die Finsternis und die Erstarrung. Es gibt deswegen kein Gleichnis in der geschaffenen Welt, das so geeignet ist, die Liebe Gottes auszudrücken, also die Wärme, die Helle, die Kraft der Liebe, wie das Feuer. Der Geist Gottes ist ja die persönliche Liebe Gottes, von daher auch das Urbild und der Urquell aller Liebe. Jede wahre Liebe, meine Freunde, jede Liebe, die diesen Namen verdient, ist eine Flocke aus der Liebe Gottes, ist ein warmer Hauch aus dem Himmel. Die Liebe hat die Welt geschaffen. Selbst die Allmacht Gottes bliebe untätig, wenn nicht die Liebe sie bewegte. Und deswegen heißt es vom Geiste Gottes, dass er die Himmel ausgeziert hat. Der Heilige Geist, das liebende Lächeln Gottes, hat diese Welt geschaffen. Diese Liebe ist schöpferisch. Die Liebe ist deswegen schöpferisch, weil sie ein Funke des schöpferischen Liebesgeistes Gottes ist. Keine Macht dieser Erde, kein Genie und keine Weisheit und kein Wille würde etwas hervorbringen, wenn nicht die Liebe alles ins Strömen setzen würde, die Liebe, die über allen dunklen Wassern schwebt. Und diese Liebe ist überfließend und überströmend, so wie es die Natur des Feuers ist. Der Geist ist der Geist der Verschwendung, wie es eben nur die Liebe sein kann. Es ist dem göttlichen Geiste eigen, über alles Karge und Knauserige und ängstliche An-sich-Halten hinauszuführen und hinauszureißen. Es ist ein sichtbares Zeichen und ein sicheres Zeichen, dass eine Seele den Geist Gottes empfangen hat und in diesem Geiste wirkt, wenn sie über alles sparsame Müssen, über alles bloße Mindestmaß und über alle Mindestgebote hinausgekommen ist, wenn sie nicht mehr fragt: Was muss ich tun, um ins Leben einzugehen? Was muss ich tun, um in der Kirche zu bleiben? Was muss ich tun, um noch gerade absolviert zu werden? Was muss ich tun, um gerade noch ein christliches Begräbnis zu erhalten? Sondern wenn sie fragt und sagt: Herr, all das habe ich getan. Was bleibt mir noch zu tun? Was darf ich noch tun, um Vollkommenes zu wirken?

Wegen diese überfließenden und überströmenden Kraft des Geistes gibt es immer wieder Menschen, die sich von diesem Geist in den weiten Bereich der Räte des Evangeliums führen lassen, Menschen, die im Gottes willen freiwillig arm, keusch und gehorsam leben wollen, Menschen, die freiwillig ein Kreuz tragen, das sonst ein anderer tragen müsste, Menschen, die freiwillig ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Kraft und ihren Fleiß einsetzen für Werke, die ihnen niemand anschafft als die Liebe Gottes. So sind auch die sieben Gaben des Heiligen Geistes zu verstehen, die wir heute einander wünschen, vielleicht ohne zu wissen, welche großen Worte wir da gelassen aussprechen. Denn diese sieben Gaben gehen nicht auf Alltägliches und Gewöhnliches, sondern auf Außerordentliches, auf Heldisches, auf Heroisches, für das dem rechnenden Denken keine Fassungskraft zusteht, das eben nur die alles übersteigende Liebe fassen kann, das nur ein Mensch begreift, der in Glut steht und in inwendigen Flammen, die ihn verzehren müssten, wenn er sie nicht auswirken könnte. Ein Mensch, der die Feuerflocken, die ihn getroffen haben, auch wieder ausstrahlen und ausströmen lassen muss in einem frohen Überschwang des Betens und des Schaffens, des Schauens, des Leidens und des Freuens.

Wenn wir heute, meine lieben Freunde, die beiden äußeren Wirkungen des Heiligen Geistes betrachtet haben, den Sturm und das Feuer, und morgen die Sprachengabe betrachten wollen, die den Geist auszeichnet, dann muss in uns die große Sehnsucht aufstehen, von diesem Geiste erfüllt zu werden. Ich habe einmal als ganz junger Priester bei einem frommen, heiligmäßigen Priester Exerzitien, Einzelexerzitien, gemacht. Er fragte mich: „Was tun Sie, wenn Sie in der Straßenbahn fahren?“ „Ja“, sagte ich, „ich bete den Rosenkranz.“ „Das ist viel zu schwer“, sagte er, „viel zu schwer. Sie müssen immer nur rufen: Komm, Heiliger Geist! Komm, Heiliger Geist!“ Und das soll auch unsere Sehnsucht sein an diesem Pfingsttage. „Komm, o Geist der Heiligkeit aus des Himmels Herrlichkeit. Sende deines Lichtes Strahl. Vater aller Armen du, Aller Herzen Licht und Ruh, komm mit deiner Gaben Zahl. Tröster in Verlassenheit, Labsal voll der Lieblichkeit, komm, o süßer Seelenfreund!“

Amen.

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