Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. April 2002

Die heilige Messe – ein wahres Opfer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es gibt noch wache Christen. Es gibt noch Christen, die nachdenken, wenn sie etwas hören oder lesen. Eine Dame aus dieser Gemeinde, die auch heute erfreulicherweise unter uns ist, brachte mir einen Artikel aus der Mainzer Kirchenzeitung „Glaube und Leben“. Sie fühlte sich befremdet von diesem Artikel. Als ich ihn gelesen hatte, mußte ich ihr recht geben, denn dieser Artikel ist befremdlich. Er befaßt sich mit dem Meßopfer, und darin steht der Satz: „Die Eucharistie ist ausschließlich deswegen ein Opfer, weil in der Feier der Eucharistie das Gedächtnis an das einmalige Opfer Jesu gefeiert wird.“ Dann heißt es weiter: „Wenn wir fragen, was das Opfer der Kirche ist, so kann es nicht darum gehen, die Gaben auf dem Altar zu opfern. Es ist ein mißverständlicher Eindruck, wenn man sagt, die Kirche würde Jesus Christus in jeder Eucharistiefeier aufs neue opfern.“ In diesen Äußerungen wird die katholische Eucharistielehre falsch dargestellt. Es steht manches Richtige in dem Artikel, aber das, was ich vorgelesen habe, ist falsch. Wir wollen es zum Anlaß nehmen, das Opfer der Messe, das Meßopfer, uns vor Augen zu führen.

Was ist ein Opfer? Ein Opfer ist eine sichtbare Gabe, die Gott dargebracht wird zum Ausdruck der Hingabe und der Unterwerfung unter seinen Willen. Ein Opfer umfaßt also zwei Dinge, eine äußere Gabe und einen inneren Willen. Der innere Wille wird in der Gabe ausgedrückt. Wer eine Gabe darbringt, erklärt damit: Gott, so liege ich vor dir, so bin ich dir ergeben, so will ich deinen Willen tun wie diese Gabe, die jetzt auf dem Altare liegt.

Die Menschen aller Zeiten haben Opfer dargebracht. Wir hören aus der Heiligen Schrift, wie schon Kain und Abel, die ersten Menschen, Opfer Gott darbrachten. Kain legte Garben auf den Altar; die Garben wurden verbrannt, und darin lag das Symbol des Sich-Übergebens an Gott. So, wie diese Gaben verbrannt werden, so wollte Kain sagen, so will ich mich jedem anderen Gebrauch entziehen. Du sollst über mich verfügen; ich will dir gehören, so wie diese Opfergaben, die jetzt als Brandopfer zu dir emporsteigen. In allen Tempeln der Erde wurden Opfer dargebracht. Aber es war eine heimliche Lüge in diesen Opfern. Die Menschen weihten Gaben als Symbol ihrer Selbsthingabe, aber sie weihten sich nicht selbst, sie behielten etwas vor, denn sie waren Sünder, und Sünder heißt ja, sich etwas vorbehalten gegen Gottes Willen. Es war also eine heimliche Lüge in diesen Opfern, und so hat Gott gesagt: Ihr bringt mir die krummen und lahmen Tiere, die ihr nicht gebrauchen könnt; die opfert ihr, und das ist ein Zeichen eures verkehrten Willens. Ihr übergebt euch nicht wirklich mir, ihr behaltet euch etwas vor. Ich soll das nehmen, was ihr nicht mögt. Und so beschloß Gott, ein wahres, reines und heiliges Opfer zu stiften. Dieses Opfer hat Jesus Christus, unser Herr und Heiland, dargebracht. In seinem ganzen Leben war der Opferwille beherrschend. „Siehe, Vater, ich komme, deinen Willen zu tun. Einen Leib hast du mir bereitet, siehe, ich bringe ihn dir zum Opfer dar.“ Diesen Opferwillen hat er in seinem ganzen Leben bewährt. Als er für die Wahrheit Zeugnis gab, als er für die Gerechtigkeit kämpfte, als er den Menschen diente, da hat er seinen Opferwillen bewiesen. Er hat ihn bewiesen bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze. Da hat er sein Opfer vollendet. Achten Sie darauf, daß Johannes sagt: „Ein Soldat öffnete seine Seite, und es floß Blut und Wasser heraus.“ Warum sagt er das? Er will zeigen: Es war nichts mehr drin, es war alles aufgebraucht. Er hat in seinem Leben alles hingegeben, was überhaupt in ihm verfügbar war. Er hatte nichts zurückbehalten, und so war sein Opfer am Kreuze vollendet.

Dieses Opfer ist unser Heil. Von ihm leben wir; durch das Kreuzesopfer sind wir gerettet. Aber dieses Opfer gehört der Vergangenheit an. Wir müssen indes mit dem Kreuzesoppfer in Verbindung kommen. Wir müssen uns das Kreuzesopfer aneignen; wir müssen mit Christus auf das Kreuz steigen. Deswegen hat Christus das Meßopfer eingesetzt. Das Meßopfer ist die sakramentale Epiphanie von Golgotha. Das Meßopfer ist das Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt. Dieses wird, wie das Konzil von Trient sagt, „vergegenwärtigt“. Es tritt aus der Vergangenheit in die Gegenwart ein. Und hier kommt nun der Punkt, wo ich diesen Artikel aus der Zeitschrift „Glaube und Leben“ rügen muß. Die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers ist nicht bloß ein Gedächtnis. Gewiß denken wir in der Messe an das Kreuzesopfer, aber das zu sagen genügt nicht, denn wir denken auch an das Kreuzesopfer, wenn wir ein Kreuz anbringen, oder wenn wir den Kreuzweg beten, oder wenn wir die Passionsgeschichte lesen. Das Meßopfer ist mehr als ein Gedächtnis des Kreuzesopfers. Das Meßopfer ist deswegen ein Gedächtnis des Kreuzesopfers, weil es seine Vergegenwärtigung ist; und diese Vergegenwärtigung geschieht durch das Opfer der Kirche. In diesem Artikel fällt eine ganze Dimension des Meßopfers aus, nämlich das Opfer der Kirche. Es ist gewiß im Meßopfer derselbe Opferpriester, Christus. Es ist dieselbe Opfergabe, Christus. Es ist dieselbe Opferhingabe, die Christi. Aber dieses Opfer könnte nicht gegenwärtig werden, wenn es nicht die Kirche als ihr Opfer darbringen würde. Indem die Kirche das Opfer Christi darbringt, tritt das Kreuzesopfer aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Es gibt keine andere Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers als durch das Opfer der Kirche. Die Kirche gliedert sich nämlich ein in das Kreuzesopfer. Sie bringt sich selbst dar. Sie lernt am Kreuzesopfer, sich selbst zu opfern. Deswegen gibt es einen menschlichen Opferpriester, den geweihten katholischen Priester. Deswegen gibt es eine gläubige Gemeinde, die sich dem Priester anschließt beim Opfer. Und Priester und Gemeinde sind nicht nur opfernd tätig, sie sind auch Geopferte; sie gliedern sich in das Opfer Christi ein. Wir müssen also festhalten: Das Meßopfer ist eine aktuale Präsenz, eine wirkliche Gegenwart des Kreuzesopfers. Aber diese Gegenwart entsteht nur, indem die Kirche ihr Opfer mit dem Opfer Christi verbindet.

Jetzt wissen wir, meine lieben Freunde, wie wir das Meßopfer feiern müssen. Wir müssen es feiern in der Solidarität mit Christus. Wir müssen zu Christus sagen: Du gehst durch dein Leiden, durch dein Kreuz zum Vater im Himmel. Nimm mich mit! Mein Heiland, nimm mich mit! Ich klammere mich an dich. Ich bin mit dir verbunden. Ich gehe mit dir. Aber nimm mich mit! Nimm mich mit, damit ich mit dir beim Vater ankomme!

Es ist nicht wichtig, meine lieben Freunde, daß Sie jedes Wort der Messe mitbeten, das der Priester betet. Der Priester ist ja der Hauptträger der Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers. Er muß deswegen die ganze Messe ohne Auslassung, ohne Veränderung beten. Aber wenn Sie bei der heiligen Messe nur den einen Gedanken haben: Jesus geht durch sein blutiges Leiden zum Vater im Himmel, und ich schließe mich ihm an, dann haben Sie die Messe gut mitgefeiert. Sie brauchen nur diese Gesinnung in sich zu tragen: Mein Jesus, mein Heiland, nimm mich mit! Dann war Ihre Mitfeier der heiligen Messe Gott wohlgefällig.

Das ist also die Gesinnung, in der wir die Messe mitfeiern müssen. Wir erkennen zugleich auch die Notwendigkeit der Mitfeier. Jesus geht zum Vater, und der Vater nimmt nur das, was Jesus ihm gibt. Wer sich also nicht an Jesus anschließt, kann nicht zum Vater kommen. Nun geht Jesus zum Vater als ein Geopferter, als ein Leidender. Also muß man sich in die Leidensgemeinschaft mit Jesus begeben, muß man an seinem Leidensopfer teilnehmen. Da kann man nicht sagen: Ich gehe am Sonntag auf den Berg, oder ich gehe ans Meer, oder ich gehe in den Wald. Das kann man alles machen. Aber da findet man nicht den sich opfernden Jesus. Da kann man sich nicht an Jesus, den Geopferten, anschließen. Der sich opfernde und geopferte Jesus ist nur gegenwärtig im von der Kirche repräsentierten Kreuzesopfer in der heiligen Messe, im Meßopfer.

Wenn das Meßopfer richtig verstanden wird, dann opfern wir uns mit Christus, und wir opfern Christus. Ja, wir opfern Christus zuerst und uns mit ihm. Das ist der Sinn des Meßopfers, und das ist eben etwas, was dem Kreuzesopfer hinzugefügt wird; das Meßopfer ist also nicht bloß Gedächtnis des Kreuzesopfers, sondern Gedächtnis des Kreuzesopfers in der Gestalt des Opfers der Kirche. In der Wandlung geht unsere Gabe zu Gott empor, und in der heiligen Kommunion steigt sie zu uns nieder. Was wir Gott aufgeopfert haben, das schenkt er uns in der heiligen Kommunion. Die heilige Kommunion ist ein Beschenktwerden mit der Opferspeise. Es wird uns ein Herz geschenkt, das Herz Jesu. Das heiligste Herz Jesu, das kehrt in uns ein. Und Gott wird uns geschenkt. Da ist die Natur überboten. Von Natur aus gehören wir Gott; aber hier in der Kommunion wird uns Gott geschenkt. Gott ist der Allmächtige, aber er hatte nicht mehr, was er geben konnte. Er ist der Allweise, aber er wußte nicht mehr, was er uns geben konnte. Hier ist das Höchste geschehen, was überhaupt geschehen kann: „Gott wird klein, sinkt dir ein, Menschenherz heißt sein Schrein. Hier wird neu die erste Liebe. Schöpfer küßt in brennender Liebe das Geschöpf, das er ersann, Kindlein sein, das ihm entrann. Süß wie die Blüte Gott mich behüte.“ So hat ein im Ersten Weltkrieg gefallener junger Dichter die Eucharistie gepriesen.

Diese Opferspeise ist ein bleibendes Sakrament. Sie vergeht nicht. Wenn die Taufe gespendet ist, dann ist der Taufvorgang abgeschlossen. Wenn die Firmung erteilt ist, dann ist der Firmvorgang zu Ende. Nicht so beim eucharistischen Opfer. Die Opferspeise bleibt; Jesus wartet. Er wartet im Tabernakel. Es kann immer noch einer kommen, der ihn empfangen möchte. Es kann ein Kranker ihn rufen. Es gibt viele, viele, die ihn kennen, aber an den Altären des Schenkens vorübergehen. Auf sie wartet er. Er wartet, daß der eucharistische Frühling kommt. Ganze Völkerscharen, Millionen nehmen an der Opferspeise teil, aber der eucharistische Frühling ist noch weit. Da muß Jesus noch warten. Wenn man die Menschen bei der Kommunion sieht, dann möchte man meinen, sie seien jetzt abgekommen von ihren Streitereien, von ihren Ansprüchen, von ihren Forderungen, von ihrer Abneigung. Aber dann gehen sie wieder hin, und dann sind ihre Forderungen, ihre Ansprüche und ihre Streitereien doch wieder da. Der eucharistische Frühling ist noch weit, und Jesus muß warten. Wenn man sie sieht, wie sie den Heiland empfangen wollen und nichts anderes begehren als ihn aufzunehmen, dann meint man, jetzt ist ihr Haß vorbei, jetzt sind ihre Neidgefühle abgetan. Aber dann gehen sie wieder hinaus in ihre Häuser und auf die Gassen und vergießen das Blut, das in ihnen geschenkt ist. Da muß Jesus warten, und es ist ein schmerzliches Warten. Kann man ihm da gar nicht helfen? Kann man das nicht abkürzen? Gewiß, man kann es abkürzen. Durch mein Leiden, durch mein Leben, durch mein Dienen, durch mein Sterben kann ich, wenn es mit Jesus getan ist, das Warten Jesu abkürzen.

Die Erde hat lange gebraucht, bis sie sich aus dem Urnebel gelöst hatte. Im Winter warten wir auf den Frühling, aber eines Tages kommt er doch. Und so wird es auch sein mit dem Frühlingsfest, das wir erwarten. Einmal werden die Auserwählten Jesu alle kommuniziert haben, einmal werden sie eingehen in seine Liebe. Einmal wird eine Ordnung und eine Gemeinschaft und ein Friede sein, und das Zeichen dafür ist das eucharistische Opfer – ein Morgenrot, das auf unseren Altären steht, ein Flammenzeichen des besseren Tages. Einmal wird das Warten der Geisterwelt zu Ende sein, einmal wird es kein Opfer mehr geben, keine Wandlung mehr, sondern nur noch Frieden und Kommunion und Vereinigung mit Christus. Eines Tages wird die Ordnung gekommen sein, die wir hier ersehnen und die wir nicht zu schaffen vermögen. Einmal wird es heißen: Hochgelobt und gebenedeit sei das allerheiligste Sakrament des Altares, jetzt und in alle Ewigkeit!

Amen.

 

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