Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
31. März 2002

Das Grab ist leer, der Held erwacht

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Osterfreude Versammelte!

„Das Grab ist leer, der Held erwacht. Der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.“ Seit mehreren hundert Jahren hat das christliche Volk so gesungen und gebetet. „Das Grab ist leer, der Held erwacht. Der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.“ Dieses Lied ist aus den Gesangbüchern der deutschen Diözesen verschwunden; es findet sich auch im Gotteslob nicht mehr. Hat dieses Verschwinden etwas zu besagen? Ist es vielleicht so, daß nicht mehr alle mit ganzem Herzen und in Überzeugung singen können: „Das Grab ist leer, der Held erwacht. Der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden“? Ist es vielleicht so, daß sich heute zwei Auffassungen im christlichen Volk, in der Christenheit gegenüberstehen, die eine, die nach wie vor davon überzeugt ist, daß Christus leibhaftig aus dem Grabe erstanden und den Jüngern erschienen ist, die andere, die solche Aussagen für unglaubwürdig hält?

Ich zitiere einen sogenannten modernen Theologen, der sagt, der moderne Mensch könne ein solche mirakulöses Naturereignis wie die Lebendigmachung eines Toten, ganz abgesehen von der Unglaubwürdigkeit überhaupt, nicht als ein ihn betreffendes Handeln Gottes verstehen. Dieser Theologe – und er steht nicht allein – erklärt also: Die Botschaft von Ostern ist unglaubwürdig, und sie kann für uns religiös nichts bedeuten. Ein solches mirakulöses Naturereignis kann er nicht als ein ihn betreffendes Handeln Gottes verstehen. Das sind Theologen, die in der Kirche bleiben, die sich weiterhin als Christen betrachten, die von Ostern sprechen und von Ostern predigen, die aber niemals mit Überzeugung beten und singen könnten: „Das Grab ist leer, der Held erwacht. Der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.“

Ein solches Ereignis wie die Lebendigmachung eines Toten ist unglaubwürdig, sagt dieser Theologe. Warum unglaubwürdig? Weil es heute nicht mehr passiert. Ein Toter kann nicht mehr lebendig werden, so sagt dieser Theologe, und so sagen die Fleischer auch. Aber weil ein Toter einmal lebendig geworden ist, deswegen gibt es das Christentum, deswegen singen wir an Ostern: „Das Grab ist leer, der Held erwacht. Der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.“ Weil die Auferstehung von Toten in den Lebenserfahrungen und in den Vorstellungen des heutigen Menschen nicht mehr vorkommen, soll die Auferstehung des Christus ebenfalls nicht geschehen sein.

Meine lieben Christen, jeder Historiker vom Fach weiß, daß es Geschehnisse gibt, die man niemals voraussehen und voraussagen kann. Wer hätte vor 200 oder 300 Jahren sich denken können, daß Flugzeuge am Himmel kreisen, daß Raumschiffe in den Weltenraum vordringen? Wer hätte sich noch vor 100 Jahren vorstellen können, daß ein Mensch mit dem Herzen eines anderen leben kann oder mit der Niere oder mit der Leber? Wer hätte sich noch vor 80 Jahren vorstellen können, daß es Elektronenrechner gibt, die Millionen von Rechnungen in einer Sekunde ausführen können? Es gibt in der Welt vieles Unvorstellbare, was aber Wirklichkeit geworden ist. Die begrenzte Lebenserfahrung des Menschen kann nicht darüber entscheiden, was wirklich ist und was nicht wirklich sein kann, was einmal geschehen ist und was nicht geschehen sein kann. Das ist unhistorisch, das ist unwissenschaftlich, das vergeht sich gegen die Gesetze des Denkens.

Nun bemühen sich aber, wie gesagt, die genannten ungläubigen Theologen, weiterhin von Ostern zu sprechen. Sie reden sogar von der Auferstehung. Aber was meinen sie damit? Was verstehen sie darunter? Wie ist dieser Begriff „Auferstehung“ nach ihnen auszulegen? Sie sagen, die Rede vom leeren Grab und von den Erscheinungen des Auferstandenen sei ein Interpretament. Was ist ein Interpretament? Ein Interpretament ist eine Aussage, die nicht um ihrer selbst willen gemacht wird, sondern die etwas anderes erklären und verständlich machen will. Durch die Aussage: „Jesus ist auferstanden“ soll erklärt werden, daß die Jünger nach der Kreuzigung Jesu in den Glauben gekommen sind. Sie haben Jesus als den Lebendigen geglaubt. Und um diesen Glauben auszudrücken, haben sie gesagt: Das Grab ist leer, der Gekreuzigte ist erschienen. Die Aussagen vom leeren Grab und von den Erscheinungen des Auferstandenen sind Interpretamente, wollen erklären, daß Petrus und seine Jünger zum Glauben gekommen sind. Aber man kann den Menschen von heute, so sagen diese Theologen, nicht zumuten, daran zu glauben, daß tatsächlich der tote Leib Jesu lebendig geworden und verklärt worden ist und daß er in dieser verklärten Gestalt den Jüngern erscheinen ist. Das kann man ihnen nicht zumuten. Meine lieben Christen, wenn Gott im Spiele ist, muß man immer mit Unwahrscheinlichkeiten rechnen. Gott denkt nicht wie ein Mensch, und Gott handelt nicht wie ein Mensch. Er denkt wie Gott, und er handelt wie Gott. Der Mensch muß es sich gefallen lassen, das Denken und Handeln Gottes anzuerkennen.

Die ungläubigen Theologen sagen, die Auferstehung Jesu sei erschlossen worden, und zwar vom eigenen Glauben aus. Jesus ist auferstanden heißt nach ihnen nichts anderes als: der gekreuzigte Jesus ruft heute zum Glauben. Die historischen Begleitumstände sind für diese Theologen völlig unbeachtlich. Nun gibt es im ersten Korintherbrief eine Stelle, wo der Apostel Paulus die Zeugen der Auferstehung anführt, wo er eine ganze Reihe von Menschen nennt, die Jesus nach der Auferstehung gesehen haben. Diese Stelle im ersten Korintherbrief wird von diesen Theologen als fatal bezeichnet, weil sie einen Beweis für die Glaubwürdigkeit des Kerygmas erbringen will. Und dann folgt der Satz, der wie ein Hammer auf uns niederfällt: „Der christliche Osterglaube ist an der historischen Frage nicht interessiert.“ Ich wiederhole noch einmal diese ungeheuerlichen Worte: „Der christliche Osterglaube ist an der historischen Frage nicht interessiert.“ Der Glaube an die Auferstehung kann also nach diesen Theologen bestehen auch ohne das leere Grab und auch ohne die Erscheinungen Jesu vor den Jüngern. Ja, sie gehen noch weiter. Einer von diesen Theologen sagt, die Reinheit des Glaubens werde durch die historische Sicherung der Auferstehung beeinträchtigt. Die Erscheinungen seien für die, denen sie widerfuhren, eine Glaubenserschwerung gewesen, insofern dadurch gerade verdunkelt werden konnte, was Glauben heißt. Man müsse glauben trotz des leeren Grabes; man müsse einen Glauben haben, der der Krücken und Stützen nicht bedarf.

Meine lieben Christen, hier wird der christliche Glaube geradezu auf den Kopf gestellt. In diesen ungeheuerlichen Aussagen wird die Tat Gottes, die er an seinem Christus gewirkt hat, rundweg als unbeachtlich angesehen. Hier wird ein Glaube postuliert, der kein Fundament in der Geschichte hat. Hier wird uns zugemutet zu glauben entgegen den sicheren Erkenntnissen der Geschichte, und es ist sichere geschichtliche Erkenntnis, daß das Grab leer war und daß die Jünger Erscheinungen gehabt haben. Die Geschichte kann gewiß nicht erklären, wie diese Geschehnisse erfolgt sind, wie der Tote lebendig geworden ist und wie die Erscheinungen entstanden sind. Aber die Geschichte kann nachweisen, daß der Tote lebendig geworden ist und daß er den Jüngern erschienen ist. „Das Grab ist leer, der Held erwacht. Der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.“

Für diese Theologen ist die Rede von der Auferstehung des Herrn lediglich ein Ausdruck für die Bedeutsamkeit des Kreuzes, eine Aussage, daß die Sache Jesu weitergeht. Er kommt auch heute, so sagen sie. Ja, warum kommt er denn? Er kommt doch nur deswegen, weil er lebendig geworden ist. Er könnte ja gar nicht kommen, wenn er noch im Grabe gelegen wäre. Er muß doch lebendig geworden sein, wenn er den Jüngern erschienen ist und wenn er heute noch zum Glauben ruft. Wodurch ruft Gott denn zum Glauben, meine lieben Christen, wodurch ruft er denn? Er ruft durch das, was er an seinem Christus gewirkt hat. Dadurch ruft Gott zum Glauben. Er ruft dadurch, daß er den Toten wieder lebendig gemacht hat. Er ruft dadurch, daß er den lebendig Gemachten den Jüngern hat erscheinen lassen. Dadurch ruft er zum Glauben. „Das Grab ist leer, der Held erwacht. Der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.“ Dem Glauben wird durch die geschichtlichen Fundamente nichts von seiner Verdienstlichkeit und von seinem Wesen genommen. Auch wer überzeugt ist, daß die Geschichtswissenschaft das leere Grab und die Erscheinungen nachweisen kann, auch wer davon überzeugt ist, kann sich dem Glauben entziehen. Er kann sagen: Nun ja, die Jünger sind gekommen und haben ihn gestohlen. Oder er kann sagen: Das sind Selbstsuggestionen gewesen. Der Glaube wird dadurch nicht in seinem Wesen tangiert, daß wir fest überzeugt sind, das Grab war leer, und Jesus ist als Lebendiger den Aposteln und den Frauen erschienen. Dem Glauben wird seine Würde und sein Wert gewahrt. Man kann sich den Deutungen, die die Apostel vorlegen, entziehen, man kann diese Deutungen abweisen, aber der Glaube besteht nicht ohne historisches Fundament, weil Gott dieses Fundament gelegt hat. Wir würden Gott mißtrauen, und wir würden Gott geringschätzen, wir würden seine Tat an seinem Christus verschmähen, wenn wir das leere Grab nicht annehmen würden und wenn wir an den Erscheinungen vor den Aposteln nicht festhalten würden.

Es besteht kein Grund, meine lieben Christen, sich irremachen zu lassen von den verirrten Aufstellungen ungläubiger Theologen. Es ist erschütternd, daß so etwas passieren konnte, daß in der Kirche, daß in der Christenheit solche Thesen aufgestellt werden konnten und Annahme finden konnten. Das ist erschütternd. Aber es kann uns nicht irremachen an unserem Glauben. Es kann uns nicht hindern, jetzt wie ehedem aus ganzem Herzen und mit Überzeugung zu singen: „Das Grab ist leer, der Held erwacht. Der Heiland ist erstanden. Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.“

Amen.

 

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