Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
8. August 1999

Der ewige Schöpfungsplan Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn ein Baumeister einen Bau aufführen will, dann entwirft er zuvor einen Bauplan. In dem Bauplan ist wie in einer Skizze der ganze Bau enthalten. Ähnlich-unähnlich ist es in Gott. Wenn Gott eine Welt schafft, dann hat er zuvor einen Weltplan, und dieser Weltplan ist in seinem Geiste, und nach diesem Weltplan gestaltet er die Welt. Gott hat die Welt nach einem ewigen Plan und nach ewigen Ideen geschaffen. Der Weltplan Gottes ist sein eigenes Wesen, insofern es sich in Geschöpfen spiegeln kann. Gott nimmt sein eigenes Wesen zum Vorbild und Urbild, um etwas Geschaffenes zu entwerfen. Die Dinge dieser Welt sind endliche Darstellungen Gottes. Gott durchschaut ja mit seinem durchdringenden Blick die Nachahmbarkeit seines Wesens, und diese Nachahmbarkeit seines Wesens gestaltet er in den Dingen. Die Dinge sind gewissermaßen Fußspuren Gottes, Boten Gottes; sie erzählen etwas von der Herrlichkeit, von der Macht und von der Schönheit Gottes.

Die Heilige Schrift kommt, wenn sie von der Erschaffung des Menschen handelt, darauf zu sprechen, daß Gott den Menschen geschaffen hat nach seinem Bild und Gleichnis. Also der Mensch ist Gott ähnlich. Ja, er kann nur Gott ähnlich sein, denn Gott hat keine andere Vorlage als sich selbst. Was aber vom Menschen gilt, das ist auch auf alle anderen Geschöpfe zu übertragen. Sie sind endliche Schattenrisse Gottes. Die Heilige Schrift spricht davon, daß Gott alles „in Weisheit“ geschaffen hat, und mit dieser Weisheit ist nichts anderes gemeint als die ewigen Ideen in Gott. Wenn es etwa im Psalm 104 heißt: „Wie sind deiner Werke, o Gott, so viele! Du hast alle in Weisheit geschaffen.“ Oder im Buch der Sprüche: „Der Herr hat durch Weisheit die Erde gegründet, durch Einsicht die Himmel gefestigt. Durch seine Klugheit brachen die Fluten der Tiefe hervor, träufeln die Wolken den Tau.“ An einer anderen Stelle im Buch der Sprüche wird von der Weisheit als dem ersterschaffenen Geschöpf Gottes gesprochen. Und von dieser Weisheit wird dann gesagt: „Als er den Himmel baute, war ich (nämlich die Weisheit) dabei. Als er abmaß die Wölbung über den Wassern der Flut, als er in der Höhe die Wolken ballte, als er anschwellen ließ die Quellen der Tiefflut, als er dem Meer seine Schranken setzte, als er gefestigt der Erde Säulen, da stand ich, sein Liebling, an seiner Seite.“ Und im Buch der Weisheit wird von der Weisheit gesagt: „Sie ist ja des ewigen Lichtes Abglanz, von Gottes Wirksamkeit ein makelloser Spiegel und seiner Güte Abbild.“

Wir wissen spätestens seit der Offenbarung des Neuen Testamentes, daß diese Weisheit, von der hier die Rede ist, im letzten und eigentlichen Sinne der Logos ist, nämlich die zweite Person in Gott. Der Logos ist die Zusammenfassung der alttestamentlichen Lehre vom Wort und der griechischen Lehre von den Ideen. Die Ideen waren nach der Meinung der Griechen die Vorbilder der Dinge. Es gibt nach der griechischen Philosophie ein Reich der Ideen, und nach diesem Reich der Ideen ist alles, was auf Erden existiert, gebildet. Das war die heidnische Anschauung. Augustinus hat sie christlich umgebildet. Er sagt: Ja, es gibt ein Reich der Ideen, aber diese Ideen sind die Gedanken Gottes. Dieses Reich der Ideen besteht nicht selbständig, sondern dieses Reich der Ideen existiert im Geiste Gottes. Nach ihm hat Gott alles gebildet. Das ist eine wunderbare Lehre, die uns viele Folgerungen gestattet. Erstens: Wenn alles nach göttlichen Ideen gestaltet ist, dann ist auch jedes Geschöpf eine Botschaft Gottes. Jedes Geschöpf erzählt etwas von der Herrlichkeit, von der Macht, von der Größe Gottes. „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“, so heißt es im 18. Psalm; aber nicht nur die Himmel, auch die Erde und alles, was darin ist, ist eine Botin Gottes. Wenn wir die Verschiedenheit der Geschöpfe zusammenfassen, dann erhalten wir damit ein Bild Gottes. Gewiß ein Bild, das nur analog ist, also mehr unähnlich als ähnlich. Aber es ist möglich, von den Fußspuren Gottes auf den zu schließen, der diese Fußspuren gesetzt hat. So ergibt sich die Möglichkeit der Gottesbeweise. Wir können aus den geschöpflichen Dingen auf den Schöpfer schließen, weil die geschöpflichen Dinge uns eine Botschaft vom Schöpfer bringen.

Die zweite Folgerung besteht darin, daß alles, was existiert, gut ist. Es ist alles kostbar, denn Gott kann in seinem Geiste nichts Minderwertigen beherbergen. Was also geschaffen worden ist, das ist nach Gottes Willen und in seiner Absicht gut. Alles, was existiert, besitzt eine aus der Ideenhaftigkeit Gottes hervorgehende Güte. Je mehr Güte und je mehr Wert etwas besitzt, um so größer ist die Daseinskraft und das Daseinsrecht. Das bedingt wieder, daß der Mensch vor allem, was ist, Ehrfurcht haben muß. Er muß allem, was aus Gottes Hand hervorgegangen ist, mit scheuer Liebe und liebender Scheu begegnen.

Drittens: Weil alles aus dem Ideenreich Gottes herkommt, ist in der Welt Sinn und Erkennbarkeit. Es hat Philosophen gegeben, und es gibt sie noch, die sagen: Die Welt ist unerkennbar. Es hat Philosophen gegeben, und es gibt sie auch heute noch, die sagen: Die Welt ist sinnlos. Der Irrationalismus und der Nihilismus vertreten diese Meinung. Demgegenüber wissen wir: Wenn die Welt aus Gott kommt, muß sie erkennbar und muß sie sinnhaft sein. Freilich ist der Sinn nicht zu Tage liegend, so daß man ihn ohne weiteres erkennen kann. Man muß sich darum bemühen. Aber weil die Welt aus Gott kommt, wissen wir, daß unser Bemühen keine Sisyphusarbeit ist. Unsere Erkenntnisbemühungen führen zum Erfolg, zu einem vorläufigen in dieser Weltzeit, zu einem endgültigen in der neuen Welt, wenn der neue Himmel und die neue Erde sich herabsenken werden. Die Welt hat einen Sinn, und die Welt ist erkennbar. Das ist die Botschaft, die davon ausgeht, daß sie von Ewigkeit her als Gottes Idee existiert hat.

Viertens: Wenn alles von Gott herkommt und alles in seinem Ideenreich geborgen ist, dann bildet auch alles eine Einheit. Wir sprechen vom Kosmos, von einem gefügten, geordneten Ganzen. Und so ist es auch: Die Welt ist ein Kosmos. Sie ist ein Kosmos, weil ihre vorbildlichen Ideen eine Einheit in Gott bilden. Der Mensch hat eine Mitexistenz mit diesem Kosmos; er gehört zu dieser Alleinheit. Er ist ein Stück davon, und zwar ein ganz besonderes Stück, weil er eben – und von ihm wird es ja eigens gesagt – nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist.

Fünftens: Gott hat in seiner Idee die ganze Entwicklung, die ein Ding oder ein Mensch nehmen soll, schon geborgen. Vom ersten Keim bis zum letzten Entwicklungsstand ist die Entwicklung eines Menschen, ist die Entwicklung eines Dinges in der Idee beheimatet. Das bedeutet aber dann, daß der Mensch gewissermaßen in Spannung ist, ob er das Ziel erreichen wird, das Gott ihm gesetzt hat. Der Mensch ist nicht fertig, der Mensch ist unfertig, er ist unterwegs, er ist noch nicht am Ziel, und es ist seine Aufgabe, in dieser Weltzeit das Bild in sich herauszuarbeiten, das Gott von ihm haben will. Er muß also mit aller Kraft des Herzens und mit der Anstrengung des Geistes dahin wirken, daß er dem Ideal entspricht, das Gott von ihm besitzt. Da sehen wir, welche Aufgabe wir haben auf dieser Erde. Nicht in den Tag hinein leben, nicht es sich bequem machen, sondern unermüdlich an dem Bilde feilen, das Gott von uns sehen will.

Und schließlich sechstens: Da die Ideen im Logos geborgen sind, da der Logos die Zusammenfassung der Ideen ist, da Jesus – und das ist der Logos – das Urbild und das Inbild aller Ideen ist, geschieht unsere Annäherung an Gott, indem wir auf Christus zugehen. In der Nachfolge Christi kommen wir zu Gott; in der Nachfolge Christi gewinnen wir die Seligkeit und Herrlichkeit bei Gott. Und noch ein Weiteres ergibt sich daraus: Weil jeder Mensch eine Idee Gottes ist, ist die Hingabe an jeden Menschen auch eine Annäherung an Christus. In jedem Menschen ist, wenn auch in Entstellungen, das Bild Christi zu erkennen. Jeder Mensch trägt, wenn auch verschüttet und verdorben, das Antlitz Christi in sich. Und je mehr sich ein Mensch in lauterer Weise an den Mitmenschen hingibt, um so mehr kommt er zu Christus, um so deutlicher wird die Nachfolge Christi.

Nun ist noch eine letzte Frage in diesem Zusammenhang zu behandeln, nämlich: Gott existiert ja als der dreipersönliche. Wie ist denn die Schöpfung auf die drei Personen gewissermaßen aufgeteilt? Da müssen wir sagen: Die Werke Gottes nach außen sind allen drei göttlichen Personen gemeinsam. Es gibt da keine Uneinigkeit; es gibt da keinen Disput oder keinen Streit, was jeder einzelnen Person gewissermaßen zukommt, sondern alle Werke Gottes nach außen sind von dem einen, ungeteilten Gott hervorgebracht; denn in Gott gibt es nur einen Willen, ein Denken, ein Wesen, und deswegen muß alles, was von Gott nach außen dringt, allen drei göttlichen Personen gemeinsam sein. Aber das hindert nicht, daß in Gott der Schöpfungsplan und der Schöpfungswille vermittelt wird, wie es dem Zueinander der drei göttlichen Personen entspricht. Wie stehen denn die drei göttlichen Personen zueinander? Ich spreche wie ein Mensch, denn wir können nicht anders von Gott sprechen als menschlich; und da müssen wir sagen: Der Vater zeugt den Sohn. Das Zeugen ist natürlich nicht biologisch gemeint; das Zeugen will besagen die Hervorbringung eines wesensgleichen Logos. Vater und Sohn sind in Liebesverbundenheit fruchtbar, und diese Fruchtbarkeit nennen wir den Heiligen Geist. Der Heilige Geist entsteht durch Hauchung von Vater und Sohn. Ich sage noch einmal: Ich spreche menschlich, denn wir können nicht anders von Gott sprechen als menschlich. Der Sohn entsteht also gewissermaßen durch Zeugung, der Heilige Geist entsteht gewissermaßen durch Hauchung. So muß es aber dann auch mit dem Weltplan sein. Das heißt: Der Vater besitzt den Weltplan ursprungslos, von niemandem; der Sohn besitzt den Weltplan durch die Zeugung des Vaters, der Heilige Geist besitzt den Weltplan durch Hauchung von Vater und Sohn. Ebenso ist es mit dem Weltwillen, mit der Weltliebe. Der Vater besitzt die Weltliebe, besitzt den Weltwillen ursprungslos, der Sohn besitzt ihn durch Zeugung, der Heilige Geist besitzt ihn durch Hauchung.

Daß das keine sinnlose Spekulation ist, das wird uns gewiß gemacht durch die Heilige Schrift. Wir beten ja am Ende jeder heiligen Messe den Prolog, also den Vorspruch aus dem Johannesevangelium, und da heißt es: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch es geworden, und ohne es ist nichts geworden, was geworden ist.“ Also das Wort war beteiligt bei der Schöpfung; es ist der Schöpfungsmittler. „Alles ist durch es geworden, und ohne es ist nichts geworden, was geworden ist.“ Im ersten Korintherbrief wird diese Wahrheit in anderer Weise ausgesprochen: „Wir haben nur einen Gott, den Vater, von dem alles kommt und für den wir da sind, und einen Herrn Jesus Christus, durch den alles ward und durch den wir sind.“ Hier ist wieder dieser Schöpfungsmittler angesprochen, „durch den alles ward und durch den wir sind“. Zu besonderer Höhe erhebt sich die Aussage im Brief an die Kolosser. Da wird von Jesus gesagt (dem Logos): „Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung, denn in ihm ist alles erschaffen – in ihm ist alles erschaffen! – im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und Unsichtbare, die Throne, Herrschaften, Mächte, Gewalten, alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen.“ Hier wird also deutlich die Mitwirkung des Logos an der Schöpfung ausgesprochen. Und noch einmal im Hebräerbrief: „Vielmals und mannigfach hat einst Gott zu den Vätern durch die Propheten gesprochen. Jetzt aber, am Ende der Tage, hat er zu uns durch seinen Sohn geredet, den er zum Erben über alles gemacht hat, durch den – durch den! – er auch die Welten geschaffen. Er, der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens, er, der das Weltall trägt durch sein machtvolles Wort.“

Meine lieben Freunde, das sind gewiß keine einfachen Gedanken, es sind schwierige Gedanken. Aber wir wollen uns ja nicht damit begnügen, nur den Außenraum Gottes zu begreifen. Wir wollen versuchen, einzudringen in sein Geheimnis, um ihn immer besser kennenzulernen und um ihm um so mehr lieben zu können. Wenn wir uns bemühen, die Aussagen der Heiligen Schrift und auch die Gedanken der Kirchenväter nachzuvollziehen, dann hat dieses Bemühen einen Lebenswert. Es geht hier nicht um Spekulation, um Bereicherung des Verstandeswissens, es geht darum, daß wir in der Nachfolge Christi wachsen, daß wir ihm immer ähnlicher werden, daß wir das Bild, das Gott von uns hat und das er an uns herausgearbeitet wissen will, tatsächlich herausarbeiten. Ihn, den König, dem alles lebt, ihn wollen wir anbeten!

Amen.

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