Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Oktober 1997

Die Zeugnisse früher Schriften

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Beim Glauben kommt alles darauf an, daß er stimmt. Wir wollen nicht Fabeln nachlaufen, sondern wir wollen in der Wirklichkeit leben. Das war auch das Bestreben den Evangelisten Lukas, als er sein Evangelium schrieb. „Ich habe mich entschlossen, allem von den ersten Anfängen an sorgfältig nachzugehen und es für Dich, o Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben, damit Du Dich von der Zuverlässigkeit der Lehren, über  die Du unterrichtet worden bist, überzeugen kannst.“ Hier sind die zwei entscheidenden Wort enthalten. Die Lehren müssen zuverlässig sein, und wir müssen davon überzeugt sein. Ohne die Zuverlässigkeit der Lehren und ohne unsere Überzeugung von deren Zuverlässigkeit kann man ein christliches Leben nicht führen. Es kommt alles darauf an, daß wir in der Wahrheit stehen und daß wir für die Wahrheit Zeugnis geben.

Wir haben uns an den vergangenen Sonntagen mit der Zuverlässigkeit der vier kanonischen Evangelien beschäftigt. Die vier Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes heißen kanonisch, weil sie in einen Kanon aufgenommen sind. Kanon ist ein Verzeichnis, ein amtliches Verzeichnis der von der Kirche angenommenen Schriften. Der älteste Kanon, den wir überliefert bekommen haben, stammt aus dem 2. Jahrhundert und heißt „Kanon Muratori“. Muratori war der Mann, der ihn entdeckt und veröffentlicht hat. Wir haben also unseren Glauben zu schöpfen aus den kanonischen Evangelien. Aber es gibt viele außerkanonische Evangelien. Es gibt Evangelien, die nicht von der Kirche anerkannt sind und die deswegen apokryph, verborgen genannt werden. Diese unechten Evangelien versuchen, das Schweigen der echten Evangelien durch Phantasien zu ersetzen. Sie wollen die echten Evangelien ergänzen, erweitern und anschaulich gestalten. Und so hat schon am Ende des 1. Jahrhunderts der Versuch eingesetzt, solche unechten Evangelien zu verfassen.  Wir kennen zum Beispiel ein Ägypter-Evangelium, ein Ebioniten-Evangelium, ein Nazaräer-Evangelium. Wir kennen ein Evangelium nach Petrus. Diese genannten unechten Evangelien schließen sich noch verhältnismäßig nahe an die echten an; aber sie wollen eben Ergänzungen und Erweiterungen bringen. So wird z.B. in dem Nazaräer-Evangelium der Mann mit der verdorrten Hand vorgestellt, den der Heiland geheilt hat. Und dieses Evangelium läßt den Mann sagen: „Ein Maurer war ich, der mit seiner Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt verdiente.“ Hier sieht man die Ergänzung. Man hat versucht, den Mann, der ja im Evangelium wortlos vorgestellt wird, etwas sagen zu lassen. Ähnlich ist es beim reichen Jüngling. Der reiche Jüngling, der vom Herrn zur Nachfolge aufgefordert wurde, hatte wegen seines Reichtums Bedenken, ihm zu folgen. Das Nazaräer-Evangelium läßt ihn sich am Kopfe kratzen. Das ist eine Geste der Verlegenheit. Aber das ist eben erfunden. Ähnlich ist es beim Petrus-Evangelium. Da wird der Vorgang der Auferstehung beschrieben, der von den echten Evangelien übergangen wird. Die echten Evangelien stellen nur das Ergebnis der Auferstehung vor, nämlich den Auferstandenen. Aber dieses sogenannte Petrus-Evangelium schreibt: „Es kamen zwei Gestalten vom Himmel. Der Stein rollte weg, drei Gestalten kamen aus dem Grabe. Ihre Gestalten ragten bis zum Himmel, aber die mittlere überragte die beiden anderen. Ein Kreuz folgte ihnen. Eine Stimme erscholl vom Himmel: ‘Hast du den Entschlafenen gepredigt?’ Antwort: ‘Ja.’“ Das ist gut erfunden, aber es ist nicht geschichtlich.

Im 2. Jahrhundert geht man dann noch weiter. Da wuchert die Erfindung noch mehr als im 1. Jahrhundert. Das Jakobus-Evangelium zum Beispiel ist eine Marienlegende, ebenso das Pseudo-Matthäusevangelium. Ganz schlimm steht es um das sogenannte Thomas-Evangelium. Das sucht die Schweigsamkeit der Heiligen Schrift über die Jugendjahre Jesu zu ergänzen, gibt eine Darstellung des Lebens Jesu vom 5. bis zum 12. Lebensjahr. Darin wird folgendes erzählt. Jesus wird als ein ungezogener Junge dargestellt, der seinen Lehrern Belehrungen zuteil werden läßt. Er habe aus Lehm Sperlinge gebildet, sie in die Höhe geworfen, und da seien sie lebendig geworden. Er habe in seinem Oberkleid Wasser getragen. Er habe seinem Pflegevater Joseph Bretter verlängert, wenn es notwendig war. Das sind phantastische Dinge, die die Kirche immer abgelehnt hat. Der Bischof Serapion schreibt um das Jahr 200: „Petrus und die anderen Apostel wollen wir annehmen wie Jesus Christus. Aber die Bücher, die in ihrem Namen gefälscht sind, lehnen wir ab.“

Das sind christliche Quellen, die das Leben Jesu anschaulich gestalten und ergänzen wollen. Es gibt auch Nachrichten von Juden und Heiden über Jesus. Der Talmud ist das Gesetzbuch der Juden, und er enthält einige Nachrichten über Jesus, die aber vom Haß und von der Verachtung durchtränkt sind. Im Talmud steht geschrieben: „Jesua aus Nazareth trat auf. Er verführte das Volk und leitete es irre. Er verspottete die Worte der Weisen. Er legte die Thora (das Gesetz) aus wie die Pharisäer, wollte aber nichts hinzufügen oder hinwegnehmen. Er trieb Zauberei (hier wird auf die Wunder Jesu angespielt) und hatte fünf Jünger. Am Vorabend des Paschafestes wurde er aufgehängt als ein Irrlehrer und Verführer. Seine Jünger wirkten in seinem Namen Wunder.“ Das sind die Äußerungen des Talmud über Jesus. Sie sind, wie wir sofort sehen können, von den christlichen Quellen beeinflußt, aber sie verzerren sie und verkehren sie ins Böse.

Ein Jude, Flavius Josephus, hat im Jahre 93-94 n. Chr. ein umfangreiches Werk geschrieben: „Jüdische Altertümer“. In diesen „Jüdischen Altertümern“ steht nun folgende Stelle: „Um diese Zeit trat Jesus auf, ein weiser Mensch, wenn man überhaupt ihn einen Menschen nennen darf. Er vollbrachte auffallende Werke und lehrte die Menschen, welche die Wahrheit freudig aufnehmen. Viele Juden, aber auch viele aus der hellenischen Welt brachte er auf seine Seite. Er war der Christus. Auf die Anzeige der Vornehmsten von uns hat Pilatus ihn zum Kreuzestod verurteilt. Gleichwohl ließen seine Anhänger nicht von ihm ab; denn er erschien ihnen nach drei Tagen wieder lebend, nachdem die gottgesandten Propheten dieses und viele andere wunderbare Dinge von ihm vorhergesagt hatten. Und noch bis jetzt ist die nach ihm benannte Sippe der Christen nicht erloschen.“

Können, meine lieben Freunde, dieser Ausführungen von einem Juden stammen? Können sie von einem Juden stammen, der immer Jude geblieben ist und sich nicht zum Christentum bekehrt hat? Ich glaube, die Antwort muß lauten: Nein. Diese Stelle in den „Jüdischen Altertümern“ des Flavius Josephus ist höchstwahrscheinlich interpoliert. Das heißt, man ist von christlicher Seite hergegangen und hat sie eingefügt. Es ist ausgeschlossen, daß ein Jude Jesus als den Messias anerkennt – und Jude bleibt. Es ist ebenso ausgeschlossen, daß ein Jude die Auferstehung Jesu bekennt und sich nicht dem Christentum anschließen will. Diese Stelle aus Flavius Josephus muß deswegen als unecht gelten.

Wir haben auch heidnische Quellen über Jesus. Die wichtigste stammt von dem großen römischen Historiker Tacitus. Er schrieb sein Werk im Jahre 115-117 n. Chr. In diesem Werk des Tacitus, „Annalen“ genannt, steht folgende Stelle: „Christus, auf den dieser Name der Christen zurückgeht, war unter der Regierung des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet worden. Der verderbliche Aberglaube war damit zunächst unterdrückt worden, brach aber dann wieder hervor, und zwar nicht bloß in Judäa, wo das Übel seinen Ursprung hatte, sondern auch in Rom, wo alles Häßliche und Schändliche zusammenfließt und Anhang findet.“ Tacitus beschreibt hier den Brand von Rom. Es ist ihm bekannt, daß der Brand von Nero gelegt wurde, daß aber Nero die Christen dafür verantwortlich machte. Er nennt sie Chrestiani. Und in diesem Zusammenhang kommt er auf Christus zu sprechen und sagt: Er ist in Judäa von Pontius Pilatus hingerichtet worden, doch sein Tod hat seine Anhängerschaft nicht zum Erlöschen gebracht. Diese Stelle ist zweifellos echt. Tacitus hat aus guten Quellen geschöpft, wenn er auch freilich über das Wesen des Christentums und auch über die Natur Christi nicht gut unterrichtet ist.

Ein anderer heidnischer Historiker, Sueton, berichtet ebenfalls an zwei Stellen über Christus oder die Christen. Beim Schildern der Regierung des Kaisers Nero erwähnt er den „neuen und verruchten Aberglauben der Christen“. Er als Heide mußte natürlich diesen Glauben als Aberglauben bezeichnen. Wo er das Leben des Kaisers Claudius bespricht, erwähnt er, daß Claudius die Juden aus Rom vertreiben ließ wegen der vielen Unruhen, die von „Chrestus“ verursacht wurden. Sueton unterliegt hier einem doppelten Irrtum. Einmal: Er unterscheidet nicht Christen und Juden; er faßt die Juden und die Christen zusammen. Und der zweite Irrtum: Er meint, Christus sei damals in Rom gewesen, was natürlich nicht der Wahrheit entspricht. Aber immerhin: Dieses Zeugnis ist deswegen wichtig, weil es mit dem Zeugnis der Apostelgeschichte übereinstimmt. In der Apostelgeschichte wird nämlich ebenfalls berichtet, daß Kaiser Claudius die Juden aus Rom vertreiben ließ, unter denen eben die Christen mitgemeint waren.

Und noch ein letztes heidnisches Zeugnis gibt es, ein amtliches. Der Statthalter von Bithynien – das ist eine Landschaft in der heutigen Türkei – gab im Jahre 112 oder 113 einen Bericht an den Kaiser Trajan über die Christen. Er schreibt, daß die Christen schon eine große Zahl ausmachen, aus jedem Stand, aus jedem Geschlecht, aus jedem Alter. „Die Tempel veröden, die Opfer hören auf wegen der großen Menge, die sich zu Christus bekennen. Und diese Christen“, schreibt er, „kommen an einem bestimmten Tag in der Woche zusammen und singen Christus als ihrem Gott Lieder.“ Ein ganz wichtiges, unersetzliches Zeugnis für die frühen Christen, ihre Verehrung Christi als ihres Gottes und ihren Gottesdienst am Sonntag.

Die jüdischen und heidnischen Zeugnisse bringen zwar inhaltlich nichts, sind aber insofern für uns wertvoll, als sie die Evangelien bestätigen. Auch die apokryphen haben eine wichtige Funktion. Die Kirche hat die apokryphen Evangelien nicht anerkannt. Sie ist nicht jedem Gerücht und jeder Phantasie über Jesus nachgelaufen und hat sie ihren Schriften einverleibt, sondern sie hat alles geprüft und, geleitet vom Heiligen Geiste, nur die vier ersten Evangelien als echt, nämlich als auf Augen- und Ohrenzeugen zurückgehend, anerkannt. Wir dürfen uns also auf die Zuverlässigkeit der Evangelien verlassen. Wir können überzeugt sein, daß die Kirche gewogen hat und daß sie nur die echten Evangelien als schwer befunden hat, die unechten als leicht. Wir können uns auf dem Felsenboden der Evangelien der Zuverlässigkeit rühmen, die Lukas in seinem Evangelium angestrebt hat. Wir brauchen nicht Phantasien und Erfindungen nachzulaufen, sondern wir halten uns an das, was die Männer, die Zeugen des Wirkens und des Lebens Jesu waren, uns übermittelt haben. Sie haben die Wahrheit gesagt, und in dieser Wahrheit wollen wir stehen.

Amen.

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