29. Juni 1997
Die Krise in der Priesterbildung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Als ich im Sommersemester 1960 meine Tätigkeit an der Universität Mainz begann, befanden sich im Mainzer Priesterseminar 170 Alumnen. Im Sommersemester 1997 befinden sich im Mainzer Priesterseminar 20 Alumnen. Es besteht also ein gewaltiger Mangel an Priesternachwuchs. Dieser Mangel schlägt durch auf die Priester; es gibt einen Priestermangel. Pfarreien können nicht besetzt werden; manche Pfarrer betreuen zwei oder gar drei Pfarreien. Welches sind die Ursachen für den Alumnenmangel und für den Priestermangel?
Der Erzbischof von Freiburg hat vor kurzem einen Hirtenbrief an die Region Bodensee seiner Erzdiözese gerichtet. In diesem Hirtenbrief gibt er folgende Gründe für den Priestermangel an: Konsumdenken, Anspruchshaltung, Flucht vor verbindlicher Entscheidung, Selbstverwirklichung ohne Verzicht, Verstummen der Frage nach Gott. Es ist gar keine Frage, daß alle diese Momente in unserer heutigen Gesellschaft vorfindlich sind: Konsumdenken, Anspruchshaltung, Flucht vor verbindlicher Entscheidung, Selbstverwirklichung ohne Verzicht, Verstummen der Frage nach Gott. Nur gab es diese Haltung auch schon 1960. Darin hat sich in unserer Gesellschaft wenig geändert. Es mag sein, daß der Zerfall in Staat, Kirche und Gesellschaft fortgeschritten ist, aber ansatzhaft und in den Grundlinien waren diese Fehlerquellen und Mängel auch im Jahre 1960 vorhanden. Das bedeutet aber dann: Es müssen andere Ursachen hinzugekommen sein, welche den Alumnenmangel und den Priestermangel erklären. Ich bin in der Lage, durch engen Kontakt mit den Alumnen, die gewöhnlich großes Vertrauen zu mir haben, über die Gründe für den Alumnen- und Priestermangel etwas zu sagen.
Erstens: Die Erziehung der Priester hat sich geändert. Als ich im Jahre 1960 in die Katholisch-Theologische Fakultät in Mainz eintrat, waren alle akademischen Lehrer Priester. Nur Priester haben die Priester herangebildet. Heute sind von 13 akademischen Lehrern 5 Priester und 8 Nichtpriester. Die 5 Priester sind mit einer Ausnahme über 60 Jahre alt. Man kann sich ausrechnen, wann der letzte Priester aus dieser Fakultät verschwunden sein wird. Es leuchtet jedem ein, daß Priester durch Priester erzogen werden sollen. Das priesterliche Vorbild ist durch nichts zu ersetzen. Der priesterliche Erzieher weiß auch, worauf es bei der Erziehung ankommt. Er hat die priesterliche Tätigkeit selbst übernommen und ausgeübt; er kennt die Bedürfnisse des priesterlichen Lebens; er weiß, was man als Priester kennen, wissen und leisten muß. Wenn nun das priesterliche Element immer mehr ausfällt, kann das nur zum Schaden der Alumnen sein.
Zur Priesterbildung gehören auch Priesterseminare. Ich habe mich in meinem ganzen Priesterleben mit der Priesterbildung beschäftigt. Ich bin seit 1953 in der Priesterbildung tätig. Ich erlaube mir ein Urteil und kann nur sagen: Es gibt in deutschen Landen kaum ein Priesterseminar, das den Anforderungen entspricht, die an eine geeignete Priesterbildungsstätte gestellt werden müssen. Priesterseminare müssen Orte des Gebetes und des Studiums, der Zucht und der Ordnung sein. Man darf sie nicht in eine Skihütte oder in ein Berghotel verwandeln. Man darf die Alumnen auch nicht mit psychologischen Mätzchen fertigmachen und ihnen die Freude an ihrem Berufsziel nehmen. Man darf sie nicht den Aufstellungen von Ungeeigneten aussetzen. Doch dies geschieht. Der höchste Feiertag im Mainzer Priesterseminar ist der 8. Dezember, das Fest der Unbefleckten Empfängnis. Am 8. Dezember des vorigen Jahres hielt zu diesem Anlaß im Mainzer Priesterseminar einen Vortrag ein Herr Kuschel. Herr Kuschel ist ein Propagandist eines Herrn namens Küng! Nur damit Sie wissen, wie es in den Priesterseminaren zugeht.
Der zweite Grund für den Alumnen- und Priestermangel ist der Zerfall des Glaubens. Die Falschlehrer regieren die Stunde. In der heutigen Theologie sind, soweit mein Blick reicht, mehr akademische Lehrer, die Schaden anrichten als solche, die Nutzen stiften. Der Ausstoß an Literatur, die junge Menschen in die Irre führen, ist gewaltig. Er ist viel größer als die Veröffentlichungen, welche die jungen Menschen zu einem wahren, katholischen Glauben führen. Diesen Einflüssen sind die jungen Männer ausgesetzt. Kein Wunder, daß das Berufsziel in ihnen immer schwankender wird, daß sie keinen gefestigten, sondern einen erschütterten Glauben haben. Die in das Priesterseminar eintreten, sind ohne Zweifel besten Willens. Nach einigen Jahren verlassen sie es häufig als blasierte Skeptiker. In der vergangenen Woche saß ein junger Mann, ein Priesterseminarist, vor mir und sagte mir: „Wir sind zu fünft ins Freisemester gegangen; ich bin der einzige, der zurückgekehrt ist.“ Also von fünf haben vier ihr Ziel, Priester zu werden, aufgegeben.
Drittens muß ich erinnern an die Auspowerung des Priestertums. Den Priestern sind seit mehr als 30 Jahren immer mehr Funktionen entzogen. Es fing damit an, daß man Leute zur Kommunionausteilung anstellte, wo die gar nicht notwendig ist. Jedermann sieht ein, daß, wo die Notwendigkeit besteht, auch andere als die Priester die Kommunion austeilen können. Aber wo es nicht notwendig ist, warum dann dem Priester diese Funktion entziehen, die zu seinen höchsten gehört, den Leib des Herrn den würdigen Empfängern in den Mund legen zu dürfen? An manchen Stellen beginnen Pastoralassistenten die Taufe zu spenden, entziehen also dem Priester die Funktion, die er als Vater der Gemeinde so dringlich notwendig hat, nämlich neue Glieder des Gottesreiches zu schaffen durch die Spendung der heiligen Taufe. Es gibt Pastoralassistenten, welche die spenden die Krankensalbung spenden. Die Krankensalbung ist aber ein Sakrament, das dem Priester zur Spendung vorbehalten ist. Hier wird ihm durch Anmaßung wiederum ein Stück seiner priesterlichen Identität entrissen. Die Gottesdienstgestaltung obliegt ihm als dem geweihten Liturgen, als dem Repräsentanten Christi. Auch hier ist ihm weithin das Heft aus der Hand genommen. Pfarrgemeinderäte und Kommissionen bestimmen, wie der Gottesdienst vonstatten gehen soll. Und was soll ich sagen über das Predigtwesen? Der Priester ist Herold Gottes. Er hat das Wort Gottes zu verkünden, dafür ist er geweiht. Doch die Verkündigung ist weithin in die Hände von Ungeweihten übergegangen. Im Mainzer Dom haben in diesem Frühjahr Laien die Fastenpredigten gehalten. Der Priester iat das Haupt seiner Gemeinde; er ist ihr Hirt; ihm steht die Leitung zu. Doch durch das Rätewesen ist der Priester weitgehend in seiner Gemeindeleitung eingeschränkt. Es werden ihm Vorschriften gemacht. Er hat fortwährend Ärger mit Leuten, die es besser wissen als er. Unter diesen Umständen fehlt den jungen Leuten der Mut, Priester zu werden. Sie sagen: Was bleibt mir noch? Jawohl, so sagen sie: Was bleibt mir noch?
Viertens ist daran zu erinnern, daß eine große Ungewißheit über den jungen Menschen schwebt. Sie wissen nicht, wie es in der Kirche weitergehen wird. Was ist noch alles möglich? Sie haben ja schon so viel erlebt, was früher unmöglich erschien. Werden wir bald den weiblichen Diakon oder gar den weiblichen Priester haben? Wird bald das, wofür wir einstehen, nämlich die Jungfräulichkeit als Brüder Christi, als Vertreter Christi, wird bald die Jungfräulichkeit fallen? Werden wir bald mit den protestantischen Religionsdienern auf eine Ebene gestellt werden? Wir müssen ja sowieso schon zusammen mit ihnen auftreten. Wird bald kein Unterschied mehr sein zwischen uns und ihnen? Wie sagt doch der Theologe Vorgrimler in Münster: „Das Priestertum ist eine Einrichtung der Kirche in der Zeit des heidnischen Kaisertums zum Erhalt von Struktur und Ordnung.“ Ja, ist das Priestertum keine Einrichtung Christi? Ist es keine Einrichtung Gottes, sondern bloß eine Einrichtung der Kirche? Dann kann man es abschaffen, dann kann man es auf jeden übertragen, der es haben will. Diese Ungewißheit legt sich lähmend auf unsere jungen Männer.
Ich muß freilich fünftens auch noch einen Punkt erwähnen, der die Priester selber betrifft. Sie alle wissen, daß viele Priester nicht mehr voll hinter ihrem Beruf stehen. Schon äußerlich sind sie als Priester nicht kenntlich. Sie tragen aus Bequemlichkeit oder Feigheit keine priesterliche Kleidung; sie sind bemüht, den Leuten es recht zu machen, statt es Gott recht zu machen. Das ist ja der Fehler, das ist ja der Grundfehler, daß man sagt: Wir wollen es den Menschen recht machen. Nein! Wir müssen es Gott recht machen! Das ist der Grundfehler des heutigen Betriebes, daß man sagt: Wir wollen es den Menschen recht machen. Das ist ganz verkehrt. Wir haben die Aufgabe, es Gott recht zu machen. Viele Priester haben ihren Beruf aufgegeben und sind aus unserem Abendmahlssaal geflohen. Sie alle wissen, daß diese Erscheinung noch gar nicht aufgehört hat, daß immer wieder neue Zusammenbrüche und Abfälle uns erschrecken. Kein Wunder, daß angesichts solcher negativer Beispiele unsere jungen Männer den Mut verlieren.
Die Alumnen sind die ärmsten Menschen in unserer ganzen Diözese. Das ist der Eindruck, den ich aus meiner 35-jährigen Tätigkeit im Priesterbildungswesen der Diözese Mainz gewonnen habe. Das sind die Ursachen – soweit ich sie sehe – für den heutigen Priestermangel und für den Mangel an Priesternachwuchs.
Nach dieser heiligen Messe, meine lieben Freunde, eile ich nach Heusenstamm, um dort bei einer Primiz die Predigt zu halten. Dort wird ein junger Priester sein erstes heiliges Meßopfer feiern, der noch in einem echten Priesterseminar, nämlich in Wigratzbad, ausgebildet ist. Ich eile mit großer Freude dahin und bitte Sie: Schenken Sie diesem jungen Priester, schenken Sie auch dem, der ihm die Predigt halten darf, Ihr Gebet.
Amen.