Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. April 1997

Die Güte Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es ist unrichtig, im Alten Testament allein die Gerechtigkeit und Strenge Gottes finden zu wollen. Nein, das Alte Testament ist auch eine Offenbarung der Güte Gottes. Die Güte Gottes im Alten Testament zeigt sich freilich häufiger gegenüber der Gemeinschaft, der die Offenbarung anvertraut war, gegenüber dem Gottesvolk des Alten Bundes, als gegenüber dem einzelnen. Aber auch gegenüber dem einzelnen ist Gottes Liebe im Alten Bunde ausgesprochen. Ein hervorragendes Zeugnis der Liebe Gottes findet sich schon beim Propheten Oseas. Da heißt es: „Ich habe Ephraim (das ist das Volk Israel) am Gängelbande geführt und ihn auf meine Arme gehoben. Doch sie haben nicht erkannt, daß ich ihr Heiland bin. Mit Banden der Güte zog ich sie zu mir, mit Fesseln der Liebe. Von ihrem Nacken löste ich gleichsam das Joch, neigte mich zu ihm nieder, reichte ihm Futter.“ Hier wird das Volk Israel als ein Haustier dargestellt, dem sein Herr alles das, was es zum Leben nötig hat, bietet. Ein wenig weiter unten, ebenso beim Propheten Oseas: „Mein Volk neigt ja dazu, sich von mir zu wenden. Ruft man es aufwärts, so erhebt sich keiner von ihnen. Und doch, wie könnte ich dich preisgeben, Ephraim, könnte ich dich hingeben, Israel? Wie könnte ich dich preisgeben wie Adamar, dich vernichten wie Seboim? Nein, es dreht sich das Herz in mir um, aufbäumt sich mein ganzes Gefühl. Ich will nicht tun nach der Glut meines Zornes. Ich kann nicht Ephraim wieder vernichten, denn ich bin Gott und kein Mensch, in deiner Mitte der Heilige. Nicht komme ich zu dir in Zorn.“ Gottes Liebe läßt sich nicht von Affekten und Bedenken bestimmen wie die menschliche Liebe. Sie ist voraussetzungslos. Sie ist nicht die Antwort auf menschliche Liebe, sondern steigt aus den Tiefen der Gottheit selbst empor.

Beim Propheten Isaias wird die Liebe Gottes mit der mütterlichen Liebe verglichen. Natürlich müssen wir immer dabei bedenken, daß hier die ideale Mutter gemeint ist, nicht wie Mütter tatsächlich sind, sondern wie sie sein sollten, wie die Mütter nach dem Bilde, das Gott von ihnen hat, sich verhalten sollten. So heißt es beim Propheten Isaias: „Vergißt wohl ein Weib ihres Kindleins? Erbarmt sie sich nicht der Frucht ihres Leibes? Und vergäße sie es auch, ich vergesse dich nicht. Siehe, auf meine Hände habe ich dich aufgezeichnet, deine Mauern stehen mir allezeit vor Augen.“ Dieser gütige Gott weiß seinem Volke Trost zu spenden. „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir. Schau nicht angstvoll umher, ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich stehe dir bei; ich stütze dich mit meiner hilfreichen Rechten.“

Die Liebe Gottes wird sogar im Alten Testament als grenzenlos geschildert. Etwa im Buche der Weisheit, da heißt es: „Du (damit ist Gott gemeint) liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von dem, was du geschaffen. Denn hättest du etwas gehaßt, dann hättest du es nicht erschaffen. Wie könnte etwas bestehen, wenn du es nicht willst? Wie wäre etwas erhalten geblieben, wenn du es nicht ins Dasein gerufen hättest? Du verschonest alles, weil es dein Eigentum ist, o Herr, du Freund alles Lebens. Denn dein unvergänglicher Geist ist in allem. Darum strafst du die Fehlenden voll Milde und warnst sie, indem du sie an das erinnerst, worin sie fehlten, damit sie, von ihrer Bosheit befreit, an dich, o Herr, glauben.“ Das sind Beispiele dafür, daß Gott sein Volk liebt, daß er ihm seine Güte beweist, daß er es führt und daß er, selbst, wenn es in Sünden fällt, es nicht vernichtet und nicht verläßt.

Aber auch der einzelne ist von der Liebe Gottes umfangen. Da spricht vor allen Dingen das Buch der Psalmen oft davon, daß Gott den einzelnen liebt. Etwa im 27. Psalm, wo es heißt: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, wenn soll ich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Beschützer, vor wem soll mir grauen? Nahen sich mir Frevler, mich zu vernichten, meine Feinde und Dränger, sie straucheln und fallen. Mag sich ein Heerlager wider mich scharen, mein Herz kennt nicht Furcht. Mag ein Kampf wider mich entbrennen, ich bleibe getrost. Verstießen mich Vater und Mutter, so nähme der Herr doch meiner sich an.“ Hier wird also die Liebe Gottes weit über die irdische Liebe, selbst über die ideale Liebe von Vater und Mutter, gestellt. Und im Psalm 71 ist die Rede davon, daß Gott den Menschen in wunderbarer Weise geführt hat von Jugend an: „Du bist meine Zuflucht von Jugend an; von Kind an bin ich auf dich gestellt. Vom Mutterschoß an warst du mein Hort, dir galt allezeit mein Loblied.“ Gottes Liebe verläßt den Gerechten auch nicht im Leid. Wenn über den Menschen Leid kommt, dann ist das nach dem Alten Bunde zu verstehen als Prüfung Gottes, als Heimsuchung, als Probe der Bewährung. Wenn der Mensch das Leid übersteht, dann findet er Rettung, wie es etwa im Buche der Weisheit beschrieben ist. „Denn hat man sie auch (nämlich die Leidenden) nach Ansicht der Menschen gezüchtigt, so war doch ihre Hoffnung voll von Unsterblichkeit. Nach kurzer Leidenszeit empfangen sie großes Glück, denn Gott prüfte sie nur und fand sie seiner schon würdig. Wie Gold im Ofen erprobte er sie und nahm sie wie ein Brandopfer an. Hell leuchten sie auf zur Zeit des Gerichtes, sie fahren wie Funken durchs Schilfrohr. Über Völker werden sie herrschen und Nationen gebieten.“

Selbstverständlich ist der Ausdruck der Liebe Gottes im Neuen Bunde noch deutlicher und ergreifender als im Alten. Hier wird Gott, vor allem von Johannes, als die personale Liebe beschrieben. Gott ist Liebe. Johannes sagt nicht: Gott hat Liebe oder Gott beweist Liebe. Nein, er sagt: „Gott ist Liebe.“ Das heißt: Er ist die Liebe in Person. Dieses Verhältnis Gottes zum Menschen drückt sich ergreifend in dem Worte „Vater“ aus. Christus lehrt seine Jünger, Gott als Vater anzusprechen. Es gab auch in den außerbiblischen Religionen hie und da die Bezeichnung Gottes als des Vaters; aber diese Bezeichnung war ganz sporadisch und nicht bestimmend. Auch im Alten Testament kommt gelegentlich die Bezeichnung Gottes als Vater vor. Aber Gott ist dann immer als der Schöpfer gemeint; Gott ist Vater, insofern er die Welt geschaffen hat. Das Neue Testament lehrt uns Gott als Vater anrufen, nicht nur, weil er die Welt geschaffen hat, weil er sie im Dasein erhält und weil er die Geschöpfe behütet, sondern Gott ist Vater vor allem deswegen, weil er die verlorengegangene Welt zurückgeholt hat, weil er die Welt, die durch das böse Tun des Menschen ins Unheil geraten war, wieder ins Heil zurückruft durch die Menschwerdung und durch das Leben, Leiden und Sterben seines eingeborenen Sohnes. Es finden sich im Neuen Testament viele ergreifende Beispiele, die diese Liebe Gottes bezeugen. Die Vaterliebe Gottes zu allen Geschöpfen, auch zu der unvernünftigen Schöpfung, wird etwa im Matthäusevangelium bezeugt, wenn es heißt: „Sorget nicht ängstlich für euer Leben, was ihr essen werdet, noch für euren Leib, was ihr anziehen werdet! Ist das Leben nicht mehr als die Speise und der Leib nicht mehr als die Kleidung? Sehet hin auf die Vögel des Himmels! Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheuern, und euer himmlischer Vater ernähret sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? Wer von euch kann mit seinen Sorgen seiner Leibeslänge auch nur eine Elle zusetzen? Und warum sorget ihr ängstlich für die Kleidung? Betrachtet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht, sie spinnen nicht; und doch sage ich euch: Selbst Salomon in all seiner Pracht war nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Felde, das heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, also kleidet, wie viel mehr euch, ihr Kleingläubigen?“

Die Liebe Gottes wird zu einem ergreifenden Lobgesang geformt auf einem Höhepunkt des neutestamentlichen Schrifttums, nämlich im Briefe des Apostels Paulus an die Römer. Da stellt er den Gläubigen vor, daß man in allen Schrecknissen dieser Erde der Liebe Gottes gewiß sein kann. „Wir wissen, daß jenen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach der Vorherbestimmung berufen sind. Denn die er vorher erkannte, hat er auch vorherbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu werden, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen, und die er berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt. Die er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht.“ Jetzt kommt der Lobpreis auf die Heilsgewißheit: „Was werden wir nun dazu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer ist wider uns? Er, der seines eigenen Sohnes nicht schonte, sondern ihn für uns alle hingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer wird Anklage erheben gegen die Erwählten Gottes? Gott? Nein, denn er ist es, der rechtfertigt. Wer wird verdammen? Christus Jesus? Nein, denn er ist es, der gestorben, aber auch wieder erstanden ist, der zur Rechten Gottes ist, der auch Fürsprache einlegt für uns. Wer also würde uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Es steht ja geschrieben: ‘Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag, werden geschlachtet wie Schlachtschafe.’ Aber in all dem überwinden wir durch ihn, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiß: Weder Tod noch Leben noch Engel noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Mächte, weder Höhe noch Tiefe noch ein anderes Geschöpf vermag uns zu trennen von der Liebe Gottes, welche ist in Christus Jesus, unserem Herrn.“

Die Liebe Gottes hat sich nirgends ergreifender gezeigt als im Kreuzestode Jesu Christi. Und davon ist nun an vielen Stellen des Neuen Testamentes die Rede, etwa wenn Johannes schreibt: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seines eingeborenen Sohnes nicht schonte, daß er seinen eingeborenen Sohn dahingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe.“ Den schönsten Kommentar zu diesem Wort hat der heilige Augustinus geschrieben. Er schreibt einmal: Wenn man sich das Kreuz betrachtet, was kommt einem da vor die Sinne? „Das Haupt hat er geneigt, um uns zu küssen. Die Arme hat er ausgebreitet, um uns zu umarmen. Das Herz hat er geöffnet, um uns zu lieben.“ Der heilige Clemens Hofbauer bemerkt richtig: „Christus wollte deswegen am Kreuze so viel leiden, um uns dadurch seine Liebe zu bekunden.“ Die Liebe Jesu wird vom Apostel Paulus im 2. Korintherbrief mit den ergreifenden Worten geschildert: „Ihr kennt ja die Gnade unseres Herrn Jesus Christus. Ihr wisset, daß er um euretwillen arm geworden, da er reich war, damit ihr durch seine Armut reich würdet.“ Oder im Galaterbrief, wo er Jesus als den personalen Lebensgrund schildert, wenn er schreibt: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Sofern ich aber noch im Fleisch lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat.“

Ganz ergreifend sind auch die Ausführungen, die der Apostel Johannes in seinem 1. Briefe zur Liebe Christi macht, wenn er etwa schreibt: „Daran haben wir die Liebe Gottes erkannt, daß er sein Leben für uns hingab.“ Oder, ein wenig weiter an einer anderen Stelle: „Daran ist die Liebe Gottes an uns offenbar geworden, daß Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Darin erweist sich die Liebe. Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns geliebt und seinen Sohn gesandt als Sühnopfer für die Sünden.“ Ergreifender, anschaulicher und sichtbarer kann die Liebe Gottes nicht werden als im Kreuzestode seines eingeborenen Sohnes. Abraham wurde auf die Probe gestellt, als er aufgefordert wurde, seinen einzigen, geliebten Sohn zu opfern. Was Abraham erspart blieb, das hat Gott seinem Sohn Jesus Christus nicht erspart. Er hat ihn am Kreuze für uns alle hingegeben, um seine Liebe zu zeigen und in unser Herz einströmen zu lassen.

Die Liebe Gottes gilt allen Geschöpfen. Sie gilt in erster Linie den Menschen, unter den Menschen in besonderer Weise den Gerechten. Aber Gottes Liebe gilt auch den Sündern. Er ruft sie zurück, daß sie wieder an sein Herz heimkehren. Man hat die Frage gestellt, ob Gott auch die Verdammten liebe. Diese Frage ist zu bejahen. „Du hassest nichts von dem, was du geschaffen hast,“ heißt es in der Heiligen Schrift. Auch die Verdammten werden jedenfalls von der schöpferischen Liebe Gottes im Dasein gehalten; denn wenn Gott seine schöpferische Liebe zurückzöge, würden sie ins Nichts fallen. Aber die erlöserische Liebe Gottes vermögen sie nicht mehr aufzunehmen. Sie haben sich gegen das Einströmen der Liebe Gottes gewehrt; sie haben sich abgewandt von der heilshaften Liebe Gottes. Und so sind sie jetzt unfähig, die Liebe Gottes zu erfahren. Die Hölle ist das Nicht-mehr-lieben-Können, die Hölle ist das Nur-noch-hassen-Können. Der heilige Pfarrer von Ars, der ja besondere Kenntnisse in der heiligen Religion hatte, schreibt einmal: „Die Verdammten werden sagen: Ach, wenn wir nur nicht so geliebt worden wären, dann wäre die Hölle erträglich. Aber so geliebt worden zu sein, welche Qual!“ Ich glaube, daß Johannes Vianney den Kern des Verhältnisses der Verdammten und Gottes getroffen hat. „Ach, wenn uns Gott nur nicht so geliebt hätte, dann wäre die Hölle erträglich. Aber so geliebt worden zu sein, welche Qual!“

Die Liebe, die Gott zu den Geschöpfen trägt, findet die einzige sachgemäße Antwort in der Liebe der Geschöpfe. Die Geschöpfe werden aufgefordert, Gott zu lieben, den Nächsten zu lieben, ja sogar den Feind zu lieben. Was dem natürlichen Menschen illusorisch und schwärmerisch und töricht scheint, nämlich die Feindesliebe, das ist die Liebe, die Gott an uns sehen will. „Liebet eure Feinde, tuet Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, die euch verfolgen! Dann seid ihr Kinder eures himmlischen Vaters, der seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und der Regen fallen läßt über Gerechte und Ungerechte!“

Amen.

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