Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 1994

Der Zusammenbruch der kirchlichen Einheit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am Sonntag vor acht Tagen weilte in unserer Mitte ein junger Mann aus Eppstein. Er hat, nachdem er bei uns den Gottesdienst mitgefeiert hatte, sich in seine Heimatpfarrei begeben, weil er dort im Kirchenchor singt, und eine zweite Messe miterlebt. Und in dieser zweiten Messe wurde genau das Gegenteil von dem verkündet, was er in der ersten bei uns gehört hatte, nämlich über die Frage des Sakramentenempfangs von Unwürdigen. Ich will deswegen die heutige Gelegenheit benutzen, um auf diesen Gegenstand, der ja die Massenmedien, Presse, Rundfunk, Fernsehen, fortlaufend beschäftigt, einzugehen, und zwar in drei Schritten. Ich will zunächst die Voraussetzungen schildern, dann auf den Streitpunkt kommen und schließlich die Folgen bedenken.

Welches sind die Voraussetzungen, daß es zu einer solchen die Einheit der Kirche zerreißenden Diskussion, wie sie heute im Gange ist, kommen konnte? Die Voraussetzungen sind der völlige Zusammenbruch der Ordnung in unserer Kirche, die unaufhörlichen Angriffe gegen den Glauben und die Sittenlehre der Kirche durch sogenannte katholische Theologen und das beinahe totale Versagen der zuständigen Oberhirten. Sie haben nicht die Gelegenheit, meine lieben Freunde, die vielen theologischen Zeitschriften, die es gibt, und natürlich noch weniger die theologischen Bücher, die fortwährend erscheinen, zu lesen. Wir, die wir von Berufs wegen damit beschäftigt sind, wissen, daß ein großer, nein, ein übergroßer Teil des theologischen Schrifttums von heute nicht die Wahrheit, sondern den Irrtum verkündet. Unser theologischer Betrieb ist überwiegend von protestantisierenden Aufstellungen erfüllt. Ein beträchtlicher Teil der Theologen lehrt nicht korrekt, sondern lehrt falsch, und die Verantwortlichen tun kaum etwas gegen diesen Zustand.

Die irrige Lehre dringt natürlich zuerst auf die Theologiestudenten ein, also die künftigen Priester, Pastoralssistenten und Gemeindeassistenten. Sie werden von der verkehrten Lehre durchtränkt, sie tragen sie weiter, und sie verbreiten sie in den Gemeinden, im Unterricht, in Gesprächen, in Predigten. Es ist kein Wunder, daß unser deutscher Katholizismus seit etwa 30 Jahren immer mehr eine protestantische Färbung angenommen hat. In zahllosen Einzelheiten denken deutsche Katholiken nicht mehr korrekt kirchlich.

Das ist die Voraussetzung für das Verständnis des Streites, der zwischen deutschen Bischöfen und dem Heiligen Vater im Augenblick im Gange ist. Im Juli vorigen Jahres wurde in Zehntausenden von Exemplaren die Broschüre „Zur seelsorglichen Begleitung von Menschen aus zerbrochenen Ehen, Geschiedenen und Wiederverheirateten Geschiedenen“ in den Diözesen Freiburg, Mainz und Rottenburg verteilt. Sie enthielt einen Brief der Bischöfe dieser drei Diözesen über die seelsorgliche Begleitung von geschiedenen Wiederverheirateten. In diesem sogenannten Hirtenbrief wurde folgende Lehre vorgetragen: Es könne sein – das ist die entscheidende Äußerung –, daß sich jemand, der in ungültiger Ehe lebt, der also nach der Scheidung sich wieder verheiratet hat, zivil natürlich, ein gutes Gewissen macht, um zur Kommunion hinzutreten zu können. Von einem anderen Sakrament war überhaupt nicht die Rede. Nicht an einer einzigen Stelle wird vom Bußsakrament gesprochen, das ja doch die normale Voraussetzung für den Empfang der Kommunion ist. Das Bußsakrament fällt bei diesen Bischöfen aus. Sie befassen sich nur mit dem eucharistischen Opfersakrament, mit dem Empfang der heiligen Kommunion, und sind der Meinung, daß jemand, der im andauernden Zustand der Todsünde lebt und davon nicht lassen will, zu dem Gewissensurteil kommen könne, er dürfe zu der Eucharistie, zum Empfang der Kommunion, hinzutreten.

Was ist zu einer solchen Meinung zu sagen? Zunächst einmal, daß so etwas möglich ist. Die Menschen machen sich die unmöglichsten Gewissensurteile zurecht. Die Hunderttausenden von deutschen Frauen, die jedes Jahr die Frucht in ihrem Mutterleib töten, bilden sich ein Gewissensurteil, daß sie töten können und töten lassen können. Die ebenfalls Hunderttausenden in unserem Volke, die sich gleichgeschlechtlich betätigen, homosexuell oder lesbisch,  sind der Meinung, daß ihr Gewissen es ihnen gestattet. Solche Verirrungen sind möglich. Aber das ist kein Anlaß, meine lieben Freunde, eine solche verfehlte Gewissensentscheidung im Raume stehen zu lassen. Angesichts einer derartigen Verkehrung des Gewissens ist es die Aufgabe der Kirche, das Gewissen zu berichtigen! Die Kirche ist dazu in die Welt gesandt, daß sie die Wahrheit verkündet, auch die Wahrheit bezüglich der sittlichen Ordnung der Geschlechtlichkeit, auch die Wahrheit bezüglich der unerläßlichen Bedingungen des würdigen Sakramentenempfanges. Und die Wahrheit bezüglich des Empfangs des Leibes des Herrn kann man aus jedem katholischen Katechismus, etwa dem Mainzer Katechismus von 1926, entnehmen. Welches ist denn die Wahrheit über den Empfang der heiligen Kommunion? „Wer wissentlich im Stande der Todsünde den Leib des Herrn empfängt, kommuniziert unwürdig. Wer unwürdig dieses Brot ißt oder den Kelch des Herrn trinkt, der versündigt sich am Leibe und Blute des Herrn, der ißt und trinkt sich das Gericht, da er den Leib des Herrn nicht unterscheidet.“ Das ist die immerwährende und unaufgebbare katholische Wahrheit, und diese katholische Wahrheit ist nun – Gott sei gedankt! – durch den Heiligen Vater in dem Schreiben des Präfekten, also des obersten Leiters, der Glaubenskongregation wieder ans Licht gebracht worden. Die Glaubenskongregation hat am 14. September 1994 die falschen Ansichten der deutschen Bischöfe zurückgewiesen. Sie betont, daß in der Situation der geschiedenen Wiederverheirateten, die ungültig (zivil) verheiratet sind und gleichzeitig wie gültig Verheiratete leben, die Zulassung oder der Hinzutritt zur heiligen Kommunion innerlich und ausnahmslos unmöglich ist. „Sie stehen insofern selbst ihrer Zulassung im Weg, als ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche sind, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht. Darüber hinaus gibt es noch einen besonderen Grund. Ließe man solche Menschen zur Eucharistie zu, bewirkte dies bei den Gläubigen hinsichtlich der Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe Irrtum und Verwirrung.“ Das Stellvertretungsorgan des Heiligen Vaters, die Glaubenskongregation durch ihren Präfekten, weist dann darauf hin, daß auch geschiedene Wiederverheiratete einen Weg haben, um zur sakramentalen Gemeinschaft der Kirche zu kommen. Sie müssen ihre Sünden bereuen, sie müssen den Vorsatz zur Besserung haben, sie müssen sich ernstlich vornehmen, alles zu meiden, was mit ihrem Zustand unverträglich ist, dürfen also vor allen Dingen keine ehelichen Rechte in Anspruch nehmen. Dann können sie, selbst wenn ihr äußerer Zustand irregulär ist, nach gültiger Beichte die heilige Kommunion empfangen. Nach gültiger Beichte! Nach einer reuigen Beichte können sie zum heiligen Sakrament der Eucharistie hinzutreten.

Sie erkennen, daß zwischen den deutschen Bischöfen, die das erwähnte Schreiben verfaßt haben, und der mit höchster Wahrheitsgarantie ausgestatteten Lehre der Kirche, wie sie der Heilige Vater vertritt, ein prinzipieller Widerspruch besteht. Man kann nicht mit seinem subjektiven irrigen Gewissen gegen die verbindliche Lehre der Kirche, gegen die göttliche Lehre der Kirche – hier handelt es sich nicht um Menschenwerk – angehen. Bedenken Sie, meine lieben Freunde, was das bedeutet! Hier geht es um die Fundamente katholischer Sakramentenlehre. Die einen glauben, obwohl sie geschieden und wiederverheiratet sind und zu Unrecht eheliche Rechte in Anspruch nehmen, also im Zustand der Todsünde leben, zur Kommunion gehen zu können. Da erhebt sich sogleich die Frage: Warum sollen jene, die andere Todsünden begangen haben, nicht zur Kommunion gehen können? Sie können sich doch genauso ein gutes Gewissen machen. Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Warum soll ein Abtreibungsarzt, der jede Woche 35 Abtreibungen vornimmt, nicht sagen: Ich habe ein gutes Gewissen bei meinem Tun, denn ich helfe damit den Frauen, indem ich sie von der ihnen lästigen Leibesfrucht befreie – und geht dann wakker am Sonntag zur heiligen Kommunion? Warum denn nicht? Er macht sich ein gutes Gewissen – gegen die objektive Norm.

Die deutschen Bischöfe haben eine Lawine losgetreten! Und ich fürchte, daß sie diese Lawine nicht mehr anhalten können. Schon haben weitere Bischöfe, wie jene von Speyer und Trier, ihre Position übernommen. Zahlreiche Priester und Laien klatschen ihnen Beifall. In manchen Pfarreien werden Unterschriften zugunsten der irrigen Auffassung, also gegen die Lehre der Kirche, gesammelt. Wenn die Bischöfe in ihrem Begleitschreiben zu dem Wort des Kardinals Ratzinger behaupten, sie würden in den grundsätzlichen Positionen mit der Glaubenskongregation übereinstimmen, so ist das falsch. Gerade im Prinzipiellen stimmen sie nicht überein, denn der Grundsatz lautet: Das Gewissen des katholischen Christen hat sich an der Norm der Kirche auszurichten, und wer ein falsch gebildetes Gewissen hat, der muß die Folgen tragen. Das bedeutet in dem hier zur Diskussion stehenden Falle: Er muß den Ausschluß von der Kommunion hinnehmen. Gerade in den Prinzipien bestehen Unterschiede, nicht nur in Einzelheiten und im faktischen Verfahren.

Die Frage der Kommunionwürdigkeit ist eine grundlegende. Denn im eucharistischen Opfersakrament stellt sich die Kirche in ihrem Wesen dar. Hier begegnet der einzelne Christus, der in der Hostie wahrhaft, wirklich und wesentlich, mit Gottheit und Menschheit, mit Seele und Leib, mit Fleisch und Blut enthalten ist. Wie will er Christus begegnen, wenn er im Aufstand gegen ihn lebt, weil er seine Gesetze nicht halten will? Wie will einer in Liebe Christus empfangen, wenn er sagt: Deine Gebote kümmern mich nicht, ich mache mir meine Gesetze selber? Wie soll ein solcher Widerspruch möglich sein? Hier geht es um die Fundamente der Kirche. Wer das weiterhin vertritt, was die deutschen Bischöfe vor einem Jahr verlautbart haben, der sprengt gleichsam die gesamte Kirche in die Luft. Denn hier wird an das Prinzip des Vorranges von göttlicher Norm vor subjektiver Gewissensentscheidung gerührt. Mit einer subjektiven Gewissensentscheidung kann ich jedes Gesetz – aber auch jeden Glaubenssatz – der Kirche aus den Angeln heben. Wenn ich sage: Mein Gewissen verbietet mir anzunehmen, daß in Gott drei Personen sind, dann lehne ich aufgrund meines privaten Gewissensurteils die Dreipersonalität Gottes, die Trinität, also das Fundamentaldogma des Christentums, ab. Oder wenn ein anderer sagt: Mein Gewissen verbietet mir, in Jesus den metaphysischen Sohn Gottes zu sehen, ich sehe in ihm den biologischen Sohn von Josef – ja, was will man, wenn man die Position der drei Bischöfe einnimmt, gegen einen solchen machen? Sein Gewissen sagt es ihm, er stützt sich auf seine subjektive Gewissensentscheidung, also muß man ihn gewähren lassen. Es ist offensichtlich: Hier sind die Fundamente der Kirche betroffen.

Und jetzt die Folgen. Sie erleben die Auswirkungen der falschen Lehre deutscher Bischöfe jeden Tag. Die durch den Hirtenbrief in die Irre Geführten, Priester, Theologen, Pastoralreferenten, Gemeindereferenten, denken gar nicht daran, sich zur Lehre der Kirche zurückrufen zu lassen. Sie machen weiter, wie es ihnen vor einem Jahr das fatale Schreiben der Oberrheinischen Bischöfe nahegelegt hat. Die katholische Kirche in Deutschland steht weithin im Aufstand gegen die Gesamtkirche! Das ist die Lage nach diesem Hirtenschreiben. Viele haben es schon bekundet, daß sie gar nicht daran denken, sich zur Ordnung rufen zu lassen; und der erwähnte Priester in Eppstein hat das ja öffentlich im Gottesdienst bekanntgegeben. Sie können sich dabei auf das zweideutige Begleitschreiben der deutschen Bischöfe zu der Verlautbarung der Glaubenskongregation stützen; dieses ist alles andere als ein klares Bekenntnis zu der gültigen Lehre der Kirche. Es heißt darin immer: Wir werden weiter ein Gespräch suchen. Nein, das Gespräch ist zu Ende! Die Wahrheit ist klargelegt. Was will man da noch sprechen? Jetzt gilt es, die Wahrheit umzusetzen. Neue theologische Forschungen müßten betrieben werden, so heißt es in dem Begleitschreiben, es bleibe noch eine Reihe von bibeltheologischen, theologiegeschichtlichen, systematisch-theologischen und kir-chenrechtlichen Problemen offen. Jeder gläubige Christ wird fragen: Weiß die Kirche nach 2000 Jahren immer noch nicht, wer kommunionwürdig ist und wer nicht? Jeder von uns fragt sich: Gilt das Wort Roma locuta – causa finita (Rom hat gesprochen, die Sache ist beendet) oder gilt das Wort nicht? Offenbar nicht! Es wird weitergemacht, es wird weitergesprochen. Und wir wissen aus bitteren Erfahrungen, wie solche Gespräche in der nachkonziliaren Kirche vor sich gehen. Es handelt sich dabei um den Monolog der Aufweichler und Glaubenszerstörer. Die Stimmen, die nicht mit der Meinung der Progressisten übereinstimmen, läßt man nicht zu Gehör kommen oder diffamiert man. Das ist die Weise, wie der sogenannte Dialog heute geführt wird. Man spricht so lange, bis sich die Masse für den bequemen und leichten Weg entschieden hat und die wenigen, die dagegen aufbegehren, zum Schweigen gebracht sind. Das ist das Gespräch in der Kirche von heute! Eine weitere Folge des verhängnisvollen Schreibens der drei Bischöfe wird sein: Die von Rom, vom Papst enttäuschten, von Geistlichen und Laien aufgewiegelten Menschen werden neue Nahrung finden, um ihrem Haß gegen den Papst freien Lauf zu lassen. Sicher werden auch manche von ihnen der Kirche den Rücken kehren, ihren Kirchenaustritt erklären. Das Vertrauen zur Kirche wird weiter gemindert werden, wird bei vielen schwinden.

Ich fürchte, daß sich immer mehr das dritte Geheimnis von Fatima erfüllt. Welches ist dieses dritte Geheimnis? Der völlige Zusammenbruch der kirchlichen Einheit. Bischöfe gegen Bischöfe, Kardinäle gegen Kardinäle, Uneinigkeit, Streit, Abfall. Ich fürchte, daß diese Prophezeiung im Begriffe ist, sich zu erfüllen.

Möge Gott unserer Kirche gnädig sein!

Amen.

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