Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
8. September 1991

Die Erscheinungen des Auferstandenen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Über die Erscheinungen des Auferstandenen berichten alle Schriften des Neuen Testamentes. An erster Stelle stehen selbstverständlich die vier Evangelien. Im Matthäusevangelium werden zwei Erscheinungen berichtet. Die erste geschah vor den Frauen, die zum Grabe eilten, also in Jerusalem, die zweite geschah vor den elf Aposteln in Galiläa. Da hat der Herr ihnen den großen Missionsbefehl erteilt: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker!“ Im Markusevangelium wird ebenfalls von dem Gang der Frauen zum Grabe berichtet: Maria Magdalena, Maria Jakobi. Im sogenannten Markus-Schluß, der nach der Meinung vieler Gelehrter nachträglich angefügt ist, wird von drei Erscheinungen gesprochen, einmal vor Maria Magdalena, dann vor den beiden Jüngern, den Emmausjüngern, und schließlich vor den Elfen. Das Lukasevangelium meldet keine Erscheinung vor den Frauen. Es berichtet nur, daß die Apostel das, was die Frauen sagten, als leros bezeichneten; das ist eine sehr respektlose Äußerung, nämlich als Weibergeschwätz. Es werden im Lukasevangelium dafür drei andere Erscheinungen berichtet, nämlich vor den Emmausjüngern, dann vor den Elfen und bei der Himmelfahrt, als der Herr ihnen die letzten Weisungen gab. Im Johannesevangelium sind es vier Erscheinungen, die gemeldet werden, nämlich einmal vor Maria Magdalena, dann vor den Elfen ohne Thomas, und acht Tage später vor den Elfen mit Thomas, und schließlich noch vor sieben Jüngern in Galiläa.

In der Apostelgeschichte ist oft die Rede, daß Gott seinen Knecht Jesus erweckt hat und ihn den vorbestimmten Zeugen erscheinen ließ. Vor allem in den Predigten des Petrus wird häufig von den Erscheinungen des Herrn berichtet. Ein besonderes Zeugnis legt der Apostel Paulus im ersten Brief an die Korinther ab. Dort spricht er von sechs Erscheinungen, die erste vor Petrus, von ihm als Kephas bezeichnet, denn das Wort Petrus ist ja die Übersetzung des hebräischen Wortes Kephas, und das Wort Kephas heißt Fels, die zweite vor den Elfen, die dritte vor fünfhundert Brüdern, „von denen die meisten noch leben“, sagt er; man kann also hingehen und sie fragen, dann die Erscheinung vor Jakobus, vor sämtlichen Aposteln die fünfte und die sechste und letzte vor ihm, der gewissermaßen eine Fehlgeburt ist, weil er die Kirche Gottes verfolgt hat. Paulus will keine lückenlose Aufzählung der Erscheinungen geben, sondern er berichtet nur von den Erscheinungen vor den autoritativen Zeugen, und zu den autoritativen Zeugen zählen die Frauen nicht, aber auch nicht die Emmausjünger. Er hat also sicher noch weitere Erscheinungen gekannt, aber in seine Aufzählung hat er sie nicht aufgenommen.

Nun wird behauptet, daß diese Berichte über die Erscheinungen uneinheitlich seien, unklar, unstimmig, und man weist auf die Unterschiede zwischen den einzelnen Berichten hin. Nach zwei Evangelisten gingen drei Frauen zum Grabe, nach einem Evangelisten zwei und nach dem Evangelisten Johannes eine. Markus und Lukas berichten von drei Frauen, Matthäus von zweien und Johannes von einer. Auch über die Engelerscheinung sind die Berichte unterschiedlich. Die einen sprechen von zwei Engeln, andere von einem Engel. Die Reaktion der Jünger auf die Berichte der Frauen wird verschieden geschildert; sie waren skeptisch, sie trauten dem nicht, was ihnen gesagt wurde, und andere wieder sagen, nein, sie haben sich sehr gefreut, sie sind in Jubel ausgebrochen über diese Meldung, daß der Herr nicht mehr im Grabe, sondern auferstanden sei.

Sind diese Verschiedenheiten ein Anlaß, an der Zuverlässigkeit der Berichte des Neuen Testamentes zu zweifeln? Stehen sie im Gegensatz zueinander, und gefährden sie unseren Glauben an die Wahrheit des evangelischen Zeugnisses? Zunächst einmal ist klar,  meine lieben Freunde, daß zwei Tatsachen von allen Berichten einheitlich und ohne Ausnahme bezeugt werden, nämlich erstens: Das Grab ist leer und zweitens: Der Begrabene ist vielen Zeugen lebendig erschienen. In diesen beiden Grundtatsachen besteht überhaupt kein Unterschied. Bei den Begleitumständen sind Unterschiede festzustellen, aber ich sage: Unterschiede sind keine Gegensätze. Wenn jemand über ein Ereignis berichtet, dann ist sein Bericht von zwei Fakten abhängig, erstens von seinem Standort, also von dem, was er sehen konnte, denn wenn man einen verschiedenen Standort hat, wird man auch verschiedene Bilder einfangen, und zweitens von seinem Interesse. Wenn man ein verschiedenes Interesse hat, wird man nur über das berichten, woran man Interesse hat. Und diese Grundsätze – Verschiedenheit des Standortes, Verschiedenheit des Interesses – muß man eben auf die Evangelien anwenden. Wer nur das Zeugnis, das der Engel über Jesus ablegte, wiedergeben will, der erwähnt den anderen Engel, der stumm blieb, überhaupt nicht. Aber darin ist kein Gegensatz zu sehen. Es kam ihm eben nur auf den Engel an, der etwas gesagt hat. Damit will er nicht leugnen, daß noch ein anderer Engel zugegen war.

Und was die Frauen angeht, die zum Grabe gingen, so ist nun einmal unter ihnen eine von hervorragender Bedeutung gewesen, das ist Maria Magdalena. Sie ist eine der bedeutendsten Frauen der Urgemeinde gewesen, und auf deren Bericht legte man eben gesteigertes Gewicht. Die anderen Frauen sind fast unbekannt. Wer weiß etwas von der Johanna oder von der Salome, das ist die Mutter des Johannes und des Jakobus? Von diesen Frauen ist gar nichts oder wenig bekannt, aber Maria Magdalena kannte jeder. Deswegen wird einhellig das Zeugnis der Maria Magdalena angeführt. Wenn die Apostel von den einen Berichten als skeptisch, von den anderen als erfreut hingestellt werden, so mag ich darin keinen Gegensatz finden. Natürlich waren sie zunächst skeptisch, aber als sie sich dann eben vergewissert hatten, da wurden sie von Freude erfüllt. Ihre Skepsis war berechtigt, denn es war ein ungeheures Ereignis, was da von ihnen zu glauben verlangt wurde, und deswegen haben sie es nachgeprüft. Und nachdem die Prüfung stattgefunden hatte und mit positivem Erfolg beendet war, dann kam die Freude auf. Also ein Gegensatz ist da nicht zu finden.

Alle diese verschiedenen Fakten, die von dem Auferstandenen berichtet werden, sind in die Abfolge der Ereignisse einzufügen. Es sind Teilausschnitte, die sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen lassen. Die Apostel und die Evangelisten berichten summarisch oder das, was ihnen besonders am Herzen gelegen war. Sie wollen damit andere Berichte nicht ausschließen. Wenn die Verfasser der Evangelien und diejenigen, die dann den Kanon der Heiligen Schrift zusammenstellten, gemeint hätten, das seien Widersprüche, dann hätten sie ja das eine oder andere Evangelium weglassen können. Nein, sie waren überzeugt, daß man alle diese Berichte nahtlos zueinanderfügen kann.

Es wird dann behauptet, die Erscheinungen in Jerusalem seien sekundär, also später eingetragen, aus apologetischem Interesse erfunden. Es habe nur Erscheinungen in Galiläa gegeben, wohin der Herr seine Apostel durch die Weisung an Maria Magdalena vorausgehen ließ. Nun, die Leugnung der Erscheinungen in Jerusalem hat einen deutlichen Zweck. Man leugnet diese Erscheinungen, weil man erstens die Zeit braucht, einen längeren Zeitraum benötigt, um die Entstehung der Erscheinungen zu erklären, und zweitens, weil man einen anderen Ort braucht als Jerusalem. Man braucht mehr Zeit. Wenn man nämlich die Erscheinungen als Einbildungen der Apostel erklärt, als subjektive Visionen, als Halluzinationen, dann muß, damit die Apostel zu solchen Einbildungen fähig waren, erst ein Umschwung in ihrer Seele eingetreten sein. Sie waren ja deprimiert und niedergeschlagen, verzagt und verzweifelt nach dem Tod des Herrn, und man wird nicht plötzlich aus einem verzagten Menschen zu einem hoffnungsvollen. Man wird nicht plötzlich aus einem feigen Menschen zu einem tapferen. Es braucht also längere Zeit dazu. Und deswegen, wegen dieser vorgefaßten Meinung, daß es sich um subjektive Visionen handelte, müssen die Leugner einen längeren Zeitraum zwischen der Hinrichtung des Herrn und diesen Visionen annehmen, müssen also leugnen, daß sie schon am dritten Tage den Aposteln widerfahren sind.

Ähnlich ist es mit dem Ort. Ja, sagt man, die subjektiven Visionen konnten sich nur da ereignen, wo die Erinnerung an die schönen Zeiten des gemeinsamen Lebens mit dem Herrn in den Aposteln aufstieg, und diese schönen Zeiten waren eben nicht in Jerusalem, sondern in Galiläa fixiert. Da sind sie mit dem Herrn gewandelt, auf den Fluren von Galiläa, am See Genesareth. Und deswegen können, so sagen diese Leugner, können die Erscheinungen nicht in Jerusalem stattgefunden haben.

Diese Aufstellungen, diese falschen Aufstellungen, scheitern an einer unwiderlegbaren Tatsache, nämlich daß alle Berichte ohne Ausnahme und ohne Unterschied die Erscheinungen mit dem dritten Tage nach der Hinrichtung des Herrn beginnen lassen. Nicht drei Wochen später und auch gar nicht drei Monate, sondern am dritten Tage nach der Hinrichtung sind den Aposteln die Erscheinungen widerfahren. Sie kamen von außen, nicht von innen. Und weil sie am dritten Tage geschehen sind, so ist das ein Zeichen dafür, daß sie in Jerusalem geschehen sein müssen; denn am dritten Tage waren die Apostel noch in Jerusalem. Und alle Evangelisten legen Wert darauf, die Erscheinungen in Jerusalem zu berichten, vor allem die Erscheinung vor Kephas. Der Apostel Paulus stellt diese Erscheinung mit Absicht an die erste Stelle, denn Kephas war eben die führende Gestalt der Urgemeinde, und seine Erscheinung ist nur in Jerusalem denkbar. Am dritten Tage ist der Herr auferstanden, und am dritten Tage hat er sich lebendig erwiesen. Das ist ein Zeichen dafür, daß die Jerusalemer Tradition über Erscheinungen echt ist. Sie ist nicht sekundär, sie ist nicht nachträglich eingetragen, sie ist genauso ursprünglich wie die Tradition über Erscheinungen in Galiläa.

Meine lieben Freunde, glauben Sie nicht, daß diese Überlegungen, die wir hier miteinander anstellen, überflüssig seien. Ich hatte gestern den Besuch von Theologen, und zu meinem Schmerz habe ich, was mich eine schlaflose Nacht gekostet hat, feststellen müssen, wie mancher von ihnen weit, weit von dem Glauben, den wir bekennen, entfernt ist. Daß es nicht so weit kommt, daß wir uns nicht auf diesen verhängnisvollen Weg begeben, daß uns nicht der Glaube zerrinnt, dazu wollen wir das Unsere tun mit Vernunft und mit gläubiger Zuversicht, daß der Glaube in uns nicht stirbt, sondern lebt, daß wir ihn weitergeben können an unsere Kinder und Kindeskinder, daß wir in diesem Glauben unser Leben bewältigen und unseren Tod bestehen.

Amen.

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