Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. Mai 1990

Die Gegenwart des Herrn im eucharistischen Sakrament

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Christus ist im eucharistischen Opfersakrament wahrhaft, wirklich und wesentlich gegenwärtig. Er ist gegenwärtig mit Gottheit und Menschheit, mit Leib und Seele, mit Fleisch und Blut- der lebendige Christus. Der Weg zu dieser Gegenwart ist die Wesensverwandlung, die Transsubstantiation. An den vergangenen Sonn- und Feiertagen haben wir über diese Wahrheiten Betrachtungen angestellt. Das geheiligte Wort Transsubstantiation, Wesensverwandlung, ist seit geraumer Zeit in das Kreuzfeuer von Theologen geraten, die die katholische Eucharistielehre zu untergraben suchen. Mit besonderem Haß verfolgen sie dieses Wort, weil sie die Sache treffen wollen. Aber dieses Wort ist dogmatisiert. Es ist ein Gaubenssatz der Kirche, daß sich in der heiligen Messe eine Transsubstantiation, eine Wesensverwandlung ereignet, nicht bloß eine Transfinalisation und nicht bloß eine Transsignifikation, sondern eine Transsubstantiation.

Der Begriff der Substanz ist zeitlos, geht nicht unter mit der aristotelischen Naturphilosophie und ist davon gänzlich unabhängig. Das ist nur der Sprachleib, dessen sich die Kirche bedient hat, der aber auch ohne Rücksicht auf diese Philosophie eine innere Berechtigung hat. Man kann von dem Begriff der Wesensverwandlung ausgehen, um noch etwas tiefer in das Geheimnis der Gegenwart Christi einzudringen. Die gläubigen Theologen haben versucht, die Wirklichkeit des gegenwärtigen Heilandes in etwa dem Verstehen aufzuschließen. Es gibt unzulängliche Vorstellungen. Gutwillige Theologen haben gemeint, der Leib Christi sei in der Eucharistie zusammengepreßt, so sehr zusammengepreßt, daß er eben in eine kleine Hostie hineinpaßt. Es sei ein Miniaturleib. Das wäre aber das Zerrbild eines Leibes. Diese Ansicht, die von der Descartes'schen Naturphilosophie ausgeht, ist ein unzulänglicher Versuch, das Geheimnis der Gegenwart Christi zu erklären. Ebenso unzulässig ist die andere Meinung, daß der Leib Christi gleichsam ineinandergeschoben sei, daß die Glieder so ineinandergeschoben seien, ineinandergedrückt seien, einander durchdringen, daß eben der Leib Christi in die Hostie hineinpaßt. Das wäre dann ein ungegliederter Leib. Auch diese Vorstellung ist unhaltbar.

Diese unzulänglichen Versuche, das Geheimnis Christi in der Eucharistie zu erklären, haben einen Grundfehler. Sie verwechseln die natürliche Seinsweise mit der sakramentalen. Christus ist eben in der Eucharistie nicht gegenwärtig wie damals, als er über die Fluren Galiläas wandelte, als er redete, litt und starb. Das ist die natürliche Seinsweise. Er ist in einer anderen, in einer veränderten Seinsweise gegenwärtig, die ähnlich jener ist, die er nach seiner Auferstehung gewonnen hat. Die sakramentale Seinsweise ähnelt der verklärten Seinsweise des Herrn und Heilandes. Und von ihr wissen wir ja nun eine ganze Menge aus dem Zeugnis der Heiligen Schrift. Wie er plötzlich vor ihnen stand bei verschlossenen Türen, wie er ihren Blicken entschwand, wie er nicht erkannt wurde, weil eben seine Gestalt anders war als vorher. Diese sakramentale Seinsweise können wir deswegen nicht verstehen, weil sie in der Erfahrung nicht vorkommt. Und wir können nicht mit den Maßstäben unserer Erfahrung etwas, was der Erfahrung entrückt ist, beurteilen wollen. Man kann also nicht mit Erfahrungsmitteln das Nichterfahrbare deuten oder gar aus den Angeln heben wollen. Es wäre z. B. ganz falsch, wenn man meinte, falls man an der Hostie kratzt, käme man zum Leibe Christi. Das wäre eine ganz verkehrte Auffassung von der Gegenwart des Leibes Christi. Es ist eine Seinsweise, die wir mit unseren Sinnen, aber auch mit technischen Mitteln wie etwa mit einem Mikroskop nicht erreichen können. Die Wirklichkeit des sakramentalen Leibes Christi liegt jenseits unserer Empirie.

Und dennoch muß man versuchen, etwas über diese Gegenwartsweise Christi auszumachen. Kraft der Wesensverwandlung wird anstelle des Wesens des Brotes und des Weines der Wesensbestand des Leibes und Blutes Christi gesetzt. Mit dem Wesensbestand verbunden sind auch die Akzidenzien, ist auch die Erscheinungsweise, aber eben in der Weise des Wesensbestandes, d.h. in sakramentaler Weise, unausgedehnt, nicht nach Maßen und Gewichten zu beurteilen, sondern in einer Weise, die mangels eines besseren Wortes die sakramentale genannt wird. Man kann versuchen, sich diese Gegenwart vorzustellen, wenn man darauf verweist, daß wir uns auch von einer Landschaft oder dem Bodensee eine Vorstellung machen können, die nicht ausgedehnt ist. Wenn ich mir den Bodensee vorstelle, dann habe ich dieses schwäbische Meer vor mir. Aber die Vorstellung in meinem Geiste ist nicht ausgedehnt, obwohl der Bodensee natürlich ausgedehnt ist. Oder wenn ich mir einen Turm vorstelle; der Turm ist hoch, aber die Vorstellung von ihm in meinem Geist ist nicht hoch. Oder wenn ich mir eine Spitze vorstelle; die Vorstellung in meinem Geist ist nicht spitz. Ähnlich-unähnlich, kann man sagen, ist die Gegenwart Christi in den Gestalten von Brot und Wein. Entscheidend ist, daß sie nicht räumlich, nicht ausgedehnt ist. Natürlich ist Christus an einem bestimmten Ort, nämlich hier in der Hostie, nicht rechts und nicht links neben der Hostie, sondern in der Hostie. Aber er ist in der Hostie gegenwärtig nach Art eines Geistes, nicht circumscriptive, sondern descriptive. Man kann genau angeben: Da ist er; aber man kann nicht sagen, in dieser Ausdehnung, in dieser Länge und in dieser Breite und in dieser Höhe ist er gegenwärtig. Man kann noch einen Vergleich wählen. Denken Sie, meine lieben Freunde, an das Gesetz der Schwerkraft! Die Sterne am Firmament gehorchen ihm. Das Gesetz der Schwerkraft ist gegenwärtig im ganzen Sternensystem und in jedem seiner Teile. Ähnlich-unähnlich ist die Gegenwart unseres Herrn und Heilandes. Denn beim Gesetz der Schwerkraft handelt es sich nur um die Seinsweise des Geltens, während hier der Herr tatsächlich zugegen ist, wirklich, wahrhaft, wesentlich. Es erhebt sich die weitere Frage: Wie kann denn der Herr in vielen, vielen Hostien, sein, in Millionen von Hostien auf der ganzen Welt? Das Konzil von Trient sagt: Es ist kein Widerspruch, daß Christus im Himmel gegenwärtig ist und an vielen, vielen Stellen der Erde, wo das heilige Meßopfer dargebracht wird. Wenn man diese Vielörtlichkeit von der natürlichen Seinsweise aussagen würde, wäre es ein Widerspruch, dann würde sich Christus von sich selbst entfernen. Aber sie wird von seiner sakramentalen Seinsweise ausgesagt. Die Vielörtlichkeit geht nicht in sein Sein ein, sondern es wird durch diese vielfache Gegenwart des Herrn nur die Vermehrung seiner Beziehungen zum Raum vollzogen. Nur die Beziehungen zum Raum vervielfältigen sich, nicht Christus. Christus bleibt der eine und einzige, aber seine Beziehungen zum Raum mehren sich.

Christus ist in der Hostie unsichtbar. Er erscheint ja nicht in eigener Gestalt, sondern in fremder Gestalt, in der Gestalt des Brotes und des Weines. Wir können ihn also nicht sehen in der Hostie, aber er kann auch uns nicht sehen. Christus ist nicht in natürlicher Seinsweise gegenwärtig, sondern in sakramentaler. Wenn er in natürlicher Seinsweise gegenwärtig wäre, dann wäre er ausgedehnt und könnte sehen, hören und sprechen. Aber da er in sakramentaler Seinsweise zugegen ist, kann er weder sehen noch hören noch sprechen. Ja, aber weiß er dann nichts von uns? O doch, und zwar durch die Verbindung seiner sakramentalen Seinsweise (die den Menschen Jesus betrifft) mit dem Logos. Er ist ja verbunden mit der zweiten Person in der Gottheit, und durch diese Verbindung sieht Christus alles, was die Gläubigen um ihn und für ihn empfinden, reden, tun und denken.

Die Gegenwart Christi ist von solcher Art, daß sie unräumlich, daß sie unausgedehnt ist. Christus ist deswegen in der Hostie im Ganzen und in jedem Teile gegenwärtig. Wenn die Hostie geteilt wird, bekommt der eine nicht mehr und nicht weniger als der andere, jeder bekommt das gleiche. Die Unausgedehntheit, die eine Folge der Sakramentalität der Gegenwart ist, macht, daß Christus in jedem Teil der Hostie gegenwärtig ist. Deswegen achten wir auch so darauf, daß kein Teilchen herabfällt. Deswegen halten wir die Patene unter, öffnen wir den Mund, damit ja nicht etwas von diesem kostbaren Gut zur Erde fällt. Er ist in jedem Teil der Hostie gegenwärtig, vor der Brechung und nach der Brechung.

Das also, meine lieben Freunde, sind Versuche, welche gläubige Theologen angestellt haben, um aufgrund des Begriffes und der Wirklichkeit der Wesensverwandlung dem Geheimnis unseres gegenwärtigen Heilandes in der Eucharistie in etwa auf die Spur zu kommen. Wir versuchen, Unsagbares auszusagen. Wir versuchen in das Geheimnis Gottes einzudringen, soweit es uns gegeben ist. Wenn wir es erfassen, wenn wir es erschöpfen, wenn wir es ergreifen könnten, dann wäre Gott nicht mehr Gott, dann hätte er seine souveräne Überlegenheit, seine Schöpfermacht an uns abgetreten, dann könnten wir gewissermaßen Christus nachbauen, nachmachen in der Eucharistie. Es muß so bleiben, daß ein Rest, ein gewaltiger Rest an Unaufklärbarem, an Unverständlichem für uns bleibt. Nur so kann Gott Gott bleiben. Aber das soll uns nicht erschüttern in unserer Überzeugung, daß der Herr wahrhaft, wirklich und wesentlich zugegen ist, daß er zugegen ist durch die Wesensverwandlung, daß wir also mit vollem Recht und ohne Abstriche singen können: „Wahrer Gott, wir glauben dir, du bist mit Gottheit und Menschheit hier. Du, der den Satan und Tod überwand, der im Triumph aus dem Grabe erstand. Preis dir, du Sieger auf Golgotha, Sieger wie keiner, Alleluja.“

Amen.

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