Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Mai 1988

Erlösungsbedürftigkeit des Menschen (Teil 2)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Getröst', getröst', wir sind erlöst, die Hölle ward zuschanden; denn wahrhaft ist Gott Jesus Christ vom Tode auferstanden.“ So haben wir zu Ostern gesungen, und wir wollen uns an den folgenden Sonntagen überlegen, was es heißt: „Getröst', getröst', wir sind erlöst.“ Die Theologie hat die Tatsache der Erlösung mit den drei Ämtern Christi zu beschreiben versucht. Christus als der Lehrer, Christus als der Hirt, und Christus als der Priester. Wir haben am vergangenen Sonntag gesehen, was es heißt: Christus hat uns durch sein Lehramt und durch sein Hirtenamt erlöst. Diese Erlösung durch die Lehre und durch die Weisungen Jesu geben auch die Irrlehrer zu. Ja, sie sagen, durch seine Lehre und sein Beispiel hat uns Christus geholfen, zur Erlösung, zur Selbsterlösung zu gelangen. Aber sie geben nicht zu, daß uns Christus auch durch sein blutiges Leiden und Sterben erlöst hat, daß er uns auch durch sein Priesteramt erlöst hat, daß er durch sein am Kreuze vergossenes Blut die Kluft überbrückt hat, die zwischen den sündigen Menschen und dem heiligen Gott besteht, daß er eine objektive Wiederversöhnung bewirkt hat.

Wir haben also am heutigen Sonntag die doppelte Aufgabe, erstens nachzuweisen, daß Christus ein Priester ist, und zweitens, daß er sein Priesteramt ausgeübt hat an seinem heiligen Kreuz. Christus ist in Wirklichkeit ewiger Hoherpriester. Die Lehraussagen der Kirche sind eindeutig. Das Konzil von Ephesus im Jahre 431 hat in der Abwehr von Irrlehren erklärt: „Als unser Logos Fleisch annahm und Mensch wurde, da ist er zum Priester geworden.“ Also die Menschwerdung ist gewissermaßen die Priesterweihe Jesu. Die Annahme einer menschlichen Natur bedeutet die Einsetzung in sein Priesteramt. Und das Konzil von Trient hat diese Lehre wiederholt, wenn es sagt: „Es mußte ein anderer Priester aufstehen nach der Ordnung des Melchisedech, unser Herr Jesus Christus.“

Die Heilige Schrift verweist dort, wo sie das Priestertum Christi anspricht, auf den Psalm 109, also auf einen Gesang aus dem Alten Bunde, und in diesem Gesange heißt es: „Jahwe (Gott) hat geschworen, und es wird ihn nicht gereuen: Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung des Melchisedech.“ Das Priesteramt Christi ist in keiner neutestamentlichen Schrift so deutlich entfaltet worden wie im Hebräerbrief. Der Brief an die Hebräer spricht ganz eindeutig vom Priesteramte Christi. „Jeder Priester wird aus Menschen genommen und für Menschen bestellt, damit er Gaben und Opfer darbringe bei Gott für die Sünden.“ Und dann weist der Hebräerbrief nach: Diese Definition des Priesteramtes ist in Jesus Christus erfüllt. Er ist aus den Menschen genommen, äußerlich erfunden wie ein Mensch. Er hat kraft seiner menschlichen Natur sein ewiges Priestertum, das nicht vergeht. Er ist heilig, schuldlos, unbefleckt, abgesondert von den Sündern. Durch seine Menschwerdung wurde er als ewiger Hoherpriester eingesetzt nach der Ordnung des Melchisedech. Sein Priestertum dauert deswegen ewig, weil die hypostatische Union ewig ist, d.h. die Verbindung einer menschlichen Natur mit der göttlichen Person. Sein Priestertum ist auch deswegen ewig, weil die Wirkung dieses Priestertums ewig dauert in den Erlösten, die Gott eine Ewigkeit loben und anschauen dürfen. Sein Priestertum ist ewig, weil seine Opfergesinnung, soweit sie Dank und Bitte betrifft, ewig dauert. Die Wirklichkeit des Priestertums wird also von den Urkunden der Offenbarung eindeutig ausgesprochen, und auch die Kirchenväter werden nicht müde, die Lehre des Hebräerbriefes zu wiederholen. Der heilige Polykarp sagt: „Er ist unser ewiger Hoherpriester“, und Clemens von Rom lehrt: „Er ist der Hohepriester unserer Opfergabe.“ Und so kann man an vielen, vielen Stellen der Kirchenväter nachweisen: Christus ist Priester. Er besitzt das Priesteramt.

Und dieses Priesteramt hat er zweitens ausgeübt im Opfer; denn das ist die wesentlichste Funktion des Priesters, Gaben und Opfer darzubringen. Unter Opfer im weitesten Sinne versteht man die Hingabe eines Gutes um eines guten Zweckes willen. Im religiösen Sinne ist Opfer die innere Hingabe und die äußere Weggabe von etwas, um Gott zu ehren, z.B. Almosen, Gebete, Abtötung. Im engsten, im kultischen Sinne ist Opfer eine jede religiöse Handlung, wo eine äußere Opfergabe von einem rechtmäßig bestellten Priester Gott dargebracht wird zur Anerkennung der Oberherrlichkeit Gottes und zur Sühne für die Sünden. Zum Opfer gehört also einmal eine Opfergabe. Diese Opfergabe ist ein Sinnbild für den, der opfert. „So wie diese Gabe vor dir liegt, o Gott, so liege ich vor dir. So wie ich diese Gabe opfere, so will ich mich dir opfern.“ Die Gabe vertritt gleichsam den, der opfert. Zum Opfer gehört dann ein Opferpriester, der die Gabe im Auftrag Gottes und der Gemeinschaft Gott darbringt. Weiter ein Opferzweck. Der Opferzweck ist eben die Verherrlichung Gottes in Anbetung, Dank, Bitte und Sühne. Zum Opfer gehört auch eine Opferhandlung. Die Gabe muß sichtbar Gott dargebracht werden.

Ein solches Opfer hat Christus dargebracht, und zwar am Kreuzesstamme. Das war sein Opferaltar, das Kreuz. Hier hat er sein Opfer vollendet. Wiederum sagt das Konzil von Ephesus vom Jahre 431: „Er hat sich selbst dem Vater dargebracht zum lieblichen Wohlgeruch.“ Lieblicher Wohlgeruch, das heißt als ein wohlgefälliges Opfer. Und das Konzil von Trient nimmt diese Aussage auf, wenn es sagt: „Er hat sich einmal blutig am Altare des Kreuzes dargebracht.“ Dieses Opfer Christi am Kreuze wurde im Alten Bunde schon angekündigt beim Propheten Isaias. Da ist die Rede von dem Schlachtopfer, von dem Opferlamm, das zur Schlachtbank geführt wird. „Er tat seinen Mund nicht auf, er nahm die Sünden der vielen hinweg und erbrachte Sühne für die Sünder.“

Johannes der Täufer, der letzte Prophet des Alten Bundes an der Schwelle zum Neuen Bunde, nimmt das auf, wenn er sagt: „Seht, seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt!“ Da ist die ganze Opfertheologie enthalten in diesen wenigen Worten: Seht das Lamm Gottes, das Opferlamm, das hinwegnimmt durch seinen Tod, sein Opfer die Sünde der Welt! Keiner hat deutlicher die Opfertätigkeit Christi ausgesprochen als der heilige Paulus. Im Epheserbrief sagt er: „Er hat sich für euch hingegeben, um euch von eueren Sünden zu erlösen.“ Und im 1. Korintherbrief heißt es: „Unser Paschalamm ist geopfert worden – Christus.“ Und wiederum im Römerbrief: „Diesen (nämlich Christus) hat Gott hingestellt als Sühnemittel durch den Glauben in seinem Blute.“ Hier ist alles zusammengefaßt an Opfertheologie. Diesen hat Gott hingestellt als Sühnemittel. In seinem Blute hat er dieses Opfer, diese Sühne vollbracht, und sie wird angeeignet durch den Glauben.

Christus selbst hat von seinem Opfer gesprochen, indem er von „Hingabe des Lebens“ und „Blutvergießen“ gesprochen hat. An einer dichten Stelle im Markusevangelium heißt es: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösepreis für viele.“ Hingabe des Lebens – das ist Opfer, nicht wahr? Lösepreis für viele – das ist Sühneopfer. Und in den Abendmahlsworten spricht er ja deutlich aus, daß dieses Opfer hingegeben wird für die Menschen. „Das ist mein Leib, der hingegeben wird für euch. Das ist das Blut meines Bundes, das vergossen wird zur Vergebung der Sünden für die vielen.“ Also der Herr selber steht zu seinem Opfer und bekräftigt die Worte: „Er ward geopfert, weil er selbst es wollte.“

Er war der Opferpriester nach seiner menschlichen Natur. Er war auch die Opfergabe. Seinen wunderbaren Leib hat er zum Opfer gegeben. Der Opferzweck war, den Vater im Himmel zu verherrlichen, statt des Hasses und der Sünde Liebe und Reinheit unübersehbar zu bezeugen. Und die Opferhandlung war die Hingabe seines Lebens am Kreuzesstamme. „Er ward geopfert, weil er selbst es wollte.“ Nicht ein Betriebsunfall, nicht ein tragisches Schicksal, sondern ein freiwilliges Opfer zur Sühne für die Sünden der Menschen.

Wenn wir diese Überlegungen anstellen, meine lieben Freunde, dann kann in uns nur eine große Dankbarkeit aufsteigen. Dank dafür, daß der Herr gekommen ist, daß er mit seiner menschlichen Natur Priester sein wollte, daß er sein Priesteramt ausgeübt hat am Kreuzesstamme als seinem Altare, daß er durch dieses heilige Opfer uns erlöst hat.

Wir danken dir, Herr Jesus Christ, daß du für uns gestorben bist. Ach, laß dein Blut und deine Pein an uns doch nicht verloren sein.

Amen.

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