Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Juni 1986

Die sieben Gaben des Heiligen Geistes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten uns vorgenommen, das Wirken des Heiligen Geistes in der Seele zu bedenken. An den vergangenen Sonntagen dachten wir nach über die Beistandsgnade und über die heiligmachende Gnade. Mit der heiligma-chenden Gnade kommt die Gefolgschaft derselben in die Seele. Diese Gefolgschaft nennen wir die Gaben, die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Die Gaben des Heiligen Geistes sind uns vermittelte Tüchtigkeiten. Sie bewirken, daß wir dem Einfluß des Heiligen Geistes Raum geben, daß wir uns von ihm erleuchten und antreiben lassen.

Es sind an der Zahl sieben. Die Zahl stammt aus dem Buche des Propheten Isaias. Da ist von den sieben Gaben des Heiligen Geistes die Rede: Weisheit, Wissenschaft, Verstand, Rat, Stärke, Frömmigkeit, Furcht des Herrn. Wir wollen im einzelnen sehen, was jede dieser Gaben in sich schließt und bedeutet.

An der Spitze steht die Weisheit. Die Weisheit bewirkt, daß wir die Vergänglichkeit der irdischen Dinge erkennen und Gott als das höchste Gut bejahen. Darin liegt hohe Weisheit, das Ziel zu kennen und um die Rangordnung der Werte zu wissen. Schon die Heiden haben eine Ahnung davon gehabt, was es um die Weisheit ist. Als der König Krösus sich rühmte, er sei der glücklichste Mensch wegen seines Reichtums, da gab ihm der weise Solon zur Antwort: „Niemand ist glücklich zu preisen, bevor er gestorben ist.“

Der Apostel Paulus bezeichnet alles Irdische als Kehricht, was im Vergleich mit den himmlischen Gütern also nichts wert ist. Und so haben alle Heiligen geantwortet und gehandelt, daß sie auf den Anruf Gottes hin alles verlassen haben, um Gott zu gewinnen. Sie waren eben getragen von der Gabe der Weisheit. Sie lehrt uns, das wahre Ziel zu erkennen und die Unterscheidung dessen, was diesem Ziel entgegensteht oder zu ihm führt.

Wissenschaft ist jene Gabe, die bewirkt, daß wir auch ohne Studium die Lehren des katholischen Glaubens in richtiger Weise auffassen. Nicht jeder kann Theologie studieren, es ist nicht einmal wünschenswert. Wir haben ja viel zu viele heute, die Theologie studieren. Als ich vor 26 Jahren nach Mainz kam, hatten wir etwa 140 Studenten. In den letzten Jahren waren es zeitweilig bis 900. Inflation ist immer schädlich, auch Inflation an Studierenden, selbst Inflation an Theologiestudierenden. Nein, wenn man die Gabe der Wissenschaft hat, dann braucht man das Studium nicht, dann faßt man die Lehre der katholischen Kirche dank dieser Begabung des Geistes richtig auf. So hat ein heiliger Pfarrer von Ars, der schweren Geistes war, die Gabe der Wissenschaft besessen und selbst Bischöfe unter seine Kanzel gezogen. Der heilige Thomas von Aquin, der ein Gelehrter ersten Ranges war, sagte, er habe mehr an den Stufen des Altares als aus Büchern gelernt. Und der heilige Ignatius von Loyola erklärte, er habe in der Höhle von Manresa, wo er mit Gott allein war, mehr gelernt, als alle Bücherweisheit ihm hätte beibringen können.

Das Studium soll nicht verachtet werden, es soll auch nicht geringgeschätzt werden. Jeder, der dazu berufen ist und dem es aufgetragen ist, soll sich mühen. Aber die anderen brauchen deswegen nicht zu verzagen. Es gibt ein Wissen, das vom Heiligen Geiste stammt, das ist die Gabe der Wissenschaft.

Die Gabe des Verstandes bewirkt, daß wir die Lehren der katholischen Kirche von allen falschen Lehren unterscheiden und begründen können. Das ist sehr wichtig, daß man diese Gabe der Unterscheidung hat, daß die Gabe des Verstandes uns die Unterscheidung lehrt. Heute wird Nebel verbreitet. Heute stehen Falschlehrer auf, die sagen: „Es ist alles eins, es ist alles gleich.“ Nein, das ist es gerade nicht! Es ist weder alles eins noch ist alles gleich, sondern es sind große, die größten Unterschiede, ja Gegensätze zwischen dem katholischen Glauben und der Lehre der anderen Religionsgemeinschaften. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: Ob die Ehe, die vollzogene christliche Ehe unauflöslich ist oder nicht, das ist ein gewaltiger Unterschied, und nach protestantischer Auffassung kann jede Ehe aufgelöst werden, jede. Es gibt keine unauflösliche Ehe. Das sind wahrhaft gewaltige Unterschiede! Und um sie zu erkennen, hilft die Gabe des Verstandes.

Der heilige Clemens Hofbauer war Bäcker von Beruf gewesen, bis er mit 21 Jahren anfing, Theologie zu studieren, um Priester zu werden. Natürlich konnte er sich das Wissen nicht mehr erwerben, das andere auf dem Gymnasium erlangt haben. Er ist deswegen stets wissenschaftlich ungenügend ausgebildet geblieben. Aber Bischöfe kamen zu ihm und baten ihn, ein Buch oder eine Lehre zu beurteilen, denn er hatte ein sehr sicheres Urteil, ob diese Lehre oder dieses Buch katholisch sei oder nicht. Er sprach immer davon: „Ich habe eine katholische Nase.“ Natürlich war nicht die Nase katholisch, sondern es war die Gabe des Verstandes, die in ihm war und die ihn lehrte, Richtiges von Falschem zu unterscheiden.

Die Gabe des Rates bewirkt, daß wir in schwierigen Lagen leicht erkennen, welches der Wille Gottes ist. Viele Menschen suchen dann Rat bei Menschen. Das ist ja nicht falsch, es ist auch nicht verboten. Aber die Gabe des Rates vermag menschlichen Rat zu ersetzen. Oder man soll sich an jemanden wenden, der die Gabe des Rates besitzt. Solche Gabe des Rates besaß beispielsweise Salomon. Als die beiden Frauen zu ihm kamen, die je ein Kind geboren hatten, von denen aber eines im Schlafe erdrückt war, da fällte er sein salomonisches Urteil, man solle das überlebende Kind teilen und jeder Frau die Hälfte geben. Er wußte genau, wenn er einen solchen Vorschlag macht, dann wird sich die Mutter rühren und wird sagen: Nein, lieber soll die andere das Kind behalten, als daß es getötet wird. Und so war es. Salomon hatte die Gabe des Rates. Auch Daniel besaß diese Gabe. Susanna wurde angeklagt von zwei alten Wüstlingen, daß sie sich vergangen habe mit einem jungen Mann. Susanna wurde zum Tode verurteilt und zur Steinigung geführt. Aber da erhob sich der Daniel und sagte: „Diese Männer haben falsches Zeugnis wider sie abgegeben.“ Alles war erstaunt, man ging zurück zum Gerichtsgebäude, die Verhandlung wurde noch einmal aufgenommen. Und dann hat die Gabe des Rates bewirkt, daß Daniel in wunderbarer prozessualer Kunst die beiden überführt hat. Zunächst trennte er die beiden Ankläger voneinander. „Sag,“ so fuhr er den einen an, „unter welchem Baume sahst du sie sündigen?“ „Unter einem Mastixbaume.“ Getrennt von diesem Manne vernahm er den anderen: „Sag, unter welchem Baume sahst du sie sündigen?“ „Unter einer Steineiche.“  Die beiden Männer gaben also ganz verschiedene Örtlichkeiten für den von ihnen beschriebenen Vorgang an; das konnte ja nun nicht stimmen; diese Widersprüche entlarvten die beiden alten Sünder. Jetzt wurden sie verhaftet und getötet, und Susanna ging schuldlos von dannen. Das war die Gabe des Rates, die Daniel zu eigen war.

Die Gabe der Stärke bewirkt, daß wir mutig alles ertragen um Gottes willen. Diese Gabe der Stärke brauchen wir Schwache notwendig, meine lieben Freunde. Wie leicht sind wir niedergeworfen, wie leicht verzagt, wie leicht durch Fährnisse aus der Bahn geworfen. Die Gabe der Stärke hilft uns, mutig alles auf uns zu nehmen, was Gott verfügt. So haben die Jünglinge im Feuerofen die Stärke besessen, lieber den Tod zu erleiden als dem ungerechten Gebot des Königs sich zu fügen. Die Gabe der Stärke ist uns Schwachen bitter notwendig.

Die Gabe der Frömmigkeit bewirkt, daß wir Gott in inniger Weise verehren und uns bemühen, seinen Willen zu tun. Frömmigkeit ist heute ein Fremdwort geworden. Nicht wahr, meine lieben Freunde, bei Gott aushalten, Gott suchen in andauerndem, anhaltendem Gebet, vor dem Tabernakel knien – ja, wer tut das denn heute noch? Sicher nicht die, die die großen Worte in unserer Kirche sprechen! Sicher nicht die, die in den Zeitungen stehen, sondern nur die Stillen im Lande, die nichts oder wenig zu sagen haben, ja die von anderen verachtet und ausgestoßen sind. Aber sie haben die Gabe der Frömmigkeit. Der Heilige Geist hat sie ihnen geschenkt, und sie haben sie aufgenommen, sodaß sie aushalten im Gebete. Der heilige Aloysius verbrachte Stunden vor dem Tabernakel, und sein Beichtvater mußte ihm befehlen, die Zeit abzukürzen wegen seiner schwachen Gesundheit und seiner sonstigen Pflichten. Er hatte die Gabe der Frömmigkeit, diese köstliche Gabe, meine lieben Freunde, die wir ersehnen und erflehen wollen.

Und schließlich die Gabe der Furcht, der heiligen Gottesfurcht. Sie bewirkt, daß uns Gottes Wille über alles geht, daß wir nichts mehr fürchten, als Gott zu beleidigen. So hat es einmal der heilige Franz Xaver ausgesprochen, als er die Missionsreise antrat: „Wir fürchten nichts, als die Beleidigung Gottes.“ Ja, das ist die Gottesfurcht. Nicht die Menschenfurcht. Menschen können einem auch viel antun, und die Furcht vor den Menschen ist häufig berechtigt, aber die Gottesfurcht muß über die Menschenfurcht siegen; denn Gott kann nicht nur töten, wie der Heiland sagt, Gott kann in der Hölle verderben. Das ist viel schlimmer als auf Erden Nachteile zu erleiden, das ewige Leben zu verlieren. Und deswegen soll die heilige Gottesfurcht in uns sein.

Freilich nicht bloß die knechtische Furcht. Die knechtische Furcht besteht darin, daß man die Sünde meidet, weil man dafür bestraft wird. Das ist kein sehr hohes Motiv. Es ist ein Motiv, das wirksam sein kann, aber es ist kein edles Motiv. Nur aus Furcht vor der Strafe das Böse meiden, das ist nicht vornehm. Wir sollen höhere Motive haben, nämlich aus Liebe zu Gott das Böse meiden. „Dich liebt, o Gott, mein ganzes Herz, und dies ist mir der größte Schmerz, daß ich erzürnt dich, höchstes Gut.“ Das ist die Liebe, die die Furcht nähren soll. Das ist die Liebe, die die Gottesfurcht tragen soll. Diese heilige Furcht soll in uns sein, damit wir nicht sündigen. Diese heilige Furcht soll uns antreiben, Schweres für Gott zu ertragen. Diese heilige Furcht soll uns befähigen, lieber alles zu verlieren, als Gott untreu zu werden.

Das sind die sieben Gaben des Heiligen Geistes: Weisheit, Wissenschaft, Verstand, Rat, Stärke, Frömmigkeit, Furcht des Herrn. Die ersten vier betreffen den Verstand, der dadurch erleuchtet wird, die letzten drei betreffen den Willen, der dadurch gestärkt wird. Es sollte kein Tag vergehen, meine lieben Freunde, an dem wir nicht rufen: „Komm, du Geist der Heiligkeit aus des Himmels Herrlichkeit, komm mit deiner Gaben Zahl!“

Amen.

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