Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Gnaden
19. Mai 1986

Die Beistandsgnaden

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am gestrigen Pfingstsonntag haben wir die Wesenheit des Heiligen Geistes uns vor Augen geführt. Heute und an den folgenden Sonntagen wollen wir sein Wirken uns klar machen. Der Heilige Geist ist von einer intensiven Wirksamkeit auf die Menschen. Am heutigen Pfingstmontag wollen wir ihn als den Spender der Wirkgnaden, der Beistandsgnaden uns vor Augen führen. Wir wollen die Lehre über die Beistandsgnaden, die der Heilige Geist schenkt, in fünf Sätze fassen.

Der erste Satz lautet: Der Heilige Geist gibt den Menschen oft Gnaden des Beistandes. Diese Gnaden des Beistandes tragen verschiedene Namen: Wirkgnaden, göttliche Einsprechungen, helfende Gnaden. Diese Ausdrücke wollen alle dasselbe sagen, nämlich daß der Heilige Geist den Menschen erleuchtet und stärkt, seinen Verstand erleuchtet und seinen Willen stärkt, daß er auf ihn einwirkt, damit er das Gute tut, daß er ihm Kraftimpulse gibt, damit er dem Willen Gottes gemäß lebt.

Solche Beistandsgnaden haben die Apostel am Pfingstfest empfangen. Vor dem Pfingstfest war für sie schwer zu begreifen, was das Christusereignis bedeutete. Der Herr tadelte sie, daß sie so langsam und schwerfällig seien. Nach der Begabung mit dem Heiligen Geist verstanden sie alles. Vorher waren sie furchtsam, mit Angst im Herzen saßen sie hinter verschlossenen Türen. Nach der Herabkunft des Heiligen Geistes wurden sie mutig und zogen hinaus in die Öffentlichkeit bis an die Grenzen der Erde. Das waren Wirkungen der Beistandsgnaden, der göttlichen Einsprechungen, die der Heilige Geist den Menschen oft im Laufe des Lebens verleiht.

Manchmal – und das ist der zweite Satz – werden diese Beistandsgnaden hörbar und sichtbar. Bei der Taufe Jesu kam der Heilige Geist in der Gestalt einer Taube über ihn herab und eine Himmelsstimme ertönte. Zu Pfingsten wurden Feuerflammen sichtbar, und ein Sturm fuhr daher. Alle diese Erscheinungen bedeuten natürlich etwas. Die Feuerflamme will sagen, daß der Heilige Geist die Herzen licht macht und daß er alles Niedrige und Gemeine verbrennt, wie es dem Feuer eigen ist. Und der Sturm will die Gewalt des Heiligen Geistes hervorheben. Der Sturm entwurzelt die Bäume und deckt Dächer ab. So machtvoll, das soll damit gesagt werden, wie ein Sturm ist, so machtvoll kann der Heilige Geist in dem wirken, der sich seinem Wirken öffnet.

Und dann der dritte Satz: Der Heilige Geist nötigt niemanden. Er zwingt niemanden, sondern er überläßt es dem freien Willen des Menschen, ob er die Gnade annimmt und mitwirkt oder ob er sie ablehnt und sich verweigert. Der Heilige Geist ist ein Liebhaber der Freiheit, und darum überläßt er es dem Menschen, ob er sein Herz öffnet oder ob er es ihm verschließt. Der Saulus, der vor Damaskus vom Heiligen Geist wie von einem Blitz getroffen wurde, hat mit der Gnade mitgewirkt. Er betete und fastete. Der Statthalter Felix hat sich der Gnade des Heiligen Geistes verschlossen. Das war der Mann, der Paulus gefangenhielt, und er ließ sich von Paulus predigen. Aber als Paulus vom Gericht und von der Keuschheit anfing, da brach er das Gespräch ab, da hat er sich der Einwirkung des Geistes verschlossen. Diese Verschließung kann zu der Sünde wider den Heiligen Geist führen. Was ist das für eine Sünde? Die Sünde wider den Heiligen Geist besteht vorzugsweise darin, daß der Mensch sich den Einwirkungen des Heiligen Geistes widersetzt, daß er nicht zur Wahrheit kommen will und daß er keine Kraftimpulse vom Heiligen Geiste empfangen will. Diese Sünde ist unvergebbar. Natürlich, das muß man dazusagen, nur so lange, wie der Mensch darin verharrt. Jede Sünde kann vergeben werden, wenn der Mensch bereut. Aber wer in dieser Sünde verharrt, der lebt in unvergebbarer Sünde. Wenn der Mensch sich dem Wirken des Geistes öffnet, dann zieht er Gnade um Gnade nach sich; und wenn er sich ihm verschließt, dann werden ihm auch noch die Gnaden genommen, die er schon hatte.

Der vierte Satz lautet: Die Beistandsgnade wird vom Heiligen Geist einem jeden Menschen gegeben. Die Beistandsgnade wird dem Sünder wie dem Gerechten gegeben, dem katholischen Christen wie dem Andersgläubigen, ja dem Ungläubigen. Beistandsgnaden erhält jeder Mensch. Das ist auch der Grund dafür, warum es möglich ist, daß auch Menschen, die nicht zum sichtbaren Verband der katholischen Kirche gehören, gerettet werden. Wenn sie mit der Gnade mitwirken, die ihnen in der Seele zuteil wird, dann können sie, falls sie schuldlos den Weg zur einen wahren Kirche nicht finden, beim Gericht gerettet werden. Wir bekennen diese Wirksamkeit des Heiligen Geistes in dem Glaubensbekenntnis, wenn wir sagen: „Der gesprochen hat durch die Propheten.“ Die Propheten waren keine Christen, sie haben ja vor Christus gelebt. Aber sie haben sich dem Wirken des Heiligen Geistes geöffnet, und so konnte sich der Geist ihrer bedienen als seiner Instrumente, als seiner Werkzeuge. Und nicht nur fromme Juden, Angehörige des auserwählten Volkes wurden mit der Beistandskraft des Heiligen Geistes begabt, nein, auch fromme Heiden. Wir dürfen vermuten, daß ein Mann wie der weise Sokrates vom Heiligen Geist bewegt war. Von Sokrates, der die Götter leugnete, weil er sagte: Es gibt nur einen Gott, und der deswegen zum Tode verurteilt wurde in Athen im Jahre 399, dürfen wir mit Recht vermuten, daß er sich den Beistandsgnaden des Heiligen Geistes geöffnet hat.

Die Beistandsgnaden wirken nicht immer, sondern es gibt eben vorzugsweise Zeiten, in denen sie gegeben werden: „Jetzt ist der Tag des Heiles!“ sagt der Apostel Paulus, „jetzt ist es Zeit, vom Schlafe aufzustehen.“ Auch sind die Beistandsgnaden nicht bei jedem Menschen gleich. Dem einen wird mehr, dem anderen weniger gegeben, ohne daß der, dem weniger gegeben wird, sich beklagen könnte, denn Gott ist frei, er ist der souveräne Herr. Er teilt aus, wie er will, er macht tot und lebendig. Das Geschirr kann sich nicht gegen den Töpfer erheben. Wem viel gegeben wird, von dem wird auch viel gefordert. Wenn die Gaben wachsen, dann wächst auch die Strenge der Rechnungslegung, und derjenige, der weiß: Ich habe fünf und nicht bloß zwei Talente empfangen, der muß in Sorge sein – in Sorge! –, ob er mit den fünf Talenten so gearbeitet hat, daß er fünf weitere dazugewonnen hat.

Der fünfte Satz lautet: Der Mensch kann sich auf den Empfang der Gaben, der Beistandsgnaden des Heiligen Geistes, vorbereiten. Er kann etwas dazu tun. Natürlich bleibt eine Gnade immer ungeschuldet, und niemals kann sie vom Menschen herbeigezwungen werden. Der Mensch hat kein Recht auf sie. Das ist ja das Wesen der Gnade; sie ist indebitum und superadditum – ungeschuldet und zum natürlichen Bestand hinzugefügt. Daran ist nicht zu rütteln. Aber der Mensch kann sich disponieren. Wie man vor einem Fest die Fenster putzt, damit das Licht hell und ungehindert in die Stube eindringen kann, so kann der Mensch auch seine Seele bereiten, sich vorbereiten auf den Empfang der Beistandsgnaden. So hat es das Konzil von Trient gegen die irrige Lehrmeinung des Herrn aus Wittenberg definiert.

Es gibt eine Vorbereitung auf die Gnade, indem man beispielsweise die Einsamkeit aufsucht und nicht das Leben wie ein Geschwätz verbringt; indem man gute Werke tut, Beten, Fasten, Almosen; indem man die Predigt anhört; indem man auf die Gelegenheiten achtet, die Gott schickt, damit wir innerlich erschüttert werden: Krankheiten, Tod, Not, erschütternde Erlebnisse – das alles soll uns zu Herzen gehen, das sollen wir uns zu Herzen nehmen, damit wir dem Heiligen Geist eine würdige Wohnstatt bereiten.

Ja, diese Beistandsgnaden, meine lieben Freunde, sie sind unser Glück und unser Trost, sie sind die Wegweiser und Kraftquellen auf dem Wege zum Himmel. Wir sollen sie erflehen und erbitten, uns auf sie vorbereiten und mit ihnen wirken. Die Beistandsgnaden bereiten uns für die Pilgerschaft zur ewigen Seligkeit. Selig der Mann, selig die Frau, die diese Gnaden, diese leisen Einsprechungen des Heiligen Geistes aufnehmen, mit ihnen wirken und auf diese Weise gottgefällig leben.

Amen.

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