25. Dezember 2004
Weihnachten – Licht in der Nacht (Teil 1)
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, in heiliger Weihnachtsfreude Versammelte!
Weihnachten ist heute, das Fest einer geweihten, einer heiligen Nacht. Deswegen wird diese Mitternacht auch durch eine feierliche Messe ausgezeichnet. Unsere Kindheit ist schon von dieser Weihnachtsmette erhellt und beglückt worden wie von einem überirdischen Wunder. Wie oft wir auch die mitternächtlichen Weihnachtsglocken über der Stadt gehört haben, und wie oft wir auch den Gesang der Engel vernommen haben, immer wieder ergreift es uns, wie denn eine höhere Welt uns berührte, das Wunder einer klingenden Stille und einer hell gewordenen Mitternacht.
In der kirchlichen Liturgie wird aus dem Buch des Propheten Isaias mit unbeschreiblicher Freude gesungen: „Lux orta est eis“ – ein Licht ist ihnen aufgegangen, denen, die in Finsternis und Todesschatten sitzen. Ein Licht in der Nacht, das ist der Inbegriff von Weihnachten. Denn es lässt sich nicht verheimlichen, dass wir Erwachsenen, die wir nicht mehr die Unbefangenheit der Kinder in uns tragen, auch an diesen Tagen von schweren Sorgen, Ängsten und Nöten bedrückt sind. Aber doch ist Weihnachten ein frohes Fest, ein froh machendes Fest, ein Fest, das in alle Herzen etwas von Freude senken will. So wollen wir also heute und morgen zwei Dinge betrachten, nämlich das Licht und die Nacht und dass da ein Licht steht in der Nacht.
„Ein Licht ist denen aufgegangen, die in Finsternis und Todesschatten sitzen.“ Ein Licht. Und ein solches Licht, meine lieben Freunde, ist ja schon unsere Weihnachtsstimmung und unser Weihnachtssymbol des gegenseitigen Schenkens. Da ist die Menschheit endlich einmal einig. Jeder ist besorgt, jeder gibt sich Mühe und denkt nach über die Wünsche der Mitmenschen, macht Aufwendungen und sogar große Verschwendungen, und zwar alles aus einem Geiste völliger Freiheit, aus dem bloßen Willen, zu schenken. Wenn auch da und dort ein hässlicher Zwang des Herkommens und der Notwendigkeit der allgemeinen Sitte mitspielen mag, es ist doch gewiß nicht alles hässlich, sondern es geschieht unendlich viel aus wirklichem Wohlwollen, aus reiner Liebe, aus wahrer Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit, was an Weihnachten geschenkt wird. Es war doch so schön, zu sehen in den vergangenen Tagen, wie die vielen Menschen mit Päckchen durch die Straßen eilten. Und dieses Schenken ist zwar nur auf einen einzigen Abend beschränkt, aber es ist doch schon einmal da, und das ist ein Licht. Das ist ein Licht in der Nacht. Und wenn dieses Schenken auch nur ein Symbol ist, ein Zeichen, ein sinnfälliges Zeichen für das, was man eigentlich geben möchte, nämlich das ganze Lebensglück und den Frieden und die Ruhe und die Freude, auch als bloßes Symbol ist doch dieses Schenken von lichter Reinheit, ist es nicht ein leeres und unfruchtbares Zeichen, sondern es wirkt auf unsere Gesinnungen zurück und durch unsere Gesinnungen auch auf unsere Beziehungen. Indem wir ein solches Symbol des Schenkens anwenden, werden wir, für den Augenblick wenigstens, besser. Ein ganz böser und unverbesserlicher Mensch könnte nicht einmal die Geste des Schenkens in schöner Weise machen.
Da ist also schon ein Lichtlein, das am Heiligen Abend über die ganze Erde hin und in allen Häusern und Stuben aufglüht. Aber dieses Lichtlein ist nur die äußerste Welt, der letzte sichtbare Schein eines noch viel stärkeren Lichtes, das am Heiligen Abend, wenn auch nicht in allen Herzen, aber doch in vielen strahlend steht. Unser gegenseitiges Schenken ist ja eigentlich nur die liebreiche Ausstrahlung jenes Lichtes, welches das göttliche Kind in seinen besten Jüngern und Jüngerinnen anzündet. Da uns dieser Knabe geboren, da uns dieses Kind geschenkt ist, werden die besten und gläubigsten Seelen auch von einem heiligen und überströmenden Willen, zu schenken, ergriffen. Da Gott uns sein Liebstes gegeben hat, wollen sie nicht zurückstehen und auch einander das Beste wünschen und schenken. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn für sie dahingab.“ Da muss man auch die Menschen lieben und sich für sie hingeben. Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes unter uns zunächst in einem Menschenkind, aber von da aus in zahllosen anderen, die von der Menschenliebe dieses Kinder ergriffen und erfasst werden. Ein gläubiger und gütiger Mensch braucht nur dieses Kind zu sehen, dieses Gotteskind, dieses zum Opfer und Dienst geborene Kind, und er wird von Liebe zu ihm ergriffen und vom Eifer, diesem Kinde zu helfen, dieses Kind lächeln zu machen, diesem Kind von Herzen wohl zu tun. Wer das will, der wird eben dadurch schon strahlend, gut und mitteilsam, der sprengt in solcher Liebe die Härte und den Geiz des eigenen Herzens. Und wenn er dadurch selbst arm werden müsste wie dieses Kind, er würde in froher Bereitschaft die Armut wählen, um andere reich zu machen.
Ach, sagt Ihr, das sind Märchen, Weihnachtsmärchen. Nein, meine Freunde, keine Märchen, keine Weihnachtsmärchen. Es hat doch Menschen gegeben, und es gibt sie immer noch, die aus Liebe zu diesem Kind das eigene Heim verlassen, die Habe aufgeben und ihre Behaglichkeit wegwerfen, um im Namen dieses Kindes den Menschen zu dienen. Es ist doch unsagbar viel Gutes und Liebes der leidenden Menschheit geschehen von denen, die dieses Kind in der Krippe verehren und die das Geschehen von Bethlehem auf den Altären jeden Tag oder jeden Sonntag neu feiern. Unendlich viel Gutes ist von solchen Menschen der Menschheit erwiesen worden.
Seht Ihr, diese begeisterte Menschenliebe, die sich am Geheimnis der Krippe entzündet, ist nur die ferne Welle, die von dem Krippenkind zu uns kommt, wie die letzte Strandwelle, die von einem Schiff, das weit in der Ferne vorbeifährt, noch an den Strand getragen wird. Es ist der letzte Schein einer beleuchteten Stadt, die ihre Lichter noch weit, weit über den Horizont schickt. Ja, es sind in zahllosen Herzen große Lichter angezündet worden von diesem Kind mit seinem seligmachenden Lächeln, mit seinen ausgestreckten Ärmchen. Die Lichter, die um dieses Kindes willen in zahllosen Menschen brennen, haben jahrhundertelang unzählige Menschen entflammt und über dieser dunklen Erde geleuchtet.
Also, das eigentliche Licht, die Quelle alles Lichtes der Weihnacht ist dieses Kind. Dieses Kind ist das Licht der Welt. „Ein Licht ist uns aufgegangen.“ Wie ein Licht ist dieses Kind aufgegangen, denn es ist die Verkörperung aller Liebe, der Gottesliebe. Es ist der personhafte Liebesbeweis des Erbarmers. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingab.“ So sehr. Es ist also die einfache Tatsache, dass Gott die Welt liebt, überboten. Das ist schon etwas Großes, etwas Gewaltiges, etwas Erschütterndes, dass die Gedanken Gottes über der Welt Liebesgedanken sind. Uns, die wir von ungeheurem Weltleid niedergedrückt sind, die wir gleichsam eingeschüchtert sind von den Qualen dieser Erde und kaum noch an die Liebe überhaupt glauben, uns ist es schon ein unbegreiflich süßes Licht, dass es das überhaupt gibt, Gottes Liebe über der Welt, dass ein Erbarmer lebt, dass Gottes Gedanken über der Welt Güte und Liebe sind, nicht Gedanken des Zornes. Wenn wir nur glauben können, dass Gott ein gütiger Gott ist und dass er diese Welt in guten Händen trägt, dann ist schon das Schwere und Dunkle dieses Lebens von einem Licht beleuchtet, dann können wir schon glauben, dass das Dunkle und Schwere einen guten Ausgang nehmen wird, dass auch das, was wir nicht verstehen, einmal uns erklärt werden wird.
Die Weihnachtsbotschaft bedeutet aber nicht bloß, dass Gott die Welt liebt, sondern dass er sie so sehr geliebt hat, dass er seinen eingeborenen Sohn uns geschenkt hat. Gott ist nicht nur ein gütiger Lenker über der Welt, er ist auch ein liebreiches Wesen in der Welt. Er ist ein Bestandteil dieser Welt geworden, ein Geschöpf, ein Mensch, ein Knecht, ein Pilger, ein Bedürftiger, ein Gekreuzigter. Er ist mit ihr verbunden zu gleichem Weg, auf gleicher Stufe. Er hat seine Macht, er hat seine Sache, seine Ehre in diese Welt eingesenkt. Nun ist also keine Rede mehr davon, dass alles auf dieser Erde nur Untergang und Dunkel und Vernichtung ist. Nein, es ist eine Stelle, auf die Gott niedergestiegen ist und die dadurch leuchtend geworden ist.
Meine lieben Freunde, wir haben die Botschaft der Weihnacht oft und oft gehört, und es kann, wie es unter Menschen geht, das häufige Hören uns abstumpfen. „Quoditiana vilescunt“, sagten die Lateiner. Das, was man täglich hat, mit dem man täglich umgeht, das wird allmählich zur Gewohnheit. Aber das darf es nicht werden. Es muss die Botschaft der Weihnacht immer etwas Unerhörtes und Ungeheuerliches bleiben. Sooft wir im Credo der heiligen Messe beten: „Er ist um unseres Heiles willen zur Erde herabgestiegen“, da neigen wir das Haupt und beugen das Knie, und das ist richtig so, denn das ist eine so ungeheure Tatsache, dass man nur in die Knie sinken kann.
Anton Bruckner war Organist in dem Stift Sankt Florian in Österreich. In der Christnacht hatte er gar wundersam die Orgel gespielt. Am Morgen suchte man ihn, denn er war nicht nach Hause gekommen. Man fand Anton Bruckner, wie er vor der Krippe kniete, und man fragte ihn: „Meister, was habt Ihr die ganze Nacht hier getan?“ Bruckner entgegnete: „Ich habe nur immerfort vor mich hingesagt: Er ist ein Mensch geworden, er ist ein Mensch geworden. Und da bin ich vor Staunen nicht fertig geworden.“ Das ist Weihnachtsfreude, das ist Weihnachtslicht, das sind Weihnachtsgedanken. Er ist ein Mensch geworden, und da bin ich vor Stauen nicht fertig geworden.
Amen.