Predigtreihe: Die Sakramente der Kirche (Teil 16)
10. Juni 2001
Das allgemeine Priestertum der Getauften
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir hatten erkannt, daß die Taufe den Täufling mit der priesterlichen Würde ausstattet. Daran ist nicht zu deuteln. Alle, die getauft sind, besitzen Anteil am allgemeinen, am gemeinsamen Priestertum. Es bleibt uns heute zu bedenken, wie sich dieses Priestertum auswirkt. Es ist ja eine Würde, zu der Gott den Getauften erwählt und durch die er befähigt wird, bestimmte priesterliche Akte zu setzen. Der Priester wird konstituiert durch das Opfer. Wer etwas anderes sagt, der redet am Priestertum vorbei. Man kann noch so viele Funktionen nennen, die dem Priester zugesprochen werden und die er ja auch zu verrichten hat, aber was ihn konstituiert, was ihn im Wesen bestimmt, das ist die Tatsache, daß er Opfer darbringt. Priestertum und Opfer sind zusammen geboren, sie müssen zusammen leben und dürfen nicht sterben.
So ist es auch beim allgemeinen Priestertum. Das allgemeine Priestertum wird konstituiert durch das Opfer; denn das allgemeine Priestertum ist wie das besondere Priestertum Teilnahme am Priestertum Christi, und Christus hat sein Priestertum ausgeübt im Opfer, zumal im Opfer des Kreuzes. Dieses Opfer aber hat er der Kirche vermacht; er hat es der Kirche übergeben, damit sie es als ihr Opfer dem Vater im Himmel darbringt. Und an diesem Opfer haben die Träger des allgemeinen Priestertums Anteil. Sie sind ohne Wenn und Aber Opferpriester und Opfergabe im heiligen Meßopfer. Gewiß im Anschluß an den opfernden Priester, der das Amt des Priestertums durch die Weihe empfangen hat, aber im Anschluß an diesen Amtspriester sind sie Opferpriester und Opfergabe.
Ich möchte Ihnen einige Lehrtexte der Kirche vortragen, die diese Wahrheit deutlich bezeugen. Papst Pius XI., der ja die besondere Berufung hatte, das Priestertum deutlich herauszuheben – ihm verdanken wir die große Enzyklika über das katholische Priestertum –, schreibt im Jahre 1928: „An diesem geheimnisvollen Priestertum und an der Aufgabe, zu opfern, haben nicht nur die Anteil, deren unser Hoherpriester Christus sich bedient, um die makellose Opfergabe darzubringen, sondern auch das ganze Christenvolk, das vom Apostelfürsten mit Recht ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum genannt wird. Deshalb müssen auch alle Christen, wie für sich, so auch für die ganze Menschheit Gaben und Opfer darbringen für die Sünden, ganz ähnlich wie jeder Priester und jeder Hoherpriester, der aus der Zahl der Menschen genommen ist, für die Menschen aufgestellt wird in ihren Angelegenheiten bei Gott.“
Sein Nachfolger, Papst Pius XII., hat diese Wahrheit in seinen großen Enzykliken „Mystici Corporis“ und „Mediator Dei“ unterstrichen. „Es gibt“, sagt er in diesen Enzykliken, „ein Priestertum in der Mittlerschaft und ein Priestertum, das allen Gläubigen zukommt, und die Gläubigen bringen, jeder für sich, die göttliche Opfergabe dar. Die Riten und Gebete“, so weist er darauf hin „der heiligen Messe bringen ja zum Ausdruck, daß die Darbringung des Opfers durch den Priester zusammen mit dem Volke geschieht.“ Das ist übrigens einer der Gründe. meine lieben Freunde, warum wir an der tridentinischen Messe festhalten, denn dort wird dieses Zusammen der Opferdarbringung durch den geweihten Priester und durch die Angehörigen des allgemeinen Priestertums deutlich ausgesprochen. So heißt es in dieser Messe: „Betet, Brüder, daß mein und euer Opfer wohlgefällig werde bei Gott, dem allmächtigen Vater.“ Dann weist der Papst hin, daß die Gebete, mit denen die göttliche Opfergabe Gott dargeboten wird, meist in der Mehrzahl gesprochen werden. Also der Priester und das Volk sind darin zusammengeschlossen. Mehr als einmal ist darin angedeutet, daß auch das Volk teilnimmt an diesem hochheiligen Opfer, insofern es dasselbe darbringt. So heißt es zum Beispiel: „Für sie bringen wir dir dar, und sie selbst opfern es dir. So nimm denn, Herr, wir bitten dich, diese Opfergabe huldvoll an, die wir, deine Diener und deine ganze Gemeinde dir darbringen. Wir, deine Diener, aber auch dein heiliges Volk, bringen deiner erhabenen Majestät von deinen Geschenken und Gaben ein reines Opfer dar, ein heiliges Opfer, ein makelloses Opfer.“ Und dann erklärt der Papst, daß es gar nicht zu verwundern ist, daß die Christgläubigen zu solcher Würde erhoben sind. „Durch das Sakrament der Taufe werden die Gläubigen in einem allgemeinen Sinn Glieder im mystischen Leibe Christi als Priester, und durch den der Seele gleichsam eingemeißelten Taufcharakter werden sie zur Gottesverehrung bestellt. Insofern nehmen sie ihrem Stande entsprechend am Priestertum Christi selbst teil.“
Freilich darf das nicht zur Verwirrung führen, und deswegen erklärt der Papst, die unblutige Hinopferung, in der durch die Wandlungsworte Christus im Zustand des Opfers auf dem Altar gegenwärtig wird, „ist das Werk des Priesters, des Amtspriesters allein“. „Aber in dieser Opferdarbringung im strengsten Sinne nehmen eben die Gläubigen auf ihre Art und in zweifacher Hinsicht teil. Sie bringen nämlich das Opfer dar nicht nur durch die Hände des Priesters, sondern gewissermaßen zusammen mit ihm.“ Nicht nur durch die Hände des Priesters, sondern gewissermaßen zusammen mit ihm.
Diese unbezweifelte Wahrheit ist dann auch wieder vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausgesprochen worden, wenn es erklärt: „In der Teilnahme am eucharistischen Opfer bringen die Gläubigen das göttliche Opferlamm Gott dar und sich selbst mit ihm. Sie übernehmen bei der liturgischen Handlung ihren je eigenen Teil, sowohl in der Darbringung wie in der heiligen Kommunion. Nicht unterschiedslos, sondern jeder auf seine Art.“
Und die Ritenkongregation hat dann gegen die falschen Meinungen, die in der Nachkonzilszeit aufgekommen sind, deutlich hervorgehoben, daß das eucharistische Opfer durch den Dienst der Priester dem Vater im Himmel dargebracht wird und daß an dieser Darbringung das ganze gläubige Volk teilnimmt. „An diesem Opfer der Danksagung, der Versöhnung, der Bitte und des Lobes nehmen die Gläubigen in vollerem Maße teil, wenn sie nicht nur mit dem Priester aus ganzem Herzen die heilige Opfergabe und in ihr sich selber dem Vater darbringen, sondern auch diese Opfergabe im Sakrament empfangen.“ Also, es ist gar kein Zweifel: Die Gläubigen sind Mitträger des heiligen Geschehens der Opfermesse. Sie sind beteiligt, indem sie sich an den Priester, den Amtspriester anschließen und mit ihm dem Vater im Himmel den göttlichen Sohn und mit dem göttlichen Sohn sich selbst darbringen. Sie sind Opferpriester, und sie sind Opfergabe.
Diese Hingabe, die sich im heiligen Meßopfer vollzieht, ist gewiß die höchste Weise, wie das Priestertum der Gläubigen ausgeübt wird; aber es ist nicht die einzige, denn das Opfer am Altare muß sich fortsetzen im Opfer des Alltags. Das sakramentale Opfer will ausgeweitet werden in den aszetischen Opfern. Die Christen werden aus der Hingabe nicht entlassen, sondern sie sollen diese Hingabe fortsetzen in den Opfern, die der Alltag von ihnen fordert. Also alles das, was uns aufgetragen ist: unsere beruflichen Pflichten, der Umgang mit den Menschen, die Besorgungen für andere, die Unpäßlichkeiten und Krankheiten, die uns begegnen, das alles ist unser tägliches Opferdienst. In der Nachfolge Christi vollziehen wir unseren Dienst als Priester Jesu Christi.
Eine ganz besondere Weise, in der die Gläubigen ihren priesterlichen Dienst verrichten, ist das Martyrium. Ja, das Martyrium ist Zeugnis für den Opferpriester Jesus Christus. In der Kirche muß immer das Martyrium seine Stelle haben. Die Kirche muß immer die wesentlichen Lebensformen, die in ihrer Gemeinschaft mit Christus begründet sind, leben. Und zu diesen wesentlichen Lebensformen zählt das Martyrium. Das Martyrium kann der Kirche nicht fehlen. Und so muß also die priesterliche Tätigkeit der Getauften im Martyrium ihren Ausdruck finden. Als die heilige Felicitas wegen ihres Glaubens im Kerker war, da hatte sie eine Frühgeburt, und sie jammerte ob der Schmerzen dieses Geschehens. Da sagte der Gefängniswärter zu ihr: „Wenn du jetzt schon so jammerst bei dieser Geburt, was wirst du erst tun, wenn du die wilden Tiere auf dich zukommen siehst?“ Da gab Felicitas zur Antwort: „Was ich jetzt leide, leide ich selbst. Wenn ich aber für Christus leide, dann leidet ein anderer in mir, für den ich leide.“ So ist es also. Im Martyrium schließt der menschliche Priester sich dem Opferpriester Christus an und bringt ihm sein Lebensopfer als Zeugnis für Christus dar.
Die Kirchenväter wissen noch von einem unblutigen Martyrium zu berichten, und zwar bezeichnen sie als unblutiges Martyrium die Jungfräulichkeit. Sie sagen: Die Menschen, die jungfräulich leben, die also auf das Ausleben des Geschlechtlichen verzichten, bringen ein unblutiges Lebensopfer dem himmlischen Vater dar. Sie vollziehen in ihrer jungfräulichen Lebensweise ihren priesterlichen Dienst. Ein Kirchenvater, Methodius von Philippi, erklärte diese Wahrheit wie folgt: „Die Jungfrauen haben ein Martyrium ertragen und nicht nur eine Weile und kurze Zeit körperliche Schmerzen erduldet, sondern ihr ganzes Leben hindurch haben sie gelitten und sind nicht müde geworden, den wahrhaft olympischen Wettkampf zu bestehen. Die vielfachen Versuchungen der Lust, der Furcht und der Schmerzen haben sie bestanden und was sonst dem Menschen Übles zukommt aus der Schlechtigkeit.“ Also auch im jungfräulichen Leben, in der freiwilligen, gottgeweihten Jungfräulichkeit wird priesterlicher Dienst vollzogen. Da stehen wir in hoher Achtung vor all jenen Frauen, die sich in Orden, Kongregationen und Säkularinstituten Gott geweiht haben. Ihr Dienst ist ein wahrhaft priesterlicher Dienst.
Aber auch die Ehe ist vom priesterlichen Tun des Christen nicht ausgenommen. Zunächst einmal sind ja die Ehegatten sich selbst Heilsträger, weil sie sich gegenseitig das Sakrament spenden und empfangen. Sie sind für sich selbst Heilsträger. Aber auch in ihrem Leben können und sollen sie ihren priesterlichen Dienst ausüben, indem sie nämlich die Liebe Christi nachahmen. Was ist denn das für eine Liebe? Das ist eine Liebe, die sich hingibt, die nicht begehrt, sondern die schenkt; das ist eine Liebe, die sich opfert. Und wenn sie diese Liebe in ihrem Leben verwirklichen, dann ist ihr Eheleben wahrhaft ein priesterlicher Dienst. Christus hat seine Kirche geliebt und sich für sie hingegeben. Seine Liebe ist das Vorbild für die eheliche Liebe. Wenn die Ehegatten ihre Ehe so begreifen, wenn sie ihr eheliches Tun in dieser Weise vollziehen, dann sind sie wahrhaft Priester im Sinne Christi und der kirchlichen Lehre.
Und noch eine letzte Auswirkung der priesterlichen Würde der Getauften gibt es, nämlich Krankheit und Tod. In der Krankheit ist der Mensch gebunden, da kann er nicht mehr über sich verfügen, da ist er gehemmt und gelähmt. Und wenn er zu dieser Hemmung und Lähmung ja sagt, wenn er sich in den Willen Gottes schickt, wenn er ergeben ist in Gottes Fügungen, dann vollzieht er seinen priesterlichen Dienst, dann wird diese Krankheit ein Opfer, und dieses Opfer wird von ihm als dem in Gemeinschaft mit Christus geborenen Priester dargebracht. Das Opfer der Krankheit vollendet sich im Tode. Wenn der Tod angenommen wird, wenn man bewußt in den Tod hineingeht, wenn man ihn aus der Hand Gottes entgegennimmt, dann vollendet sich das priesterliche Tun des Christen.
Wahrhaftig, meine Christen, das ganze Leben des Getauften ist, wenn es richtig geführt wird, priesterliches Tun. Der heilige Origenes erklärt in einer Homilie: „Jeder von uns hat in sich ein Brandopfer und zündet selbst den Altar seines Brandopfers an. Wenn ich allem entsage, was ich besitze und mein Kreuz aufnehme und Christus nachfolge, so habe ich ein Brandopfer dargebracht am Altare Gottes. Wenn ich die Liebe besitze und meinen Leib hingebe zum Verbrennen und die Glorie des Martyriums erwerbe, so habe ich mich selbst als Brandopfer dargebracht am Altare Gottes. Wenn ich meine Brüder liebe, so daß ich mein Leben hingebe für meine Brüder, wenn ich für die Gerechtigkeit, für die Wahrheit bis zum Tode streite, so habe ich ein Brandopfer dargebracht am Altare Gottes. Wenn ich mich durch die Abtötung meiner Glieder frei erhalte von jeder Begierde des Fleisches, wenn mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt, so habe ich ein Brandopfer dargebracht am Altare Gottes und werde selbst der Priester meiner Opfergabe.“
Amen.