17. August 2025
Johannes Gregor Mendel
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Gott hat seiner Kirche einen neuen Heiligen Vater geschenkt. Er gehört dem Orden der Augustiner-Eremiten an. In diesem klösterlichen Verband hat auch der Mönch gelebt, den ich Ihnen heute vorstellen möchte. Er ist mir seit der Kindheit vertraut, nicht zuletzt deswegen, weil er die Heimat mit mir gemein hat, Schlesien. Johann Mendel, der später den Klosternamen Gregor wählte, entstammt aus dem winzigen Weiler Heinzendorf (Hynčice) in Österreichisch-Schlesien, wo er am 20. Juli 1822 geboren wurde. Der Vater war Kleinbauer. Der Knabe wuchs in kargen Verhältnissen auf. Der soziale Aufstieg des Bauernsohnes gelang nur dank kirchlicher Förderung. Mendel besuchte die Schule seines Dorfes und wechselte 1834 auf das Gymnasium im schlesischen Troppau. 1841 bezog er die Universität Olmütz. Er begnügte sich nicht mit dem Studium der Philosophie und der Theologie. Er nutze das Vorlesungsangebot, um sich naturwissenschaftlich weiterzubilden. 1843 trat er in das Kloster St. Thomas des Ordens der Augustiner-Eremiten in Altbrünn ein. Es zog ihn wohl nicht allein aus Glaubensgründen unter das Dach der katholischen Kirche. Wie viele Novizen aus seinem Milieu lockte ihn auch die relative materielle Sicherheit. 1847 empfing er die Priesterweihe. Wie viele seiner Brüder wurde er nun im Schulwesen verwendet. Ab 1849 war er Gymnasiallehrer in Znaim, später Brünn. Znaim war bis 1918 zu 80% deutschsprachig. Brünn hatte bis ins 19. Jahrhundert eine zu 60% deutsche Bevölkerung. Als „außerordentlicher Studierender“ vervollkommnete Mendel sein Wissen zwischen 1851 und 1853 an der Universität Wien. Dort hörte er Pflanzenkunde, Physik und Mathematik. Er war ein vielseitig interessierter und gebildeter Mann mit besonderer Neigung zu den Naturwissenschaften. Im Augustinerstift setzte er seine naturwissenschaftlichen Studien nahtlos fort. Denn die Einrichtung galt damals nicht nur als geistliches, sondern auch als wissenschaftliches Institut. Der Brünner Obere spornte Talente wie Mendel an, sich als Forscher zu betätigen. Er freute sich über jede wissenschaftliche Leistung seiner Ordensbrüder. Das Stift bot Kollegs über Landwirtschaftslehre, Obstbau und Weinbau an, die Mendel fleißig besuchte. Nebenbei war er an der Brünner Realschule als Hilfslehrer für Physik und Naturgeschichte tätig. Er besuchte mehrfach internationale Kongresse und registrierte aufmerksam den Fortgang der Naturforschung. Mendel zählte zu den frühen Lesern von Charles Darwins „Über den Ursprung der Arten“ (1859). Er beschäftigte sich nicht allein mit Pflanzenzucht, sondern auch mit Meteorologie und Bienenzucht. 1868 wurde er zum Vorsteher des Klosters, also zum Prior gewählt.
1854 begann Mendel mit seinen botanischen Studien im Klostergarten zu Brünn. 1849 hatte der schwäbische Arzt und Botaniker Karl Friedrich von Gärtner (1772-1850) das Standardwerk für die Züchterkreise vorgelegt: „Versuche und Beobachtungen über die Bastarderzeugung im Pflanzenreich“. Darin konnte Mendel über 10000 Einzelversuche lesen, die an mehr als 700 Pflanzenarten vorgenommen worden waren. Er zog daraus den Schluss, dass sein Forschungserfolg von der Begrenzung abhängen würde. Er wählte daher nur die Erbse (Pisum sativum) und verfolgte bei seinen Kreuzungen sieben Merkmale: Form und Keimblatt des Samens, die Farbe der Blüte, Form und Farbe der Schote sowie Ort und Größe des Stengels. Nur aufgrund dieser methodischen Konzentration schien ihm das Ziel erreichbar, „ein allgemein gültiges Gesetz für Bildung und Entwicklung der Hybriden aufzustellen“. Hybrid heißt: aus Verschiedenem zusammengesetzt, gemischt; von zweierlei Herkunft; zwitterhaft. Wohlgemerkt: Gesetze für die Bildung kontrolliert gezogener hybrider Gartenpflanzen, nicht allgemeine Vererbungsgesetze suchte er zu finden. Aber das reichte, um von den Zeitgenossen als Pionier gewürdigt zu werden, als erster Botaniker, der bei der Kreuzung von Pflanzenarten und Pflanzenrassen statistisch-mathematisch formulierbare Regelmäßigkeiten bemerkte. Mendel machte acht Jahre lang Versuche mit Pflanzenhybriden. Er suchte nicht nach Vererbungsgesetzen. Es ging ihm primär um die Lösung praktischer züchterischer Probleme, die sich bei der geschlechtlichen Fortpflanzung von Hybriden (Bastarde oder Mischlinge genannt) stellten. Einige Züchter wollten die Fruchtbarkeit und die Beständigkeit von deren erworbenen Eigenschaften erkunden. Andere hielten bei ihren Kreuzungen geschäftstüchtigen Sinnes nach neuen Sorten Ausschau, die sich besser als die alten vermarkten ließen. Mendel kreuzte Varietäten derselben Pflanzenart (zunächst Gartenerbsen, später u.a. auch Gartenbohnen) und führte künstliche Befruchtungen durch. Aufgrund der über 10000 durchgeführten Experimente formulierte er die später nach ihm benannten Mendelschen Regeln für die Vererbung einfacher Merkmale. Dabei entdeckte er, dass das Erbgut aus voneinander unabhängigen Einheiten (Genen) besteht, die sich nach statistischen Gesetzlichkeiten mischen, spalten und neu kombinieren.
Mendel entdeckte bei seinen Studien an 28000 Pflanzen und mehr als 355 künstlichen Befruchtungen die zählbare Einheit der Vererbung, die wir heute als Gene bezeichnen. Er fasste seine Erkenntnisse in seinen drei „Mendelschen Regeln“ zusammen. Die von Mendel erkannten drei Grundregeln beschreiben die Weitergabe der Erbanlagen. 1. Uniformitäts- und Reziprozitätsregel: Werden zwei homozygote (einerbige) Eltern (P-Generation), die sich in einem oder mehreren Allelpaaren unterscheiden, miteinander gekreuzt, so sind alle Nachkommen der ersten Tochtergeneration (F1-Generation) genotypisch und phänotypisch gleich (uniform). Dies trifft auch für reziproke Kreuzungen zu. 2. Spaltungsregel: Werden heterozygote (mischerbige) Individuen (der F1-Generation) untereinander gekreuzt, so sind ihre Nachkommen (F2) nicht alle gleich. Sondern es treten neben heterozygoten auch homozygote Individuen in festen Zahlenverhältnissen auf, die wieder den Genotyp der Elterngeneration tragen. Dabei verteilt sich bei einem monohybriden Erbgang die Gesamtzahl der Nachkommen auf den ersten homozygoten Genotyp, auf den heterozygoten Genotyp und auf den zweiten homozygoten Genotyp im Verhältnis 1:2:1. Bei Dominanz eines der beiden Merkmale erfolgt eine phänotypische Aufspaltung im Verhältnis 3:1 (Dominanzregel; 75 % sehen einheitlich wie der Elternteil mit Dominanz aus, sind aber rein- und mischerbig im Verhältnis 1:2). 3. Unabhängigkeitsregel (Regel von der freien Kombinierbarkeit der Erbfaktoren, Regel von der Neukombination der Erbfaktoren): Werden Individuen miteinander gekreuzt, die sich in mehr als einem Gen voneinander unterscheiden (Mehrfaktorenkreuzung), so werden die unterschiedlichen allelen Gene unabhängig voneinander vererbt und sind dabei frei kombinierbar. Die 3. m. R. gilt nicht für Gene, die auf einer Kopplungsgruppe liegen.
Die Generation der Naturforscher, der Mendel angehörte, machte sich daran, zwischen Merkmal und Anlage zu trennen und für sichtbare Phänomene (wie die Ähnlichkeit von Individuen) nach unsichtbaren, aber empirisch messbaren und objektivierbaren Ursachen zu suchen. Im Inneren seiner Erbsen, so nahm Mendel an, müsse es unsichtbare „Gebilde“ geben, deren Wechselwirkung sich exakt berechnen lasse. Von Chromosomen ahnte Mendel noch nichts. Aber mit seinen Erbsenversuchen hat er einen ersten großen Schritt in das Jahrhundert des Gens getan. Die wichtigste Erkenntnis aus Mendels Experimenten war, dass das Erbgut aus voneinander unabhängigen Einheiten (Genen) aufgebaut ist, wodurch das Auftreten von Spaltungen und Neukombinationen erst erklärbar wurde. Der Begriff Genetik, unter dem man die wissenschaftliche Vererbungslehre versteht, war zu Lebzeiten Mendels noch nicht geläufig. Heute aber wird Mendel gern als „Vater der Genetik“ bezeichnet, da er die Grundprinzipien der Vererbung entdeckte. Mendel erkannte in seinen Kreuzungsversuchen auch den Mechanismus der Beständigkeit der Arten. Und das genau war es vielleicht, wonach er überhaupt suchte, und nicht den Mechanismus der Variation, der die Arbeit so vieler früher Züchter vorangetrieben hatte.
Mendel hat wenig getan, um seine fundamentalen Entdeckungen den Zeitgenossen zu vermitteln. Im Februar und März 1865 sprach er vor den Mitgliedern des Naturforschenden Vereins in Brünn und berichtete nur von „Versuchen mit Pflanzen-Hybriden“. 1866 erschienen seine beiden in Brünn gehaltenen Vorträge unter dem Titel „Versuche über Pflanzen-Hybriden“ im Druck. Eine gekürzte Fassung stand 1867 in der Wochenschrift des Gewerbevereins Bamberg. Mendels Forschungsergebnisse machten auf die Fachwelt keinerlei Eindruck. Sie gerieten sogar nach Anfeindungen in Vergessenheit. Sein grundlegendes Werk blieb bis 1900 unbeachtet. Erst in diesem Jahre entdeckten drei Botaniker unabhängig voneinander Mendels Schrift und erkannten ihren enormen wissenschaftlichen Wert: Carl Correns, Erich Tschermak und Hugo de Vries. Eine englische Übersetzung wurde eine Verbesserung des Originals (W. Bateson, Mendel`s Principles of Heredity, Cambridge 1909).
Mendels Genialität liegt in der Beschränkung auf ein Problem (Bastardisierung), der Untersuchung weniger Merkmale, der Prüfung der Reinheit des Ausgangsmaterials und besonders in der zahlenmäßigen Erfassung und Durchdringung. Seine Entdeckung hatte bahnbrechende Bedeutung für Botanik, Zoologie, Landwirtschaft, Humanwissenschaften und für das Verständnis der Evolution. Er hat den ersten Schritt zur Analyse der erblichen Struktur der Organismen und auch zur Klarstellung des Modus der Geschlechtsbestimmung getan. Er gilt als Begründer der Vererbungswissenschaft. Die Ursachen der genetischen Variabilität (Mutation und Rekombination) wurden erst mit Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln Anfang des 20. Jahrhunderts nachgewiesen. Die Geburtsstunde der Genetik als Wissenschaft wird jedoch mit den Arbeiten Mendels angesetzt. Mendels Arbeiten bildeten die Basis der experimentellen Genetik. Die Entwicklungslehre verdankt Mendel gewichtige Einsichten. Der Darwinist Gerhard Heberer (1901-1973) schreibt: „Seit Mendel wissen wir, dass die Erbfaktoren (= Gene) unbeeinflusst durch die Generationen weitergegeben werden und sich nur mutativ wandeln können.“ Ihm selbst blieb keine Zeit für die Fortsetzung seiner Forschungen; denn die Mitbrüder wählten ihn 1868 zu ihrem Prior. Dadurch ging er in den Aufgaben seines Amtes auf. Am 6. Januar 1884 ging Mendel in die Ewigkeit. Von Mendel ist nur wenig überliefert: ein paar Schriften und einige Briefe. Als er starb, hat man im Kloster gründlich aufgeräumt und alles verbrannt, was sich in seinen Unterlagen fand. Mendel ist in seiner Heimat nicht vergessen. Zwar wurden seine deutschen Landsleute aus ihrer Heimat in der Tschechei vertrieben. Doch sein Andenken wurde nicht ausgelöscht. Das Gehöft, in dem er zur Welt kam, wurde 2007 mit Hilfe einer deutsch-tschechischen Stiftung als Begegnungsstätte und Mendel-Museum hergerichtet. Es stellt anhand von Objekten, Fotographien, Dokumenten und Texttafeln Mendels Leben und Wirken vor. Mendel ist eine Zierde seines Ordens und seiner Kirche. Er war ein untadeliger Priester und ein hervorragender Gelehrter. Der Augustinerorden und die katholische Kirche sind gut beraten, wenn sie Mendel ein ehrenhaftes Gedächtnis bewahren.
Amen.