6. Juli 2025
Der Zusammenhang von Kreuzesopfer und Messopfer
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Eucharistie ist die Gedächtnisfeier und die Repräsentation (Bild) des Kreuzesopfers. Die Eucharistie ist ein Gedächtnis des Kreuzesopfers, indem sie zunächst ein Gedächtnis des Letzten Abendmahles ist. Nun war das Letzte Abendmahl eine Gedächtnisfeier des Todes Christi, in welcher der Tod vorweggenommen wurde. Darum ist die Eucharistie ein Gedächtnis des Kreuzestodes. In ihr wird der Tod Christi verkündet. Er wird jedoch erstlich nicht durch ein Wort verkündigt, sondern durch den Vollzug. Der Vollzug der Eucharistie bedeutet eine Darstellung des Todes Christi. So bekommt die Gedächtnisfeier den Charakter eines Bildes des Kreuzestodes.
I.
Zunächst soll der Charakter der Eucharistie als einer Gedächtnisfeier erörtert werden. Was ist unter dem Gedächtnis zu verstehen? Im Gedächtnis wird das Vergangene festgehalten. Jedes irdische Geschehen verfällt unrettbar der Vergänglichkeit. Wir können uns das Vergangene in unsere Erinnerung zurückrufen. So halten wir sein Gedächtnis psychologisch wach. Damit die Erinnerung nicht einschläft, kann das vergangene Ereignis durch ein Denkmal festgehalten werden. Dann entsteht Gedächtnis im objektiven Sinne. Das eucharistische Opfer ist eine wesentlich andere Form des Gedächtnisses. Der Gedächtnischarakter der Eucharistie würde unterschätzt, wenn man ihn bloß in einer dieser beiden Formen aufgehen ließe. Sie ist weder bloß psychologisches Gedächtnis im Sinne der Erinnerung noch bloß objektives im Sinne des Denkmals. Sie ist vielmehr Gedächtnisfeier eigener Art. In ihr verbinden sich sowohl das psychologische wie das objektive Moment zu einer höheren Einheit in einer geheimnisvollen Weise. Das psychologische Moment ist darin enthalten, insofern sich in der Eucharistie der Opfertod Christi nicht in seiner geschichtlichen Vollzugsweise darstellt. Das objektive Moment ist in ihm enthalten, insofern die Eucharistie nicht bloß ein intentionales, sondern ein wirklichkeitserfülltes Gedächtnis ist, eine Nachahmung des Todes Christi. In der Eucharistie erscheint durch das sakramentale Symbol der Tod Christi. Die Eucharistie ist eine sakramentale Epiphanie von Golgotha. Die Eucharistie ist ein Bild und daher ein Denkmal dessen, was auf Golgotha geschah. Aber es ist ein Bild von besonderer Qualität. Denn in dieses Bild wirkt das abgebildete Selbst hinein; es ragt in seine Abbildung hinein. In diesem Sinne sagen die Kirchenväter unzählige Male, Christus werde in dem sakramentalen Symbol selbst geopfert und geschlachtet. Im gleichen Sinne betet die Kirche am neunten Sonntag nach Pfingsten: „Wir bitten dich, Herr, lass uns immer würdig an diesem Geheimnis teilnehmen, da ja das Werk unserer Erlösung vollzogen wird, sooft wir das Gedächtnis dieses Opfers feiern.“ Das Geschehen des Kreuzesopfers ist also im sakramentalen Symbol-Drama auf eine geheimnisvolle Weise gegenwärtig. Der überkommene Fachausdruck für diese Wirklichkeit ist hostia.
II.
Zu dem von den Kirchenvätern viel gebrauchten Wort von der Schlachtung kommt noch die Kennzeichnung der Eucharistie als Bild des Kreuzestodes Christi. Das Bild ist nach diesem Verständnis die sinnenfällige Erscheinung einer verborgenen Wirklichkeit. Im Bilde strahlt die Wirklichkeit selber auf. Die abgebildete Wirklichkeit ist daher im Bilde selbst in einer schwer erklärlichen Weise gegenwärtig. Weil die Eucharistie ein Bild des Todes Christi ist, ist sie die Ausstrahlung, das Inerscheinungtreten des Todes Christi. Der Kreuzestod ist nach dieser Vorstellung in dem eucharistischen Opfer, seinem Bilde, selbst in irgendeiner Weise gegenwärtig. Nicht nur Christus in seinem Leiden, sondern das Leiden selbst, nicht nur die Frucht des Kreuzestodes, sondern der Vorgang selbst ist gegenwärtig, insofern dieses geschichtliche Ereignis im sakramentalen Symbol wirklichkeitsmächtig dargestellt wird, insofern es also in das Symbol-Drama hineinragt und hineinwirkt. Der Tod wird also gegenwärtig nicht in seinem geschichtlichen Vollzug, sondern in einer anderen geheimnisvollen Geschehensweise, eben in der Vollzugsweise des Mysteriums, des Sakramentes. Zu dieser Gegenwärtigsetzung gehören weder die Henkersknechte, noch die Marterwerkzeuge, noch auch ein neues Leiden und Sterben des Herrn. Das am Kreuz vollzogene Mysterium des Heils wird in einer nicht mehr unmittelbar dem Bereich der Erfahrung angehörigen Weise erfahrbar gegenwärtig. Weil diese die Erfahrung überschreitet, entzieht sie sich dem Zugriff unserer sinnlichen Erfahrung. Das in der Mitte der menschlichen Geschichte stehende Heilsmysterium des Kreuzestodes Christi strahlt über die ganze Welt hin. Sein Strahlen wird in der Eucharistie gewissermaßen aufgefangen und so tritt es in Erscheinung. Träger dieses wirklichkeitserfüllten Abbildes des Sterbens Christi sind der Leib und das Blut des Herrn selbst, und zwar insofern sie zusammen das eucharistische Opfer darstellen. Wie am geschichtlichen Christus das Heilswerk des Todes geschah, so wird an dem sakramentalen Leib und Blut Christi dieses Mysterium sinnbildlich dargestellt. Wir feiern in der Eucharistie das objektive Gedächtnis des Leidens des Herrn. Dadurch entsteht für die Kirche die Möglichkeit, zu opfern. Wir bringen dadurch ein Opfer dar, dass wir erstens die Heilstat Christi in einer Gedächtnisfeier gegenwärtig setzen und zweitens Leib und Blut Christi in der Teilnahme an seinem eigenen Opferakt dem himmlischen Vater darbringen.
Man kann die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Kreuzesopfer und dem eucharistischen Opfer vom sakramentalen Zeichen aus noch weiter verfolgen und so den Bildcharakter der Eucharistie tiefer verstehen. Aufgrund der Konsekrationsworte wird in der Eucharistie nichts anderes als der Leib Christi, und nichts anderes als das Blut Christi gegenwärtig. Dadurch dass Leib und Blut aufgrund des sakramentalen Geschehens getrennt sind, stellt die Eucharistie den Tod Christi dar, versinnbildet sie das Leiden des Herrn. Sie ist das Sakrament des Herrenleidens. Die Eucharistie ist ein wahres Opfer, weil der am Kreuze geopferte Leib und das am Kreuze geopferte Blut Christi als Opfergaben gegenwärtig werden, die wir, die Kirche, das Volk Gottes, dem himmlischen Vater darbringen. Wir opfern Leib und Blut Christi, indem wir an jener Hingabebewegung teilnehmen, in der Christus selbst Leib und Blut dem Vater dargebracht hat. Die Teilnahme an dieser seiner Opferbewegung wird durch die Eucharistie ermöglicht, insofern sie sakramentales Abbild des wirklichen Leidens Christi am Kreuze ist. Denn nach dem Grundsatz, dass das sakramentale Zeichen wirkt, was es bezeichnet, wird der im sakramentalen Zeichen dargestellte Opfertod Christi auch in einer geheimnisvollen Weise gegenwärtig, wenigstens insofern er mächtig wird über die Opferteilnehmer und diese so an ihm Anteil bekommen. Leib und Blut Christi werden durch den Vollzug des äußeren Zeichens als die am Kreuze dem himmlischen Vater dargebrachte und nun in der Eucharistie durch den Dienst der Kirche an ihn hingegebene Opfergabe gegenwärtig. Die Doppelkonsekration gehört somit zum Wesen des Messopfers. Nur durch die sakramentale Trennung von Leib und Blut (die durch die voneinander verschiedenen Gestalten von Brot und Wein angezeigt und daher für den sakramentalen Bereich auch bewirkt wird) kommt das eucharistische Opfersakrament zustande. Trotzdem darf man sagen, dass der Opfertod des Herrn schon durch die eine der zwei Wandlungen, sei es des Brotes, sei es des Weines, wenn sie nur auf die andere hinbezogen wird, im Zeichen real gegenwärtig ist. Der Grund liegt darin, dass die getrennte Darstellung des Blutes (durch die Gestalt des Weines) oder die getrennte Darstellung des Leibes Christi (durch die Gestalt des Brotes) ohne weiteres und notwendig die Trennung beider (des Leibes und des Blutes) und damit den blutigen Opfertod des Herrn darstellt und vergegenwärtigt. Nur so bleibt ja auch der Genuss des Leibes des Herrn unter der Gestalt nur des Brotes für sich allein die wirkliche Verkündigung des Todes des Herrn (1 Kor 11,26). Weil im Blutvergießen nach dem Zeugnis des AT (Ex 12 und 24,1-11) und der Einsetzungsberichte die Opferhingabe des Herrn am sichtbarsten verwirklicht wird, liegt auf dem das Blut versinnbildenden Element des Weines ein stärkerer Ton als auf dem Element des Brotes, wenngleich beide notwendig sind.
In jeder heiligen Messe beten Priester und Gemeinde unmittelbar nach der Wandlung: Wir bringen dem himmlischen Vater das Opfer seines Sohnes dar. Es wird dreimal mit demselben Wort bezeichnet: hostia. Dieses Wort ist zu übersetzen mit Schlachtopfer. Seine Erhabenheit wird ausgesagt mit den drei Adjektiven „rein, heilig, makellos“. Hostia ist die ursprüngliche Bezeichnung für die ganze Oblation von Leib und Blut unseres Herrn, nicht, wie heute, die Formel für die zu empfangende Gabe des verwandelten Herrenleibes, für die heilige Kommunion. Das Verständnis des Messopfers als hostia, als Schlachtopfer, ist fundamental, unbedingt notwendig und unaufgebbar. Der Schriftsteller Rudolf Krämer-Badoni war davon so überzeugt, dass er nach der Liturgiereform, zutiefst beunruhigt und verunsichert, zu mir kam und fragte, ob die Messe, nach den vorgenommenen Änderungen, noch eine hostia, ein Schlachtopfer sei. Nur unter dieser Voraussetzung könne er künftig die heilige Messe besuchen. Krämer-Badoni hat mit Recht darauf bestanden, Inhalt und Geschehen des Messopfers als hostia = Schlachtopfer zu bezeichnen. Christus wird notwendig als hostia bezeichnet, weil er durch die liebende Hingabe seines Lebens am Kreuz zur hostia, zum Opferlamm geworden ist. Die Kirche hat diese Kennzeichnung durch die Jahrtausende beibehalten, weil sie sachgemäß und zutreffend ist. Ausgerechnet in dem Augenblick, in dem die Gegenwart von Leib und Blut (und damit des ganzen Christus) auf dem Altar sichergestellt ist, spricht die Kirche dreifach von der hostia Christi, von dem reinen, heiligen, unbefleckten Opfer Christi. Josef Andreas Jungmann schreibt in seinem großen Werk „Missarum Sollemnia“ zu diesem Gebet: „Wir stehen (hier) vor dem zentralen Opfergebet der ganzen Messliturgie, vor dem primären liturgischen Ausdruck der Tatsache, dass die Messe ein Opfer ist“ (Jungmann II, 277). Das ist die katholische Kirche: Sie glaubt und bekennt so, wie sie schon vor 2000 Jahren geglaubt und bekannt hat. Allein wegen dieser Treue hängen wir und bleiben wir in dieser Kirche.
Amen.