Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Heilige
29. Juni 2025

Petrus und Paulus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

An einem einzigen Tage feiert die Kirche die beiden Apostel Petrus und Paulus. Sie waren nicht durch irgendwelche äußere Bande verbunden. Sie waren nicht leibliche Brüder, auch nicht durch besondere Freundschaft einander geneigt. Ihre Lebenswege waren in vielfacher Weise verschieden. Der eine kam zu Jesus schon unter den ersten Jüngern, die gewonnen wurden, der andere erst lange nach der Himmelfahrt des Herrn, als Jesus schon nicht mehr sichtbar auf Erden wandelte. Sie hatten auch ganz verschiedenen Charakter. Der eine war von nachgiebiger Art, der andere war ein Feuerbrand; der eine etwas furchtsam und ängstlich, der andere von rücksichtslosem Kampfgeist erfüllt. Der eine war ein Mann aus dem einfachen Volke, ein Fischer vom See Genesareth, der andere ein Schriftgelehrter, gebildet und weltgewandt. Freilich sind auch Ähnlichkeiten da, die so bedeutungsvoll sind, dass sie die Verschiedenheiten auszugleichen scheinen. Beide gingen durch das tiefe, dunkle Tal der Schuld; der eine, Petrus, in dem Fehltritt einer unseligen Stunde, die ihn überraschte; der andere Paulus, in dem hasserfüllten Verfolgerwillen seiner vorchristlichen Lebensperiode. Beide haben ihr Leben lang schwer getragen an der Bitterkeit ihrer Erinnerungen. Beide sind durch das Bewusstsein ihrer Schuld klein und still und reif geworden, wohl wissend, dass die Erbarmung des Herrn sie gerettet hat und dass sie nicht würdig waren, unter seinen Auserwählten zu sein. Beide gaben ihr Leben und Blut für den Meister, den sie über alles liebten. Es ist eigenartig, dass sie beide ihr Martyrium in Rom, der Hauptstadt der Welt, der Hauptstadt des Reiches Christi, vollenden mussten. Es war, als hätte die Christengemeinde von Rom, die „Vorsitzende des Liebesbundes Christi“, durch das Blut und den Geist dieser beiden Apostel zusammen genährt werden müssen. So ist auch die Erinnerung an diese beiden Apostel zu einer einzigen geworden. In den Gebeten der Kirche werden diese beiden immer zusammen angerufen; in den Festen, die dem einen gelten, wird immer auch der andere mitgeehrt.

Die Kirche hat ihre Erinnerung an diese beiden Apostel zu einer einzigen verbunden, weil sie erkannt hat, dass beide für sie eine einheitliche Bedeutung haben. Sie erkennt sie als ihre Glaubensboten und nennt sie Apostelfürsten. Jeder von ihnen besitzt einen Primat. Petrus trägt den Primat des Amtes, Paulus den Primat des Charismas, der lebendigen und begnadeten Persönlichkeit. Dieser doppelte Primat gibt dem Leben der Kirche ganz charakteristische Züge. Petrus hat seinen Primat erhalten durch ausdrücklichen Auftrag Christi. Jesus hat dem Simon Petrus den feierlichen, dreimal wiederholten Auftrag gegeben: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe.“ Er hat damit die Verheißung erfüllt: „Du bist Petrus, der Felsen, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ Und noch früher, schon beim ersten persönlichen Zusammentreffen, sagte ihm Jesus die bedeutungsvollen Worte: „Du bist Simon, der Sohn des Jonas, aber du sollst Petrus heißen.“ Die Ernennung Simons zum Felsen, der die künftige Kirche tragen sollte, hatte Jesus also schon mitgebracht, als er mit dem Jünger zum ersten Mal zusammentraf. Sie lag schon in den ewigen Tiefen der göttlichen Ratschlüsse und war unabhängig von den persönlichen Leistungen, Verdiensten oder Missverdiensten dieses Jüngers. Das Ver-sprechen, ihn zum Felsenfundament der Kirche zu machen, wurde ausgelöst durch das Bekenntnis des Glaubens, das Petrus abgelegt hatte. Und der Übertragung des Hirtenamtes über die Herde Christi ging die dreimalige Frage voraus: „Simon, Sohn des Jonas, liebst du mich?“ Diese Forderung des Glaubens und der Liebe sollte anzeigen, welche Geistes- und Herzensverfassung der Felsenmann, der die Kirche Christi trägt, besitzen müsse. Es sollte gezeigt werden, dass der erste, der dieses Amt erhalten sollte, kein Unwürdiger war. Freilich ein schwacher Mensch und ein schuldgebeugter Mensch, aber doch ein Mensch von hohem und festem Glauben und von demütiger, todbereiter Liebe. Der erste Papst war wirklich ein Heiliger.

Von anderer Art ist der Primat, den der heilige Paulus trägt. Dieser Spätberufene hat nirgends einen besonderen Auftrag erhalten außer dem allgemeinen apostolischen Befehl, dass er ein Werkzeug der Auserwählung sei, dass er den Namen Christi vor die Heiden und vor Könige und vor die Kinder Israels tragen solle und dass er viel leiden müsse um dieses Namens willen. Das war kein Auftrag und keine Bestimmung, die von dem allgemeinen apostolischen Amt verschieden gewesen wäre. Und doch hatte Paulus seine besondere Sendung, freilich nicht eine amtliche, sondern eine sozusagen persönliche, die in der Eigenart seiner Persönlichkeit lag. Paulus hat einen richtungsgebenden, bestimmenden und befruchtenden Einfluss geübt auf das werdende Christentum, wie ihn kein anderer Apostel geübt hat. Er hat die jungen Christengemeinden über die größte Gefahr, die ihnen damals drohte, hinweggerissen, nämlich die Gefahr, in den Fesseln der jüdischen Gesetzlichkeit stecken zu bleiben. Theoretisch wurde diese Frage auf dem Apostelkonzil entschieden durch Petrus und die übrigen Altapostel. Der Primat des Amtes, den Petrus hatte, hat die Unfehlbarkeit seiner Führung schon bei dieser ersten Entscheidung, die der erste Papst ex cathedra fällte, vollauf bewährt. Aber nun galt es, die amtliche Entscheidung des Apostelkonzils auch in der Praxis umzusetzen. Hemmungen, Widerstände und Gefahren schwerster Rückfälle waren dabei zu überwinden. Petrus begann unter dem Druck judenchristlicher Eiferer zurückzuweichen; Paulus widersprach ihm ins Antlitz und riss ihn mit dem gewaltigen Temperament seiner Persönlichkeit hinweg über alle Bedenken. Überall, wohin er kam, und in allen kritischen und gefährlichen Fragen wirkte Paulus entscheidend mit. Er war nicht so sehr der beamtete, als der geborene, nicht der bestellte, sondern der begnadete Führer des jungen Christentums. Als solcher hat er in der Tat, wie er selbst freimütig bekennt, mehr gearbeitet als alle übrigen Glaubensboten; er hat nicht nur dem Umfang nach, sondern auch der Art nach mehr gearbeitet. Er hat der Christenheit bis heute den Stempel seiner Weltweite, seiner Geistesfreiheit, seiner wahrhaften Katholizität aufgedrückt. Er besaß wirklich einen Primat, eine Führerstellung, eine überragende Macht. Es war die Macht seiner individuellen Persönlichkeit, der belebenden und befruchtenden Kraft seiner reichen und mitteilsamen Seele.

So wirkten schon zu Beginn der christlichen Geschichte diese beiden Formen des Führer-tums zusammen, um von da an niemals mehr zu erlöschen oder sich zu trennen. Der Primat des Amtes pflanzte sich dem Willen Christi gemäß fort von Petrus auf alle seine Rechtsnachfolger, von Papst zu Papst, über Heilige und Sünder, über Unwürdige und Heroen genialen Herrschertums, immerfort auf seinem Felsentum den Bau der Kirche tragend. Und auch der andere Primat, das Führertum der Persönlichkeit, sprang immer wieder hervor von einem Geistgewaltigen zum anderen, und seine Träger bilden eine lange Kette von Lichtsternen, die den Weg der Christenheit bezeichnen und erhellen und auch – an besonders kritischen Stellen – bestimmen. Zuweilen waren der Primat des Amtes und der Primat des Charismas vereinigt im gleichen Träger, in den großen, genialen Päpsten. Zuweilen waren die Träger des Charismas zugleich beamtete Hirten der Kirche und Teilhaber des Apostelamtes, wie etwa Augustinus oder einer der zahlreichen heiligen Bischöfe. Zuweilen aber waren die Träger des charismatischen Führertums nichts weiter als stille, unbekannte Beter, einsame Mönche und selbst Frauen, Klosterfrauen, Witwen und Jungfrauen, die wie Katherina von Siena selbst die Träger des amtlichen Primats beraten und bisweilen mit sich fortreißen durften.

Der amtliche Primat wie der charismatische Primat sind bis heute nicht erloschen. In Johannes Bosco, dem genialen Führer von jungen und schwer erziehbaren Menschen, und in Theresia von Lisieux, dem schlichten Kind, das nach seinem Tode zahllose Menschenseelen in Glut und Leben versetzte, seien nur zwei Beispiele genannt, wie auch heute noch der Primat der persönlichen Begnadung die Kirche führt. Die beiden Formen der Führung können und werden niemals verschwinden. Sie müssen einander stützen. Der Primat des Amtes ist es, der allein die unantastbare Autorität Gottes verkörpert. Er allein gibt dem Organismus der Kirche seine Festigkeit für alle Jahrtausende. Erst diese überpersönliche Vollmacht hebt die Kirche hinaus über den Moment und das Milieu, hinaus in das Ewige, Unbedingte und Notwendige. Und der Primat des Charismas bewahrt das feste Rechtsgefüge des Amtes vor Erstarrung und Versteinerung des Lebens. Die Kirche Christi verdankt unermesslich viel dem Hirtenamt, das Christus über sie gesetzt hat, in dem der Gute Hirt selbst sich auswirkt. Aber ebenso viel verdankt die Kirche ihren begnadeten Einzelpersönlichkeiten, ihren Heiligen, den Bahnbrechern der Seelsorge und der Nächstenliebe, den großen Leuchten des christlichen Geistes und Lebens.

Die Kirchengeschichte ist reich an großen und ergreifenden Erscheinungen, an entzücken-den und erschütternden Geschehnissen, an Licht und Finsternis, an Heroentum und Ärgernis, an Wundern und Alltäglichkeit. Aber zu den erstaunlichsten Offenbarungen dieser Geschichte gehört unzweifelhaft das Zusammenwirken von Petrus und Paulus, die Verbundenheit des zweifachen Führertums, das die Kirche regiert. An der Spitze der Menschheit gehen zwei Führer nebeneinander: Petrus und Paulus, die Hierarchie und das Charisma, die überpersönliche Autorität und Vollmacht und die persönliche Begnadung. Von diesen beiden wirklichen Weltmächten singt die Kirche: „Du hast sie als Führer gesetzt über die ganze Erde, o Herr. Und sie werden deinen Namen allezeit verkünden.“

Amen.

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