12. Juni 2005
Die natürliche Gottebenbildlichkeit des Menschen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Gott ist der Schöpfer aller sichtbaren und aller unsichtbaren Dinge. Wir hatten am vergangenen Sonntag über die unsichtbaren Geistwesen gesprochen, die wir Engel nennen. Wir haben heute ein Wort zu sagen über jenes Wesen, das Sichtbares und Unsichtbares in sich vereinigt, nämlich den Menschen, der aus Leib und Seele besteht. Gott hielt, als er den Menschen schuf, gewissermaßen inne und ging mit sich selbst zu Rate, denn er sagte: „Lasset uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis.“ Die Erschaffung des Menschen geschah aus dem Stoff der Erde und aus dem Odem Gottes, der in den Stoff eingehaucht wurde. Und so wurde ein Mensch aus beidem. Der Mensch ist aus dem Stoff der Erde und aus dem Odem Gottes gebildet. Die Heilige Schrift sagt uns ganz klar, dass Gott den Leib des Menschen geschaffen hat aus dem Stoff der Erde, und deswegen ist er vergänglich, aber als Gottes Werk, und deswegen ist er gut. Wenn im zweiten Schöpfungsbericht die Erschaffung des Menschen so dargestellt wird, dass Gott Lehm nahm und aus dem Lehm den Menschen bildete, dann ist das eine kindliche und bildliche Darstellungsweise. Gott arbeitet natürlich nicht wie ein Mensch. Der Töpfer macht es so und der Bäcker, der am Nikolaustage die Nikoläuse schafft, der arbeitet mit den Händen. Gott hat keine Hände; Gott ist ein Geist, und deswegen dürfen wir uns durch diese bildliche Redeweise nicht dazu verführen lassen, die Erschaffung des Menschen für ein Märchen zu erklären. Es wird hier eben, wie man Kindern und kindlichen Menschen die Schöpfung nahe bringen will, gesagt, dass Gott am Anfang steht und den Menschen geschaffen hat.
Und sein Leib ist ein Wunderwerk, ein Wunderwerk, über das wir uns nicht genügend informieren können. Denken wir an das Auge, meine lieben Freunde. Das Auge des Menschen ist der herrlichste Fotoapparat, den wir uns denken können. Er stellt die Entfernung von selbst ein, und zwar in einem Augenblick. Er öffnet die Blende je nach der Lichtstärke. Er nimmt auf der Netzhaut die Bilder auf, und zwar farbige Bilder, und sendet sie in das Gehirn und dort sind sie gespeichert, so dass wir nach Jahrzehnten noch wissen, wie unsere Eltern, die verstorben sind, aussahen. Denken Sie an das Ohr. Da ist das Trommelfell, an das die Schallwellen anschlagen. Wunderbar die Gehörknöchelchen, die die Wellen weiterleiten an das Hörwasser, das die Schwingungen aufnimmt und auf die Hörzellen zuleitet. Und diese sind auf bestimmte Schallwellen abgestimmt und vermögen so die verschiedenen Töne aufzunehmen. Oder denken Sie an das Gehirn mit seinen vielen Zellen. Hier werden die Sinnenbilder verarbeitet, und hier werden sie gespeichert. Denken wir an den ganzen Nervenapparat. Er ist nicht nur eine große Telefonzentrale. Man hat ausgerechnet, dass die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns, die Denkfähigkeit, so gewaltig ist, dass man, wenn man sie nachbauen wollte, einen Computer schaffen müsste, der so groß wie die Stadt Wien ist.
Das alles hat der Mensch von Gott überkommen. Sein Herz, das in der Minute siebzigmal pocht und das Blut durch den Körper treibt, die Nahrungsorgane und die Atmungsorgane: Wahrhaftig, ein Gotteswerk! Gott hat den menschlichen Leib aus den Stoffen der Erde gebaut. Wie das im einzelnen vor sich gegangen ist, wissen wir nicht. Die Naturwissenschaft versucht es zu erklären. Man spricht von langen, überlangen Zeiträumen. Nach den neuesten angeblichen Ergebnissen der Paläonthologie soll der homo sapiens, also der heutige Typ des Menschen, 196.000 Jahre alt sein. Die Zahlen wechseln und ändern sich immer wieder. Manche sprechen von Jahrmillionen, die der Mensch auf der Erde ist. Die Naturwissenschaft mag das erforschen. Aber ich sage noch einmal: Sie möge uns Ergebnisse vorlegen und nicht Hypothesen. Hypothesen sind Vermutungen, die etwas erklären sollen, aber sie sind keine Ergebnisse. Immer wieder geistert durch die Presse, auch durch die Schulbücher, die Mär, der Mensch stamme vom Affen ab. Meine lieben Freunde, dafür hat noch niemand einen Beweis zu erbringen vermocht. Was wir bisher an Funden in den Gesteinsschichten entdeckt haben, das sind entweder ganze Menschen oder ganze Affen. Das missing link, das Verbindungsglied, fehlt. Es gibt keinen Beweis dafür, dass sich ganz allmählich aus tierischen Vorfahren der Mensch entwickelt habe. Wenn ein solcher Beweis möglich wäre, würden wir vom Glauben her keinen Einspruch erheben. Warum soll Gott nicht einen tierischen Leib benutzen, um daraus einen Menschen zu machen? Er haucht ihm eben die unsterbliche Seele ein. Aber ebenso viele Gelehrte, wie jene, die behaupten, es gebe eine solche Evolution, behaupten das Gegenteil. Ich erwähne etwa den Genetiker Sermonti, der schreibt: „Es gibt keinen Beweis dafür, dass der Mensch von irgendeinem primitiven Tier, wie immer es auch heißen mag, abstammt.“ Ein anderer Gelehrter erklärte: „Es ist Tatsache, dass nach intensiven Forschungen während zweier Jahrhunderte für die Evolutionstheorie nur sehr wenige und dabei höchst fragwürdige Beweise gefunden sind. Es gibt keine unwiderlegbaren Beweise. Die Vorstellung einer allmählichen Entwicklung des Menschen entbehrt jeder Grundlage und muss entschieden zurückgewiesen werden.“ Also mögen sich die Naturwissenschaftler streiten. Uns kann es nicht irremachen in der Überzeugung, dass Gott den Menschen geschaffen hat, ob aus Urstoffen oder ob aus einem belebten Wesen, das ist gegenüber der fundamentalen Wirklichkeit der Schöpfung Gottes gleichgültig.
Der Mensch ist aber nicht nur ein Leib, er hat auch eine Seele. „Laßt uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis.“ Er ist Gott ähnlich, und er ist Gott ähnlich vor allem und zuerst durch seine Seele. Die Seele durchdringt ja den menschlichen Leib und befiehlt ihm, sie baut ihn auf und gibt ihm Leben. Die Seele ist nicht an einem bestimmten Orte des Leibes festzulegen, etwa im Gehirn. Nein, die Seele durchdringt den ganzen Leib, und sie ist an jedem Teile des Leibes gegenwärtig. Sie gibt ihm Leben, und sie gibt ihm Wachstum.
Die Seele des Menschen hat drei wesentliche Eigenschaften, nämlich Vernünftigkeit, Freiheit und Unsterblichkeit. Wie reich macht uns die Gabe der Vernunft, unser Verstand, unsere Urteilskraft, unser Wissen! Denken wir an die Sprache! Die Tiere können auch Laute von sich geben, aber sie haben keine Sprache. Diese Laute drücken ihre natürlichen Bedürfnisse aus, aber sie bilden keine Kultur. Niemals hat eine Affenfamilie eine Literatur ausgebildet. Der Mensch dagegen besitzt die Sprache, seine eigene, und er kann fremde Sprachen sich aneignen. Er kann die Sprache in Zeichen setzen; es gibt eine Schrift. Und er kann die Sprache übertragen durch wunderbare Geräte, die sie in einem Nu von einem Ende der Erde bis ans andere tragen, im Fernsprecher, im Rundfunk, im Fernsehen. Der Mensch steigt mit seiner Vernunft in die Schächte der Erde. Er holt die Kohle heraus und das Erz, das Öl und das Gas. Er spannt die Tiere ein und benutzt die Kräfte der Erde für seine Zwecke. Er ist Herr der Vernunft. Auch die Tiere haben eine gewisse Intelligenz. Es gibt eine tierische Intelligenz, aber diese Intelligenz beschränkt sich auf die Triebe, die sie für die Erhaltung und für die Fortpflanzung benötigen. Erhaltung und Fortpflanzung sind die Zwecke, denen ihre Triebe dienen. Selber denken und erforschen, überlegen und erfinden kann das Tier nicht. Die Schwalbe baut ihr Nest heute noch genau so, wie es im Buche Tobias Hunderte von Jahren vor Christi Erscheinen beschrieben wird. Und die Bienennester sind heute noch dieselben, haben dieselbe Bauweise, wie wir sie in den Pyramiden von Ägypten finden. Es gibt keinen Fortschritt. Die Katze weiß, was Wärme ist und sitzt gern am warmen Ofen. Sie sieht den Menschen hundertemal, wie er Kohle einlegt oder Holz, aber wenn das Feuer ausgeht, ist keine Katze fähig, es wieder anzufachen, indem sie Kohle oder Holz nachlegt. So ist es auch mit anderen Tieren. Natürlich spricht der Papagei, den man abrichtet, die Worte nach; aber er versteht sie nicht. Auch die Affen kann man abrichten, selbstverständlich. Ich habe immer die Empfindung, dass man den Affen zu viel zutraut. Andere Tiere sind genauso intelligent oder noch intelligenter. Denken Sie an die Delphine, denken Sie daran, was man den Delphinen alles beibringen kann. Und doch wird niemand sagen, dass wir von den Delphinen abstammen. Was die Tiere können, das geschieht durch ihre tierische Intelligenz und durch ihr tierisches Gedächtnis, sich manches aufzubewahren, was sie dann weitergeben, aber das ist kein Denken. Das Tier spricht nicht, und das Tier rechnet nicht, und das Tier liest auch nicht. Es fehlt ihm die Vernünftigkeit, es fehlt ihm die geistige Seele. Der Mensch dagegen dringt von den Erscheinungen vor zu den Ursachen. Er ist fähig, das Wesen und den Grund von Wirklichkeiten zu entdecken. Er baut die Wissenschaft. Niemals hat eine Flunder oder hat ein Hund eine Wissenschaft entwickelt.
Der Mensch ist vernünftig. Er ist auch frei. „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und wär’ er in Ketten geboren“, hat Friedrich Schiller einmal geschrieben. Die ganze Natur ist anders. Ihr sind die Gesetze eingeschaffen, denen sie mit Notwendigkeit folgen muss. Die Sonne muss leuchten, die Erde muss sich drehen, der Mond muss seine Bahn ziehen. Sie können nicht bestimmen, ob sie wollen oder nicht, denn sie haben kein Wollen. All die großen Himmelskörper, die Riesensonnen des Weltalls stehen unter dem Gesetz des Müssens. Die Pflanzen müssen blühen und Früchte tragen und welken. Die Tiere müssen ihren Trieben folgen, also dem Nahrungstrieb und dem Fortpflanzungstrieb, sei es aus Angst vor der Peitsche oder aus Lust nach der Nahrung. Der Mensch kann frei wählen und sich frei entscheiden. Er kann Ja und Nein sagen, wie er will, weil er eine geistige Seele hat. Der Mensch hat die Freiheit, und er liebt sie. Er liebt sie so sehr, dass er oft lieber den Tod wählt als sich von anderen quälen zu lassen.
Dieser Tage berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung von einem Forscher namens Benjamin Libet. Ich spreche es so aus, wie es geschrieben wird: Benjamin Libet. Dieser Forscher in Kalifornien hat jahrzehntelang den Determinismus vertreten, d.h. also die Lehre, wonach der Mensch nicht frei ist, sondern den aus seinem Befinden kommenden Antrieben gehorcht und gehorchen muss. Inzwischen hat er sich zu einer anderen, zu einer besseren Ansicht bekehrt. Er sagt: „Der Determinismus beruht auf einer Ideologie. Er ist eine Erfindung. Er ist nicht ein Ergebnis der Wissenschaft, sondern er ist von Menschen erfunden, die im Banne ihrer dürftigen Kenntnisse die Willensfreiheit leugnen. Er ist eine unbewiesene Theorie.“ So sagt Benjamin Libet. Dieses eine Beispiel mag genügen dafür, dass wir es uns nicht einreden zu lassen brauchen, dass der Mensch nicht frei sei. Meistens steht dahinter eine Absicht, nämlich die Absicht, mit der Freiheit auch die Verantwortung zu leugnen. Wenn der Mensch nicht frei ist, braucht er sich auch nicht zu verantworten. Und wenn er sich nicht zu verantworten braucht, dann braucht er ein Gericht nicht zu fürchten. Diese Absicht steht häufig, vielleicht meistens hinter solchen Leugnern der Willensfreiheit.
Schließlich besitzt der Mensch die Gabe der Unsterblichkeit. Die Seele ist unsterblich. Die Menschenseele kann nicht sterben, denn sie ist geistig. Ein geistiges Prinzip kann sich nicht auflösen, weil es nicht aus Teilen zusammengesetzt ist, und der Zerfall eines jeden zusammengesetzten Wesens geschieht eben durch Auflösung in die Teile. Nein, die Menschenseele kann innerlich nicht zerfallen, und sie kann äußerlich nicht zerstört werden, weil Gott es nicht verantworten kann, die Seele des Menschen dem Nichts zu überliefern.
Eine glänzende Bestätigung für die Andersartigkeit des Menschen gegenüber allen Tieren liefert die Heilige Schrift. Sie beschreibt nämlich, wie Gott alle Tiere vor den Menschen führte und ihm gewissermaßen überließ, ob er sich damit einen Gefährten aussuchen wolle. Aber so viel Tiere auch der Mensch kennen lernte, es war keines darunter, das ihm ein Gefährte hätte sein können. Da fasste der Herr und Schöpfer den Entschluß: „Wir wollen dem Menschen eine Gefährtin machen, die zu ihm passt.“ Und er schuf dem Adam die Eva. Natürlich ist auch hier in kindlicher Weise beschrieben, wie Adam und Eva, wie Mann und Frau zusammengehören. Deswegen sagt die Schrift: „Gott nahm eine Rippe aus dem Adam und bildete daraus die Eva.“ Das ist nicht wörtlich zu verstehen, das ist schon nach Augustinus eine allzu kindliche Vorstellung, wenn man es wörtlich verstehen wollte. Nein, darin ist ausgedrückt die innige Zusammengehörigkeit von Mann und Frau. „Das ist endlich Bein von meinem Bein“, sagt Adam, als er Eva zugeführt bekommt. Das ist endlich die Partnerin, die Gefährtin, die er sucht und die er braucht. So hat Gott also den Menschen geschaffen und das Wunderwerk seiner Schöpfung vollendet. „Gott, wie wunderbar sind alle deine Werke! Seh’ ich den Himmel an, das Werk deiner Hände, das Werk deiner Finger, was ist der Mensch, dass du sein gedenkst? Alles hast du mit Weisheit geschaffen.“
Amen.