24. April 1994
Das falsche Verständnis der Eucharistie
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Am vergangenen Sonntag haben wir uns das Papier „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ vor Augen geführt. Wir haben die schwerwiegenden Mängel dieser von protestantischen und katholischen Theologen gemeinsam erarbeiteten Studie erkannt. Wir wollen am heutigen Sonntag den Teil dieser Ausarbeitung ins Auge fassen, der sich mit der Eucharistie beschäftigt, und wollen in sechs Punkten einzelne Gegenstände dieser Gesamtmaterie ins Auge fassen.
An erster Stelle das Meßopfer. Die katholische Lehre ist klar. Die Messe ist ein wahres und eigentliches Opfer. Im Meßopfer wird das Kreuzesopfer Christi vergegenwärtigt. Es wird das objektive Gedächtnis dieses Kreuzesopfers gehalten, es wird seine Heilskraft zugewendet. Das Opfer Christi am Kreuze und das Meßopfer sind real identisch, denn es ist derselbe Opferpriester – Christus, es ist dieselbe Opfergabe – Christus. Verschieden ist nur die Weise der Darbringung, blutig am Kreuze, unblutig im Meßopfer. Damit das Kreuzesopfer gegenwärtig wird, ist die Kirche notwendig daran zu beteiligen. Das Opfer Christi muß ja das Opfer der Kirche werden, wenn sie davon Gewinn schöpfen will. Sowohl bei der Vergegenwärtigung wie auch beim Gedächtnis und bei der Zuwendung ist die Kirche beteiligt. Diese Beteiligung der Kirche zeigt sich im Offertorium, also bei der sogenannten Opferbereitung, darin, daß hier die Opferelemente bereitgestellt, Gott angeboten und mit unserem Selbstopfer verbunden werden.
Das Opfer der Kirche zeigt sich weiter im Gabengebet. Dann wird nämlich die Gabe der Kirche Gott so dargeboten, daß sie übergeführt wird in das Opfer Christi, daß sie mit himmlischer Heilskraft erfüllt und von Gott gnädig angenommen wird. Nach der Wandlung, wenn das Opfer Christi, das Opferlamm auf dem Altare liegt, bietet die Kirche dieses Opferlamm dem Vater an, bringt es dem Vater dar, geht also in die Opferhingabe Christi ein und bittet um die heilbringenden Früchte dieses Opfers.
Der Protestantismus lehnt den Begriff des Opfers radikal ab. Er erkennt kein anderes Opfer als das Kreuzesopfer an; die Messe ist für ihn ein bloßes Gedächtnis, indem die Gläubigen eben zusammenkommen, um dessen zu gedenken, was Christus am Kreuze für uns getan hat. Das ist auch etwas. Das ist sicher etwas Schönes und etwas Erhebendes, aber es ist total verschieden von dem, was sich auf dem Opferaltar in einer katholischen Kirche vollzieht, nämlich von der Erneuerung des Kreuzesopfers in der Gestalt des Opfers der Kirche.
Es ist unerfindlich, wie man behaupten kann, die Gegensätze im Verständnis der Eucharistiefeier seien im wesentlichen ausgeräumt, die Verwerfungen seien überholt, und es habe sich eine Annäherung vollzogen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Protestanten des 16. Jahrhunderts standen uns näher als die heutigen; denn diese haben sich von den Protestanten der damaligen Zeit weiter entfernt.
Der zweite Gegenstand ist die Transsubstantiation, die Wesensverwandlung. Jedes Kind, das den katholischen Katechismus gelernt hatte, hatte vor dem Konzil eine Ahnung von dem, was wir Transsubstantiation nennen, daß sich eben etwas in geheimnisvoller, der Erfahrung nicht zugänglicher Tiefe ändert, während für den Augenschein und für das Tasten und Fühlen die äußeren Akzidenzien erhalten bleiben. In einer überempirischen Wirklichkeit vollzieht sich eine Metabolae, also der Übergang von einem Wesen in ein anderes, und das hat die Kirche seit dem IV. Laterankonzil von 1215 mit dem Wort Transsubstantiation bezeichnet. Dieses Wort ist für die Wiedergabe dessen, was in der Messe geschieht, unentbehrlich! Es ist so unentbehrlich, daß sich Papst Paul VI. bemüßigt gefühlt hat, eine eigene Enzyklika darüber zu schreiben, weil das II. Vatikanische Konzil das Wort vergessen hatte. Die Autoren dieser Studie berufen sich nun auf das II. Vatikanische Konzil und sagen, die Auslassung des Wortes sei eine Distanzierung, also ein Sich-Absetzen vom Begriff und natürlich auch von der Sache der Transsubstantiation. Nein, sagt Paul VI. in seiner Enzyklika über die Eucharistie: Das Wort Transsubstantiation ist richtig und wichtig, ja es ist notwendig und unentbehrlich und unaufgebbar! Man hat nicht den Inhalt dessen, was in der Messe geschieht, wenn man dieses Wort vermeidet.
Der Protestantismus lehnt Wort und Sache ganz entschieden ab. In einer seiner Bekenntnisschriften, im „Heidelberger Katechismus“, heißt es in der Frage 78: „Werden Brot und Wein zu Leib und Blut Christi?“ Antwort: „Nein! So wenig bei der Taufe das Wasser in das Blut Christi verwandelt wird und selbst die Sünden abwäscht, so wenig wird beim Abendmahl das heilige Brot in den Leib Christi verwandelt, obwohl dabei vom Leib Christi gesprochen wird.“
An diesem Beispiel mögen Sie erkennen, daß schon die sogenannten Reformatoren des 16. Jahrhunderts den Begriff und die Sache der Transsubstantiation verworfen haben. Wenn Luther auch mit anderen Worten dieses Geschehen ablehnt, so ist doch Ablehnung auch bei ihm vorhanden. Er hat die sogenannte „Impanationslehre“ erfunden, wonach in, mit und unter dem Brot der Leib Christi gegenwärtig sein soll, eine Verlegenheitsauskunft, mit der er sich eben von der katholischen Kirche absetzen wollte. Ich verstehe nicht, wie man behaupten kann, die Gegensätze zwischen katholischer Lehre und protestantischer Ansicht in bezug auf das, was in der heiligen Messe geschieht, seien überholt.
Die Transsubstantiation bringt nämlich drittens die sogenannte Realpräsenz hervor. Realpräsenz heißt wirkliche Gegenwart. Aber die Worte allein „wirkliche Gegenwart“ machen keinen Konsens aus. Auch wer dieselben Worte gebraucht, stimmt in der Sache noch lange nicht überein. Unter Realpräsenz versteht die katholische Kirche mit ihrem geistgeleiteten Lehramt die wirkliche Gegenwart von Fleisch und Blut, von Leib und Seele, von Menschheit und Gottheit Christi. Fleisch und Blut, Leib und Seele, Gottheit und Menschheit sind gegenwärtig, und zwar Leib und Blut kraft des Aussprechens der Wandlungsworte, das Blut mit dem Leib und der Leib mit dem Blut sowie beides mit der Seele Jesu durch Konkomitanz, durch Begleitschaft, und die Gottheit durch die hypostatische Union, durch die Verbindung von Gottheit und Menschheit in der Menschwerdung des Logos.
Die protestantische Auffassung ist davon weit verschieden. Für die Protestanten ist die Gegenwart mehrheitlich eine Gegenwart im Geiste, im Gedächtnis. Wenn man beispielsweise zusammenkommt an einem Grabe, um an einen Verstorbenen zu denken, ist das auch eine irgendwie geartete Gegenwart des Verstorbenen, aber eben nur im Gedächtnis und im Geist derer, die da vor dem Grabe stehen; also keine wirkliche und wahrhaftige Gegenwart des ganzen Christus, sondern allerhöchstens, das gibt Calvin zu, eine Kraft von Jesus, die auf den, der an ihn denkt, übergeht. Der radikalste ist Zwingli: „Brot bleibt Brot und Wein bleibt Wein.“ Hier geht es gar nicht um irgendeine Gegenwart in den Elementen, sondern hier geht es nur um eine Gegenwart im Glauben. Im Glauben, mit dem wir uns an Christus erinnern, findet eine Art Gegenwart Christi statt. Also das Wort Realpräsenz drückt hüben und drüben total verschiedene Wirklichkeiten aus.
Wenn Luther uns mit seiner Auffassung von der Realpräsenz noch relativ nahegestanden hat, weil er eine Koexistenz von Leib und Blut Christi mit der Substanz von Brot und Wein annahm, dann haben seine Mitreformatoren und die Nachfolger sich weit von dieser Auffassung gelöst. Er war ja katholisch erzogen und er hat den katholischen Glauben, wenn auch vielleicht nicht in der besten Gestalt, kennengelernt, während seine Nachfolger sich immer weiter von ihm entfernt haben und zu einem Subjektivismus gekommen sind, der den großen Gelehrten Paul Hacker veranlaßte, die begründete Überzeugung auszusprechen, daß im Protestantismus die sogenannten äußeren Wirklichkeiten nur durch den Glauben konstituiert werden. Das heißt also, etwas grob gesagt, durch Einbildung. „Das Ich bei Luther“ heißt sein wichtigstes Werk.
Viertens glaubt die katholische Kirche, daß die Gegenwart Christi anhält. Wenn die Wandlungsworte gesprochen sind, ist Christus gegenwärtig, und es vergeht ja noch eine gewisse Zeit bis zur heiligen Kommunion. In dieser Zeit verläßt Christus die Elemente nicht, er bleibt gegenwärtig. Infolgedessen muß man von der Permanenz der Gegenwart sprechen. Und auch, wenn Opferelemente nach der Kommunion übrigbleiben, wenn wir die Hostien im Tabernakel bergen, bleibt die Gegenwart Christi erhalten. Es kann ja immer noch einer kommen, der kommunizieren möchte, es kann ein Kranker sein, zu dem man die heilige Kommunion bringen muß. Es gibt also eine Permanenz der Gegenwart.
Dagegen haben sich die Protestanten entschieden ausgesprochen. Es gibt für sie nur eine Gegenwart, wenn überhaupt, in usu, im Gebrauch. Im Augenblick des Genusses wird von manchen Protestanten eine wirkliche Gegenwart, wenn auch in anderem Sinne als in unserer Kirche verstanden, zugelassen, aber nicht vorher und nicht nachher. In der „Wittenberger Konkordie“ von 1536 haben sich Luther und Butzer darauf geeinigt, daß es keine Gegenwart Christi gibt, wenn die Hostien im Kelch aufbewahrt oder in der Prozession herumgetragen werden.
Angesichts dieser Ansicht verstehe ich nicht, wie man davon sprechen kann, der Gegensatz in der Frage der Realpräsenz sei ausgeräumt. Der Gegensatz ist so lebendig und so tief und so weitgehend, wie er je und eh war.
Die verwandelten Elemente werden den Gläubigen zur Speise und zum Trank dargeboten. Wir nennen diesen Vorgang Kommunion. Kommunion heißt Vereinigung, denn das ist die hauptsächliche Wirkung des Genusses der Gestalten, die innigste Vereinigung mit Christus, mit seiner menschlichen und göttlichen Wirklichkeit. Weitere Wirkungen der Kommunion sind die Erhaltung und Stärkung des geistlichen Lebens der Seele sowie die Vermittlung eines Unterpfandes der himmlischen Seligkeit und der einstigen Auferstehung. Weil Christus, der Heiligste und Reinste, in der heiligen Kommunion zum Menschen kommt, muß der Mensch rein in seinem Herzen, zumindest frei von schwerer Sünde sein. Im 11. Kapitel des 1. Korintherbriefes hat Paulus die vielen Krankheiten und Todesfälle in Korinth als Strafen gedeutet, die darauf zurückzuführen sind, daß es Korinther gibt, die nicht würdig die heilige Kommunion empfangen. Der Protestantismus denkt auch in dieser Hinsicht anders als die katholische Kirche. Nach protestantischer Auffassung ist die Hauptwirkung des Abendmahls die Sündennachlassung. Auch und gerade wer schwere Sünden hat, der soll das Abendmahl empfangen. Für die Protestanten ist also das Abendmahl an die Stelle des Bußsakramentes gerückt. Für sie ist das Abendmahl ein Sündenvergebungsinstrument. Ich verstehe nicht, wie man dann von einer Ausräumung der Gegensätze zwischen katholischer Lehre und protestantischer Ansicht in bezug auf die Eucharistie sprechen kann. Und ich verstehe auch nicht, wie man Protestanten zur katholischen Kommunion zulassen will, wenn sie eine völlig andere Auffassung von Inhalt, Wirkungen und auch Disposition für dieses Sakrament haben. Die schwerwiegenden Verirrungen des Ökumenismus werden an dieser Stelle deutlich sichtbar.
Sechstens aber kommt noch ein ganz entscheidender Punkt zur Sprache. Nämlich als die Waldenser im 13. Jahrhundert die Hierarchie und das Priestertum leugneten, hat das IV. Laterankonzil sich gegen sie erhoben und erklärt: „Allein der gültig geweihte Priester besitzt die Konsekrationsgewalt.“ Das heißt: Nur der gültig geweihte Priester kann in der Kraft Christi die Wandlung vornehmen, und wenn es keinen geweihten Priester gibt, dann vollzieht sich keine Wandlung, dann bleibt tatsächlich Brot Brot, und Wein bleibt Wein. Das Tridentinum hat diese Lehre wiederholt, und das II. Vatikanum hat sie aufgenommen: Ohne den Priester, ohne den gültig geweihten Priester gibt es keine Eucharistiefeier, gibt es keine heilige Messe, gibt es keine Transsubstantiation, gibt es keine wahrhafte Gegenwart Christi.
Für den Protestantismus existiert kein Priestertum. Im Protestantismus ist jeder, der aus der Taufe gekrochen ist – so drückt sich Luther aus – Priester. Weil es im Protestantismus kein Priestertum gibt, gibt es bei ihm auch keine vollgültige Eucharistie. Die Protestanten haben es leicht, Frauen zu sogenannten Priestern zu weihen; sie haben ja gar kein Priestertum, ebenso die Anglikaner, sie haben nur den Schein eines Priestertums, aber nicht das Sein. Die protestantische Ordination vermittelt keine übernatürlichen Vollmachten, sie verändert nicht den Empfänger, sondern sie ist ein rein menschlicher Akt der Aussonderung zum Predigtdienst. Ordination und Weihesakrament sind total voneinander verschieden. Auch hier ist unbegreiflich, wie man davon sprechen kann, es habe sich eine Annäherung vollzogen. Es sei denn, man gibt die katholische Lehre auf! Dann freilich ist eine Annäherung möglich.
Ich versuchte, meine lieben Freunde, an diesen sechs Punkten zu zeigen, daß es mit einer Beseitigung der schwerwiegenden, unaufhebbaren Gegensätze zwischen katholischer Lehre über das eucharistische Opfersakrament und protestantischen Ansichten über das Abendmahl nichts ist. Die Gegensätze sind nach wie vor in vollem Umfange bestehend, ja sie haben sich vertieft. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: Wenn es so ist, wie der Göttinger Neutestamentler Lüdemann sagt, daß Christus nicht wahrhaft auferstanden ist, dann gibt es gar keinen verklärten Leib Christi, der auf den Altären gegenwärtig werden könnte. Dann ist doch alles dem subjektiven Ermessen des einzelnen überlassen. Wir bitten deswegen die Mitarbeiter an diesem Papier, wir bitten aber vor allem die Bischöfe, die dieses Papier veranlaßt haben, aber auch den Heiligen Vater, der die Kommission einberufen hat, die Finger vom eucharistischen Opfersakrament zu lassen.
Für dieses Sakrament schlagen wir jede Schlacht! Für dieses Sakrament kündigen wir jede Freundschaft! Für dieses Sakrament nehmen wir jede Diffamierung auf uns!
Amen.