8. Mai 1986
Aufgefahren in den Himmel
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Aufgefahren in den Himmel, sitzet zur rechten Hand Gottes, des Vaters.“ So bekennen wir im Glaubensbekenntnis, das ist der Inhalt des heutigen Festes. Aufgefahren in den Himmel, sitzet zur rechten Hand Gottes, des Vaters.
Mit diesem Fest tun sich manche schwer. Die ungläubige Menschheit hat an die Stelle der Himmelfahrt des Herrn den Vatertag gesetzt, einen völligen Unsinn. Aber auch die Gläubigen werden von Fragen gepeinigt, was es mit der Himmelfahrt des Herrn, was es mit dem Himmel auf sich hat, und wir müssen uns den Fragen stellen. Unser Glaube ist nicht auf Schauen gestellt. Er ist die Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht. Da erhebt sich bei manchen die Sorge, ob nicht unser Glaube durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse oder Unternehmungen wie die Weltraumfahrt in Gefahr käme. Als seinerzeit der erste Mensch in den Weltraum fuhr, der Russe Gagarin, da erklärte er nach seiner Rückkehr, er habe Gott bei seiner Reise nicht entdeckt. Er wollte auf diese Weise den Glauben der Christen verspotten. Wir müssen deswegen, meine lieben Freunde, am heutigen Tage der Himmelfahrt des Herrn Antwort auf den Spott der Ungläubigen und auf die drängenden Fragen der Gläubigen geben.
Der Herr ist in den Himmel aufgefahren. Das ist schon ein Unterschied zu dem, was wir am 15. August feiern. Da begehen wir die Aufnahme Mariens in den Himmel. Ascensio lautet der lateinische Name für das Geschehen bei Jesus, Assumptio bei Maria; das ist ein Unterschied. Ascensio: Aufstieg, Assumptio: Aufnahme. Der Unterschied in der Terminologie bedeutet einen Unterschied in der Kausalität. Der Herr ist aus eigener Kraft in den Himmel aufgefahren, Maria ist durch die Kraft Gottes aufgenommen worden.
Da haben wir schon einen bedeutsamen Unterschied und eine wichtige Aussage. Die göttliche Kraft, die Jesus eigen war, ist gleichsam das Vehikel, mit dem er in den Himmel aufgefahren ist. Maria konnte nicht aus eigener Kraft in den Himmel schreiten, sie mußte durch Gottes Macht aufgenommen werden.
Die Auffahrt Jesu in den Himmel geschah vom Ölberg. Wir erinnern uns, daß der Ölberg der Anfangspunkt des Leidens Jesu ist. Hier begann er zu zittern und zu zagen. Und ausgerechnet von diesem Ort fährt er in den Himmel auf. Auch das hat etwas zu bedeuten. Es besagt: Jesus hat sich durch sein Leiden und durch sein Aushalten im Leiden die Erhöhung verdient. „Weil er getreu war bis zum Tode, deswegen hat ihn Gott erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist.“ So wird das Leiden, das gehorsame Leiden gekrönt.
Jesus ist in den Himmel aufgefahren, und da kommt die Hauptfrage: Ja, was ist denn der Himmel? Und die andere: Ja, wo ist denn der Himmel? Zunächst: Was ist der Himmel? Der Himmel ist die Teilnahme an der Seinsform, an der Seinskraft, an der Existenzfülle Gottes. Der Himmel ist nichts anderes als das Sein bei Gott. Wenn wir sagen, ein Mensch kommt in den Himmel, dann sagen wir damit: Er tritt ein in die Herrlichkeit, in das Glück und in die Seligkeit Gottes. Diese Frage ist also verhältnismäßig leicht zu beantworten. Aber die andere: „Ja, wo ist denn der Himmel?“ ist schwerer zu beantworten.
Zunächst einmal gilt, daß die Menschen, die vom Leibe gelöst sind, also die Seelen, nicht raumhaft und zeithaft existieren. Raumhaftigkeit und Zeithaftigkeit sind Kategorien, die für den irdischen, leibhaftigen Menschen angemessen sind. Für die Seelen sind diese Kategorien Raumhaftigkeit und Zeithaftigkeit nicht mehr angemessen. Man kann nicht sagen, daß die Messung in Stunden oder in Kilometern für die Seelen noch einen Sinn hat. Sie hat keinen Sinn mehr für sie. Sie sind diesen Kategorien enthoben. Aber da sie Geschöpfe bleiben, sind sie weiter zwar nicht raumhaft, aber raumgebunden. Es muß also irgendwo eine Räumlichkeit sein, an der die vom Leibe gelösten Seelen vorfindlich sind. Aber diese Räumlichkeit ist durch keine Untersuchung der Menschen auffindbar. Es gibt keinen Ort, nicht auf der Erde und nicht bei den Sternen, nicht im Weltall, von dem wir sagen könnten: Das ist der für die erlösten Seelen vorbehaltene Raum. Einen solchen Ort können wir nicht angeben. Eine solche Angabe hat auch die Heilige Schrift nie beabsichtigt. Wenn die Schrift von der Himmelfahrt nach oben berichtet, dann hat das seinen guten Sinn. Mit oben verbinden wir Menschen das Helle, das Lichte, das vom Irdischen Befreite. Oben ist also ein Sinnbild für die Seligkeit. Unten dagegen ist das Dumpfe, das Stumpfe, das Unerlöste, und deswegen konnte Christus, wenn diese Vorstellungen den Menschen etwas sagen sollen, nicht in die Erde versinken. Dann hätte man annehmen können, er sei in die Unterwelt, er sei zu den Verdammten gegangen. Wenn also Christus nach oben stieg, von einer Wolke emporgehoben wurde, dann besagt das nicht, daß er auf einen Stern im Weltraum gegangen ist, sondern es besagt, daß er in die Seligkeit, in die helle, lichte Wirklichkeit des Vaters gegangen ist. Das ist der Sinn des Erhobenwerdens nach oben.
Gott und die irdischen Dinge sind sich nicht im Wege, denn Gott ist von den irdischen Dingen der Qualität nach verschieden. Gott stößt sich nicht, wie sich die Dinge stoßen, mit der Weltwirklichkeit. Wegen der Qualitätsverschiedenheit Gottes und der Welt gibt es kein gegenseitiges Sichbehindern der Wirklichkeit Gottes und der Wirklichkeit der Welt. Es ist also durchaus möglich, daß die Begegnung zwischen Gott und Erlösten – das ist ja der Himmel – sich an jedem Orte des Weltalls abspielen kann. Kein Ort ist davon ausgeschlossen, kein Ort ist dafür allein geeignet. Die Qualitätsverschiedenheit dieser Begegnung verbietet es, zu behaupten, durch eine Änderung des Weltbildes – wie das der Tübinger abgefallene Theologe David Friedrich Strauß tat – sei Gott an Raumnot zugrundegegangen; es sei alles schon besetzt, und man habe das jetzt durch Fernrohre erkannt, infolgedessen sei Gott an Raummangel gestorben.
Dieser lächerliche Spott vermag die christliche Vorstellung vom Himmel nicht zu treffen. Denn wir unterscheiden den Himmel als das Firmament, als den Platz für die Sterne und die Wolken, sehr wohl von dem Himmel als der metaphysischen Daseinsweise Gottes und der Erlösten. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge, die nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben.
Jesus ist aufgefahren in den Himmel. Natürlich nicht mit seiner Gottheit. Insofern Christus Gott war, hat er den Himmel, hat er die Seligkeit beim Vater nie verlassen, sondern das „Aufgefahren“ bezieht sich nur auf seine Menschheit. Als Mensch ist er in die Herrlichkeit Gottes eingegangen, als Mensch hat er die Erhöhung jetzt gewonnen.
Wozu ist er in den Himmel aufgefahren? Nun, um eben den Lohn für seinen Gehorsam zu empfangen, um an die Spitze aller Lebewesen, die bei Gott sind, zu treten, um beim Vater für uns einzutreten durch seine Fürbitte, um dem Vater seine Wundmale zu zeigen, damit er uns daraufhin verzeihen möge, um den Heiligen Geist zu senden, um uns eine Wohnung zu bereiten. Das ist der Zweck von Christi Himmelfahrt.
„Aufgefahren in den Himmel und sitzet zur rechten Hand Gottes.“ Wir müssen von Gott mit menschlichen Begriffen sprechen, wenn wir überhaupt von ihm reden wollen. Denn andere Begriffe haben wir nicht. Wir sprechen also immer in irgendeiner Weise anthropomorph, also wie Menschen von Menschen reden, auch von Gott. Natürlich hat Gott keine Hand. Er ist ja ein Geist. Aber wenn es heißt „sitzet zur rechten Hand Gottes“, so soll damit etwas Bedeutsames ausgesagt werden, denn die Rechte ist die Seligkeit und die Linke ist die Verdammnis. Wenn Christus zur rechten Hand Gottes sitzt, dann sitzt er auf dem Ehrenplatze, da wo das Glück und die Freude und der Friede und die Seligkeit ist. Das bedeutet „Sitzet zur rechten Hand Gottes“. Er hat den Ehrenplatz bei Gott eingenommen.
Er sitzet, auch das ist bedeutsam. Er steht nicht, er liegt auch nicht, er sitzet. Ja, warum sitzt er denn, warum gebraucht man den Ausdruck „Er sitzet zur rechten Hand Gottes“? Weil er in eine königliche und richterliche Funktion eingetreten ist. Könige sitzen auf dem Throne, wenn sie ihr Königsamt ausüben. Richter sitzen auf dem Richterstuhle zu Gericht. Und wenn von Christus ausgesagt wird, daß er zur rechten Hand Gottes, des Vaters, sitze, dann soll damit angedeutet werden, daß er königliche und richterliche Funktion wahrnimmt. Er ist der Herr über alle Menschen, ja über die gesamte Schöpfung. „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.“ So hat er vor der Himmelfahrt seinen Jüngern verkündet. Und das eben wird angedeutet durch die Aussage: „Er sitzet zur rechten Hand Gottes, des Vaters.“
Wir brauchen also, meine lieben Freunde, uns an Himmelfahrt nicht zu verstecken. Wir brauchen nicht unsicher zu werden. Wir sind nicht sprachlos, wenn die Ungläubigen mit ihrem Spott und die Gläubigen mit ihren besorgten Fragen kommen. Unser Glaube ist durchlichtet, soweit eben überhaupt Glaubensgeheimnisse vom Menschen begriffen werden können. Wir haben Antworten auf die bedrängenden Fragen der Gläubigen und auf den Spott der Ungläubigen. Wir dürfen stolz und mit Zuversicht – weil ja der Herr gewissermaßen der Quartiermacher für uns ist – an diesem Tage bekennen: „Aufgefahren in den Himmel, sitzet er zur rechten Hand Gottes, von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten. Und seines Reiches wird kein Ende sein.“
Amen.