28. September 2025
Sebastian Kneipp
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Es gibt Personen in unserer Kirche, die nach unserer Überzeugung durch ihr Leben und ihren Wandel einen Platz im Himmel gewonnen haben, deren Heiligsprechung aber noch aussteht. So eine Person ist der bayerische Priester und Pfarrer Sebastian Kneipp. Sein Vater war ein einfacher Weber, der eine siebenköpfige Familie durchbringen musste, eine bitterarme Familie an der Grenze des Existenzminimums wie viele Bauernfamilien im 19. Jahrhundert, mit einer Sterberate der Säuglinge von 40 Prozent in Bayerisch-Schwaben. Sebastian Kneipp war elf Jahre alt, als er in den Keller gehen musste, um das Weben zu lernen. Sebastian Kneipp verstand, dass sein Vater mit dem Weben nicht allein seine fünf Geschwister ernähren konnte. Das Haus war mit einem Berg Schulden belastet. Der enge Kellerraum war extrem feucht, damit das Garn nicht spröde wird. Der Webstuhl wirbelte Unmengen von Staub auf, eine unmittelbare Gefahr für die Lungen. Der Webstuhl war ein monströses Marterelement mit schwerem Garnbaum und klobigen Trittleisten. Bis in die Nacht hinein ratterte und knatterte der Webstuhl. „Ich war wie ein Hund an der Kette“, schreibt Kneipp rückschauend. Durch die bedrückende Enge in dem armen Weberhäuschen muss Sebastian auf dem Dachboden schlafen, wo sich im Sommer die Hitze staut und im Winter der Schnee durch das Dach dringt. Mit 17 Jahren hält ihn ein fremder Knecht für den Bruder des Vaters, schätzt ihn rund 15 Jahre älter ein. Es dauert nicht lange, und die Arbeit beschert Sebastian Kneipp ein chronisches Lungenleiden, das sich alsbald zu einer lebensbedrohenden Krankheit auswachsen sollte. Sebastian fühlt sich zum Priester berufen. Doch der Weg zum Priestertum ist steil, steinig und teuer. „Wir haben kein Geld“, sagen die Eltern, „um dich studieren zu lassen; wollte dich der Herrgott zum Priester, hätte er uns auch Geld gegeben.“ Fleißig in den Keller, heißt es, fleißig weben und sich das Studieren aus dem Kopf schlagen. Es gilt die Familie zu ernähren. Die Dorfschule in Stephansried und die Feiertagsschule in Ottobeuren bescheinigen Sebastian Begabung und Willenskraft. Immer stärker wächst in ihm das Verlangen, geistlich zu werden. Aus Gehorsam und Liebe zu seinen Eltern webt und webt er weiter. Innerlich hat er längst beschlossen, sich das Studium zu erkämpfen.
Er wird ein echtes Arbeitstier: zum Tagelöhner im Frühjahr, zum Knecht in der Erntezeit, zum Maurergehilfen, Korbflechter und Bienenzüchter. Ihm ist jede Arbeit recht. Wenn ihm schon niemand unter die Arme greifen will, muss er eben selbst genügend Geld für das Studium aufbringen. In jahrelanger Arbeit spart er siebzig Gulden im Sack auf dem Dachboden. Die Mutter stirbt plötzlich an einem Blutsturz. In Stephansried bricht ein Feuer aus. Irgendwo brennt ein Haus. 13 von 14 Häusern gehen in Flammen auf, auch das der Familie Kneipp. Sebastian ist allein mit seiner Schwester zu Hause, rettet sie und die Tiere im Stall. Alles Hab und Gut und auch das ersparte Geld sind verloren. Mit dem Vatershaus stürzt eine Welt für den armen Webergesellen ein. Alle Hoffnungen auf eine Zukunft verbrannt. „In meinem Leben habe ich nie so erfasst, wie eitel der Menschen Pläne sind und wie auf einmal der Unendliche dem Plänemachen ein Ende bereitet; durch dieses Ereignis schien mir, menschlich gesprochen, alles unmöglich“, schrieb Sebastian Kneipp. Doch das Feuer konnte seine Sehnsucht nicht ersticken. „Wenn es Gott haben will, kann es doch noch geschehen.“ Er gibt nicht auf.
Da naht eine zündende Idee. Ein entfernter Verwandter seines Vaters ist Kaplan in Grönenbach. Als dieser von den vielen Absagen, Demütigungen und Niederlagen erfährt, die Sebastian bei seinem Streben, ein Geistlicher zu werden, erleiden musste, fasst er sich ein Herz und nimmt ihn zum Lernen des Stoffs der ersten Gymnasialjahre bei sich auf. In zwei Jahren Privatunterricht erarbeitet sich Sebastian das Pensum von fünf Gymnasialklassen. Mit 23 Jahren drückt er die Schulbank des Dillinger Gymnasiums. „Papa Kneipp“ nennen ihn die viel jüngeren Mitschüler. Er könnte sich freuen, hat er doch endlich den ersten Schritt zum Studium gemacht. Doch er spuckt wieder Blut, hustet ohne Unterlass. Die Krankheit aus der Zeit im feuchten und staubigen Weberhäusle holt ihn ein. Ein Militärarzt stellt schlimme Verhärtungen an beiden Lungenflügeln fest. Es scheint aussichtslos. Da hat er sich gegen alle Hindernisse und Widerstände das Studium erkämpft, da flüstert ihm der Tod ins Ohr. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit. Mit 27 Jahren ist Sebastian Kneipp ein Wrack. Mit letzter Kraft schafft er das Absolutorium. Im Sommer 1849 schreibt sich der todkranke Student an der Universität München ein.
Da tritt ein Glücksfall ein. Im Keller der Hof- und Staatsbibliothek entdeckt er ein vergilbtes Büchlein. Es stammt von dem „Wasserapostel“ Dr. Johann Siegemund Hahn aus Schweidnitz. Er wirbt für den therapeutischen Gebrauch von kaltem Wasser, für Bewegung in der frischen Luft, für vernünftige Ernährung und für den Verzicht auf Alkohol. Kneipp vertieft sich in das Büchlein und wäscht seine zitternde Brust dreimal täglich mit kaltem Wasser vom nächsten Brunnen. Doch die Wirkung bleibt aus. Was stimmt nicht? Was macht er falsch? Kneipps genialer Kopf weiß einen Ausweg. „Vielleicht kitzelt der kalte Wasserguss auf der Brust den Organismus nur ein wenig, und es wäre notwendig, ihn mit einer Radikalbehandlung komplett anzukurbeln.“ Ein Vollbad muss her; aber woher? 1850 gibt es keine öffentlichen Bäder. Es bleibt ihm keine Alternative als das eisige Wasser der Donau in Dillingen. Die dicht bewachsenen Stellen des Flussufers sind ideal für einen nackten Theologiestudenten, der beim Eisbad nicht erwischt werden will. Das Wasser ist im November grausam kalt. Doch Sebastian Kneipp ist entschlossen. Zwei- bis dreimal die Woche geht er bis zu den Knien ins Wasser, setzt sich dann für wenige Sekunden mit eisernem Willen nieder, bis nur noch der Kopf hinausragt. Es funktioniert. „Ich gewann die Überzeugung, wenn es für mich, nachdem alles Angewandte nicht geholfen hat, ein Heilmittel gibt, so wird es das Wasser sein.“
Schließlich hat Kneipp endlich einmal Glück. Er wird für ein Stipendium ausgewählt, das jedes Jahr an mittellose Theologiestudenten vergeben wird. Er darf an das Münchener Priesterseminar Georgianum. Hier ist er von materiellen Sorgen befreit, kann sich fortan satt essen und nachts heimlich den Springbrunnen der Universität für seine eisigen Ausflüge nutzen. Seine Kommilitonen nennen ihn treffend den „Eisbär“. Kurz vor seiner Priesterweihe wird der einst Todgeweihte gründlich von einem Arzt untersucht. Ebenso erstaunt wie erfreut stellt dieser fest: „Der Kandidat ist kerngesund.“ Kneipp schreibt in seinem Buch „So sollt ihr leben“ (1889): „Not lehrt beten und seinen Verstand gebrauchen.“ Am 24. August 1853 feiert der Neupriester Sebastian Kneipp in der Klosterkirche zu Ottobeuren sein erstes heiliges Messopfer. Er tritt danach Seelsorgestellen in Marktl, Biberbach und Boos bei Memmingen an.
Kneipp verbirgt seine Erkenntnisse und Erfahrungen nicht, teilt sie vielmehr freigebig mit und nimmt sich selbst der Kranken an. 1854 bricht die Choleraseuche in Bayern aus, die dem Priester Kneipp den Namen Cholerakaplan einbringt. Allein in München sterben in zwei Monaten mehr als 2000 Menschen. Auch der Vater Kneipps wird hinweggerafft. Sebastian erinnert sich an die Hausmittel seiner Kindheit: Wacholderdämpfe. Er wendet das Rezept von Vinzenz Prießnitz aus Schlesien an: Warmfrottieren, Schwitzbäder, Wasser trinken. So regt man den Brechreiz an und treibt das Fieber aus dem Leib. Kneipp heilt viele von der Seuche heimgesuchte Menschen auf einfache Weise. Ärzte und Apotheker sind nicht gut auf die unerwünschte Konkurrenz zu sprechen. Man zeigt ihn an. Doch der Landrichter hält zu Kneipp. Es gäbe kein Privileg für Apotheker, Wasser zu verkaufen.
1855 kommt Kneipp als Beichtvater der Dominikanerinnen in das Kloster nach Wörishofen. Dort wurde er 1881 auch Pfarrer. Im Kreuzgarten der Schwestern entdeckte er die Waschküche. Hier vollführte er fortan seine regelmäßigen Waschungen, Güsse und Bäder und brachte später auch seine Patienten mit. Die Kranken pilgern in Scharen herbei. Kneipp will nicht auf seine Leidenschaft, kranken Menschen zu helfen, verzichten. Zwölf Jahre lang geht alles gut. Doch 1866 wird Kneipp von Ärzten der Umgebung als Kurpfuscher bezeichnet. Der Mindelheimer Bezirksarzt schaltet das Bischöfliche Ordinariat Augsburg ein. Kneipp lässt sich nicht unterkriegen. In seiner Stellungnahme macht er klar, dass er sich auf „allereinfachste Naturheilverfahren mit Anwendung von Wasser und einzelnen Kräutern“ beschränkt; Materialien „die der schlichteste Mensch finden kann“. Hätte die Medizin der Ärzte Erfolg gehabt, „so wäre an mich kaum je eine Bitte gerichtet worden“. Statt sich seinen Rat bezahlen zu lassen, gebe er mittel- und hilflosen Menschen Hausmittel aus eigenem Vorrat mit Einbuße des eigenen Geldes. „Ist dies eine medizinische Unverschämtheit, oder darf derart ein Mitmensch seinen Mitmenschen helfen?“ Die Anklage verläuft im Sand. Es ist zwar ungewöhnlich, was Kneipp tut, aber nicht illegal. Anfangs hatten die Bauern um Wörishofen nur ungläubig gelächelt, wenn Kneipp eigenhändig Viehmist auf die Wiesen fuhr und die folgsamen Klosterschwestern zur Arbeit auf dem Acker einsetzte. Misstrauisch beobachteten sie, wie er mit Samensorten experimentiert, merkwürdige Obstsorten erntet, Sumpfland trockenlegt oder aus Kaufbeuren eine moderne Stahlegge beschafft, die viel tiefer in den Boden dringt als die herkömmlichen Holzgeräte. Kneipp weiß, was er tut. Der Erfolg ist der beste Beweis. Die Felder blühten auf, Kühe und Ochsen gediehen. Bald wird der Wasserdoktor ein vielgeschätzer Viehdoktor. Er versteht sich bestens auf die Bienenzucht, er untersucht die Eigenschaften des Honigs zur Gesundheitsförderung der Menschen und züchtet verschiedene Bienenrassen. Zahlreiche Bienenzüchter suchen Rat bei dem tüchtigen Imker Kneipp und finden ihn. Kneipp ist nicht nur ein rastloser Seelsorger und Beichtvater im Kloster der Dominikanerinnen, sondern auch ökonomischer Landwirt, tüchtiger Bienenzüchter und Bestsellerautor. Er sagt von sich selbst: „Das meiste habe ich gelernt aus der Schule der Erfahrung und nur weniges aus Büchern.“
Wörishofen wird zum Ziel Tausender von Hilfesuchenden. Kneipps Ruf zieht immer mehr Ärzte an, die bei ihm in die Schule gehen wollen und manchmal treue Mitarbeiter bleiben. Oftmals drängen sich ein Dutzend Ärzte und Professoren in Kneipps Sprechzimmer im Kloster der Dominikanerinnen, um sich Notizen zu machen oder dem Heilungsprozess seiner Patienten zu folgen. Kneipp geht selbstlos mit den Einnahmen aus seinen Bestsellern um. Den Großteil des Vermögens, das er im Laufe seines Lebens verdient, spendet er Stiftungen, Bauvorhaben oder Kirchenrenovierungen. Mit dem Rest unterstützt er arme Menschen in Not.
1894 entschließt sich Kneipp zu einer Reise nach Rom, um dem Heiligen Vater für die Ernennung zum Monsignore zu danken. Papst Leo XIII. lässt sich von ihm untersuchen. Der Wasserdoktor prophezeit ihm noch etwa neun Jahre gute Lebenszeit. Ein paar Tage später dann das historische Ereignis: Der bayerische Landpfarrer vollzieht am Papst eine Oberkörperwaschung. Begeistert von der Erholung lässt sich Leo XIII. einen Ernährungsplan aufstellen; erst nach seinem 85. Geburtstag darf Kneipp heimkehren. Leo XIII. regierte wie vorhergesagt noch neun Jahre. Kneipp selbst bleiben zum damaligen Zeitpunkt nur noch drei Jahre bis zum 17. Juni 1897. Nach seinem Tod rechnet Dr. Baumgarten ihn als internationale Berühmtheit mit Bismarck und Papst Leo XIII. zu den „drei berühmtesten Menschen auf dem Erdenrund“.
Amen.