7. September 2025
Der ewige Gott
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Zeit ist die sukzessive Dauer der veränderlichen Dinge und besteht in dem stetigen Nacheinander der Veränderungen nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Zeit und Sein gehören zusammen. Zeit ist nicht eine dem Sein vorausliegende Dauer, sondern eine Seinsweise, eben die des zerfallenden, sich selbst nicht ganz besitzenden Seins. Die Welt ist nicht geschaffen in der Zeit, sondern mit der Zeit; d.h. die Zeit erstand erst mit der Schöpfung. Gott ist der Schöpfer der Zeit, also deren idealer und realer Verursacher, sofern er der Schöpfer der im Modus der Zeit existierenden Welt ist. Gott ist allen Zeiten gegenwärtig, insofern sie von ihm erhalten werden. Er selbst als die Ursache der Zeit steht jenseits aller Zeit. Die Zeit ist in der Ewigkeit der göttlichen Aseität als ihrer freischöpferischen Ursache enthalten.
Ewigkeit ist „eine mit der Zeit ganz unvergleichbare Größe“ (Kant, Das Ende, 327). Ewigkeit ist die Negation jeglicher Zeitform, schließt Anfang und Ende, Folge und Veränderung aus, ebenso die Scheidung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ewigkeit besagt absolut sukzessionslose Dauer, die nicht nur ohne Anfang und ohne Ende, sondern auch ohne jedes Früher oder Später ist als stehende, unteilbare Gegenwart (nunc stans). Sie kann einzig dem unendlichen Gott zukommen. Auch wenn die Zeit nach Anfang und Ende ins Unendliche verlängert gedacht würde, wäre sie doch wesentlich von der Ewigkeit verschieden. Die Zeit ist begrifflich der Wechsel, die Ewigkeit das Gegenteil.
Das menschliche Denken hat versucht, durch bestimmte Begriffe Ursprung und Wesen des ewigen Gottes oder der Ewigkeit Gottes zu ergründen. Der entscheidende Begriff ist jener der Aseität. Aseität bezeichnet die Seins- und Wesenseigenart Gottes, der im Unterschied zu allem kontingenten Sein (ens ab alio) ens a se ist: Gott ist aus sich selbst er selbst. Die Vernunft erschließt Gottes Ewigkeit aus der Aseität. Weil Gott das mit absoluter Notwendigkeit durch sich selbst existierende Wesen ist, kann es nie als nicht existierend gedacht werden. Wir werden der Ewigkeit Gottes gewiss gemacht durch seine Offenbarung. Alles ist geworden, aber Gott steht vor dem Anfang als Ungewordener (Gen 1,1): „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Seit Is II wird die Ewigkeit als göttliche Eigenschaft klar erkannt (Is 40,28; 41,4; 43,10): „Ein ewiger Gott ist der Herr. Vor mir ist kein Gott geschaffen und nach mir wird keiner sein.“ Das AT sieht Gott als den unvordenklich Existierenden (von Ewigkeit zu Ewigkeit, Ps 91,2), der jedoch jeder Zeit gegenwärtig ist und sie umfasst (Is 44,6): „Ehe die Berge entstanden und Erde und Welt du hervorgebracht, von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du, oh Gott“ (Ps 90f.). Gottes Ewigkeit ist so fest, dass er in ihr den sichersten Grund seiner Treue erblickt und daher bei ihr schwört: „Ich spreche, so wahr ich lebe in Ewigkeit“ (Dt 32,40). Alles ist geworden. Aber Gott steht vor dem Anfang als Ungewordener (Gen 1,1). Im NT tritt neben Verkündigung und Lobpreis des ewigen Gottes das Bekenntnis zur Ewigkeit des Sohnes. Ewig ist auch die Herrschaft Christi und sein Priestertum. Die eschatologischen Güter werden häufig als ewig bezeichnet: die Herrlichkeit, die Wohnungen (Lk 16,9), die Behausung im Himmel, das unerschütterliche Reich, die Erlösung, das Erbe, die bleibende Stadt. Für Johannes ist das ewige Leben bereits gegenwärtiger Besitz. Es wird von Jesus, der „das Leben“ ist, gespendet (11, 25 u. ö.; 17,2 u. ö). Ewigkeit Gottes besagt die absolute Erhabenheit des göttlichen Seins über alle Zeitlichkeit und jedes Zeitmaß. Letztlich ergibt sich die Zeitlosigkeit Gottes aus seinem Wesen als absolutes, in sich ruhendes Sein. Die Kirchenväter haben so von Gott gedacht und uns ihr Bekenntnis vermittelt. So schreibt der Schriftsteller Tatian: „Unser Gott hat nicht in der Zeit seinen Anfang; er allein ist ohne Ursprung, ist aber selbst das Prinzip von allem. Gott war (bereits) im Anfang.“ So formuliert der Philosoph Athenagoras: „Das göttliche Wesen ist ungeworden und ewig, nur dem denkenden Geist erfassbar; die Materie dagegen ist geworden und vergänglich. Jener eine ist unser Gott, der da ungeworden und ewig ist, unsichtbar, unwandelbar, unbegreiflich, unfassbar, nur mit Verstand und Vernunft erkennbar.“ Die Ewigkeit Gottes folgt aus der Ursprungslosigkeit, Notwendigkeit, unendlichen Vollkommenheit, Unabhängigkeit, Einfachheit und Unveränderlichkeit Gottes. Die Zeitlosigkeit Gottes ist ein unbegreifliches, ja ein furchtbares Geheimnis für den zeitverhafteten Menschen. Wir können keinen Begriff und keine Vorstellung von der Ewigkeit bilden, es sei denn mit Hilfe eines Zeitbegriffes und einer Zeitvorstellung, da wir unaufhebbar in der Kategorie der Zeit leben.
Gott existiert in Ewigkeit. Neben ihm existiert in der Zeit das Weltall, der Mensch, Gottes Schöpfung. „Im Anfang“ schuf Gott Himmel und Erde. Vor dem Anfang war er also allein in seiner Ewigkeit oder, wie Augustinus sagt, in sich und bei sich. Weil der Allmächtige ohne Anfang ist, muss er eine ganze Ewigkeit für sich allein gelebt haben. Was war der Zweck seines Daseins? Er war sich Selbstzweck. Wenn er gewollt hätte, wäre von Ewigkeit zu Ewigkeit niemand außer ihm gewesen. Ein einziges unendliches Wesen von Ewigkeit zu Ewigkeit und sonst nichts. Gott besitzt sein ganzes unendlich vollkommenes Sein und Leben in unwandelbarer Größe und Intensität aus sich selbst und durch sich selbst in jedem gedachten Moment seines ewigen Daseins. Die Ewigkeit ist sachlich gleich mit der Aseität und mit ihr gegeben. Die berühmte Definition des Boethius sagt, dass die Ewigkeit der stets ganze und vollkommene Besitz eines in sich unbegrenzten Lebens sei.
Wir Christen geraten nicht in Verlegenheit, wenn wir gefragt werden, was Gott getan habe, bevor er die Schöpfung hervorbrachte. Wir wissen um den dreieinigen Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist Gottes. Ewigkeit ist die Vollzugsform trinitarischer Existenz. Die Lehre von der immanenten Trinität begründet die Vorstellung einer Vielheit in der Lebensganzheit des einen Gottes, die ihm ewig gegenwärtig ist. Im innertrinitarischen Leben existiert Gott gänzlich erfüllt und in vollkommener Seligkeit. Die göttlichen Personen stehen in unlöslicher Verbundenheit miteinander. Sie bedingen sich gegenseitig und vollziehen untereinander den fruchtbarsten Lebensaustausch. Der dreieinige Gott benötigt keinen Partner, um lebendig zu sein. Nachdem Gott eine ganze Ewigkeit für sich allein gewesen ist, hätte er überhaupt niemals etwas zu schaffen brauchen, wenn er so gewollt hätte, und dann wäre von Ewigkeit zu Ewigkeit niemand außer ihm dagewesen, niemand, um ihn anzubeten, niemand, um Zeugnis von ihm zu geben, niemand, um ihn zu verherrlichen. Ein einziges unendliches Wesen, von Ewigkeit zu Ewigkeit, und sonst nichts. Und warum gerade er? Was ist härter für unsere Phantasie, die Vorstellung, dass nur ein einziges Wesen existiert oder überhaupt nichts? Es gibt in Gott keine Notwendigkeit, die zur Schöpfung führen müsste. Gott schafft nicht selbstbezogen zur Mehrung seiner Seligkeit, sondern rein aus seiner schon in sich lebendigen Liebe, damit anderes an ihr teilhabe, sie darstelle und mitliebe. Er bedarf der Schöpfung nicht. Bräuchte ein einsamer Gott die Schöpfung, um zu sich zu kommen und lieben zu können, so wäre er nicht wahrhaft Gott. Anders, wenn Gott in sich lebendige Liebe (1 Joh 4,8), ewiger, trinitarischer Ur-Dialog mit Selbstunterscheidung (des Sohnes bzw. Logos) und Vereinigung (im Geist) ist.
O meine Freunde, hier lastet ein Geheimnis mit seiner ungeschwächten Wucht, hart und furchtbar, auf uns. Die Geheimnisse der Offenbarung, so unbegreiflich sie sind, strömen doch Erbarmung und Trost aus. Sie werben um unser Herz und gewinnen unsere Liebe. Denkt nur an die Lehre, dass Gott ein Mensch geworden ist. Das ist unfassbar, aber wir können uns in Anbetung neigen, wenn wir hören, dass das allmächtige Wesen, das in der Ewigkeit wohnt, Fleisch und Blut aus einer Jungfrau angenommen hat, menschlichen Eltern Gehorsam erwiesen, ein geringes Handwerk ausgeübt und unter der Verachtung seines Volkes gelitten hat; dass er von seinen Geschöpfen gefangen genommen und ans Kreuz geschlagen wurde, um den Tod eines Verbrechers zu sterben, und dass er jetzt unter der Gestalt von Brot auf unseren Altären liegt und sich in einem engen Tabernakel bergen lässt. Höchst unbegreiflich! Etwas Erhabeneres, Ergreifenderes und Rührenderes lässt sich nicht vorstellen. Wir fühlen uns zu Tränen gerührt und neigen uns in Demut, und unser Herz wallt auf in Liebe und Hingebung: O gütiger und erbarmungsvoller Heiland! Gott hat es so gewollt in seiner Menschenliebe.
Gott ist ewig, das Weltall ist zeitlich; es ist von Gott geschaffen. Der menschliche Geist erkennt, dass das Weltall nicht aus sich heraus existiert, also nicht aus sich und durch sich notwendig ist. Daraus folgert er zwingend, dass es von einem aus sich heraus existierenden absoluten Grund abhängig ist; wir nennen ihn Gott. Der alles Geschaffene hervorgebracht hat, muss und kann nur selbst ungeschaffen sein. Die Schrift sagt, im Anfang habe Gott Erde und Himmel geschaffen. Das ist so zu verstehen, dass er vorher nicht schon etwas anderes erschaffen hat. Die Welt ist nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit geschaffen. Er schuf die Welt „im Anfang“ will sagen, er schuf sie so, dass sie einen Anfang nahm. Mit der Schöpfung wurde ihr Anfang gemacht. Gott hat die Welt erschaffen und erhält sie im Dasein. Für den Menschengeist bleibt es durchaus geheimnisvoll, wie der absolut zeiterhabene, ewige Gott die zeitverhaftete Welt in ihrem ständigen Wechsel immerfort tragen und bewirken kann. Es ist ein undurchdringliches Geheimnis, wie Gott (der in der Weise der Ewigkeit existiert) die Welt (die in der Weise der Zeit existiert) denken, wollen, lieben, erschaffen, umfangen und erhalten kann.
Ewigkeit im eigentlichen Sinne als Sein über der Zeit ohne Anfang und Ende (aeternitas) kommt nur Gott zu. Ewigkeit im Sinn von Dauer ohne Ende nach einem Anfang (sempiternitas) kommt den menschlichen Seelen und den reinen Geistern zu (ewiges Leben, Unsterblichkeit). Die christliche Ewigkeitshoffnung wird niemals auf eine menschliche Naturanlage oder innerweltliche Möglichkeiten gegründet. Entscheidend bleibt die erwählende Gnade Gottes, der an seiner Ewigkeit Anteil gewährt. Die Ewigkeit Gottes ist der Grund dafür, dass wir nicht dem Nichts entgegengehen, sondern dem ewigen Sein Gottes. Unsere Endlichkeit ist keine endgültige. Bloß die irdische Weise unseres Daseins geht dem Ende entgegen. Wir haben die garantierte Aussicht auf Teilnahme am ewigen Leben Gottes. Unser Leben ist ein Pilgerweg zur Vollendung in Gott, zu jenem Zustand, in dem es umgewandelt wird zur unverhüllten Teilnahme am ewigen Leben. Dem Geschöpf kommt Ewigkeit nur zu, insofern Gott ihm an seiner Ewigkeit Anteil gibt. Der von den Toten auferstandene Jesus Christus verheißt und verbürgt dem sterblichen Menschen eine uneingeschränkte Lebensgemeinschaft mit Gott und insofern Teilhabe an dessen Ewigkeit. Der Gottmensch Jesus Christus ist die äußerste Konkretisierung der Herrschaft Gottes über das Zeitliche; er herrscht über dieses nun nicht mehr bloß von außen, sondern durchdringt es an einer Stelle substantiell-personal. Diese Teilnahme Gottes an der Zeit hat ihren Sinn darin, für den Menschen Teilhabe an Gottes Ewigkeit zu ermöglichen. In der Gemeinschaft mit Jesus Christus wird dem Menschen ein ewiges Leben zuteil, das mehr ist als bloß endloses Fortleben. Der Gedanke an die selige Ewigkeit ließ die Martyrer und Heiligen heftigste Leiden und schwerste Opfer in dieser Welt als sehr kurz erscheinen. Der Apostel Paulus schreibt in diesem Sinne: „Ich halte dafür, dass die Leiden der Gegenwart nichts bedeuten gegenüber der künftigen Herrlichkeit, die an uns offenbar werden wird“ (Röm 8,18). Der fromme Verfasser des Buches von der Nachfolge Christi betet: „Lieber will ich arm sein um deinetwillen als reich ohne dich. Lieber will ich mit dir auf Erden Pilger sein als ohne dich die Seligkeit zu besitzen. Wo du bist, da ist der Himmel; wo du nicht bist, da ist Tod und Hölle.“
Amen.