Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. März 2005

Katholisch denken und katholisch leben

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Als sich im Kriege 1870/71 die deutschen Heere der Stadt Nevers näherten, wo Bernadette, die heilige Seherin von Lourdes, lebte, da besuchte sie ein Offizier. Er fragte sie: „Haben Sie keine Angst vor den Deutschen?“ Bernadette antwortete: „Nein, mein Herr.“ „Ja, haben Sie denn vor nichts eine Angst?“ „Doch, mein Herr“, sagte Bernadette, „ich habe Angst vor den schlechten Katholiken.“

Wir nennen uns katholische Christen, denn wir sind Glieder der katholischen Kirche. Das Wort „katholisch“ stammt nicht aus dem Evangelium, aber es ist schon sehr früh in Gebrauch gekommen, zum ersten Mal verwendet im Jahre 107 von dem Bischof Ignatius von Antiochien. Er gebraucht in seinem Brief an die Gemeinde in Smyrna das Wort „katholisch“ und spricht von der „katholischen Kirche“. Das Wort katholisch ist natürlich ein griechisches Wort und besagt soviel wie alles umfassend, das Ganze zusammenschließend, über alles ausgedehnt. Und so wollen wir uns heute einmal mit dem Katholischsein befassen und wollen sagen: Es gibt 1. ein gläubiges Denken, das den Katholiken, das den katholischen Christen auszeichnet, und es gibt 2. ein katholisches, ein gläubiges Leben, das den Katholiken, den gläubigen katholischen Christen, prägt.

Katholisch denken, das heißt, es braucht nichts Einengendes, nichts Verkümmertes in uns zu sein, nichts Beschränkendes, sondern das Denken soll alles umfassen; es soll weltweit und weltoffen sein. Alles Wahre, Gute und Schöne, jedes Ding und jede Kraft in der Natur und in der Übernatur, die ganze Wirklichkeit muss im Denken des katholischen Menschen Platz haben. Der wahrhaft katholische Mensch ist weltoffen. Er hat keine Scheuklappen, sondern er nimmt die ganze Natur so, wie sie ist und spricht ein Ja zu ihr. Die Berge und die Täler, die Flüsse und die Seen, die Pflanzen und die Tiere, der Mensch mit seiner Arbeit und mit seinem Lieben, mit seinen Freuden und mit seinen Leiden, der Mensch mit seinem Forschen und Streben, mit seinen Erfindungen und Entdeckungen, das alles nimmt der katholische Mensch auf. Gegen nichts, was wahrhaft gut und förderlich ist, hat er seine Vorbehalte. Er schätzt die Maschine und das Flugzeug, er schätzt die Atomkraft und den Computer. Die verborgensten Geheimnisse der Welt sind für ihn nur dazu da, dass sie entschlüsselt werden, dass neue Kräfte entdeckt werden. Der katholische Mensch lebt in der Natur, denn er ist ja selbst ein Stück von ihr, und er weiß, dass die ganze Natur eigentlich ein Loblied auf Gott ist. Der Pater Przywara hat ein schönes Gedicht verfasst, in dem es heißt: „Wenn der Morgen zu Tale steigt, wenn der Bergwald in Andacht schweigt, über den Firmen schimmert der Schnee, leise nur wallen die Wellen im See, Herr, mein Gott, wie groß bist du, du ewiger Frieden, du ewige Ruh!“ Das ist katholische Weite. Das ist katholische Andacht, die sich an der Natur entzündet. Der katholische Mensch ist weltaufgeschlossen für die Natur. Aber auch für die Übernatur. Sein Denken endet nicht bei der Natur, sondern es geht weiter. Der katholische Mensch schließt seine Augen nicht, wenn das Forschen ihn über die Welt hinausführt in die Welt des Göttlichen, in die Welt der Gottesgeheimnisse, in die Wirklichkeiten des Metaphysischen. Hungernd und dürstend nach der vollen Wahrheit forscht er auch hier und lauscht auf die Stimmen, die zu ihm sprechen. Und je höher er steigt, um so froher und glücklicher wird er. Gott, mein Gott, wie herrlich bist du, wie herrlich ist alles, was du geschaffen hast! Katholisches Denken ist weltaufgeschlossen und weltumspannend, es ist gottaufgeschlossen und gottumfassend. Es ist weltweit und ewigkeitsbewegt.

Alles umfasst das katholische Denken in einem und schließt es zu einer Einheit zusammen. Denken Sie, wie anders es ist bei den Orthodoxen. Dort ist jede Kirche eine Nationalkirche. Die mazedonische Kirche ist eine eigene Kirche, und die russische Kirche eine eigene und die griechische Kirche eine eigene und die serbische Kirche eine eigene. Nein, so nicht der katholische Christ und nicht die katholische Kirche. Sie ist weltumfassend, sie ist dieselbe in Asien wie in Afrika und in Europa und Amerika. Alles fasst das katholische Denken in einer großen Ordnung zusammen. Und ein solches weltweites und weltoffenes Denken ist auch ein christliches Denken. Ich liebe es nicht, wenn man immer nur von Katholiken spricht. Ich schätze es mehr, wenn man sagt: katholische Christen. Denn wir sind katholisch als Christen, und der christliche Name ist uns von Gott überkommen. Niemand hat uns die Gotteswelt der Übernatur und die Geheimnisse so vollkommen erschlossen wie Jesus Christus. Er, der Eingeborene, der am Herzen des Vaters ruht, er ist gekommen und hat uns die Welt erschlossen, hat uns Kunde gebracht. Er hat neues Licht über die natürliche Welt ausgegossen, und er hat neues Licht über die Übernatur verbreitet. Er ist unser Lehrer. Einer ist unser Lehrer, Christus. So sagt er ja selbst. Und so muss katholisches Denken auch zutiefst christliches Denken sein. Es muss von Christus ausgehen, und es muss zu Christus zurückführen. Aus ihm muss es quellen, und in ihn muss es auch münden. Gläubiges katholisches Denken ist etwas Herrliches und etwas Gewaltiges. Es öffnet sich dem Wahren und schließt alles zu einer Einheit zusammen.

Aber noch größer als das gläubige Wissen ist das gläubige Leben. Der Gläubige lebt aus dem Glauben. Der Glaube prägt sein Leben. Katholisch leben heißt die ganze Welt der Wirklichkeiten in sein Leben hineinziehen und es aus ihr gestalten. Der katholische Christ ist kein Wolkenwandler. Er ist auch nicht weltflüchtig. Er ist gleich weit entfernt von Weltflucht und Weltsucht. Er ist verwandt mit der Weltüberwindung, aber er ist nicht weltsüchtig, und er ist nicht weltflüchtig. Er ist naturverbunden. Der katholische Mensch lebt in der Natur und ist mit ihr verwurzelt, mit ihrem Boden, mit ihrer Heimat, mit dem Vaterland. Es gibt einen Psalm in den 150 Psalmen, die wir Priester ja jede Woche beten. In ihm wird beschrieben, wie die Israeliten in Babylon in der Verbannung waren und wie sie dort von den Herren des Landes, also von ihren Peinigern, aufgefordert wurden, die Sionslieder zu singen. Aber nein, sie hatten ihre Musikinstrumente an den Weiden der Flüsse von Babylon aufgehängt und weigerten sich, die Lieder Sions in der Verbannung zu singen. „Eher soll die Zunge mir auf dem Gaumen verdorren“, so haben die Israeliten damals gebetet, als dass wir die Sionslieder in der Fremde singen. So sehr waren sie heimatverbunden, so sehr waren sie vaterlandsverbunden.

Der Christ lebt mit den Gütern der Erde. Er weiß, dass Besitz und Genuß keine verbotenen Dinge für ihn sind. Er darf besitzen und genießen, allerdings immer in der rechten Ordnung. Er schätzt die geistigen Güter: Freiheit und Wahrheit, Liebe und Recht, Wissenschaft und Kunst. Er nimmt alles, was natürlich groß und wertvoll ist, in sein Leben hinein. Wie es der heilige Paulus einmal sagt: „Was wahr und würdig ist, was edel und heilig ist, was liebenswürdig, was tugendhaft ist, darauf seid bedacht.“

Der katholische Christ lebt auch gemeinschaftsverbunden. Er ist kein Einzelgänger, sondern er steht in seiner Gemeinschaft und fühlt sich als Glied der Gemeinschaft. Er erfüllt aus innerer Verantwortung seine Verpflichtungen gegenüber der Familie, dem Volk und dem Vaterland. Er kümmert sich um seine Brüder in Armut und Bedürftigkeit, er steht ihnen bei in materieller Not und in seelischem Leid. Er nimmt seine staatsbürgerlichen Pflichten wahr. Ich habe nie verstanden, was ich manchmal erlebt habe, dass katholische Christen es ablehnen, an den Wahlen teilzunehmen. Meine lieben Christen, die Wahlen sind ja das einzige Mittel, das wir haben, um unseren Einfluß, einen bescheidenen Einfluß gewiß, über die auszuüben, die uns regieren sollen. Wie kann man da bei den Wahlen zu Hause bleiben? Das ist nicht mit katholischem Leben vereinbar.

Der katholische Christ lebt auch gottverbunden. Über allen irdischen Werten steht ja der unendliche Wert Gottes. Er macht ernst mit der Taufe, die ihm Ströme lebendigen Wassers in die Seele geschüttet hat. Er lebt im Geheimnis der Gotteskindschaft. Er lebt aus dem Geheimnis der Christusverbundenheit. Er lebt auch im Heiligen Geiste, der in ihm wohnt wie in einem Tempel. Er betet und opfert mit seinen Brüdern und Schwestern und erschließt seine Seele dem stillen Wirken des Heiligen Geistes. So trägt er nicht zwei Seelen in seiner Brust, sondern er lebt in der von der Gnade zur Übernatur erhobenen Natur. Die Welt der Natur ist ihm von der Gotteswelt durchflutet und verklärt. Und so wird er zu einer starken, geschlossenen Persönlichkeit. Er reicht mit seinem Leib in die Welt der Natur, mit seinem Geist in die Welt der Geister und mit der Gnade in das Reich des göttlichen Lebens.

Der katholische Christ lebt als ein Erlöster. Er weiß, dass er durch Christus erkauft ist, nicht mit Gold und Silber, sondern durch sein kostbares Blut, und er weiß, dass er diese Erlösung in sich bewahren muss. Die Natur ist und bleibt auch, nachdem die Erbsünde durch die Taufe weggenommen worden ist, verwundet. Und er spürt diese Verwundung in der Unordnung, die immer wieder in ihm aufsteigen will. Und so muss er immer wieder seine Zuflucht nehmen zum Erlöser und zu den erlöserischen Kräften, die Christus für uns bereithält. Wir brauchen die Erlösung, die uns in Christus kam. Erst in ihm ist uns die Möglichkeit gegeben, die Ordnung zu gewinnen, welche die Sünde zerstört hat. Und er lebt als ein begnadeter Mensch. Alle Gnade fließt ja aus dem Herzen Jesu zu uns. Gnade um Gnade schöpfen wir von ihm, der „voll der Gnade und Wahrheit“ ist, wie Johannes im Prolog des Evangeliums bekennt. Alle Gnade kommt von Christus. Und so müssen wir achten, dass wir den Gnadenquell nicht verstopfen, dass wir den Quell nicht beschmutzen, dass wir dem Quell nicht Einhalt gebieten, indem wir in neue Sünden fallen. Wir sind durch die Gnade verbunden zur Gemeinschaft der Heiligen, und das ist auch wieder eine große Einheit, in der wir leben, die Gemeinschaft der Heiligen. Wahrhaft katholische Christen leben aus diesem Geheimnis, wissen sich verbunden mit allen. Nichts und niemand ist ihnen gleichgültig, sondern jeder ist ihnen anvertraut, und für jeden treten sie ein vor Gott.

Gewiß, meine lieben Freunde, man kann sagen, das ist ein Ideal. Das ist es. Aber es ist ein Ideal, das uns von Gott auferlegt ist. Es ist ein Ideal, dem wir nachstreben müssen. Es ist ein Ideal, das nicht in unser Belieben gestellt ist, ob wir ihm nachfolgen oder nicht. Es ist das Letzte, was wir vom echten katholischen Christen sagen müssen: Er sieht dieses Ideal, und er sucht es, und er will dieses Ideal. Er will zum Gipfel und zur Höhe. Er will nicht ein mittelmäßiger und durchschnittlicher Mensch bleiben, sondern er will darüber hinausstreben. Die Müdigkeit der Guten ist es ja, die mindestens ebensoviel Schaden anrichtet wie der Zorn der Bösen. Und es gibt Menschen, es gibt viele Menschen, die nach der Höhe streben. Es gibt Werktagsheilige, wie man sie genannt hat, im großen Gottestempel des Glaubens. Gewiß, viele sind gleichgültig, sind lau, sind mittelmäßig.Viele sind nur dem Namen nach katholische Christen.

Wir wollen darüber nicht klagen, sondern wir wollen es mit dem heiligen Franz von Sales halten. Zu ihm, dem großen Missionar der Schweiz, kam einmal ein Mann und beklagte sich über die vielen lauen, schlechten katholischen Christen. Der heilige Bischof hörte ihn ruhig an, und dann sagte er zu ihm: „Nun wollen wir zwei einmal anfangen, bessere Christen zu werden.“ So ist es. Wir wollen anfangen, bessere Christen zu werden. Wir wollen anfangen, katholische Christen der Tat zu werden, zu wissen um die Welt unseres Glaubens und zu leben in der Welt der Gnade durch unseren Herrn Jesus Christus.

Im 13. Jahrhundert, meine lieben Freunde, hat einmal Walther von der Vogelweide die schönen Verse geschrieben: „Denn wer sich einen Christen heißt und das nicht mit der Tat erweist, der gleicht wohl halb den Heiden. Das ist unsere größte Not; das Wort ist ohne Werke tot. Nun helf uns Gott zu beiden.“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt