Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. Juni 1992

Die himmelschreienden Sünden

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Als Kain seinen Bruder Abel erschlagen hatte, stellte er sich unwissend. Als Gott ihn fragte: „Wo ist dein Bruder Abel?“, entgegnete er: „Ich weiß es nicht. Ich bin nicht der Hüter meines Bruders.“ Und Gott gab ihm zur Antwort: „Das Blut deines Bruders Abel schreit zum Himmel um Rache!“ Von dieser Begebenheit aus dem Ersten Buche der Heiligen Schrift haben die sogenannten himmelschreienden Sünden ihren Namen. Es sind Sünden, welche die sittliche Natur des Menschen ändern. Es sind Sünden, welche die gesellschaftlichen Triebe des Menschen verkehren. Es sind Sünden von solcher Schrecklichkeit, daß sie zum Himmel, d.h. zu Gott, um Strafe rufen. Der himmelschreienden Sünden oder besser der Gruppen der himmelschreienden Sünden werden vier aufgezählt. Die erste der himmelschreienden Sünden ist der Mord. Der Mord ist die vorsätzliche, unmittelbare, ungerechte Tötung eines Menschen. Mord ist selbstverständlich auch die Tötung eines noch nicht aus dem Mutterleib hervorgekommenen Menschen. Und man fügt zu der himmelschreienden Sünde des Mordes auch alles das hinzu, was dem Mord an Grausamkeit gleichzukommen scheint, etwa Kindesaussetzung und die Versklavung. Es ist keine Frage, daß diese Sünde zu Gott um Rache ruft. Und es kann einen nur das Grauen überkommen, wenn Menschen nicht spüren, daß es sich hier um ein Geschehen handelt, das den Zorn Gottes über die Erde herabruft. Es geht nicht nur darum, daß auf Erden Unrecht geschieht. Nein, diese Sünde ruft zum Himmel um Rache.

Die zweite der himmelschreienden Sünden ist die sodomitische Sünde. Sie hat ihren Namen von den Bewohnern Sodomas. Von ihnen wird berichtet, daß sie widernatürliche geschlechtliche Sünden begingen, also den normalen Verkehr zwischen Mann und Frau vertauschten mit der Unrucht im selben Geschlecht. Und zum Umkreis der sodomitischen Sünde wird alles gerechnet, was dieser Sünde ähnlich ist, wie Mißbrauch der Geschlechtskraft in jeder Form, sei es allein oder zwischen zwei Personen. Von der sodomitischen Sünde ist in der Heiligen Schrift oft die Rede. Zum Beispiel heißt es im Buche Leviticus: „Wenn sich ein Mann mit einem anderen Manne vergeht wie mit einer Frau, so haben beide eine Schandtat begangen. Sie sollen mit dem Tode bestraft werden.“ Das Alte Testament scheint noch nicht damit zu rechnen, daß solche Sünden auch zwischen Frauen geschehen können. Aber selbstverständlich ist die Schandtat bei ihnen nicht geringer als bei Männern.

Die dritte himmelschreiende Sünde ist die Bedrückung von Armen, Witwen und Waisen. Die Hilflosigkeit dieser Menschen sollte die Mitmenschen aufrufen, sich ihrer anzunehmen und sie zu schützen. Statt dessen geschieht es oft und immer wieder, daß ihre Not und Bedürftigkeit ausgebeutet und ausgenützt wird. Zum Umkreis dieser Sünde gehören z. B. Amtsmißbrauch, Bestechlichkeit von Verwaltungsbeamten und Richtern, Mißbrauch der Staatsmacht. Das alles ist in die Sünde Bedrückung der Armen, der Witwen und Waisen einzubeziehen. Die Heilige Schrift brandmarkt diese Sünde an vielen Stellen, z.B. beim Propheten Isaias: „Wehe denen, die Gesetze voll Unheil erlassen, und den Schreibern, die drückende Weisungen schreiben, abzudrängen vom Rechtsweg den Niederen, meines Volkes Armen das Recht zu rauben, daß die Witwen ihnen zur Beute werden und sie ausplündern können die Waisen.“

Die vierte himmelschreiende Sünde ist die Vorenthaltung des verdienten Lohnes. Wer gearbeitet hat, hat Anspruch auf Entlohnung. Und wenn jetzt dem, der gearbeitet hat, der verdiente Lohn vorenthalten wird, entweder gar nicht gezahlt oder verkürzt wird, dann begeht der Mensch eine himmelschreiende Sünde. „Sehet“, heißt es im Jakobusbrief, „der Lohn, den ihr den Arbeitern, die eure Felder eingeernet haben, vorenthalten habt, der schreit. Und der Schrei der Schnitter ist zu den Ohren des Herrn der Heerscharen gedrungen.“ Zum Umkreis dieser Sünde gehört auch alles, was als Verkehrung der natürlichen Nutzung zu verstehen ist, wie z.B. unbegründete Verteuerung der Nahrung, Forderung von Wucherpreisen, Verkehrung der Lebensmittel durch unzulässige Zusätze. Das alles, und das ist ja sehr modern, gehört zu dem weiten Feld der vierten himmelschreienden Sünde. Und die Kirche hat das Evangelium von der sozialen Gerechtigkeit immer verkündet, und das ist nicht das Geringste an Dankbarkeit, das wir ihr zollen, daß sie die himmelschreienden Sünden immer beim Namen genannt hat, das soziale Evangelium unserer heiligen Kirche.

Den himmelschreienden Sünden reihen sich in bezug auf die Bosheit an die Sünden wider den Heiligen Geist. Die Sünden wider den Heiligen Geist bestehen darin, daß man den Heiligen Geist und sein Wirken formal verachtet, daß man sich seinen Einsprechungen und Einwirkungen mit Absicht widersetzt. Das sind die Sünden gegen den Heiligen Geist.

Die erste Sünde gegen den Heiligen Geist ist die Verzweiflung. Sie ist der Hoffnung entgegengesetzt. Wir sind ja geheißen, zu hoffen. Gott hat uns befohlen, auf ihn zu hoffen. Und wer sich der Hoffnung durch Verzweiflung entzieht, der sündigt wider den Heiligen Geist.

Die zweite Sünde ist die Vermessenheit. Gott hat uns befohlen, ihn zu fürchten, sein Gesetz zu achten und uns zu scheuen, daß wir den Vater im Himmel kränken, betrüben, beleidigen. Der Vermessene ist davon überzeugt, daß er mit seiner Sünde von Gottes Gerechtigkeit nicht getroffen wird. Er sündigt drauflos. „Das habe ich getan, und was ist mir geschehen?“, so sagt er. Das ist die zweite Sünde wider den Heiligen Geist.

Die dritte Sünde besteht darin, daß man der Erkenntnis der Wahrheit widerstrebt. Die Wahrheit ist bekannt, sie ist verkündigt worden, sie ist gepredigt worden. Aber man widersetzt sich der Wahrheit, um nicht von ihr in Beschlag gelegt zu werden. Ein japanischer Missionar hat einmal geschrieben: „Die Japaner wissen sehr genau, daß das Christentum ihrer Religion weit überlegen ist. Aber sie nehmen das Christentum nicht an, weil sie sich nicht stören lassen wollen in ihrem Lotterleben.“ Das Widerstreben gegen die erkannte Wahrheit ist eine Sünde wider den Heiligen Geist.

Die vierte Sünde wider den Heiligen Geist ist die Unbußfertigkeit. Statt daß man sich bekehrt, hat man den Vorsatz, sich nicht zu bekehren. Man bleibt in der Sünde, man verharrt in der Sünde und weist das leise Wehen und Werben des Heiligen Geistes ab, der einen ruft, von der Sünde zu lassen.

Die Sünden wider den Heiligen Geist werden in der Heiligen Schrift als unvergebbar bezeichnet. Gibt es eine Grenze für Gottes Vergebungsbereitschaft? Ja, es gibt eine solche Grenze, nämlich immer dann, wenn der Mensch sich gegen die Vergebung wehrt, wenn Gott sich zum Menschen neigt und der Mensch sich abwendet. Dann ist die Sünde unvergebbar, weil Gott nur mit dem Willen und nicht gegen den Willen, aber auch nicht ohne den Willen des Menschen Schuld vergeben will. Also die Unvergebbarkeit ist zu vergleichen mit einem Menschen, der die Arznei abweist, die der Arzt ihm verschreibt.

Die Sünde wider den Heiligen Geist hat oft ihre Wurzel in anderen Lastern. Die Laster des Menschen, also die Gewöhnung an die Sünde haben die Eigenart, daß sie seine Vernunft verfinstern und seinen Willen lähmen. Und diese Verfinsterung der Vernunft und diese Lähmung des Willens kann sich auswachsen zur Sünde wider den Heiligen Geist. Dann ist jede Hoffnung verloren, wenn der Mensch von Gott nichts wissen will, wenn er sich bewußt gegen ihn auflehnt.

Diese Sünde kann zu einer letzten Aufgipfelung führen; das ist die dämonische Sünde. Sie besteht darin, daß man einen Vertrag mit einem Dämon schließt, daß man dem Dämon seinen Willen übergibt und sich auf diese Weise dem Dämon ausliefert. Die dämonische Sünde ist äußerlich erkennbar an der bewußten Freude am Bösen und an der Lust, andere zu verführen. Wenn wir auf Menschen stoßen, die bewußte Freude am Bösen haben und die eine Neigung haben, andere zu verführen, dann müssen wir die Frage stellen, ob es nicht Menschen sind, die der dämonischen Sünde verfallen sind.

Meine lieben Freunde, in diesen Tagen hat ein vielgenannter Mann der Kirche vorgeworfen, an ihren Händen klebe Blut und Gold. Es ist keine Frage, daß es in der Kirche immer Menschen gegeben hat, die vor dem Auftrag Gottes versagt haben. In einem gewissen Sinne müssen wir ja alle an die Brust klopfen und sagen: Wir sind nicht die, die Gott in uns sehen will. Wir haben nicht getan, was Gott von uns gewollt hat. Wir haben nicht vollbracht, was er uns aufgetragen hat. Wir bekennen jeden Tag unsere Schuld. Und es ist pharisäisch und ungerecht, die Menschen dieserhalb anzuklagen, weil man ja selbst sich schuldig gemacht hat. Aber eines ist auch zu bedenken: Es ist heute zur Übung geworden, die Kirche schlechtzumachen, ihre Geschichte schlechtzumachen, die Kirchengeschichte von zweitausend Jahren als eine Ansammlung von Unrecht und Blutschuld und Golddurst zu bezeichnen. Diese Darstellung geht völlig an der Wirklichkeit vorbei. Die Kirche hat in zweitausend Jahren ungeheuren Segen über diese Erde gebracht. Von ihr ist das Wort der Wahrheit ausgegangen, von ihr sind Ströme der Gnade geflossen. Es wird niemand unter uns sein, der nicht sagen kann: Ich habe von der Kirche Segen empfangen, ich habe von Laien und Priestern Segen empfangen. Wie viele von uns sind doch durch die Verkündigung der Kirche, durch die Sakramente der Kirche auf eine höhere Stufe gehoben worden, haben der Sünde entsagt, haben sich um Besserung bemüht, haben eine Bekehrung vollzogen. Das sind doch alles Wirkungen der Kirche und ihrer Tätigkeit. Es ist also ganz ungerecht, der Kirche Vorwürfe über Vorwürfe zu machen. Daß Menschen Menschen sind, das ist ganz normal. Und daß Menschen vor dem Anspruch Gottes versagen, das ist nicht außergewöhnlich.

Der Herr selbst hat ja erlebt, wie einer seiner Auserwählten Blutschuld über sich gebracht hat und ihn um Silberlinge verraten hat. Derjenige, der diese Vorwürfe erhebt, der soll sich selber einmal fragen, wieviel Schuld er auf sich geladen hat, wie viele Tausende und Hunderttausende er mit seiner Hetze von der Kirche getrennt, mit einem falschen Glauben erfüllt hat und was er mit den Hunderttausenden oder Millionen, die er von seinen Büchern eingenommen hat, gemacht hat. Dieser Verräter und Apostat soll sich einmal fragen, was er für Unheil nicht nur über die Kirche, sondern über die Menschheit bringt mit seinen Tiraden und seinen unzulässigen Vorwürfen.

Meine lieben Freunde, die Kirche hat in ihrer zweitausendjährigen Geschichte durch die Verkündigung des Evangeliums und durch die Spendung der Gnade eine gewaltige Leistung für Gott und sein Reich vollbracht. Diese Kirche bleibt heilig, auch wenn sie aus Sündern, aus Menschen besteht, die immer wieder in Schuld fallen. Diese Kirche ist und bleibt heilig, weil sie die Gnade und die Wahrheit Gottes enthält. Und wir dürfen dieser Kirche vertrauen. Wir wollen bei ihr aushalten, wir wollen ihr dienen, wir wollen unser Leben für sie verwenden. Es lohnt sich, denn es gibt keinen Ersatz für die eine und einzige Arche unseres Heiles, die uns zum Himmel führt.

Amen.

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