28. März 1993
Die Hoheitsbezeichnungen Jesu
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Als ich in der vergangenen Woche über den Marktplatz von Erfurt ging, fiel mein Blick auf ein Auto, an dem eine Schrift angebracht war. Diese Schrift lautete: „Wenn du deinen Gott verloren hast, dann nimm meinen: Jesus!“ In dieser entchristlichten, atheistischen Umgebung hatte ein Mann, ein Kaufmann, den Mut, ein offenes, allen sichtbares Bekenntnis zu Jesus, unserem Gott und Heiland, abzulegen. Er hatte begriffen, daß man mit Jesus nicht umgehen kann wie mit irgendeinem der Propheten, wie es meinetwegen Herr Küng tut, sondern daß Jesus unser Gott ist. Und gerade das ist die Botschaft des Apostels Paulus. Wir haben am vergangenen Sonntag gesehen, daß auch die drei ersten Evangelisten die Gottheit Jesu bekennen. Aber es geschieht in einer mehr verhüllten Weise. Ganz offengelegt ist die Wirklichkeit Jesu beim Apostel Paulus. Im Römerbrief heißt es an einer Stelle: „Den Israeliten gehören die Väter an, und aus ihnen stammt dem Fleische nach der Messias, der Gott ist über alle, hochgelobt in Ewigkeit. Amen.“
Paulus unterscheidet: In Christus ist die fleischliche Seite zu berücksichtigen, und als solcher ist er der Messias, der verheißene Erlöser, aber seine innere Wirklichkeit geht weit über das hinaus, was man von dem Messias erhoffte und erwartete. Er ist Gott, hochgelobt in Ewigkeit. Man muß darum von Anfang an sagen: Wer über Jesus redet, ohne seine Gottheit zu bekennen, der hat um ihn herumgeredet.
Paulus macht vier Wesensaussagen von Jesus: Er ist der Messias – das griechische Wort heißt Christos, das lateinische Christus –, er ist der Sohn Gottes, er ist der Herr und er ist der Hohepriester. Messias, Herr, Sohn Gottes und Hoherpriester. Wenn Paulus von Christus spricht, dann hebt er immer die zweifache Gestalt unseres Herrn hervor. Er sagt immer zuerst: Jesus ist der, der aus dem Weibe geboren wurde, der unter das Gesetz getan ist – und dann kommt die Hoheitsaussage: Er ist aber auch der, vor dem sich alle Knie beugen müssen, er ist der, den Gott erhöht hat und der herrscht zu der Rechten des Vaters.
Ganz deutlich ist diese Aussage im Brief an die Philipper. Da heißt es: „Er, der in Gottesgestalt war, hat nicht geglaubt, das Gottgleichsein wie ein Beutestück festhalten zu sollen, nein, er entäußerte sich, nahm Knechtsgestalt an, wurde den Menschen gleich und ward im Äußeren als ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn Gott auch erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist, auf daß sich im Namen Jesu beugen alle Knie derer, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind, und daß alle Zungen zur Ehre Gottes, des Vaters, bekennen: „Jesus Christus ist der Herr!“
Das Wort „Herr“ – griechisch kyrios – ist jener Ausdruck, den die Zuhörer des Apostels Paulus aus ihrer alttestamentlichen Bibel kannten. In der alttestamentlichen Bibel wird nämlich immer dort, wo der hebräische Gottesname Jahwe steht, im Griechischen das Wort kyrios eingesetzt. Wenn also Paulus Jesus als den Kyrios bezeichnet, dann gibt er ihm den Namen, der im Alten Testament allein Gott zukam, erhöht ihn damit in die Sphäre Gottes.
Hat damit Paulus etwas Unrechtes getan? Hat er etwa eine Apotheose vorgenommen, also eine Vergöttlichung von Menschen, wie sie in der Umwelt des Paulus üblich war? Da hat man bekanntlich Kaiser zu Lebzeiten oder nach ihrem Tode wie Götter verehrt. Hat Paulus etwas dergleichen getan?
Weit gefehlt, meine lieben Freunde. Was er von Jesus verkündigt, kommt aus zwei Quellen. Einmal aus der Urgemeinde. Er hat sich ja nach seiner Bekehrung nach Jerusalem begeben und hat dort aus dem Mund der übrigen Apostel die Wahrheit über Jesus entgegengenommen. Er hat den Petrus, er hat den Jakobus, er hat andere Jünger und Schüler der Apostel gesprochen und gehört und ihr Zeugnis entgegengenommen. Das ist die erste Quelle. Und er war kein unkritischer Hörer der Botschaft. Er war ja ursprünglich ein Hasser Jesu, und der Haß hat scharfe Augen! Mit dem Hasse sieht man die Schwächen und die Mängel einer Person deutlicher als mit der Liebe. Aber dieser Haß, den er als Pharisäer gehabt hat, wurde durch die Zeugnisse, die er empfangen hat, und vor allem durch die Erfahrung, die er selbst mit Jesus gemacht hat, in Liebe verwandelt. Das ist nämlich die zweite Quelle seines Wissens von Jesus: das Erlebnis vor Damaskus. Er war auf dem Wege, um die Christen zu verfolgen, aber er wurde durch eine Lichterscheinung niedergeworfen. Er konnte sich dagegen nicht wehren, diese Erscheinung hat ihn überwältigt. Er fragte, wer diese himmlische Lichtmacht sei. Da kam die Antwort: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“
Hier also hat er die Grundlage für seine Bekehrung empfangen. Und was ist aus dem bekehrten Paulus geworden? Er ist ein Buch, aber in diesem Buche steht nur ein einziges Wort: Jesus. Er ist ein Sturm, aber die Macht dieses Sturmes ist Jesus. Er ist ein Feuerball, aber die Flamme dieses Feuerballs ist Jesus und niemand anderer. Er war ganz erfüllt von Jesus und hat sein ganzes Leben der Verkündigung der Jesusbotschaft gewidmet.
Der Kyrios, der Herr, den Paulus erfahren hat, ist die personhafte, umfassende, rechtmäßige und Gehorsam heischende Macht Gottes. So muß man den Herrn, den Paulus bekennt, bezeichnen. Personhaft, nicht ein sächliches Geschehnis oder eine sächliche Angelegenheit, nein, eine Person ist derjenige, der ihn überwältigt hat. Er ist eine umfassende Personmacht. Paulus wird dann von ihm bekennen, daß alles ihm unterworfen ist im Himmel und auf Erden, daß er der Herr über die Natur und der Herr über die Schuld der Menschen ist, eine umfassende Macht, die über ihn gekommen ist. Er ist eine rechtmäßige Macht, nicht eine angemaßte. Unter den Herren dieser Erde gibt es so viele, die sich selbst dazu gemacht haben. Er ist der Herr, den der Vater im Himmel in sein Herrentum eingesetzt hat. Und weil es sein rechtmäßiges Herrentum ist, deswegen kann er Gehorsam beanspruchen. Es ist die Gehorsamsforderung, die von Gott selbst ausgeht.
Von diesem Herrn bekennt Paulus, daß er sein Knecht und sein Apostel geworden ist wie eingangs des Römerbriefes: „Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, auserwählt für die Heilsbotschaft Gottes, die Gott schon längst verheißen hat durch seine Propheten, in den heiligen Schriften von seinem Sohn, der dem Fleische nach aus dem Geschlechte Davids stammt, dem Heiligen Geiste nach als Gottessohn machtvoll erwiesen wurde durch seine Auferstehung von den Toten, von Jesus Christus, unserem Herrn.“
Auch hier wieder die doppelte Aussage, nämlich dem Fleische nach aus dem Geschlechte Davids stammend, dem Heiligen Geiste nach als Gottessohn machtvoll erwiesen durch die Auferstehung von den Toten. Das ist nicht so zu verstehen, wie manche Falschlehrer wollen, daß Jesus erst durch die Auferstehung zum Herrn und Messias geworden sei. Er war der Herr und Messias, als er auf Erden wandelte, aber seine Herrenwürde und sein Königtum sind eben sichtbar und für alle Welt deutlich geworden durch das Ja Gottes, das in der Auferstehung, die man auch als Auferweckung bezeichnen kann, gesprochen worden ist.
Also: Die Auferweckung und die Himmelfahrt haben Jesus nicht zum Herrn gemacht, sie haben ihn als Herrn erwiesen! Er war der Herr zeit seines Lebens, aber seine Würde ist überwältigend offenbar geworden in diesem unerhörten Ereignis seiner Auferstehung und Himmelfahrt.
Von diesem Sohne Gottes sagt Paulus aus, daß er uns erlöst hat. Und was für eine Erlösung! Es wird kaum einmal jemand, so meint Paulus, für einen Gerechten sterben, aber Gott hat seine Liebe erwiesen dadurch, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren. Dies ist die Liebestat Jesu, daß er nicht für Gerechte gestorben ist, sondern für Sünder, daß er herabgekommen ist, um die Menschheit von Schuld und Sünde zu erlösen. Er war der machtvoll in die Naturgeschehnisse eingreifende Herr, er war derjenige, der Macht hatte über die Schuld der Menschen, indem er Sünden vergab. Er wird einmal, am Ende der Tage, seine Herrschaft über die ganze Welt offenkundig und offen sichtbar erweisen, wenn Gott alles unter seine Füße werfen wird, wenn er das Reich Gottes dem Vater übergibt, nachdem er jede Herrschaft, Macht und Gewalt vernichtet hat, denn er muß herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat.
Nun kann es manchmal scheinen, als ob die Herrschaft Jesu in der Gegenwart ohnmächtig wäre, als ob andere Herren mächtiger wären als er, als ob man sich über ihn lustig machen könnte, ihn verspotten könnte. Das hindert Paulus nicht und mit ihm die ganze Urchristenheit nicht, das Herrentum Jesu zu verkündigen. Paulus ist überzeugt, daß Jesus die Fäden der Geschichte in seiner Hand hält, er ist überzeugt, daß alles nach seinem Plane abläuft, auch wenn wir im Augenblick die Fäden nicht zu entwirren vermögen. Im Epheserbrief schreibt er: „Er thront über aller Herrschaft, Gewalt, Macht und Kraft und über jedem Namen, der in dieser und in der zukünftigen Welt genannt wird.“ Alles hat er unter seine Füße gelegt, also ist er der Herr von allem, auch jetzt und nicht erst am Ende der Tage.
Er ist aber auch der Hohepriester, der einzige Hohepriester, der Priester, gegenüber dem jedes andere Priestertum nur ein werkzeuglicher Dienst sein kann. Alle Priester, die ihre Würde von Jesus ableiten, können nur relative Priester, d.h. auf ihn bezogene priesterliche Werkzeuge sein. Diese Aussage finden wir im Hebräerbrief in den wuchtigen Eingangssätzen, wo es so ergreifend heißt: „Vielmals und mannigfach hat einst Gott zu den Vätern gesprochen durch die Propheten. Jetzt, am Ende der Tage, hat er zu uns durch seinen Sohn geredet, den er zum Erben über alles gesetzt hat, durch den er auch die Welten geschaffen hat. Er, der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens, der das Weltall trägt durch sein machtvolles Wort, der Erlösung von den Sünden gebracht und sich dann gesetzt hat zur Rechten der Majestät, so hoch erhoben über die Engel wie sein Name, den er als Erbteil erhielt, den ihrigen überragt.“
Dieser Jesus ist der Hohepriester, der durch sein eigenes Lebensopfer Priesterdienst verrichtet hat, in dem wir nun einen Hohenpriester haben, der hindurchgegangen ist durch die Himmel, Jesus, der Sohn Gottes.
So wollen wir festhalten an dem Bekenntnis: Abglanz seiner Herrlichkeit, Ebenbild seines Wesens – so nennt ihn der Verfasser des Hebräerbriefes, der aus dem Kreis um Paulus stammt, Abglanz seiner Herrlichkeit, Ebenbild seines Wesens. Das sind ganz eindeutige Aussagen, welche die göttliche Würde Jesu über jeden Zweifel erhaben machen.
Daß es den Aposteln und Paulus vor allem fern lag, Jesus etwas zuzuschreiben, was ihm nicht zukam, daß es sich also nicht um eine Apotheose, um die Vergöttlichung eines bloßen Menschen handelte, dafür gibt es noch ein ganz wunderbares Zeugnis. Nämlich Paulus und Barnabas, sein Begleiter auf der Missionsreise, kamen nach Lystra, das ist ein kleiner Ort in Kleinasien, also in der heutigen Türkei. Sie kamen nach Lystra, und Paulus hatte dort einen Kranken geheilt. Es war ein lahmer Mann, der niemals hatte gehen können. Er hörte Paulus predigen, der blickte ihn an, daß er Vertrauen haben solle. Dann sprach er mit lauter Stimme: „Stelle dich aufrecht auf deine Füße!“ Da sprang der Lahme auf und ging umher. Als die Scharen das Wunder sahen, da erhoben sie ihre Stimme und riefen: „Götter in Menschengestalt sind zu uns herabgekommen!“ Den Barnabas nannten sie den Zeus, den Paulus aber Hermes – griechische Götter. Der Priester am Tempel des Zeus brachte Stiere und Kränze und wollte opfern, ein Opfer darbringen für diese angeblichen Götter.
Und was machten die Apostel Paulus und Barnabas? Als sie das hörten, was die Menschen sagten und vorhatten, da zerrissen sie ihre Kleider, sprangen unter das Volk und riefen: „Ihr Leute, was tut ihr da? Auch wir sind sterbliche Menschen wie ihr. Wir verkünden euch die Heilsbotschaft, daß ihr euch von den nichtigen Götzen zum lebendigen Gott bekehren sollt.“
Hier haben wir ein Zeugnis dafür, mit welcher Leidenschaft Paulus jedem Versuch entgegentrat, Menschen zu vergöttlichen. In diesem Falle war er ja selber der Gegenstand der vorgesehenen Vergöttlichung. Wenn er eine solche Vergöttlichung radikal ablehnt, dann ist es ausgeschlossen, daß er sie selbst hätte vornehmen sollen, nämlich an Jesus von Nazareth. Er hat Jesus nicht zum Gott gemacht, sondern er hat ihn als Gott erkannt, und weil er ihn erkannt hat, deswegen hat er ihn bekannt und deswegen hat er sein Leben diesem Gott Jesus Christus geweiht.
Das ist auch unsere Aufgabe, meine lieben Freunde, Jesus als unseren Gott und Heiland zu bekennen. „Wenn du deinen Gott verloren hast,“ so hat dieser Mann in Erfurt an sein Auto geschrieben, „dann nimm meinen, Jesus!“ Das wollen auch wir tun und wollen Jesus weitertragen als unseren Gott und Heiland. Jeder, der auf die Stimme des Heilandes hört, der ist fähig, ihn zu bekennen vor den Menschen, auf daß er sich zu uns bekenne im Gerichte.
Amen.