10. April 2005
Der Sendungsauftrag der Kirche
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Gott hat seine Boten zu den Menschen gesandt, um ihnen seinen Willen zu verkünden, um ihnen seine Wahrheit aufzudecken. Zuerst waren es die Propheten, eine lange Schar von Gottgesandten. Dann waren es die Apostel, und schließlich ist es die Kirche, die Kirche mit ihren Sendboten, die täglich neu von Christus her durch die beauftragten Apostelnachfolger gesandt werden. Es muss so sein, meine lieben Freunde, denn wenn es den Menschen überlassen bliebe, sich aus der Heiligen Schrift oder durch die Überlieferung die Wahrheit und den Willen Gottes herauszudestillieren, dann würde dieser Versuch in einem Chaos enden. Es muss gepredigt werden. und damit gepredigt wird, muss gesandt werden, sonst nehmen sich die Menschen keine Zeit dafür. Denken Sie daran, welches Wissen von der Religion wir hätten, wenn wir uns auf das verlassen würden, was wir von unseren Eltern gehört haben oder was wir selbst aus der Bibel entnommen haben.
Um die Fülle der Wahrheit zu den Menschen gelangen zu lassen, hat Christus eine Kirche gegründet und ihr Aufträge gegeben: „Gehet hin in alle Völker, lehret alle Völker, lehret sie alles halten, was ich euch gesagt habe!“ Er hat sie mit seiner Autorität ausgestattet: „Wer euch hört, hört mich.“ Und er hat ihr den Heiligen Geist verheißen, den Geist der Wahrheit, dem alles an der Wahrheit liegt und der für die Wahrheit eintritt und der dafür sorgt, dass die Wahrheit nicht untergeht. Dieser Heilige Geist wird bei der Kirche bleiben bis zum Ende der Zeiten. Also in den treuen Händen der Kirche ruht der Offenbarungsschatz, das geschriebene und das ungeschriebene Wort Gottes. Sie hütet diesen Schatz, und sie hat Einrichtungen getroffen, um diese Behütung des Schatzes auch sicherzustellen für alle Zeiten. Ohne die Kirche und ihre Bemühungen wäre das Evangelium längst vergessen oder zumindest nach dem Geschmack der Menschen gemodelt. Die Menschen neigen dazu, sich Gott nach ihrem Bilde zu gestalten. Sie neigen dazu, sich die Moral zurechtzumachen, die ihnen gefällt. Sie wollen das tun, was ihnen Spaß macht, und das nennen sie ihre Moral. Dagegen steht die Kirche auf und kündet den Willen Gottes, gelegen oder ungelegen.
Sie ist nicht eine Botin Gottes wie die Propheten oder wie die Apostel, d.h. sie erfindet nicht neue Wahrheiten, sondern sie übermittelt die in Christus abgeschlossene Offenbarung an die Menschen. Mit ihm ist ja die Fülle der Wahrheit gekommen, und die Kirche trägt sie weiter. Sie kann keine einzige neue Offenbarung bringen. Sie kann nur aus den Quellen schöpfen, die Christus ihr vermacht hat, nämlich der Heiligen Schrift und der Überlieferung. Es ist ein Meisterstück der Erziehungsweisheit, wie die Kirche ihren Gläubigen die Offenbarungsschätze vorlegt: anders dem Schulkind, anders dem Gebildeten; auf seine Weise dem Neger in Afrika und auf andere Weise den Gebildeten der Hochschulen. Aber es ist immer dieselbe Wahrheit, die nur sich den verschiedenen Umständen im Ausdruck anpasst, um auch verstanden und angenommen zu werden. Sie gießt die Wahrheit in die Sprache und in die Denkweise der jeweiligen Menschen, aber die Wahrheit selber bleibt unverändert.
Tag um Tag versieht die Kirche die ordentliche Lehrverkündigung. Sie geschieht durch die Priester von den Kanzeln und Ambonen; sie geschieht auch durch die Religionslehrer in den Schulen und in den Unterrichtsräumen. Die ordentliche Lehrverkündigung vollzieht sich auch durch von der Kirche approbierte Bücher, Lieder und Gebete. Die Bischöfe überwachen diese Lehrtätigkeit; sie erteilen die Missio Canonica, also die kanonische Sendung an diejenigen, die mit der Verkündigung des Glaubens beauftragt sind. Sie geben Katechismen heraus, und sie erteilen die Druckerlaubnis für religiöse Bücher. Wir können uns also grundsätzlich auf das, was uns amtlich und von Amtes wegen vorgelegt wird, verlassen. Die Kirche ändert ihren Glauben nicht, auch wenn der Zeitgeist ihr ins Gesicht bläst. Sie ändert den Glauben nicht wegen Abstimmungen und Meinungsumfragen. Sie biegt sich nicht vor den Winden. Sie ruft nicht unreife Jugend zur Höhe der Lehrkanzel. Sie löscht auf ihren Tafeln nicht die Gesetze und nicht die Form der Verpflichtung. Es bleibt bestehen: Du sollst! Es stehen Autoritäten zwischen den Schwankenden. So will es die Struktur des christlichen Glaubens.
In den vergangenen Tagen hat man der Kirche wieder angesonnen, ihren Glauben zu ändern. Heiner Geißler, der ehemalige Minister, sieht die katholische Kirche in einer tiefen Krise stecken. Und wie kommt sie aus ihr heraus nach seiner Meinung? Sie kommt heraus durch die Frauenordination, durch die Aufhebung des Zölibats und durch die Mitbestimmung der Laien. Ja, meine lieben Freunde, wenn das die Krise der Kirche wäre, dann dürfte es im Protestantismus keine Krise geben; denn dort ist das alles verwirklicht, was Geißler fordert. Dort werden Frauen ordiniert, wie man das nennt, dort gibt es keinen Zölibat, und dort bestimmen die Laien in den Synoden. Wie geht das zusammen, wenn diese Änderungen der kirchlichen Lehre und Disziplin zur Krisenfreiheit führen sollen, wo doch eben diese Dinge anderswo schon verwirklicht sind, wo die Krise mindestens so groß ist wie in der nachkonziliaren Kirche? Nein, die Frage ist nicht: Hat das katholische Christentum noch eine Chance in der Gesellschaft?, sondern die Frage ist: Hat die Gesellschaft noch eine Chance ohne das katholische Christentum? Kirchen, die auf ihrem Fachgebiet hin und her schwanken und ratlos sind, wirft die Geschichte zum alten Eisen. Ich zahle keine Kirchensteuer für eine Kirche, die nicht unfehlbar ist.
Manchmal hat die Kirche auch Anlaß, in feierlicher Weise den Glauben auszusprechen. Sie tut das vor allem, wenn eine Streitfrage entsteht, die geklärt werden muss. Wenn eine Lehre besonders angegriffen wird, dann ruft der Papst die Bischöfe zu einem Konzil zusammen, und da verkünden sie einmütig und feierlich als Lehrer der Welt, wo in dieser Frage die Wahrheit liegt. Es ist klar, dass der Heilige Geist, der Heilige Geist der Wahrheit, seine Kirche in diesen feierlichen Lehrsprüchen nicht verlässt. So haben wir etwa das Konzil von Nizäa, wo die Gottheit Christi gelehrt wurde. Wir haben das Konzil von Ephesus, wo die Gottesmutterschaft Mariens festgehalten wurde, und viele andere Lehrkonzilien, welche die Wahrheit lichthell in Sätze gefasst haben, die wir Dogmen nennen. Dogmen sind Lehrsätze. Dogma ist der Glaube als Satz und Gesetz. Ein Dogma ist durch zwei Momente konstituiert: durch das Enthaltensein in der Offenbarung und durch die amtliche Vorlage der Kirche. Nur das ist Dogma, was in der Offenbarung enthalten ist und was die Kirche als in der Offenbarung enthalten von Amtes wegen vorlegt.
Solche Dogmen können auch vom Oberhaupt der Kirche, vom Papst, verkündet werden. Im Jahre 1854 hat der damalige, inzwischen heiliggesprochene Papst Pius IX. das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens verkündet, und 1950 verkündete Papst Pius XII. das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel. Wie kann ein Einzelner unfehlbar sein? Weil sich in ihm die Unfehlbarkeit der Kirche sammelt. Die Kirche ist unfehlbar, wenn sie feierliche Lehrsprüche von sich gibt, und diese Unfehlbarkeit der Kirche ist ihrem obersten Repräsentanten, in dem sich die Kirche darstellt, eigen, wenn er für die ganze Kirche in letzter und endgültiger Weise mit voller Autorität eine Wahrheit verkündet.
Die Kirche schöpft aus den Quellen, und sie führt uns zu den Quellen. Die erste Quelle ist die Heilige Schrift. Was in der Heiligen Schrift enthalten ist, das lässt uns die Kirche lernen und applizieren. Die Heilige Schrift ist nun einmal die Offenbarungsurkunde. Der heilige Thomas von Kempen spricht in seiner „Nachfolge Christi“ davon, dass in der Kirche zwei Tische aufgestellt seien, der eine Tisch für die Eucharistie, der andere Tisch für die Heilige Schrift. Die Kirche schätzt und empfiehlt das Lesen der Heiligen Schrift. Es ist ein Ammenmärchen zu behaupten, die Kirche habe das Lesen der Heiligen Schrift verboten. Sie hat es nie verboten; sie hat es immer empfohlen. Freilich mit gebührender Anleitung. Die Kirche verlangt, dass die Ausgaben der Heiligen Schrift, die von ihren Gläubigen benutzt werden, mit Anmerkungen versehen sind, denn in der Heiligen Schrift ist vieles dunkel. Es ist nicht wahr, was Luther behauptet, dass die Schrift sich selber auslegt. Das kann ein Buch überhaupt nicht. Ein Buch kann sich nicht selber auslegen. Es braucht den Ausleger. Und weil in der Heiligen Schrift vieles dunkel ist, verlangt die Kirche, dass die Bibelausgaben mit Anmerkungen versehen sind. Vergessen wir nicht, meine lieben Freunde: Alle Irrlehren der Geschichte haben mit der Bibel, mit der falschen Auslegung der Bibel begonnen. Alle Irrlehren der Kirchengeschichte stützen sich – zu Unrecht – auf die Bibel. Wenn wir die Bibel recht verstehen wollen, müssen wir sie mit den Augen und mit dem Sinn der Kirche lesen, sonst kommen wir zu Aufstellungen wie der von Frau Annette Ahme aus Berlin, die gestern in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb: „Im Neuen Testament steht nichts von der Unfehlbarkeit des Papstes, nichts von der Ehelosigkeit von Priestern, nicht einmal von der Berechtigung des Priester- oder gar Papstamtes.“ Ja, meine lieben Freunde, ich frage: Hat Frau Annette Ahme jemals die Heilige Schrift gelesen? Hat nicht der Herr in der feierlichen Stunde seines Abschieds zu Petrus gesagt: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke“? Hat er nicht zu ihm gesagt: „Wenn du dann gefestigt bist, stärke deine Brüder“? Ist das kein Ansatz für die Unfehlbarkeit des Papstes? Ja, wozu ist er dann der Fels, wenn er nicht im Glauben feststeht und den Glauben unerschüttert verkündet? Im Neuen Testament, sagt diese Dame, steht nichts von der Ehelosigkeit der Priester. Ja, aber wie können dann die Apostel zum Herrn sagen: „Siehe, wir haben alles verlassen“? Also auch die Frauen, die sie vielleicht vorher hatten? Ist nicht der Herr als Eheloser durch das Leben geschritten, und ist nicht der Priester sein Stellvertreter, sein Repräsentant, und ist es deswegen nicht höchst angemessen, dass er die Lebensform des Heilands nachahmt? Es steht nichts von der Berechtigung des Priester- oder gar Papstamtes im Neuen Testament, sagt diese Dame. Ja, aber wer sind denn die Apostel? Hat ihnen der Herr nicht seine Sakramente, seine Geheimnisse und seine Lehre übergeben? Sind sie nicht die ersten Priester, die dann durch eine endlose Kette bis heute das Priestertum weitergegeben haben? An dem Beispiel dieser Dame sehen Sie, meine lieben Freunde, wohin man kommt, wenn man ohne die Führung der Kirche auf eigene Faust Bruchstücke aus dem Neuen Testament herausreißt und sie als den Glauben, der verbindlich ist, ausgibt.
Selbstverständlich haben die Menschen noch viel mehr Einwände gegen die Sittenlehre der Kirche, und dagegen geht diese Frau auch an. Sie spricht von erstarrtem Sturkatholizismus, der sich erfrecht, zu Abtreibung und Aids etc. sinnwidrige Empfehlungen zu geben. Ja, ist denn nicht im Alten und im Neuen Testament die Abtreibung als ein verabscheuungswürdiges Verbrechen gebrandmarkt? Ist das eine sinnwidrige Empfehlung der Kirche, oder ist das der Wille Gottes?
Wer die Bibel ohne die Kirche liest, geht unfehlbar in die Irre. Und die Bibel ist immer der Ergänzung durch die Überlieferung bedürftig. Wir müssen also die Bibel immer im Kontext lesen mit den Lehren der Kirchenväter und der Kirchenschriftsteller. Wir müssen sie im Kontext mit der Liturgie lesen, die ja Auslegung der Bibel ist. Wir dürfen vor allem nicht das Gesetz der Entwicklung vergessen. Die Kirche hat sich entwickelt. Das kleine Häuflein, das damals in Jerusalem am ersten Pfingstfest beisammen war, hat sich zu einer Weltkirche entwickelt. Niemand kann es widerlegen, wenn wir sagen, dass ein Eichbaum aus einer Eichel geworden ist. Aber wie unähnlich ist ein Eichbaum einer Eichel! Und doch hat die Eichel diesen Eichbaum hervorgebracht. So ist es auch mit der Lehre der Kirche. Es gibt eine Entwicklung, ein tieferes Verständnis, ein Eindringen. Es wird der Kirche immer klarer, was es heißt, wenn Maria genannt wird „Du Gnadenvolle“. Ja, warum ist sie denn gnadenvoll? Das ist der Kirche allmählich aufgegangen: weil sie ohne Erbsünde empfangen ist. Und weil sie ohne Erbsünde empfangen ist, konnte sie auch vor der allgemeinen Auferstehung den Einzug in den Himmel erleben. Das ist nicht aus den Fingern gesogen, das ist aus der Heiligen Schrift bezogen, das ist die Entwicklung, die die Kirche unter der Leitung des Heiligen Geistes in ihrer Lehre erfahren hat. Nein, meine lieben Freunde, die Kirche biegt ihre Dogmen nicht und gibt sie nicht auf, auch wenn noch so viele Menschen sich von ihr abwenden und ihr Heil in Pseudoprophetien und Pseudoreligionen suchen. Die Kirche weiß, dass das Wort Gottes ihr anvertraut ist, und sie wird an diesem Worte festhalten, unbeschadet aller Verluste, die sie – Gott sei es geklagt – deswegen erleiden mag.
Wenn wir einmal das Ende unseres Lebens erfahren und in die Ewigkeit eingehen werden, wenn einmal die Schatten und die Hüllen fallen, dann werden wir erkennen, dass die Kirche das Wort Gottes wahrhaft gehütet und uns nicht in die Irre geführt hat. Dann wird sich an uns erfüllen das schöne Wort: „Selig, die das Wort Gottes hören und es befolgen. Ihrer ist das Himmelreich.“
Amen.