2. Juli 2000
Die Begleitschaft der heiligmachenden Gnade
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir sprachen über das Geschenk der Rechtfertigung. Wenn Gott uns rechtfertigt, d. h. vor sich in den rechten Stand setzt, dann schenkt er uns die heiligmachende Gnade. Die heiligmachende Gnade ist jenes übernatürliche Leben, das weit, weit alles natürliche Leben übersteigt, uns Gemeinschaft mit Gott gibt, uns den Glanz der göttlichen Herrlichkeit jetzt noch in verhüllter Weise, einst in unverhüllter Weise vermittelt.
Mit der heiligmachenden Gnade aber kommt deren Begleitschaft. Die heiligmachende Gnade kommt gewissermaßen nicht allein, sondern sie hat eine Begleitschaft, und zwar eine dreifache, nämlich
1. die sieben Gaben des Heiligen Geistes,
2. die acht Seligkeiten und
3. die zwölf Früchte des Heiligen Geistes.
Zur Begleitschaft der heiligmachenden Gnade zählen an erster Stelle die Gaben des Heiligen Geistes. Sie sind Geschenke des dreifaltigen Gottes und heißen darum Gaben des Heiligen Geistes, weil der dreifaltige Gott uns den Heiligen Geist schenkt und weil der Heilige Geist in einer besonderen Beziehung zu diesen Gaben steht. Das große Geschenk, das Gott uns macht, das ist er selbst, ist sein Heiliger Geist. Aber wenn wir diesen Heiligen Geist gewissermaßen in seine geschöpflichen Bestandteile ausfalten, dann stoßen wir auf die Gaben des Heiligen Geistes. Die Gaben des Heiligen Geistes sind bleibende Zuständlichkeiten, durch die der Mensch befähigt wird, die Einsprechungen und Erleuchtungen des Heiligen Geistes leicht und freudig und schnell aufzunehmen. Bleibende Zuständlichkeiten, also nichts Vorübergehendes, sondern etwas, was in der Seele verharrt, und zwar solche Zuständlichkeiten, die uns geneigt und geeignet machen, die Einsprechungen und Erleuchtungen Gottes leicht, schnell und freudig aufzunehmen. Der Mensch ist ja kraft seiner Herkunft von Gott geöffnet für Gott. Aber er kann sich Gott verschließen, und er kann ihm Widerstand entgegenbringen. Um diesen Widerstand zu brechen, dienen die Gaben des Heiligen Geistes. Sie geben uns eine Verwandtschaft mit Gott, sie geben uns eine Bereitwilligkeit für Gott, sie geben uns ein Feingefühl für Gott. Kraft der Gaben des Heiligen Geistes haben wir ein Gespür für seine Hand, haben wir ein Gehör für seine Stimme. Die eingegebenen Gaben des Heiligen Geistes sind etwas anderes als die eingegossenen Tugenden. Die Tugenden, die Gott uns eingießt, ersparen uns nicht die Überlegung und die Anstrengung; die Gaben dagegen geben uns Freudigkeit und Leichtigkeit in der Zustimmung zu Gottes Einsprechungen.
Wie kommt man nun auf die Zahl 7? Wie geschieht es, daß wir von sieben Gaben des Heiligen Geistes sprechen? Diese Siebenzahl ergibt sich aus dem Buch des Propheten Isaias. Dort ist nämlich vom kommenden Messias die Rede, und von diesem Messias wird gesagt: „Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist des Erkennens und der Furcht des Herrn. An der Furcht des Herrn hat er sein Wohlgefallen.“ An dieser Stelle werden im Urtext sechs Gaben aufgezählt. In der Übersetzung der Vulgata sind es dagegen sieben. Diese sieben Gaben, die dem Messias verheißen sind, werden ihm ja nicht nur um seinetwillen gegeben, sondern sie werden ihm gegeben als Haupt der erlösten Menschheit. Deswegen ist die Annahme berechtigt, daß, was dem Messias verheißen ist, auch den Begnadeten gegeben werden wird. Derselbe Geist, der den Messias geheiligt hat und für seine Tätigkeit bereitet hat, derselbe Geist heiligt ja auch die Begnadeten. Deswegen ist noch einmal die Annahme begründet, daß auch auf die in der Gnade Lebenden die sieben Gaben des Heiligen Geistes ausgegossen werden.
Man unterscheidet bei den Gaben des Heiligen Geistes zwei Gruppen, nämlich die Verstandesgaben und die Willensgaben. Es ist nicht so, daß die Gaben im Menschen streng geschieden sind. Wir müssen sie unterscheiden, um sie besser zu verstehen, aber sie sind im Menschen immer beisammen, denn es ist eben das eine menschliche Subjekt, das mit allen diesen Gaben beschenkt wird. Diese Gaben sind immer zusammen, wenn auch der Ton jeweils auf einer von ihnen in besonderer Weise liegen mag.
An erster Stelle erwähnen wir die Gaben des Verstandes. Verstand ist hier gemeint im Sinne von Verstehen, und zwar des Göttlichen. Wer die Gabe des Verstandes besitzt, der versteht das Göttliche, er nimmt es auf, er erfaßt es. Durch die Gabe des Verstandes vermögen wir also einzudringen in die Offenbarung. Daraus erhellt, wie wichtig, ja wie unerläßlich diese Gabe ist für den, der eine tiefe Erkenntnis der göttlichen Offenbarung gewinnen will.
Die zweite Gabe ist die der Weisheit. Paulus stellt oft die Menschenweisheit, die Weltweisheit der Gottesweisheit, der göttlichen Weisheit gegenüber. Die Weltweisheit ist jene, in der die Menschen die Erkenntnis der Dinge dieser Welt zu gewinnen versuchen. Die Gottesweisheit ist weit, weit über der Menschenweisheit, und die Menschenweisheit ist immer in der Gefahr, die Gottesweisheit nicht zu erkennen. In diesen Tagen, meine lieben Freunde, hat ein Philosoph, ein sogenannter Philosoph in Berlin einen Schmähartikel schlimmsten Ausmaßes gegen das ganze Christentum in der Zeitschrift „Die Zeit“ veröffentlicht. In diesem Artikel wird das Christentum als der Ausbund der Dummheit und verbrecherischen Sinnes dargestellt. Das geschieht im sogenannten christlichen Abendland, das geschieht in einer Zeitung, die von Christen herausgegeben wird. Diesem Manne fehlt offensichtlich, auch wenn er getauft ist, die Gabe der Weisheit. Er vermag nicht in den Geschehnissen der Heilsgeschichte die Weisheit Gottes zu erkennen. Er hat keinen Geschmack für das Göttliche und für das Wirken Gottes. Es fehlt ihm der Sinn für das Verständnis der Schrift und der Person Jesu Christi. Die Weisheit vermittelt beides: Geschmack für das Göttliche und Verständnis für Christus und die Offenbarung, die in der Heiligen Schrift bezeugt wird.
Die dritte Gabe ist die der Wissenschaft. Kraft der Gabe der Wissenschaft vermögen wir die Beziehung der Dinge zu Gott zu erkennen. Wir vermögen gewissermaßen in den Geschöpfen den Schöpfer zu ergründen. Die Gabe der Wissenschaft läßt uns auch das, was zu glauben ist, von dem, was nicht zu glauben ist, unterscheiden. Es gibt ja beide Erscheinungen, die Ungläubigkeit und die Leichtgläubigkeit. Der Unglaube glaubt zu wenig, die Leichtgläubigkeit glaubt zu viel. Die Gabe der Wissenschaft vermittelt uns die Fähigkeit, zwischen dem zu unterscheiden, was zu glauben ist, und dem, was nicht zu glauben ist. Soeben hat der Kardinal Ratzinger bei der Erklärung des dritten Geheimnisses von Fatima den Unterschied zwischen der amtlichen, öffentlichen Offenbarung und den Privatoffenbarungen herausgestellt. Diese Unterscheidung ist berechtigt, ja sie ist notwendig. Wir, die wir hier zusammen sind, sind wohl ohne Ausnahme davon überzeugt, daß tatsächlich Maria in Fatima gesprochen hat. Aber wir brauchen diese Offenbarung von Fatima nicht so zu glauben, wie wir die Offenbarung Jesu Christi und seiner Apostel glauben müssen. Denn das eine ist eine amtliche Offenbarung, das andere ist eine sogenannte Privatoffenbarung, die nur gewissermaßen zusätzlich zu der anderen erfolgt und lediglich das einschärft, was in der ersteren uns gelehrt und anvertraut ist.
Die vierte Verstandesgabe ist die Gabe des Rates. Wer von uns ist nicht manchmal ratlos! Wer von uns steht nicht an Kreuzwegen, wo er sich fragt: Welchen Weg soll ich jetzt einschlagen? Wie soll ich jetzt handeln? Oder wenn man gefragt wird: Können Sie mir nicht raten? Wie soll ich mich jetzt verhalten? Da kann man ratlos sein. Um dieser Ratlosigkeit abzuhelfen, gibt uns Gott die Gabe des Rates. Sie befähigt uns, in undurchsichtigen Situationen das, was Gott will, zu erkennen. Sie gibt uns die Erleuchtung, damit wir den rechten Weg einschlagen und anderen die rechte Antwort geben, ihnen recht raten. Eine Gabe, meine lieben Freunde, die uns wirklich und wahrhaftig sehr vonnöten ist und mit der wir viel Gutes an unseren Mitmenschen wirken können.
Zu den Verstandesgaben treten die Willensgaben. Die erste Willensgabe ist die Frömmigkeit. Die Frömmigkeit lehrt uns Gott als Vater erkennen und vermittelt uns die Gesinnung der Kindlichkeit. Frömmigkeit ist eigentlich nichts anderes als Liebe und Verehrung des himmlischen Vaters in der Gesinnung der Kindlichkeit. Kindlichkeit ist die beste Voraussetzung für die Annahme der Offenbarung, für das Verharren in der Offenbarung, für die Verteidigung der Offenbarung.
Die zweite Willensgabe ist die Tapferkeit. Die Tapferkeit befähigt uns, in Schwierigkeiten standzuhalten. Sie gibt uns die Kraft, Schweres, Leidvolles zu ertragen. Sie befähigt uns, wenn es notwendig ist zur Erhaltung des Christenstandes, selbst den Tod auf uns zu nehmen. Die Gabe der Tapferkeit ist dem Christen unerläßlich, denn jedes Christenleben ist angefochten. Der Teufel ist ein strategischer Kopf, er läßt den Christen, er läßt vor allem den Priester nicht in Ruhe. Um ihm zu widerstehen, braucht es die Tapferkeit.
Die letzte Gabe des Willens ist die Gabe der Furcht des Herrn. Furcht des Herrn ist nichts anderes als liebende Scheu und fürchtende Liebe zu Gott, sie ist Ehrfurcht. Ehrfurcht ist gemischt aus Scheu und Liebe. Wir fürchten ja nicht eigentlich Gott, sondern wir fürchten die Sünde, die Gott kränkt. Wir fürchten das Böse, das Gott entgegensteht. Und diese heilige Furcht ist geeignet, uns vom Bösen zurückzuhalten. Wenige Gaben, meine lieben Freunde, sind uns so notwendig wie die Furcht des Herrn, die Furcht vor der Sünde, die Furcht, Gott zu beleidigen, die Furcht, den Vater im Himmel zu betrüben.
Das also sind die Gaben des Heiligen Geistes, um die wir ja – nicht nur an Pfingsten – flehen, sondern die wir das ganze Kirchenjahr über erbitten sollen. Es gibt Männer und Frauen, es gibt Priester, die beten täglich die Sequenz aus der Pfingstmesse: „Komm, o Geist der Heiligkeit aus des Himmels Herrlichkeit, sende deines Lichtes Strahl! Vater aller Armen du, aller Herzen Licht und Ruh‘, komm mit deiner Gaben Zahl!“
Die zweite Begleitschaft der heiligmachenden Gnade sind die acht Seligkeiten. Sie werden uns in der Bergpredigt übermittelt und sind religiös-sittliche Haltungen, die den begnadeten Menschen auszeichnen. Sie sind deswegen als Seligkeiten bezeichnet, weil sie der Weg zur Seligkeit sind. Sie heißen auch deswegen Seligkeiten, weil sie die Quelle der Seligkeit sind, nämlich die Quelle der Freude. Wer sie sich aneignet, der lebt in der Freude. Sie sind auch deswegen Seligkeiten genannt, weil sie Zeichen der Auserwählung sind. Wer diese Haltungen beweist, die ich Ihnen jetzt sofort vortragen werde, der kann zuversichtlich hoffen, daß er das himmlische Ziel erreicht.
Nun also diese acht Seligkeiten, die der Herr in seiner Bergpredigt die Jünger gelehrt hat. Es sind die im Heiligen Geiste Armen; es sind die im Heiligen Geiste Trauernden; es sind die unter Gottes Heimsuchung sich Beugenden; es sind die nach Gerechtigkeit Hungernden; es sind die Barmherzigen; es sind die Geraden und Aufrichtigen; es sind die Friedfertigen; es sind die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten. Wer diese Haltungen sich aneignet, wer diese Haltungen, wenn sie ihm von Gott in der Begleitschaft der heiligmachenden Gnade geschenkt werden, aufnimmt, der ist wirklich in der Freude, der lebt in der Freude und der geht auf die ewige Freude zu. Wie ergreifend, meine lieben Christen: „Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen“, um eine dieser Seligpreisungen herauszugreifen. Barmherzigkeit ist die Liebe zu der geschundenen, gefallenen Kreatur. Wenn irgend etwas die Gefallenen aufrichtet, dann ist es die Barmherzigkeit. Nicht indem man Menschen abweist, verwirft, indem man den Stab über sie bricht, rettet man sie, sondern indem man ihnen Barmherzigkeit erweist. Oder die andere: „Selig die Friedfertigen, sie werden Kinder Gottes genannt werden!“ O wie notwendig ist es doch, Frieden zu halten oder Frieden zu stiften! Denn eine andere Übersetzung setzt für das Wort „friedfertig“: „Selig die Friedensstifter“. Gemeint ist also das aktive Bemühen um den Frieden, und wie viel Friedensstifter benötigen wir, um Frieden zu haben in unserer Familie, in unserer Gemeinde, in unserem Volke! Selig die Friedensstifter, sie werden Kinder Gottes genannt werden!
Schließlich: Die dritte Begleitschaft der heiligmachenden Gnade sind die Früchte des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist wirkt ja im Menschen, und er wirkt die Tugenden. Was er im Menschen wirkt, das wird von Paulus im Galaterbrief in folgender Weise ausgesprochen: „Die Frucht des Geistes aber ist: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Mäßigkeit, Enthaltsamkeit, Keuschheit.“ O, meine lieben Freunde, da haben wir ein Kriterium, ein Kennzeichen, ob wir im Heiligen Geiste leben und ob wir im Geiste wandeln. Denn wenn wir im Geiste leben und wenn wir im Geiste wandeln, dann müssen eben diese Früchte sich in unserem Leben zeigen: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Mäßigkeit, Enthaltsamkeit, Keuschheit. „Gegen solche“, fährt der Apostel fort, „ist das Gesetz nicht da. Die Christus angehören, haben ihr Fleisch mitsamt den Leidenschaften und Gelüsten ans Kreuz geschlagen. Leben wir durch den Geist, so laßt uns auch im Geiste wandeln!“ Wahrhaftig, wir können nicht mehr tun als täglich um die Gaben des Heiligen Geistes zu flehen, als uns die Seligpreisungen, die Gott in uns verwirklicht sehen will, anzueignen, als die Früchte des Geistes von Gott entgegenzunehmen und uns in ihnen zu bewähren.
Wenn wir diese reiche Begleitschaft der heiligmachenden Gnade bedenken, dann kann in uns ein heiliger Entschluß aufstehen, nämlich der Entschluß, um keinen Preis und aus keinem Anlaß und aus keinem Grund die heiligmachende Gnade aufs Spiel zu setzen. Lieber alles verlieren, als den Heiligen Geist aus der Seele treiben. Lieber alles aufgeben, als die Freundschaft mit Gott verspielen. Wir wollen verharren in der heiligmachenden Gnade, wir wollen die Gaben des Heiligen Geistes in uns aufnehmen und in einem geistvollen Leben bewähren. Wir wollen in den Seligkeiten wandeln und die Früchte des Geistes beweisen.
Amen.