Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Wer ist dieser Jesus (Teil 2)

15. Oktober 2000

Die Selbstbezeichnungen Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In Odernheim wohnt ein Theologieprofessor, der vom Glauben abgefallen ist. Neulich schrieb er in einer Leserzuschrift in einer großen Zeitung: „Christus ist nichts anderes als alle anderen Menschen.“ An diesem Beispiel mögen Sie erkennen, wie wichtig, wie notwendig es ist, daß wir uns der Frage stellen: Wer ist Christus? Was dünkt euch von Christus? Wessen Sohn ist er? Am heutigen Sonntag wollen wir die ersten drei Evangelisten, die sogenannten Synoptiker, befragen, was sie von Christus halten. Sie sind ja die Augen- und Ohrenzeugen; sie haben aufgeschrieben, was sie mit Christus erlebt und von ihm gehört haben. Ihr Zeugnis ist maßgebend.

Wie hat sich Christus selbst verstanden? Als wen hat er sich ausgegeben? Die erste Antwort lautet: Christus hat sich als den Messias, als den Retter, als den Heilbringer, als den Erlöserkönig verstanden. Die Zeiten vor ihm hatten auf diesen Erlöser gewartet; die Menschen waren voll Spannung. Schon als Johannes der Täufer auftrat, da fragten sich die Massen, ob er vielleicht der sei, der vom Gesetz und den Propheten angekündigt worden war. Simeon, der Greis, harrte auf den Messias, und Andreas und Philippus waren voll Begeisterung, als sie Jesus kennenlernten: „Wir haben den Messias gefunden.“ Jesus selbst hat sich als den Messias gewußt. Bereits bei seiner ersten Predigt in seiner Stadt gibt er ein Selbtszeugnis von seiner Messiaswürde. Er war in der Wüste, hatte den Kampf mit dem Satan bestanden und ging jetzt in die Synagoge von Nazareth. Da reichte man ihm ein Buch, nämlich das Buch des Propheten Isaias. Er öffnete es und fand die Stelle, wo geschrieben steht: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil er mich gesalbt hat. Den Armen die Frohbotschaft zu bringen, hat er mich gesandt, zu heilen, die zerknirschten Herzens sind, den Gefangenen Befreiung und den Blinden das Augenlicht zu verkünden, die Niedergedrückten in die Freiheit zu entlassen, das Gnadenjahr des Herrn zu verkünden.“ Als er das Buch zusammenmgerollt hatte (man hatte ja damals Buchrollen), gab er es dem Diener zurück, und aller Augen waren auf ihn gerichtet. Da begann er zu sprechen: „Heute ist diese Schriftstelle vor euren Ohren in Erfüllung gegangen.“ Das heißt: Heute habt ihr den Auftritt des Messias erlebt.

Jesus hat sich auch bei anderen Gelegenheiten als den Messias bekannt. Als die Jünger von ihrer Verkündigung zurückkehrten und meldeten, daß die bösen Geister ihnen untertan seien, da sagte er zu ihnen: „Freuet euch nicht darüber, daß die Geister euch untertan sind, sondern daß eure Namen im Himmel eingezeichnet sind.“ Dann wandte er sich zu den Jüngern: „Glückselig die Augen, die sehen, was ihr seht, denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, aber sahen es nicht, und hören, was ihr hört, aber hörten es nicht.“ Eben deswegen, weil die Erfüllung der Verheißungen Gottes jetzt vor den Augen der Jünger geschehen ist.

Doch die Massen waren von seinem Messiastum nicht angetan. Sie waren ja seit Jahrhunderten von fremden Völkern bedrückt. Die Römer herrschten im Lande, die Besatzungstruppen standen überall, und so hatten sie die Messiasvorstellung ins Politisch-Nationale gewendet. Sie meinten, wenn der Messias kommt, wird er das „Schwein“ (das waren die Römer) aus dem Lande jagen, und das wird die Erlösung sein. Die Pharisäer bestärkten das Volk in dieser falschen Meinung. So war also die Messiasvorstellung ins Irdische, Naturhafte abgeglitten, und sie hatten kein Verständnis für das geistige, unanschauliche Königtum des wirklich erschienenen Messias. Auch die Jünger waren von diesen Vorstellungen nicht frei. Sie bekannten zwar vor Cäsarea-Philippi, daß Jesus der Messias sei. Jesus fragte sie ja: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?“ „Die einen für Elias (der wiedergekommen ist), andere für Johannes den Täufer (der lebendig geworden ist) oder irgend einen der Propheten.“ „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Da antwortete Petrus im Namen aller: „Du bist der Messias.“ Und Jesus sagte ihm: „Nicht Fleisch und Blut hat dir das geoffenbart, sondern mein Vater, der im Himmel ist.“ Hier war ein echtes Messiasbekenntnis laut geworden, aber auch die Jünger waren noch in irdischen Vorstellungen befangen, denn sie hofften, daß der Messias ein mächtiges Reich aufrichten werde, in dem sie die ersten Plätze einnehmen würden. Wegen dieser verkehrten Auffassung hat Jesus sich selten als den Messias bekannt und hat zur Selbstbezeichnung ein anderes Wort gewählt, nämlich das Wort Menschensohn. Wir haben es ja eben im Evangelium gehört: Damit ihr wißt, daß der Menschensohn (das ist er selbst) Macht hat, Sünden zu vergeben, deswegen zeige ich euch an der Heilung des Gichtbrüchigen, daß er diese Macht besitzt.

Er nennt sich den Menschensohn. Damit ist auf die Prophezeiung des Propheten Daniel angespielt. Der Prophet Daniel hatte nämlich in einer Vision, die ihm Gott zu schauen gab, einen gesehen, „der aussah wie ein Menschensohn, auf den Wolken des Himmels. Er kam zu dem Hochbetagten (zu Gott), und als er bei ihm angekommen war, da führte man ihn vor denselben. Ihm ward nun Herrschaft, Ehre und Reich verliehen. Ihm müssen alle Völker, Nationen und Zungen dienen. Seine Herrschaft wird ewig dauern und nie vergehen. Niemals wird sein Reich zerstört werden.“ Das ist der Ansatzpunkt für die Selbstbezeichnung Jesu als „Menschensohn“. Er setzt sich gleich mit dem Menschensohn, den der Prophet Daniel vorherverkündet hatte. Dieser Menschensohn ist der Machtträger Gottes. Ihm wird Herrschaft verliehen, eine universale Herrschaft, eine ewige Herrschaft. Als diesen Menschensohn sieht sich Jesus selbst.

In dem Begriff des Menschensohnes sind drei Elemente enthalten. Erstens die glorreiche Macht, zweitens die Knechtsgestalt und drittens die endliche Herrlichkeitsoffenbarung. Wir sahen schon, daß dem Menschensohn Macht gegeben ward, und diese Macht hat Christus mitgebracht auf die Erde. Er ist der Menschensohn, dem diese Macht eigen ist, und er übt diese Macht aus. Er übt sie aus in Heilungen, in Totenerweckungen; er übt sie aus in der Sündenvergebung; er übt sie aus in der Sendung der Jünger. Freilich, auf Erden wird diese Macht gleichzeitig enthüllt und verhüllt. Denn derselbe, der die Macht hat, Sünden zu vergeben, der wird auch müde, der kann gefangen genommen werden, der kann ans Kreuz geschlagen werden. Diesem Menschensohn in glorreicher Macht ist die Knechtsgestalt zu eigen. „Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem. Dort werden die Heiden den Menschensohn anspucken und geißeln und kreuzigen.“ Das ist die Knechtsgestalt des Menschensohnes. Aber es wird nicht immer bei dieser Knechtsgestalt bleiben. Er wird in Herrlichkeit wiederkommen; er wird den Seinen erscheinen mit Macht. An einer Stelle beim Evangelisten Matthäus heißt es: “Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommen wird und alle seine Engel mit ihm, dann wird er sich auf seinen herrlichen Thron setzen. Alle Völker werden vor ihm versammelt werden, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet.“ Er wird also das Weltgericht in seine Hand nehmen. Ihm ist das Weltgericht übertragen, wenn seine Stunde gekommen ist, die Stunde der Herrlichkeitsoffenbarung. In einem feierlichen Augenblicke seines Lebens, nämlich vor dem Hohen Rat, da fragt ihn der Hohepriester: „Bist du der Messias, der Sohn Gottes?“ Jesus antwortet ihm: „Du hast es gesagt. Ich sage euch aber: Von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen.“ Da sieht man ganz deutlich, daß Jesus anspielt auf die Offenbarung, auf die Vision, auf die Verheißung des Propheten Daniel. „Ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht (das ist natürlich die Macht Gottes) sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen.“ Dann wird er seine Herrlichkeit offenbaren.

Jesus, der Messias. Jesus, der Menschensohn. Die Aufgabe dieses Messias-Menschensohnes ist es, das Reich Gottes aufzurichten. Als Johannes der Täufer gefangen war, begab sich Jesus von Judäa nach Galiläa und predigte die Frohe Botschaft, und zwar mit den Worten: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes hat sich genaht. Bekehret euch und glaubt an die Frohe Botschaft!“ Die Zuhörer wußten, was das Reich Gottes ist. Gott ist natürlich immer Herr und König über die Schöpfung, aber die Menschen haben sich ihm durch die Sünde entzogen. Sie haben sich dem Herrscher dieser Welt, dem Satan, unterworfen. Doch dabei wird es nicht bleiben. Es wird eine Stunde kommen, in der die Satansherrschaft gebrochen wird, in der das Reich Gottes in Herrlichkeit erstehen wird. Jetzt ist die Stunde da. Jetzt ist der Vollmachtsträger, der Stifter und Träger des Gottesreiches da, Jesus, der Messias-Menschensohn. Er ist es, der das Gottesreich bringt, in ihm ist es erschienen.

So erklären sich beispielsweise die Dämonenaustreibungen. Die Dämonen stehen ja im Dienste des Satans, und sie geraten in Aufregung, weil jetzt der Gegenspieler gekommen ist. Diese Dämonenaustreibungen sind nicht irgendwelche phantastischen Erzählungen, an die wir heute nicht mehr glauben können. Das sind Realitäten! An ihnen hängt zu einem gewissen Teil die Wirksamkeit Jesu Christi. Wenn er die Dämonen austreibt, dann zeigt er eben damit, daß der Stärkere (er) über den Starken (Satan) gekommen ist. Ja, in einer Stunde sagt er: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.“ Das ist seine Stunde, die Stunde des Messias-Menschensohnes, der das Gottesreich bringt in seiner Person, der der König des Gottesreiches ist und zu dem sich alle bekehren müssen, die in das Gottesreich eintreten wollen. Er ist der Mittler des Gottesreiches, die Gottesherrschaft ist in ihm angebrochen.

Johannes im Gefängnis war zunächst unsicher, ob Jesus der ist, der kommen soll oder ob er noch auf einen anderen warten muß. Da schickt Jesus die beiden Abgesandten zurück und sagt ihnen: „Gehet hin und meldet dem Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird Heilsbotschaft verkündet. Heil dem, der sich an mir nicht ärgert.“ Das, was die Sendlinge hören und sehen, sind die Zeichen des Gottesreiches. Das Gottesreich stellt ja die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes der Welt her. Die Welt soll wieder heil werden, und deswegen geschehen die Krankenheilungen. Jesus ist der Herold des Gottesreiches, weit mehr noch: Er ist der Bevollmächtigte des Gottesreiches, er ist der König und Mittler des Gottesreiches. Deswegen kommt alles darauf an, daß man sich zu ihm bekennt, und deswegen ist nichts schrecklicher, als wenn man den Glauben verliert, wie jener Professor in Odernheim.

Wenn wir die Stellung Jesu als des Fürsten im Gottesreich bedenken, dann erhebt sich mit neuer Wucht die Frage: Wer ist dieser Jesus von Nazareth? Die Antwort kann nur lauten: Er ist Gottes Sohn. Nicht in dem Sinne, wie auch andere Gottes Söhne sind als angenommene Söhne Gottes, als Adoptivsöhne, weil sie eben Gott lieben und weil Gott sich ihnen zuneigt. Sie kann man ja in einem übertragenen Sinne auch als Gottes Söhne bezeichnen. Nein, er ist der eingeborene, d. h. der einziggeborene, der wesenhafte, der metaphysische Sohn Gottes. Er ist, wie das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel uns sagt, „Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott“. Nie faßt er sich selber und die Jünger in einem „Wir“ gegenüber Gott zusammen. Er sagt immer „mein Vater“ und „euer Vater“, „mein Gott“ und „euer Gott“. Er hat ein ganz anderes, ein unbeschreibliches, ein einzigartiges Verhältnis zu Gott. Er weiß sich als den einzigen Sohn des Vaters, von dem alles abhängt. „Wer den Willen meines Vaters im Himmel tut, der wird in das Reich Gottes eingehen.“ „Wer den Willen meines Vaters tut, der ist mir Bruder, Schwester, Mutter.“ „Wer sich zu mir bekennt, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel bekennen.“ Er weiß sich in einem einzigartigen Verhältnis zu Gott.

Dieses Verhältnis spricht er aus, als die Jünger von ihrer Aussendung zurückkehren. Da frohlockte er im Heiligen Geiste und sprach: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dies vor Weisen und Klugen verborgen, Einfältigen aber geoffenbart hast. Ja, Vater, so war es wohlgefällig vor dir. Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden. Niemand erkennt, wer der Sohn ist, außer dem Vater, und niemand erkennt, wer der Vater ist, außer dem Sohn und wem der Sohn es offenbaren will.“ Dieser berühmte Jubelruf in den synoptischen Evangelien ist gewissermaßen der Höhepunkt der Selbstoffenbarung Jesu. Jetzt wissen wir: Ihm ist alle Erkenntnis und alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden, weil er der Sohn, der eingeborene Sohn ist. Es hat gewiß auch andere Gottgesandte gegeben, es hat gotterfüllte Menschen gegeben. Sie alle sind mit Jesus nicht zu vergleichen. Alle seine Verheißungen und Drohungen, alle seine Worte und seine Taten sind von einem getan, der mit keinem anderen einen Vergleich aushält. Er ist der über allen Gottgesandten stehende eingeborene Sohn des Vaters im Himmel. Das Wort Sohn bedeutet nicht, wie man fälschlich meinen könnte, daß es in Gott eine geschlechtliche Differenzierung gebe. Gott ist über alle geschlechtlichen Unterschiede erhaben. Das Wort Sohn bedeutet, daß Christus alles vom Vater empfängt. Durch das Wort Sohn soll nichts anderes ausgedrückt werden als das gegenseitige Geben und Empfangen. Der Sohn hat alles, was er besitzt, vom Vater. Irgendeine geschlechtliche Beziehung scheidet völlig aus. Dieses Sohnesbewußtsein ist von Anfang an in Jesus. Der Zwölfjährige hat es genau so wie der Dreißigjährige. Er ist auch nicht deswegen der Sohn, weil er eine wunderbare Geburt aus der Jungfrau hat. Nein, sondern weil er der Sohn ist, deswegen ist seine Geburt wunderbar. Nicht die wunderbare Geburt macht den Sohn, sondern die wunderbare Geburt zeigt, daß er der Sohn ist.

Er ist derjenige, von dem alles abhängt. Er ist derjenige, an dem sich alle Wege und Schicksale scheiden. Er ist derjenige, gegen den der Satan ankämpft. Er ist derjenige, um den sich die Liebhaber Gottes sammeln. Er ist derjenige, für den gelebt und gestorben wird.

Amen.

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