Predigtreihe: Ursünde, Erbsünde und Erlösung (Teil 4)
23. Dezember 2018
Der Erlösungsratschluss Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
An den vergangenen drei Sonntagen haben wir die Ursünde und die Erbsünde betrachtet, die Ursünde der ersten Menschen und die Erbsünde der Menschheit. Man darf die Lehre von der Erbsünde nicht lostrennen von der Lehre der Erlösung. Der Mensch existiert als der von der Sünde erlöste. Man kann in zutreffender Weise nicht von der Erbsünde reden, ohne zugleich von Christus zu sprechen. So drängt die Darstellung der Erbsünde zur Darstellung der Erlösung. Tatsächlich existiert der Mensch bloß in der durch Christus geheiligten Welt. Die am Anfang ihrer Geschichte in Adam und Eva existierende Menschheit hat durch ihr Nein zu Gott und zu der eigenen Gottebenbildlichkeit und Gottgehörigkeit sich der Herrschaft Gottes entwunden. Sie hat sich von Gott, von dem Heiligen, vom Leben, von der Freude losgelöst. Die Flucht von Gott bedeutete Ferne von der Heiligkeit, vom Leben und von der Freude, also Entheiligung, Tod, Freudlosigkeit, Trauer, Einsamkeit, mit einem Wort: Heillosigkeit. Die Strafe, die Gott verhängte, war das aus der Sünde selbst aufsteigende Unheil. Man wird immer mit dem bestraft, womit man sündigt; und das gilt schon für die erste Sünde. Das Unheil, das Gott sich auszuwirken gestattete, war die Enthüllung des Zustandes der Verlorenheit und Preisgegebenheit des sündigen Menschen. Der Unheilszustand kann vom Menschen selbst nicht überwunden werden. Der Mensch kann von sich aus Gott nicht von Neuem zur Liebe, zur Freundschaft, die er verraten hat, zwingen oder nötigen. Wenn es zu einer Änderung kommen soll, muss der Anstoß von Gott ausgehen. Nur er kann das zerrissene Freundschaftsband von Neuem knüpfen, indem er das in Empörung und Trotz verhärtete menschliche Herz verwandelt und sich ihm noch einmal schenkt. Von Gott allein kann das Unheil beschworen und die heillose Welt geheilt werden, indem sie geheiligt wird.
Tatsächlich holt Gott die in die Irre gegangene Menschheit wieder heim ins Vaterhaus. Das geschieht nicht durch Mahnungen und Warnungen, sondern durch eine Tat. Er ging der Menschheit nach, setzte sich selbst in der menschlichen Geschichte gegenwärtig, nahm das menschliche Schicksal auf sich, trug das menschliche Elend und überwand es von der Wurzel her. Das geschah in der Menschwerdung des Sohnes Gottes. Von Ewigkeit her beschlossen, in der Zeit verheißen, erfolgte sie nach Jahrtausenden der Sehnsucht und Trostlosigkeit in der Fülle der Zeit. Indem Gott selbst in die menschliche Geschichte eintrat, hat er einen neuen Anfang gesetzt. Gott wusste sehr wohl, was eintrat mit der Ursünde, und doch hinderte er sie nicht, in vollem Bewusstsein der Dinge, die da kommen würden. Der Abfall des Menschen vom Guten konnte dem nicht verborgen sein, der mit seiner Vorsehung das ganze Weltall lenkt und alles beherrscht. Allein wie er jenen Abfall voraussah, so nahm er zugleich durch die Zurückrufung des Menschen zum Guten die Erlösung in seinen Plan auf. Ja, man kann sagen, dass Gott das Böse bloß zuließ, weil er voraussah, wie er die Menschheit aus dessen Fesseln befreien würde, oder deutlicher: weil er von vornherein die Menschwerdung beschlossen hat und in ihr die Möglichkeit einer überreichen Erlösung voraussah. Gott konnte die Befreiung der Menschen von der Knechtschaft der Sünde auf mannigfache Weise bewirken. Nur eines musste immer geschehen: die Umwandlung des menschlichen Sinnes in Reue und Liebe, die Wegwendung des menschlichen Herzens von der Sünde und seine Hinwendung zu Gott. Von allen Möglichkeiten wählte Gott die höchste: die Erlösung durch den menschgewordenen Gottessohn. Diese Weise der Erlösung ist ein Geheimnis der unergründlichen Liebe Gottes. Wenn wir trotzdem versuchen, es zu ermessen, können wir sagen: Gott wollte durch die Menschwerdung des Gottessohnes seine Herrlichkeit, die durch die Sünde verdunkelt war, in neuem Glanze aufscheinen lassen. Gleichzeitig wollte er das Grauen der Sünde und die Tragweite der menschlichen Verantwortung aufzeigen durch den Tod seines Sohnes. Gottes Herrlichkeit wird durch die Menschwerdung in einer Weise geoffenbart, die für den Gutwilligen unübersehbar ist, nämlich als Liebe und Macht, als Barmherzigkeit und Weisheit. Gottes Liebe wird in der Menschwerdung und im Kreuzestod des Gottessohnes anschaulich und erlebbar. Die im gekreuzigten Gottessohn verwirklichte Liebe kann nicht mehr übersehen werden. Um die Menschen wieder mit Gott zu versöhnen, musste nach Gottes Willen ein Opfer dargebracht werden, ein Opfer durch einen, der gleichen Geschlechtes mit uns war, aber von unserer Befleckung frei war. Diese Opferung vollzog der Gottes- und Menschensohn Jesus von Nazareth, unser Bruder und Heiland. Durch ihn vollbringt Gott das Rettungswerk. Christus ist der Knecht Gottes, der dem Vater das Opfer seines Lebens darbringt. Im Opfertod des geliebten Sohnes, in seinem Gehorsam und in seiner Entsagung bis zum Kreuze, in seinem sterbenden Verstummen und in seinem tragenden Schweigen, in seinem vergossenen Blut verströmt sich Gottes Güte so offenkundig, dass jeder, der guten Willens ist, sie erfährt. Wer freilich bösen Willens ist, dem bleibt sie auch hier verborgen, dem bleibt sie aber dann überall und immer verborgen. Denn glaubhafter und deutlicher gibt sie sich nirgends mehr kund. Das Höchste und Größte ist die geopferte Liebe; darüber hinaus gibt es keine. Wer sie verhärteten Herzens da nicht erfährt, der bleibt für immer in die eisige Einsamkeit seines Ich eingesperrt.
Das ewige Gottesgeheimnis unseres Heiles verwirklichte sich also im Christusgeheimnis. In Christus ist das Geheimnis unseres Heiles verwirklicht, weil und insofern er der menschgewordene Gottessohn ist. Er ist das Werkzeug, ja die Verwirklichung des göttlichen Heilsplanes. Er selbst, und nur er, ist unser Heiland. Des Heiles teilhaftig werden, bedeutet, Anteil gewinnen an Christus, an der unvergänglichen Existenzweise und am Lebensreichtum Christi. Christus ist der Weg zum Heil, er ist der Mittler, er ist der Bürge der unvergänglichen Existenzweise. Er ist es, weil er Gott und Mensch ist, weil in ihm die menschliche Natur wieder heimgeholt ist zu Gott, dem Quell des unvergänglichen Lebens. In ihm ist das Leben Gottes selbst in die menschliche Natur eingeströmt. Dadurch wurde eine neue, bis dahin nicht bekannte Existenzweise geschaffen. Niemand anders verwirklicht sie als Christus. Wer ihrer teilhaftig werden will, muss daher in Gemeinschaft mit Christus treten. Durch Christus kann er in das unvergängliche Leben Gottes hineingezogen werden. Christus schlägt die Brücke zwischen Erde und Himmel, zwischen Mensch und Gott. Ja, er ist nicht bloß der Brückenbauer, er ist die Brücke, er selbst ist die Brücke. Sie muss betreten, wer über den Abgrund hinüberkommen will, der Gott und die Welt, den heiligen Gott und die unselige Menschheit trennt. Die Aneignung der Heilstat Gottes, also das Heilsgeschehen in Christus, geschieht grundlegend und umfassend im Sakrament der heiligen Taufe. Die Taufe ist das größte Sakrament, das Gott uns beschert hat. Die Wirkung des Taufsakramentes ist die Vergebung jeder Schuld: der Erbschuld und der persönlichen Schuld und die Vergebung jeder Strafe, die die Schuld nach sich zieht. Deshalb darf man den Getauften für die vergangenen Sünden keine Genugtuung auferlegen, sondern sie kommen sogleich ins Himmelreich und zur Anschauung Gottes, wenn sie sterben. Aus diesem Grunde hat man in den ersten Jahrhunderten und lange Zeit die Taufe verschoben bis zum Tode, bis zur Todesstunde oder ins hohe Alter. Weil man wusste: Jetzt ist ein Geschehen an mir vollzogen worden, das mich mit Sicherheit in die Seligkeit des Himmels trägt. Das Sein in Christus, meine lieben Freunde, wird begründet in der Taufe. Da wächst der Mensch gewissenmaßen zusammen mit dem durch Leiden und Tod zur Verklärung gelangten Christus. In der Taufe wird der Mensch unlöslich an Christus gebunden. Selbst im Verdammten ist die Christusförmigkeit noch zu erkennen. Die Taufe wirkt Teilnahme am Tode und an der Auferstehung Christi. Die sündige Existenzweise geht in der Teilnahme am Tod Christi unter und die neue christusförmige Daseinsweise hebt in der Teilnahme an seiner Auferstehung an. „Wenn einer in Christus ist“, schreibt Paulus, „ist er ein neues Geschöpf; das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.“ Der Mensch wird aus dem Lebensstrom, der von Adam kommt, in den Lebensstrom Christi hineingestellt. Er empfängt in Christus wahre Gerechtigkeit und Heiligkeit, denn er nimmt an der Heiligkeit Christi in analoger Weise teil. Paulus veranschaulicht die Christusförmigkeit des getauften Menschen mit dem Bild vom Kleide. Die auf Christus getauft sind, sagt er, haben Christus angezogen. Sie erinnern sich vielleicht, meine lieben Freunde, dass dieses Bild auf die Paradieseszeit zurückweist. In der Sünde hatten die ersten Menschen ja das Paradiesesgewand der Unschuld und der Gottförmigkeit verloren, abgeworfen. Sichtbarer Ausdruck der inneren Blöße war, dass sie spürten: sie waren nackt, sie merkten, dass sie einander hüllenlos preisgegeben waren. So versuchten sie, ihren nackten Leib zu bedecken. Gott half ihnen, indem er ihnen Kleider aus Fellen machte. Aber diese waren nur ein schwacher Ersatz des Verlorenen. Jenes Kleid, das der Mensch getragen und verloren hat, wird ihm in der Taufe neu geschenkt. Es ist das Gewand der himmlischen Herrlichkeit und Unvergänglichkeit. Der Getaufte legt das Gewand der Unschuld und Gerechtigkeit wieder an. Er ist in die Herrlichkeit des auferstandenen Christus gekleidet. In diesem Kleide ist er ein neuer Mensch. In ihm repräsentiert er sich als ein zum Himmel, zum Hause Gottes, zur Familie des himmlischen Vaters gehörender Mensch. Es ist ein unsagbares Glück, meine lieben Freunde, im Stande der heiligen Gnade zu leben und zu sterben. Das Heilsgeschehen in Christus beginnt mit der Menschwerdung. Er kommt, uns zu erlösen. „Heute werdet ihr wissen, dass er kommen wird, und morgen werdet ihr sein Heil schauen.“
Amen.