Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. Oktober 2024

Die heilige Herzogin Hedwig von Schlesien

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir feiern in diesen Tagen das Fest der hl. Hedwig. Heilige haben uns immer viel zu offenbaren. Man muss sich nur wundern, dass unser Volk so wenig darauf hört, was diese große Heilige uns zu sagen hat. Ehrfürchtig wollen wir uns ihrer erinnern. Zwei Züge möchte ich aus dem Bild der hl. Hedwig hervorleuchten lassen: ihre Einfachheit und ihre siegreiche Zuversicht. Der heutige Mensch ist glückshungrig, gierig nach dem, was das Leben bietet. Immer neue Bedürfnisse erwachen in der Seele. Wir haben uns vieles angewöhnt, was wir für unentbehrlich halten und was doch nicht nötig ist. Das gilt besonders für die Kindererziehung. Ich muss an das Wort einer braven katholischen Mutter denken. Ihr Sohn sollte auf die Universität. Ich fragte die Frau: „Will er wohl Priester werden?“ Da antwortete sie: „Nein.“ Nach einer Weile fuhr sie fort: „Ich habe es wohl auch früher gehofft, aber sehen Sie, unsere Kinder haben es zu gut. Gewiss, wir leben nicht üppig, und doch: jeder Wunsch wird dem Kind erfüllt. Jedes Buch, das es begehrt, bekommt es. Und dann die Tanzstunde und die Gebirgstour und die Schiffsreise, es hat alles! Ich glaube, unsere Kinder haben es zu gut. Dann hat man nicht mehr die Kraft, ein Leben zu wählen, in dem man doch auf so manches verzichten muss.“ Als diese Frau das sagte, stieg die Hochachtung vor ihr in meiner Seele auf. Das war eine brave Mutter, die klar gesehen hat, um was es geht, die es sich auch eingestand und den Mut hatte, es zu sagen. Es gibt nicht viele Mütter, die es wagen zu sagen: Mein Kind hat es zu gut, ich erziehe es nicht einfach genug, nicht bedürfnislos genug. Und doch wäre es etwas Wertvolles, was man dem Kind mitgeben könnte, wenn man es bescheiden und anspruchslos erziehen würde.

Sehen wir uns das Kirchengebet am Fest der hl. Hedwig an. Es heißt so: „O Gott, du hast die hl. Hedwig gelehrt, von der Pracht der Welt zur demütigen Nachfolge deines Kreuzes überzugehen. Gib, dass wir durch ihre Verdienste und ihr Beispiel lernen, die vergänglichen Freuden der Welt mit Füßen zu treten.“ Die Oration ihres Festes fasst in wunderbar präziser Form Geheimnis und Botschaft ihres Lebens zusammen. Von der Pracht der Welt zur Demut des Kreuzes! Diesen Weg ist Hedwig gegangen, rückhaltlos. Sie verstand wohl, als Fürstin aufzutreten, wo es angebracht war, aber auch demütig und bescheiden zu sein wie die niedrigste Magd im Volke. Einige kleine Züge aus ihrem Leben. Es wird berichtet, dass Hedwig gern den Armen das Brot abkaufte, das diese an der Klosterpforte erbettelt hatten; das aß sie dann mit heiliger Freude. Aus diesem Zug spricht eine Hochschätzung der Armen, die wir kaum mehr verstehen. Da stellt sich Hedwig bewusst auf die Seite der Armen. Die Reste von der Mahlzeit der Trebnitzer Klosterfrauen erbat sie für sich als Geschenk. Ihre Strenge in Nahrung, Kleidung und Lebensweise überschritt jedes Maß. Der Archidiakon von Breslau hielt ihr vor, dass sie zu viel faste. Sie antwortete: „Ich esse, was mir genügt.“ Hedwig hatte ständig dreizehn Arme bei sich. Selbst auf ihren Reisen durch das Herzogtum mussten sie ihr nachfahren. Kam man in eine Herberge, so sorgte Hedwig zuerst für ihre Armen. Im Kirchengebet heißt es für uns: „Gib, dass auch wir lernen, die vergänglichen Freuden der Welt mit Füßen zu treten!“ Dieses Wort flößt uns Furcht ein; wir empfinden es als eine Ungeheuerlichkeit. Und doch könnte es uns wahrhaftig nicht schaden, wenn wir einfacher wären in unserer Lebensführung, in unseren Ansprüchen an Speise und Trank, in Kleidung und Mode, in Reisen und Vergnügungen. Da kann man viel reden von der Rettung der Familie, von der Rettung der Jugend und unserer Zukunft; wenn nicht weite Kreise unseres Volkes ihre Ansprüche zurücknehmen, dann ist alles umsonst. Man soll sie nicht geringschätzen, die Tugend der äußeren Bescheidenheit. Was wird St. Hedwig wohl erreichen mit ihrer heutigen Predigt der Demut und Einfachheit? Es werden wohl alle sagen: Sie hat recht, es könnte vieles anders sein. Aber ich fürchte, man wird nach Hause gehen, und dann wird alles beim Alten bleiben.

Die zweite große Eigenschaft der hl. Hedwig war ihre siegreiche Zuversicht. Diese Tugend hat uns viel zu sagen. Durch den inneren und äußeren Abfall vom Glauben und von der Kirche verlieren wir jedes Jahr Hunderttausende. Der Seelsorger in einer Diaspora-Großstadt sagte mir: „Ich kenne die Seelsorge in dieser Stadt seit 30 Jahren. Vor 30 Jahren waren 52000 Katholiken in dieser Stadt, heute sind es 36000. Damals hatten wir 4000 Kinder in der Schule; heute sind es noch nicht 2000. Der Abfall in unseren Reihen ist noch einmal so groß wie bei den anderen.“ Ein schreckliches Beispiel. Ein verlorenes Land. München war einmal eine katholische Stadt. Heute sind noch 39 Prozent der Bevölkerung nominell katholisch. Ein Priester in der Großstadt sagt: „Wir sind ein sterbendes Volk. Ich melde mich zu unseren deutschen Kolonisten im Ausland.“ Das ist die Stimmung der Depression. Man streckt die Waffen. Da hat uns die hl. Hedwig viel zu sagen. Sie stand vor Riesenaufgaben. Sie war zwölf Jahre alt, als sie nach Schlesien kam. Unbekannt mit der Sprache, mit den Sitten des Volkes, an der Seite eines Gatten, den sie erst vor wenigen Tagen kennengelernt hatte. So zieht das Mädchen in Breslau ein. Und welche Aufgaben warten ihrer! Die seelische und die materielle Not war riesengroß. Das Christentum war wohl eingezogen, die Menschen waren getauft, aber vom christlichen Glauben und Leben wussten sie wenig. Und welche Rohheit der Sitten! Eine Fürstin ließ damals einem hochverdienten Edelmann, weil er eine Bemerkung über sie nachgesprochen hatte, die Zunge ausreißen und die Augen ausstechen. Das war ein Frauengemüt. Und die Not! Heute würde sich der Ärmste schaudernd abwenden von dem, was man damals aß. Salz war eine große Kostbarkeit, Brot ein Leckerbissen. Es gab keine Wohlfahrtsämter, keine Jugendämter, keine Krankenhäuser, keine Waisenhäuser, keine Fürsorgerinnen und keine Barmherzigen Schwestern, nur ein zwölfjähriges Mädchen, das der Herrgott aus der Fremde geholt und das mit großen Augen hineinschaut in die ihm unbekannte Welt. Sie versagte nicht vor ihrer schier unermesslichen Aufgabe. Hedwig verstand ihre Würde als Herzogin, dass sie Mutter ihres Landes sein müsse. Sie war es für alle ihre Untertanen. Ihr Mann, Herzog Heinrich, glaubte seinem Land nichts Besseres tun zu können, als deutsche Siedler herbeizurufen. Überall in Schlesien entstanden neue Dörfer und Städte mit deutschen Bauern und Bürgern. Hedwig war ihnen wie den slavischen Bewohnern in gleicher Weise Herrin und Schützerin. Sie zu betreuen, ihnen in jeder Notlage zu helfen, das war die vornehmste Aufgabe der Herzogin. Sie gewann bald die Zuneigung aller ihrer Untertanen. Heute, nach 800 Jahren, neigt die Christenheit ehrerbietig das Haupt vor ihr und preist sie als die große Helferin und Trostbringerin. Die heilige Hedwig hat den Mut und die Schaffenskraft bewahrt trotz schwerster persönlicher Leiden. Sechs ihrer sieben Kinder starben vor ihr.

Es war an einem Apriltage des Jahres 1241. Über die Fluren von Wahlstatt ging eine einsame Frau, den Leichnam ihres Sohnes zu suchen – vielleicht ihr schwerster Gang. Als sie über das Schlachtfeld schritt, traten wohl vor ihr geistiges Auge die anderen schweren Stunden ihres Lebens. An ihren Gatten dachte sie, in dessen Adern das wilde Blut der Piasten rollte. Er hatte sein Reich groß gemacht, aber sich rücksichtslos an den Besitzungen der Kirche vergriffen. Der Papst hatte ihn in den Bann getan, und er starb im Banne, ungelöst, denn die Absolution war ungültig, weil er die Bedingungen des Papstes nicht hatte erfüllen wollen. So hat Hedwig erfahren, was still verschwiegen in dem Herzen so mancher Frau klagt: Mein Mann ist nicht, wie er sein soll. Und an ihre Schwester Gertrud dachte sie, die Königin von Ungarn, die meuchlings ermordet worden war, nicht ganz ohne eigene Schuld. Und an ihre Brüder dachte sie, die verwickelt waren in die Ermordung. Sie waren in Acht und Bann getan. Die väterliche Burg wurde zerstört. Ihr Vater, ihr lieber Vater, starb vor Gram darüber. Und dann dachte sie an ihre Schwester Agnes. Sie hatte lange Zeit mit dem französischen König in einem unerlaubten Verhältnis gelebt. Es gab ein furchtbares Ärgernis. Der Papst sprach über ganz Frankreich das Interdikt aus. Sieben Monate lang lag schwere dumpfe Stimmung über dem Land. Keine Glocken klangen, kein Priester ging an den Altar, ohne Segen bestattete man die Verstorbenen – wegen der Schwester einer Heiligen. Nach sieben Monaten endlich verließ der König Agnes. Agnes starb auf ihrem Schloss – ohne Zeichen der Reue. Die Schwester einer Heiligen. Was mag Sankt Hedwig für sie gebetet, wie mag sie um sie gerungen haben, was mag sie gelitten haben. Und jetzt ging St. Hedwig ihren letzten schweren Gang. Auf dem Altarbild der katholischen Kirche in Wahlstatt ist es dargestellt, wie sie den Leichnam ihres Sohnes auf dem Schlachtfeld findet. Sie ist nicht fassungslos in ihrem großen Schmerz, sie spricht: „Es muss uns gefallen, was Gott gefallen hat.“ Sie hat immer noch die Kraft, an die anderen zu denken: an die Kleider des Gesindes, die nicht in Ordnung waren, an die Gefangenen, die vor Hunger umkamen, an die aussätzigen Frauen, die in Neumarkt bei Breslau Not litten; sie denkt daran, dass ein Kloster zu errichten und eine Kirche zu erbauen war. Es ist, als ob sie umso mehr an andere dachte, je schwerer sie selbst litt. Das ist Hedwigsgeist! Drüben in Trebnitz, im Land der Schlesier, ruht die heilige Hedwig. Es ist still geworden um ihr Grab. Der Chor der Zisterzienserinnen ist verstummt. Das schlesische Volk, das sie verehrt, geliebt hat und in seinen Anliegen zu ihr geeilt ist, dieses gläubige Volk ist vertrieben, zerstreut, verloren. Auf dem Sarkophag ruht die Heilige, von Künstlerhand gemeißelt, das Haupt ein wenig gehoben, als wollte sie aufstehen aus ihrem Grab. Möchte sie doch aufstehen, die große Heilige, und durch Schlesien und alle deutschen Gaue gehen und reden zu den Seelen von der demütigen Einfachheit und der siegreichen Zuversicht.

Amen.

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