Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. August 2024

Der Zeuge Christi Alois Andritzki

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Alois Andritzki wurde am 2. Juli 1914 in Radibor im Landkreis Bautzen in der Oberlausitz als viertes von sechs Kindern geboren und wuchs in einer katholischen Familie auf. Er besuchte die katholische Volksschule seines Heimatortes, deren Rektor sein Vater war. Er sang in der Schola seiner Heimatpfarrei und diente als Ministrant. Er besuchte das Gymnasium. 1934 bestand er die Abiturprüfung. Noch im selben Jahr nahm er die theologischen Studien an der erzbischöflichen Akademie zu Paderborn auf. 1938 wechselte er in das sächsische Priesterseminar zu Schmochtitz. Zwei seiner Brüder wurden ebenfalls Priester, seine beiden Schwestern Lehrerinnen; der jüngste Bruder, der in den Jesuitenorden eingetreten war, fiel im Kriege. Am 30. Juli 1939 empfing er im St.-Petri-Dom zu Bautzen – seit der Glaubensspaltung eine Simultankirche, die von Katholiken und Protestanten gemeinsam benutzt wurde – die Priesterweihe. Eine Woche später feierte er in seiner Heimatgemeinde seine Primiz. Sein älterer Bruder assistierte ihm am Altar, ein anderer Bruder hielt die Festpredigt. Bautzen und die Oberlausitz gehören zur Diözese Dresden-Meißen. Das im 16. Jahrhundert untergegangene Bistum Meißen wurde 1921 wiedererrichtet. Es umfasste die Jurisdiktionsbezirke der Apostolischen Präfektur für die Lausitz mit Sitz in Bautzen und des Apostolischen Vikariates Sachsen mit Sitz in Dresden, dazu Sachsen-Altenburg und beide Reuß. Die junge Diözese erlebte in der Zeit des Nationalsozialismus einen schweren Schlag. Der Bischof Petrus Legge von Meißen wurde 1935 wegen angeblicher Devisenvergehen inhaftiert. 1937 erhielt er in Heinrich Wienken einen Coadiutor cum iure successionis. Er hat Andritzki zum Priester geweiht.

Die katholischen Christen in Sachsen sind eine Minderheit von vier Prozent. Zu ihnen gehört ein Teil der Sorben. Alois Andritzki war Sorbe. Die Sorben sind ein westslawisches Volk in der Ober- und Niederlausitz (Sachsen und Brandenburg). Sie sind mehrheitlich Protestanten; etwa ein Viertel sind Katholiken. Andritzki war sich seiner sorbischen Herkunft bewusst. Er engagierte sich bereits als Jugendlicher für die Interessen dieser nationalen Minderheit. Als Vorsitzender des sorbischen Studentenvereins trat er für die Förderung der sorbischen Sprache und die Pflege des sorbischen Liedguts ein (1932). 1936 war er Redakteur der Zeitschrift „Der sorbische Student“. Für seine Primizfeier in Radibor übersetzte er die Messtexte ins Sorbische, sodass die Teilnehmer sie still mitlesen konnten. Einen Teil der Sommerferien 1936 verbrachte er in Polen. In dem Bericht über diesen Aufenthalt wird seine hohe Wertschätzung für Polen, für dessen Bevölkerung und für die slawische Kultur überhaupt deutlich. Damit auch seine entschiedene Ablehnung des nationalsozialistischen Rassenwahns, gleichzeitig seine Offenheit für internationale Kontakte. Die nationalsozialistischen Machthaber beabsichtigten die Ausrottung der Sorben. Sie verboten alle Organisatoren, verbannten das Sorbische aus dem öffentlichen Leben und inhaftierten zahlreiche sorbische Persönlichkeiten.

Am 1. Oktober 1939 wurde Andritzki Kaplan an der Propsteikirche St. Trinitatis, der früheren Hofkirche, in Dresden. Als Jugendseelsorger widmete er sich in schwerer Zeit mit Hingabe der Erziehung und Bildung der ihm Anvertrauten. Diese Aufgabe war ihm schon von seiner ganzen Wesensart her wie auf den Leib geschnitten. Er war bereits als Schüler ein Anziehungspunkt für Kinder und Jugendliche und verstand es, sie zu begeistern. Er sagte selbst, dass Johannes Bosco sein Vorbild sei, in dessen Fußstapfen er treten wolle. Das ist ihm gelungen. Als er zum ersten Mal zu seiner Jugendgruppe kam, lief er im Handstand über die Tische. Die Jugendlichen standen im Halbkreis um die Tische herum. Er machte einen Abgang mit Salto, kam mit beiden Füßen auf und fing dann mit dem Kreuzzeichen an, das Eröffnungsgebet des Treffens zu sprechen. Die Jugendlichen tobten vor Begeisterung. Andritzki vertrat den katholischen Glauben aus innerster Überzeugung. Papst Benedikt XVI. bezeichnete ihn als „heldenhaften Zeugen des Glaubens“, in dem „das Wirken des Heiligen Geistes machtvoll aufleuchtet“.

Andritzki durchschaute die christentumsfeindliche Ideologie des Nationalsozialismus. An seiner Stelle und mit seinen Mitteln suchte er die ihm anvertrauten Menschen vor dieser Gefahr zu schützen. Als die Nazis gegen das Alte Testament vorgingen, zeigte er dessen Unaufgebbarkeit auf. Zusammen mit seinen Jugendlichen sah er einen von den Nazis propagierten Hetzfilm gegen die Kirche an und diskutierte mit ihnen darüber. Er suchte sie gegen die verderbliche Ideologie immun zu machen. Seine Einstellung und seine Wirksamkeit konnten nicht verborgen bleiben. Bald geriet er in die Fänge der Justiz. Die Nationalsozialisten waren gegenüber Priestern, die großen Einfluss auf die Jugend hatten, besonders allergisch. Andritzki waren nur zwei Jahre im Dienst der Kirche vergönnt. Er lehnte die Ideologie der Nazis offen ab. Nach einem Weihnachtstheaterstück wurde er verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die er in Dresden verbüßte. Er verstand schon im Polizeigefängnis zu Dresden, dass ihn Jesus Christus zum Samenkorn bestimmt hatte. Die Nazis boten seiner Schwester an, dass er freikommen könne, wenn er mit ihnen zusammenarbeite. Er lehnte ab. Darauf verbrachte man ihn in das Konzentrationslager Dachau. Andritzki hatte nichts mit dem damals üblichen und gefährlichen Schlagwort „politischer Katholizismus“ zu tun. Er bekämpfte das Nazitum nicht als Politiker, sondern als gläubiger Christ. Bei der Untersuchung seines Charakters und seines Lebenswandels wurde der Nachweis geführt, dass er nicht aus rein politischen Gründen, sondern wirklich für den Glauben an Jesus Christus und für seine Treue zu ihm gelitten hat und gestorben ist.

Andritzki verlor seine tiefe Frömmigkeit selbst in größter Drangsal nicht, sondern verstärkte sie. Er war selbst in den Qualen des Konzentrationslagers Dachau für seine Mitgefangenen und Verwandten eine Quelle des Glaubens und der Freude. Dort, wo der Mensch instinktiv zuerst ans Überleben denkt, hat er versucht, andere froh zu machen und zu trösten. Im Konzentrationslager lief er auf Händen über die wackeligen Tische im Priesterblock, um die Mitgefangenen aufzuheitern. Ein Mithäftling bezeugt: „Ich lernte ihn als einen jugendlichen Kameraden kennen, der auch bei aller Lagertrübsal ein frohes Naturell hatte, als echten Jugendkaplan.“ Belebt und erfüllt vom Trost des Heiligen Geistes schrieb er aus dem Lager: „Freut euch mit mir! Diese tiefe und wahre Freude, die nur der Heilige Geist schenkt, wünsche ich euch allen!“ Doch die Tage seines irdischen Lebens waren gezählt. Im Januar 1943 lag er mit Hungertyphus im Krankenrevier. Er bat um einen Priester. Der Kapo, ein Mithäftling in Aufseherfunktion, sagte: „Einen Pfaffen will er, eine Spritze kriegt er.“ Dann gab er Andritzki die Todesspritze.

Andritzki ging mit 28 Jahren in die Ewigkeit. Die sächsischen Katholiken vergaßen ihn nicht. Die Kirche erinnerte sich seines beispielhaften Zeugnisses. 1998 eröffnete die Diözese Meißen das Erhebungsverfahren für seine Seligsprechung. Das Material für sein Leben ist reich. Viele Zeitzeugen und 90 Briefe aus der Hand Andritzkis geben ein plastisches Bild seines Denkens und Handelns. Andritzki war sportlich, diskussionsfreudig, musikalisch, künstlerisch begabt sowie von einer umwerfenden Heiterkeit und Fröhlichkeit, die jedem, der mit ihm zu tun hatte, begeistern musste. „Wer ihn am Morgen gesehen hat, war für den ganzen Tag froh“, berichtet ein Zeitzeuge. Seine beispielhafte Hilfsbereitschaft machte ihn bei allen beliebt. Er hat immer zuerst an andere und nicht an sich selbst gedacht. Er war ein Muster der Selbstbeherrschung und der Arbeit an sich selbst. Einer seiner Kommilitonen erinnerte sich nicht, von ihm jemals ein vorschnelles, unbedachtes Urteil gehört zu haben. Unermüdlich strebte er nach Verähnlichung mit Christus. Er erkannte, dass zum Heiligwerden der freie Wille dazugehört. „Aber bloße Einordnung, vielleicht noch mit Widerwillen erfüllt, ist nicht Heiligkeit. Zur Heiligkeit gehört der eigene freie Wille, der dem Willen des Höheren zugetan ist, und das vor allem dann, wenn damit Leid und Entsagung verbunden ist. Nun, mir ist hier ja Gelegenheit geboten, diesen Weg der Heiligkeit zu gehen.“ So schrieb er 1941 aus dem Untersuchungsgefängnis Dresden. Das beispielhafte Leben Andritzkis blieb unvergessen. Das Bistum Meißen strebte seine Seligsprechung an. Das Verfahren wurde in kurzer Zeit abgeschlossen. Er ist der erste aus Sachsen stammende katholische Christ, der seliggesprochen wurde. Am 13. Juni 2011 wurde er in Dresden von Kardinal Angelo Amato, dem Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, im Auftrag des Papstes Benedikt XVI. seliggesprochen. Alois Andritzki ist auch der erste Sorbe, der zur Ehre der Altäre erhoben wird. Zur Seligsprechung waren mehrere tausend Sorben nach Dresden gekommen. Überall sah man ihre Trachten. Viele Lieder und Gebete während des Gottesdienstes wurden auf Sorbisch vorgetragen. Ein Sorbe las eine Fürbitte in seiner Muttersprache. Es war Stanislaus Tillich, der Ministerpräsident von Sachsen.

Amen.

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