18. Juni 2023
Herz Jesu
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Jesus ist Gottmensch. Sein Leben ist nicht nur die Offenbarung eines Gottes, sondern auch die Offenbarung eines Menschen. Was Humanität, Menschlichkeit im vollen Sinne des Wortes ist, das weiß weder der Humanismus der Renaissance noch der Humanismus der modernen Freimaurerei. Das weiß nur das Evangelium. Die Definition vom Menschen haben zwar schon die Alten gekannt: Homo est animal sociale. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Lebewesen. Aber den tiefsten Sinn dieser Definition hat uns erst das Christentum enthüllt: Der Mensch ist ein Wesen, das gibt und empfängt, anzieht und angezogen wird. Der Mensch ist also ein Wesen, das ein Herz hat. Wir beweisen aus tausend Wundern, dass Jesus mehr ist als ein Mensch. Aber wir beweisen mit den gleichen Wundern auch, dass er ein Mensch ist. Wir beweisen, dass er einen Arm hat, dem nichts widersteht. Aber wir beweisen auch, dass er ein Herz hat, das bei keiner Not versagt. Das Herz hat das Unglück, dass es von wenigen verstanden wird. Die meisten, die von Liebe reden und schreiben, machen schöne Worte. Sie bleiben aber an der Oberfläche. Sie treffen nicht den Kern der Sache. Sie meinen, das Herz sei im Wesentlichen nichts als eine Zuckerfabrik, eine Lieferantin von Süßigkeiten, vor allem für den eigenen Bedarf. Wenn man von Herz spricht, meint man mehr das Gefühl. Wenn man von Liebe redet, meint man zuerst leidenschaftliche Selbstbefriedigung.
Es gibt Christen, die an Christus glauben, aber nichts von seinem Herzen wissen wollen. Sie meinen, dass die Herz-Jesu-Verehrung das Starke, Männliche, Heroische vom Christusbild verwischt hat. Diese Christen sind das Opfer eines Schlagwortes geworden. Sie reden von etwas, das sie nicht kennen. Sie wissen nicht, was das Herz ist, und sie wissen nicht, was das Herz Jesu ist. Physiologisch ist das Herz die Blutkammer im menschlichen Organismus. Das Herz versorgt den ganzen menschlichen Organismus mit allen notwendigen Aufbaukräften. Das Herz ist das Organ, das für alle anderen Organe da ist. Das Herz ist das Gebende im Menschen. Das alles Dahingebende. Und zwar nicht nur dann und wann, sondern immer. Es gibt nichts, was die gesamte Persönlichkeit Jesu bestimmter symbolisch zum Ausdruck bringt als das Herz. Wer Herz Jesu sagt, der sagt Jesus. Wer Jesus sagt, der sagt Herz Jesu. Jesus ist der – wie das Herz – sich für die anderen ganz Hingebende. Er ist das Leben. Er gibt also sein Leben, das natürliche und das göttliche Leben, auch den anderen. Er ist der Weg. Er wird also allen durch sein Vorbild der Weg zum Vater. Er ist die volle und ganze, unversehrte Wahrheit. Das ist das Neue, das bisher nicht Dagewesene. Andere haben den anderen etwas gegeben. Jesus gibt wie das Herz das Ganze. Jesus, das ist der für die anderen Daseiende. Das hat man bisher von niemandem sagen können. Es ist das für Jesus Eigenartige.
Und darum auch das für das Christentum Spezifische. Das Hauptgebot des Christentums ist ein neues. Die Caritas ist etwas anderes als Humanität. Die Humanitas mag etwas geben, die Caritas Christi gibt sich ganz. Die Humanitas gibt vielleicht in der offenen Hand eine materielle Gabe. Die Caritas gibt das Herz und mit dem Herzen das Blut. „Ich gebe euch ein neues Gebot: So wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34). Die Humanität ist menschlich, die Caritas ist göttlich. Die Humanitas bleibt, was sie ist: egozentrisch. Ihr Mittelpunkt ist der Mensch. Die Caritas ist theozentrisch. Ihr Mittelpunkt ist Gott, Gott und der Mensch in Gott.
Was das Herz Jesu ist, zeigt uns der Evangelist Johannes. Das Gleichnis vom guten Hirten. Ich weiß nichts Herzlicheres als dieses Guthirtenbild, aber ich weiß auch nichts Wehrhafteres. Alle, die von der Liebe reden wollen, sollen zuerst den Evangelisten Johannes studieren. Dort hört man den richtigen Pulsschlag des göttlichen Herzens. Er hat etwas Starkes. Wer liebt, hat den Mut und den Willen, alles fernzuhalten, was dem Wohl des Geliebten nachteilig ist. Er hat nichts Weichliches und Schwächliches. Er scheut sich nicht zu warnen und zu tadeln. Er übt wo nötig auch die Zurechtweisung. Auch jene, die weh tut. Er verlangt Opfer. Vielleicht sogar einmal auch heroische Opfer. Er zeigt auf Gefahren, die drohen. Redet sogar vom ewigen, unauslöschlichen Feuer, wenn es sein muss. Jesus ist kein Süßholzraspler. Wenn man vom Herzen Jesu reden will, dann muss man das auch sagen.
Und dazu das andere haben: die ritterliche Bereitschaft zur Abwehr der Wölfe. Wer liebt, verteidigt. Wer liebt, der kämpft. Eine Liebe ohne Zorn ist eine langweilige, eintönige Liebe. Wer liebt, muss auch zürnen können. Jesus hasste die Hölle. Jesus hasste die gottwidrige Welt. Jesus hasste die Sünde. Jesus hasste den Hochmut, den Geiz, die Unbarmherzigkeit, die Falschheit, die Heiligtumsschändung. Er kämpfte gegen den Materialismus der Pharisäer und gegen den Rationalismus der Sadduzäer. Wenn man also das Herz Jesu als Inbegriff des ganzen Christentums predigen will, dann muss man das ganze und nicht bloß das halbe Herz verkünden. Das milde und das starke, das gebende und das kämpferische, die Liebe und die Wahrheit. Das schwache Geschlecht von heute will die Liebe ohne die Wahrheit. Und es mag andererseits auch nicht an solchen fehlen, die die Wahrheit allein, die harte, rücksichtslose Wahrheit, die Wahrheit ohne die Liebe wollen. Beides sind Fehler. Wir haben kein Recht, auseinanderzureißen, was in Gott zur wesenhaften Einheit verbunden ist. Gott sprach: Ich bin die Liebe. Und Gott sprach: Ich bin die Wahrheit. Wie unser Gott, so unser Christentum: Wahrheit in Liebe und Liebe in Wahrheit. Der Zweck der Wahrheit und der Liebe ist der gleiche: die Einheit. „Das alle eins seien, so wie du, Vater, in mir bist, und ich in dir bin, dass sie in uns eins seien“ (Joh 17,21). Das Zentrum aller Einheit ist das Herz. Das Herz des Gottmenschen. Und das Herz des mit dem Gottmenschen verbundenen Christen.
Es gab eine Zeit, wo katholische Gebildete es nicht über sich brachten, vom Herzen Jesu zu reden. Als ob Herz gleichbedeutend mit Sentimentalität und Weichlichkeit wäre. Es wird, so glaube ich, eine Zeit kommen, wo man gerade deswegen wieder zu Jesus zurückkommen wird, weil er inmitten einer herzlosen Zeit als der Mann mit dem Herzen erscheint. Der Menschenfreund der Lahmen, der Blinden, der Kranken, der Arbeiter, der Bauern, der Kleinen, der Einfachen. Das heißt: der Mann von 95 Prozent des Menschengeschlechtes. Einer unter ihnen, und was noch mehr ist, trotz seiner alles überragenden Größe einer von ihnen. Und sie werden hingehen und ihn zum König machen. Das ist die Thronerhebung des Herzens Jesu, auf die wir warten. Unsere Zeit ist entweder eine Geburtsstunde oder sie ist eine Sterbestunde der Menschheit. Eine Sterbestunde, wenn wir aufhören, Christen zu sein. Eine Geburtsstunde, wenn wir wieder Christen werden. Denn wer den Christen rettet, der rettet den Menschen.
Wenn der Katholizismus die Religion der Liebe ist, dann muss diese Liebe den Charakter der Sühne und Genugtuung annehmen. Es muss Menschen geben, die nicht zufrieden sind, für sich zu lieben. Es muss Menschen geben, die den Trieb und das Bedürfnis erfüllen, mehr zu lieben, weil andere weniger lieben. Sie wollen lieben für einen, für zehn, für hundert andere, die nicht lieben. Sie wollen lieben für ein ganzes Volk, das nicht liebt. Für eine ganze Welt. Für ihre Zeit. Das scheint ein geheimnisvolles Gesetz der Weltordnung zu sein. Es muss, soll die Menschheit nicht untergehen, ein gewisses Maß von Liebe in der Menschheit leben. Sonst muss die Menschheit am Erkältungstod erstarren. Wenn dieses Maß von übernatürlicher Wärme unter sein lebensnotwendiges Niveau zu sinken droht, dann erweckt die Vorsehung immer wieder Seelen, die durch die Intensität ihrer Liebe ersetzen, was in der Extensität verlorenging. Gott ruft Sühneopfer. Die Sühneopfermenschen sind die größten Wohltäter, oft geradezu die Retter ihres Volkes. Sie gehören zu den besonderen Gnaden eines Landes und einer Zeit. Wir können in dieser katastrophalen schweren Stunde nichts Besseres tun, als um solche Sühneopfermenschen beten, die, Geist vom Geist des göttlichen Sühneopfers, des Herzens Jesu, lieben und beten und leiden für jene, die nicht mehr lieben, beten und leiden wollen. Das Herz-Jesu-Fest war unter diesem Gesichtspunkt vielleicht nie notwendiger als heute.
Heiligstes Herz Jesu, Quelle alles Guten, ich bete dich an, ich glaube an dich, ich hoffe auf dich, ich liebe dich und bereue alle meine Sünden. Dir schenke ich dieses mein armes Herz, mach es demütig, geduldig, rein und in allem deinen Wünschen entsprechend. Gib, o guter Jesus, dass ich in dir lebe und du in mir lebst. Beschütze mich in Gefahren, tröste mich in Trübsal, Angst und Not. Gewähre mir die Gesundheit des Leibes, deinen Segen für alle meine Werke und die Gnade eines seligen Todes.
Amen.