26. März 2023
Die Worte der Tröstung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Von unserem Heiland sind in seiner Passion auch Worte der Tröstung ausgegangen. Hat er nicht vielmehr selbst der Tröstung bedurft? Wer hat ihn getröstet? Wir wissen, dass es im Psalm über ihn heißt: „Ich habe gewartet, ob einer mit mir trauere. Und es war keiner da. Einen Tröster habe ich gesucht, aber keinen gefunden.“ Ist es vielleicht immer so, dass diejenigen, die selbst keinen Tröster haben, Tröster für andere sein müssen? Wir wundern uns, wenn ein Mensch inmitten eines eigenen großen Leids auch noch Sinn und Blick oder gar ein Herz hat für fremdes Leid. Aber das finden wir selbstverständlich bei Christus. Er war so stark, so groß, so reich, dass er auch noch im größten eigenen Leid nicht anders kann, als andere zu trösten. Ja, er selbst hat am schwersten getragen an dem Leid anderer, an dem Leid seines Volkes. Das Unglück Jerusalems schien ihm beweinenswerter als sein eigenes Geschick. Wir können daher mit Recht erwarten, dass gerade von seiner Passion, von seinem leidenden Herzen ein Strom von Tröstung und Kraft ausgegangen ist; mehr als seine Worte auch nur andeuten können.
Der Herr hat zwei Seelen getröstet, die keinen Trost mehr hatten: seine Mutter und seinen Lieblingsjünger Johannes. Da stand seine Mutter neben dem Kreuz, an dem ihr Sohn hing, hilflos, in Todesqualen. Sie kann ihm nicht helfen. Das ist das Ende der schönsten aller Mutterschaften, die es gab. Wer kann beschreiben, was er ihr gewesen ist und was sie ihm bedeutet hat. Die Nähe zweier Menschen zueinander misst man nicht mit Namen; man misst sie an der Größe und Kraft, an der Reinheit und Güte dieser Menschen. Je größer und reiner, je gütiger und vollkommener sie sind, umso näher können sie einander kommen. Umso furchtbarer ist dann auch die Trennung bei solchen Menschen. Der Engel hatte es ihr gesagt, was die sichtbare Gegenwart Jesu für sie bedeutete: „Der Herr ist mit dir.“ Solange sie Jesus sah, haben ihre Augen, ihre Hände, ihre Gefühle ihr gesagt: Wahrhaftig, der Herr ist mit mir, Gott ist bei mir. Und nun ist es zu Ende. Von jetzt an wird der Herr nicht mehr bei ihr sein. Da stand auch Johannes, der Lieblingsjünger. Er hat mehr verloren in dieser Stunde als die übrigen Jünger. Er hat an der Brust des Herrn geruht. Seine Seele hat im Heiland ihre Heimat, ihr Zuhause, ihre Geborgenheit gefunden. Für ihn bedeutete die sichtbare Gegenwart seines Meisters so viel wie ein Erde gewordener Himmel. Und nun sollte er ihn verlieren.
Wahrhaftig, diese beiden Seelen hatten nichts mehr, keinen Trost, wenn Jesus von ihnen ging. Er hat sie daher getröstet. Und wie? Er hat keinen Versuch gemacht, ihnen den Abschied zu ersparen. Er hat auch nicht einmal um seiner Mutter willen einen Finger gerührt, um sein Schicksal abzuwenden. Er hat gewusst, dass jede Liebe, auch die Liebe seiner Mutter, auch die Liebe seines Herzens immer wieder wundgerissen werden muss durch Abschiednehmen. Aber er hat die beiden doch getröstet, indem er zu ihnen sprach, zu jedem ein kleines Wort. Das war schon ein Trost, dass er sie überhaupt noch anredete. Und wahrhaftig, die Mutter hörte noch einmal sein Wort, an sie gerichtet: „Frau“, sagte er, „siehe da deinen Sohn.“ Und dann wandte er sein Haupt zu Johannes und sagte zu ihm: „Siehe dort deine Mutter.“ Was bedeuten diese Worte? Sie bedeuten nicht, dass er diesen beiden Seelen einen Ersatz für ihr bisheriges Glück geben wollte. Nein, das Glück, das sie bisher bei ihm besessen hatten, ist zu Ende, und dafür gibt es keinen Ersatz. Ein solcher Sohn kann nicht ersetzt werden, durch keinen Tausch. Für Jesus bekam sie Johannes, für den Herrn bekam sie den Knecht, für den Sohn Gottes bekam sie den Sohn des Zebedäus, für den wahren Gott einen bloßen Menschen. Nein, das ist kein Tausch, das ist kein Ersatz. Und auch für Johannes war es kein Glücksersatz. Gewiss, er bekam die gütigste aller Mütter zu seiner Mutter. Aber wer einmal an der Brust Jesu geruht hat, kann nirgendwo sonst eine Ruhe finden, in keiner Men-schenliebe, in keiner Mutterliebe.
Was bedeuten also die Worte des Herrn? Nicht einen Ersatz des Glücks, sondern eine neue Richtung, einen neuen Anfang, einen neuen Inhalt, gerade jetzt, wo alles zu Ende schien, eine neue Aufgabe. Siehe, deinen Sohn! sagt er zu seiner Mutter. Das sollte heißen: Mutter, ich weiß, was du mir gewesen bist; ich weiß, wie du mich gepflegt hast, wie du mich gesucht hast; ich weiß, was du mir noch alles Liebes antun möchtest, wie du mich herabnehmen möchtest vom Kreuze, wie du meine Schmerzen besänftigen möchtest; ich weiß, wie reich deine Mutterliebe noch ist, wie unbegrenzt und unerschöpflich. Darum gebe ich dir wieder einen Sohn. Was du mir hast tun wollen, tue es ihm! Er sei dein Sohn. Auf ihn gehe der Segen und der Strom deiner Mütterlichkeit über. Darin lag der Trost, den er ihr bieten konnte.
Und das ist der Trost, den er noch vielen bieten wird; den Menschen, die es am besten mit ihm meinen, denen allen wird er so etwas sagen. Wird ihnen sagen: Seele, Christenseele, ich weiß, dass du gut bist, dass du mich, das Jesuskind, pflegen möchtest. Siehe da, dein Jesuskind, die Kinder, die dir leiblich oder geistig anvertraut sind! Siehe da, dein Jesusknabe! Und zu einem anderen wird er sagen: Ich weiß, dass du den Meister bedienen möchtest, dass du ihm nachfolgen möchtest und all deine Habe, deine Arbeit, deine Werke ihm weihen möchtest. Siehe da, dein Heiland: der Mensch, für den du da bist, der Mensch, dem du dienen sollst, der Mensch, der auf dich angewiesen ist, siehe da, das ist dein Heiland. Und zu einem Dritten wird er sagen: Ich weiß, dass du den Gekreuzigten abnehmen möchtest vom Kreuze und auf deinem Schoße bergen; ich weiß, dass du dein eigenes Blut vergießen möchtest, um mein Bluten zu stillen. Siehe da, diesen einsamen, diesen leidenden, diesen verlassenen Menschen, den ich zu dir schicke, siehe, das ist dein Gekreuzigter, den du an dein Herz nehmen sollst.
So sprach der Herr auch zu Johannes: Siehe, deine Mutter! Ich weiß, dass du bisher bei mir eine Heimat hattest, dass du an meinem Herzen zu Hause warst. Nun aber soll ein anderer Mensch bei dir zu Hause sein, soll ein anderer Mensch bei dir seine Heimat finden. Nun sollst du nicht mehr getragen werden wollen, nun sollst du einen anderen tragen, deine Mutter sollst du tragen. Wie ein liebender Sohn seine alte Mutter trägt, so gebe ich dir meine Mutter. Und von dieser Stunde an, heißt es in seinem Evangelium, nahm Johannes, der Jünger, Maria zu sich. Für ihr ganzes Leben. So sind diese zwei Menschen eins geworden für ihr Leben, weil Christus sie verbunden hat. Es wird doch wohl so sein, dass wir nur dann einen Menschen zu uns nehmen können, wenn Jesus, wenn Gott uns diesen Menschen gibt. Denn das ist auf die Dauer sehr schwer, einen Menschen zu sich zu nehmen. Aber wenn Jesus sterbend sagt: Siehe da, nimm ihn an dein Herz, dann ist es möglich.
Der Herr hat sodann eine Seele getröstet, die keinen Trost mehr hatte. Das war der Schächer, der rechte. Das war ein armes Herz. Wahrhaftig, er hatte nichts mehr zu hoffen. In den nächsten Stunden muss er sterben unter großen Qualen. Nur der Tod bleibt ihm noch auf dieser Welt, und dann, in der anderen Welt, die ewige Verdammnis, wie er dachte. Und das alles mit Recht. Er gesteht es selbst: Es geschieht uns recht für die Missetaten, die wir begangen haben. Er hat nichts mehr zu hoffen. Aber siehe, nun erwacht noch einmal ein Wunsch in ihm, nicht eine Hoffnung, aber ein Wunsch. Er hat den Herrn betrachtet, der neben ihm hing am Kreuze, und da fing sein Herz an zu schlagen, da flog seine Liebe, die sein Leben lang gebunden war, auf einmal empor und ward frei und schlug diesem Mitgekreuzigten entgegen, eine große, wundervolle Liebe. Ja, wenn er diesem Jesus früher begegnet wäre, dann wäre alles anders geworden. Aber nun hat er nichts mehr zu hoffen. Nur einen Wunsch hat er noch. „Jesus“, sagt er, „gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst.“ Ich weiß nicht, ob er diesen Wunsch für sehr groß und kühn oder gar für sehr klein gehalten hat. Vielleicht dachte er, das sei ein ganz kleiner und bescheidener Wunsch. Als der Prasser in der Hölle seine Augen erhob und den Lazarus sah in unermesslicher Ferne, wollte er einen Tropfen Wasser haben. Das war unmöglich; denn es ist eine unendliche Kluft zwischen Himmel und Hölle, und niemand kann hinüberkommen. Dieser Schächer aber wollte nichts haben, nicht einmal einen Tropfen Wasser. Nur ein Gedenken, ein ganz kleines, winziges Gedenken, einen einzigen Gedanken. Vielleicht kam ihm das nicht sehr wichtig und groß vor. Er wird ja nach wenigen Stunden in ewigem Dunkel begraben werden; in ewiger Verlassenheit, in ewiger Hoffnungslosigkeit wird er liegen. Aber ein Herz wird einmal seiner gedenken. Vielleicht erschien ihm das auch groß; denn sein ganzes Leben lang hat niemand seiner gedacht, er war immer ein Ausgestoßener. Wer hätte je für ihn ein Gedenken gehabt? Und weil er das nie gehabt hat, darum schien es ihm jetzt so tröstend und groß, dass wenigstens eine Seele seiner gedenken sollte. Er weiß wahrhaftig nicht, wie viel er da verlangt und wünscht. Wenn Jesus einer Seele gedenkt, dann ist das eine Gnade, dann ist das schon Auserwählung, dann ist das eine Wärme und eine Heimat, dann ist das eine offene Pforte. Das ist schon eine Rettung vor ewigem Verlorensein, wenn Jesus in seiner Herrlichkeit einer Seele liebreich gedenkt. So etwas Großes wünscht er sich, ohne es zu wissen. Und es ward ihm zuteil. „Wahrlich“, sagt der Herr, „heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Mit mir, also im Paradiese. Der Sinn ist nicht: Du wirst im Paradiese sein zugleich mit mir, sondern: Du wirst bei mir sein, und das ist das Paradies. Er wird mit dem Heiland sein, und das ist das Paradies. Der Herr wird in die Unterwelt gehen, aber das ist Paradies. Und wenn er in die Hölle hinabstiege, wer bei ihm ist, der ist im Paradies.
Ist also der Herr nicht sehr freigebig gewesen gegen diesen armen Menschen? Eigentlich nicht; denn er hat ihm nichts anderes bieten können. Der Schächer wollte ja nicht Gesundheit oder Leben oder herabgenommen werden vom Kreuze. Er wollte nicht Beendigung seiner Schmerzen, er wollte nicht einmal den Himmel. Er wollte nur ein Gedenken, er wollte nur ein ganz kleines, winziges Plätzchen im Herzen Jesu, er wollte nichts als ein Stückchen von der Seele Jesu. Und siehe, was kann der Heiland anderes geben auf solch einen rührenden, kühnen und großen Wunsch? Da kann er nichts anderes tun als ihm ein Plätzchen geben in seinem Herzen. Und wer da auch nur einen kleinen Winkel hat, ist schon ganz darin. Du wirst bei mir sein, noch heute, von heute an; denn du wirst zu mir gehören, du wirst mein Freund, du wirst mein Genosse, du wirst mein Gefährte sein. So ward dieser Schächer getröstet.
Endlich wurden Seelen getröstet, die keinen Trost wollten. Das waren die Henker und das spottende Volk, die lästernden Priester und die ganze Menge der Feinde. Sie wollten gar nichts vom Herrn; im Gegenteil, sie wollten ihn beseitigen, wegstoßen, austilgen aus dem Dasein, sie wollten ihn zu Tode hämmern. Als der Heiland auf dem Kreuze lag und die Henker Nägel in seine Hände und Füße trieben, ergriff ihn ein unsagbares Entsetzen vor dem Greuel, der da geschah. Was taten diese Menschen? Sie hämmerten das Leben selbst zu Tode, das ewige Licht selbst verlöschten sie, den vielgeliebten Sohn des ewigen Vaters verstießen sie. Was ist das ein furchtbarer Greuel! Das kam dem Herrn zum Bewusstsein. Muss da nicht alles einstürzen, Himmel und Erde; muss da nicht alles Licht erlöschen, alles Leben zu Tode gehen? Der Vater selbst wird angegriffen in seinem einzigen Sohn, der ewige Gott wird mit Feindseligkeit bedroht. Muss da nicht Gott aufstehen und sich wehren und zu einem vernichtenden Schlag ausholen? Wenn Gott sich wehren muss, dann stürzt alles ein. So ein Entsetzen packte sein Herz. Und da wollte er dem ewigen Vater entgegenlaufen mit seinem Fürbittrufen: „Vater, Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Es ist entsetzlich, was diese Menschen tun; es ist unfassbar, es ist unsagbar, aber sie wissen es nicht.
Das ist ein Wort voll von Schrecken und voll von Trost zugleich. Es ist also wahr, solche Dinge geschehen auf Erden, Attentate auf Gott selbst. Die Menschen sind imstande, ihre Hände zu erheben gegen die ewige Liebe; die Menschen sind imstande, Gott zu schlagen. Solche Furchtbarkeiten sind möglich und geschehen tatsächlich. Und manchmal überfällt es uns wie ein Grauen. Menschen, die ein wenig tiefer horchen und ein wenig feiner hören und ein wenig schärfer sehen, haben zuweilen den Eindruck, dass in dieser Welt, auf dieser Erde, in unserer Mitte furchtbare Dinge sich ereignen, die keine Menschenzunge beschreiben kann. Die Menschen sind entsetzlichster Greuel fähig, aber sie wissen es nicht, sie erkennen es nicht. Ein Schleier liegt über ihren Augen. Sie sind ahnungslos, und darum muss man immer wieder Erbarmen haben und flehen: Ewiger Gott, verzeih ihnen!
Aber es bleibt immer noch genug übrig in dieser Welt, was auch greuelhaft ist, um das die Menschen aber wissen, wo man nicht sagen kann, sie wissen nicht, was sie tun. Der Herr selbst nimmt das an beim Letzten Gericht. Da wird er ihnen sagen: Ihr habt mich Hungernden nicht gespeist, ihr habt mich Dürstenden nicht getränkt, ihr habt mich Kranken nicht besucht. Dann werden sie sagen: Aber das wussten wir doch gar nicht, dass du Hunger habest und Durst und dass du krank seiest. Dann wird er ihnen sagen: Nein, das habt ihr nicht gewusst. Aber dass euer Bruder hungert, dass euer Bruder dürstet, dass euer Bruder krank ist, das habt ihr gewusst, und darum werdet ihr verdammt. Es bleibt immer noch genug übrig, was ihr gewusst habt. Dass unsere Sünde zu Gottes Thron emporsteigt und Gott selbst bedroht, das können wir nicht begreifen. Aber dass unsere Sünde die Menschen quält, das sehen wir. Dass unsere Sünde die Sterne vom Himmel reißt, das erkennen wir nicht. Aber dass unsere Sünde die Blüten der Erde bricht, das gewahren wir. Es bleibt also noch genug übrig, wo man nicht sagen kann: Sie wissen nicht, was sie tun. Hat denn der Herr dafür keinen Trost gehabt? Hat er nur gebetet für das, was wir nicht wissen? O, dann wollen wir ihn jetzt noch anflehen: Heiland, es ist nicht genug, du musst auch beten für das, was wir wissen, für die Sünden, die wir wohl kennen, für die Greuel, die wir begreifen. Das ist immer noch schrecklich genug. Und wenn dein Mund nicht dafür betet, so soll dein Blut, dein Herz dafür beten und rufen. Und in der Tat: Die Stimme seines Blutes, die Stimme seines Herzens ist stärker als die Stimme seines Mundes.
Amen.