Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 2022

Gott ist ein Mensch geworden

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gott ist ein Mensch geworden. Das ist der Inhalt des Festes, das wir heute begehen. Die Feier des Weihnachtsfestes hat nicht nur die Geburt Christi in Bethlehem zum Inhalt, sondern auch seine Menschwerdung im Schoße Mariens. Die Menschwerdung geht der Geburt voraus. Gewiss feiert die Kirche schon seit Jahrhunderten das Fest Christi Verkündigung, bis vor einigen Jahrzehnten unter dem Namen Mariae Verkündigung. Aber dieses Fest ist bedeutend später als das Weihnachtsfest entstanden. Und die liturgischen Texte des Weihnachtsfestes zeigen auch heute noch, dass sie beide Ereignisse als Gegenstand der weihnachtlichen Festfeier betrachten. So hat das Evangelium der dritten Weihnachtsmesse die Menschwerdung des Gottessohnes zum Inhalt. Beide Ereignisse, Menschwerdung und Geburt, gehören untrennbar zusammen. Die zweite göttliche Person, die von Ewigkeit her der ganzen Fülle und Herrlichkeit des einen Gottes teilhaftig ist, die in Weisheit, Allmacht und Güte bei Schöpfung der Welt tätig war, diese zweite göttliche Person wird ein Mensch. Sie vereinigt sich mit der menschlichen Natur, also mit Leib und Seele eines Menschen, in einer solchen Weise, dass das Menschsein nun genau so fest und unlöslich mit ihr verbunden ist wie das Gottsein. Die zweite göttliche Person behält ihre göttliche Vollkommenheit und Allmacht, aber geht auch ein in die Begrenztheit und Leidensfähigkeit des Menschen. Der Logos, der Sohn Gottes, blieb, was er war, aber nahm an, was er nicht hatte.

Die Botschaft von der Menschwerdung Gottes bleibt nicht bei diesem historischen Ereignis stehen. Sie kündet uns zugleich den Sinn dieses Geschehens. Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen. Die Menschwerdung erfolgt um der Erlösung willen. Gottes Sohn wird geboren, damit wir wiedergeboren werden. Er wandert über die Erde, damit wir den Weg zum Himmel finden können. Er erleidet einen qualvollen Tod, damit wir nach dem Zerfall des Leibes anfangen, ewig zu leben. So enthält die Botschaft von der Menschwerdung und Geburt Christi bereits die frohe Kunde von unserer Befreiung, von unserer Rettung, von unserem Heil. Dieser Dienst ist ihm wahrlich nicht leicht gefallen. „Er, der in Gottesgestalt sich befand, hat nicht geglaubt, sein Gottgleichsein festhalten zu sollen. Er hat vielmehr sich selbst entäußert, indem er Knechtsgestalt annahm.“ Er, der reich war, wurde arm, um uns durch seine Armut reich zu machen. Er, der glücklich war, wurde der unglücklichste aller Menschen, um uns mit seinem Frieden zu beschenken. Er, der mächtig war, wurde machtlos, um uns kräftig zu machen, das Leben zu ertragen und das Böse zu besiegen. Seit der Menschwerdung wissen wir: Wir Menschen sind nicht allein auf dieser Welt. Der Emmanuel, der Gott-mit-uns, ist zu uns gekommen. Wir sind nicht verlassen, Gott hat uns heimgesucht. „Nirgendwo in der Welt ist ein so großes Wunder geschehen wie in jener kleinen Hütte zu Bethlehem; hier sind eins geworden: Gott und Mensch“ (Thomas von Kempen). „Das Christentum steht und fällt mit dem Glauben daran, dass ein einziger Mensch, der dreiunddreißig Jahre auf der Erde gelebt hat, der Grund der Schöpfung und der Sinn der Geschichte und also der Weg, die Wahrheit und das Leben für alle Menschen aller Zeiten ist“ (Menke).

Dieses unerhörte Geschehen fordert unsere Antwort. Sie muss bestehen in gläubiger Freude und entschlossener Dankbarkeit. Gläubige Freude, das ist Freude aus dem Glauben. Weihnachten ist ein Fest der Freude. Der Verkündigungsengel sagt es uns: „Seht, ich verkündige euch eine große Freude. Heute ist der Heiland geboren worden, der da ist der Messias, der Herr.“ In Jesus von Nazareth ist der Schöpfer der Welt und der Gott des Bundes mit Israel als Mensch real präsent. Das bedeutet: Gott lässt sich auf das menschliche Leben ein, und zwar auf das wirkliche Leben, zu dem auch Leiden und Tod gehören. In seiner menschlichen Natur nimmt Gott an den Ängsten und dem Weh der Menschen Anteil. So hat er sie geheiligt und aufgearbeitet. So und nicht anders musste das Heil zu uns kommen. Es konnte weder die Niedrigkeit des Menschen ohne Gottes Majestät, noch Gottes Majestät ohne die Niedrigkeit des Menschen unser Geschlecht erlösen (Leo). „Gott hat den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden“ (2 Kor 5,21). Wir sind jetzt ein Tempel des lebendigen Gottes, wie es Gott gesagt hat: „Ich will bei ihnen wohnen und unter ihnen wandeln“ (2 Kor 6,16). „Wir sind jetzt Kinder Gottes, wenn aber Kinder, dann auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi“ (Röm 8,17). Seht, wie Gott uns beschenkt hat!

Gläubige Freude muss uns erfüllen, aber auch entschlossene Dankbarkeit. Das heißt: Entschiedenheit aus Dankbarkeit für das, was Gott an uns getan hat. Dass er uns gezeigt hat, was wir wert sind. Dankbarkeit für die Würde, die er uns verliehen hat. Die Kirche betet: „Gott, der du die Würde der menschlichen Natur wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erneuert hast, lass uns teilhaben an der Gottheit dessen, der sich herabgelassen hat, unsere Menschennatur anzunehmen.“ Die Verleihung der Würde des Menschen gründet also in der Schöpfungstat Gottes und ihre Erneuerung in der Erlösungstat Christi, die mit der Menschwerdung Christi ihren Anfang nahm. So viel ist der Mensch Gott wert. So viel gilt er vor Gott. Der heilige Bernhard sagt es uns: „Wie hoch dich Gott einschätzt, magst du daran erkennen, was er für dich geworden ist“ (Bern.). Das Alte Testament sagt uns, was der Mensch ist: „Gott hat den Menschen zur Unsterblichkeit geschaffen und ihn zum Abbild des eigenen Wesens gemacht“ (Sap 2,23). Augustinus fragt: „Wodurch stehst du über dem Tier? Durch Gottes Bild in dir.“ Die natürliche Gottebenbildlichkeit des Menschen ist eine bleibende wesensmäßige Beziehung des Menschen zu Gott. Er hat teil an der Herrlichkeit, am Herrsein Gottes; als Abbild strahlt er Gottes Hoheit wider. Sie befähigt ihn zur Herrschaftsaufgabe an der Welt. Nach dem Neuen Testament gründet die (übernatürliche) Gottebenbildlichkeit des Menschen in seiner Bestimmung zur Gotteskindschaft, die durch die mystische Inkorporation in Christus bewirkt wird. Wir sind Brüder und Schwestern Jesu Christi. Der Gott, der seinen Sohn eine Menschennatur annehmen ließ, gibt uns Anteil an seiner Würde. Sie umfasst Integrität, Unsterblichkeit und Herrschaft über das Geschaffene als wesentliche Elemente. Man kann mit Recht sagen: Weihnachten ist das Fest der Menschenwürde.

Von der Menschenwürde wird heute viel gesprochen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ So verkündet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Wir freuen uns über die Aussage unserer staatlichen Verfassung, die Würde des Menschen sei unantastbar. Aber wir vermissen die Angabe, von wem sie stammt und wer sie gewährleistet, wer sie garantiert. Ob es uns der konfessionslose Bundeskanzler Scholz verraten kann? Oder der aus der katholischen Kirche ausgetretene Gesundheitsminister Lauterbach? Oder der Finanzminister Lindner, der erklärte, er sei kein Christ? Wir Gläubigen sind in der glücklichen Lage, angeben zu können, wer die Würde des Menschen schafft und erneuert. Bleibende, unvergängliche und unaufgebbare Wesenszüge des Menschen wie die Menschenwürde lassen sich nur festhalten, wenn sie als Werk und Wille Gottes begriffen werden. Ein Staat, der sie in papierenen Deklarationen einer zufälligen Mehrheit ansiedelt, muss mit ihrer Kraftlosigkeit spätestens im Konfliktfall rechnen. Ohne die Verankerung im christlichen Glauben hängt die vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantierte Würde des Menschen in der Luft, ist der Willkür der Ausleger des Grundgesetzes überlassen und kann durch Interpretation ausgehöhlt und um ihre Wirkung gebracht werden. So verstanden, ist Weihnachten nicht bloß ein Familienfest, ein Idyll unter dem Lichterbaum. Die Menschwerdung Gottes ist die Garantie unseres gottentstammten Menschseins. In die Abtreibungspraxen und in die Häuser des assistierten Freitods schaut das Kind von Bethlehem und spricht: Raffe dich auf, o Mensch, und erkenne die Würde deiner Natur! Denke daran, dass du geschaffen bist nach Gottes Ebenbild. Er ist ein Mensch wie wir geworden, auf dass wir der göttlichen Natur teilhaftig werden können. Christ, erkenne deine Würde! Da du teilhaft geworden bist der göttlichen Natur, so kehre nicht durch ein entartetes Leben zu der Armseligkeit zurück, aus der du gehoben wurdest!

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt