Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
4. April 2021

Der Herr ist auferstanden

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Ungeheure Mühe ist darauf verwendet worden, die Berichte von der Auferstehung Jesu in den Schriften des Neuen Testaments auf ihre Verlässigkeit zu prüfen. Der Unglaube hat sich von Anfang an gemüht, die Auferstehung Jesu unter die Legenden zu werfen. Der Christ, der seinen Gauben ernst nimmt, soll vor diesen Behauptungen weder die Ohren zuhalten noch die Augen schließen. So wird kein Gegner überwältigt, so wird der eigene Glaube nicht befestigt, so ist die alte Christenheit nicht verfahren. Die gläubige Wissenschaft ist den Leugnern der wahren Auferstehung Jesu die Antwort nicht schuldig geblieben. Die Ungläubigen sind in der schwächeren Stellung. Die Geschichtswissenschaft ist auf der Seite des Glaubens. Die Bekundung der Auferstehung Christi durch einwandfreie Zeugen ist um ein Vielfaches sicherer als zahlreiche Ereignisse der Antike, die von den Geschichtsbüchern nicht in Frage gestellt werden. Die Historiker wären dankbar, wenn sie für ihre Gestalten und Ereignisse so viele unwiderlegliche Beweise hätten, wie wir sie für unseren Herrn und Heiland und seine Geschichte haben. Wenn alte Geschichtsschreiber, sagt Lessing, so frank und edel von uns behandelt werden, dass wir sie nicht um jede Silbe auf die Folter spannen, warum sollten Markus und Matthäus, Lukas und Johannes anders behandelt werden. Man mag mit grundsätzlichem Misstrauen die Darstellungen des Neuen Testaments von der Auferstehung prüfen. Man mag alle Mittel menschlicher Forschung einsetzen. Es wird immer, damit man sie verwerfen kann, eine persönliche Voraussetzung brauchen, nämlich die Meinung, es könne so, wie es berichtet ist, nicht gewesen sein. Diese Voraussetzung ist im Falle der Auferstehung dieselbe wie allem gegenüber, was im neuen Testament nicht in den Grenzen der natürlichen Menschlichkeit bleibt. Diese Voraussetzung lautet: Was da als übernatürlich und wunderbar verzeichnet ist, kann nur dem Bewusstsein, der Einbildung oder dem Willen von Menschen entsprungen sein, die dem Wunsche und dem Bedürfnis ihrer selbst oder ihrer Zeit eine Gestaltung gaben, als ob alles, was sie wahrhaben wollten, wahr im Sinne eines geschichtlichen Ereignisses, auch wirklich so geschehen wäre. Der Unglaube ist gezwungen, das Neue Testament in zwei Hälften zu zerbrechen. In eine, die sich glauben lässt, weil sie immer noch in menschlicher Richtung aufgeht; in eine andere, die sich „beim besten Willen“ nicht glauben lässt, weil sie die alltägliche menschliche Erfahrung überschreitet.

Manche beklagen, dass die Berichterstatter die wichtigste Tatsache der Weltgeschichte in so knappen, fast dürftigen Zügen behandelt haben. Aber gerade dies erweckt Vertrauen. Nur weniger gewissenhafte Erzähler hätten mehr gesagt, als sie wussten, hätten hinzugefügt und ausgeschmückt, um die Neugier zu befriedigen und den Glauben der ersten und zweiten Generation nach dem Tode des Herrn mit Phantasien zu beleben. Das haben sie nicht getan. Warum nicht? Weil sie nichts Unzuverlässiges behaupten wollten. Weil sie mit einer Kunde zu rechnen hatten, die allbekannt war. Weil sie nicht imstande waren, den Lebensstand des Auferweckten anders zu beschreiben, als dieser selbst ihn seiner nächsten Umgebung zu erkennen gab. Diese Sparsamkeit ist ein Zeichen der Glaubwürdigkeit.

Wir haben sechs biblische Berichte über die Auferstehung des Herrn: die Auferstehungsgeschichten von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes; ferner einige Hinweise der Apostelgeschichte (1,3-9; 10,40f.); schließlich den Auferstehungsbericht des Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther (1 Kor 15,3ff.). Die Berichte enthalten Unterschiede. Die Abweichungen in den Berichten sind ein Erweis der Selbständigkeit in der Wiedergabe von Erfahrungen und Nachrichten. Die Ungleichheiten beweisen, dass die biblischen Schriftsteller nicht voneinander abgeschrieben haben, sondern dass jeder frei und unvoreingenommen sein eigenes Wissen aufgezeichnet hat. Es war dies ein Wissen aus persönlicher Zeugenschaft oder aus Überlieferung von den nächsten Beteiligten her. Wenn wir Berichte über eine große Schlacht der Vergangenheit lesen, werden wir feststellen, dass sie in Einzelheiten auseinandergehen. Aber niemand behauptet, die Schlacht sei überhaupt nicht geschlagen worden. Von der Ansprache Hitlers vom 22.8.1939 an die Generäle auf dem Obersalzberg existieren sechs Versionen mit unterschiedlichen Akzentuierungen, insgesamt aber identischer Aussage (Ankündigung des Krieges). Die erneute Ansprache Hitlers an die Führungsspitzen der drei Wehrmachtsteile am 23.11.1939 in der Reichskanzlei ist ebenfalls in mehreren Versionen überliefert. Aber das Wesentliche ist in allen Fassungen gleich: Offensive im Westen, Drohungen gegen Zweifler, Hegemonie Deutschlands. Die Unterschiede in den biblischen Berichten über Jesu Auferstehung sind Zeichen ihrer Ursprünglichkeit und Echtheit. Alle Berichte bezeugen einmütig: Der Herr ist auferstanden. Der auf eine falsche Voraussetzung aufgebaute Unglaube entfernt alles aus dem Neuen Testament, das nicht auch heute oder morgen geschieht. Diesem Verfahren bleibt nur ein „Christentum“, das Jesus anerkennt als einen Provinz-Rabbi, der manche tiefe Lebensweisheit gepredigt, ja auch ein edles religiöses Gefühl gegenüber Gott, seinem Vater, und ein lauteres Verhältnis zu den Mitmenschen gelehrt hat. Dieser Jesus sei der Heiland der Urgemeinde gewesen. Der ins Überweltliche reichende Christus verdanke sein Dasein jener nachträglichen Spekulation, welcher auch der Glaube an seinen Hervorgang aus dem Grabe entsprungen sei. Wie steht es in Wahrheit? In der Wahrheit, zu der die Nachrichten des Neuen Testaments uns zwingen, wenn nicht die Schere jener Voraussetzung am Werke ist? So steht es, dass wir ebenso das Begreifliche wie das Unbegreifliche hinnehmen müssen.

Halten wir uns an den frühesten Bericht. Er stammt vom Apostel Paulus und steht im 15. Kapitel seines ersten Briefes an die Korinther. Noch kein Vernünftiger hat an der Echtheit dieses Dokumentes gezweifelt. Fast aktenmäßig nüchtern heißt es hier: „Ich habe euch unter den Hauptstücken überliefert, was auch ich überkommen habe: dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift, und dass er begraben wurde, auch dass er auferweckt wurde am dritten Tage nach der Schrift, und dass er dem Kephas (Petrus) erschienen ist, darauf den Elfen. Darauf ist er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal erschienen, von denen die meisten bis jetzt noch leben, einige aber sind entschlafen. Hierauf ist er dem Jakobus erschienen, dann allen Aposteln. Zuletzt aber ist er auch mir, gleichsam einer Fehlgeburt, erschienen… Sei es nun ich, seien es jene, so verkündigen wir, und so seid ihr gläubig geworden.“ Also die Verkündigung aller Apostel, nicht nur des Schreibenden, schließt die Auferstehung als ein Hauptstück ein. Paulus schreibt dies etwa im Jahre 56 oder 57, also reichlich zwanzig Jahre nach dem Tod des Herrn. Aber sein Wissen ist nicht von heute. Er blickt zurück auf seinen Besuch der Mutterkirche in Jerusalem, drei Jahre nach seiner Bekehrung vor Damaskus; er blickt zurück auf diese Bekehrung selbst, in der ihm, nur drei Jahre nach der Kreuzigung, Jesus erschienen ist; er blickt noch weiter zurück, indem er sagt, dass vor diesem persönlichen Erlebnis der Herr sich dem Kephas und den anderen Aposteln und Jüngern gezeigt hat. Noch lebten weitaus die meisten dieser Augenzeugen, also kann, was er schreibt, nur im Einklang mit den allgemein bekannten Erfahrungen der Mitbrüder in der Urgemeinde geschrieben sein. Die Ungläubigen verlangen Erfahrungen, damit sie glauben können. Diese Erfahrungen liegen vor. Augen- und Ohrenzeugen bekunden, was sie gesehen und gehört, was sie mit ihren Händen betastet haben. Das Verhältnis des Paulus zu diesen Augenzeugen war nicht völlig ungetrübt. Vielmehr war es von einer Art, dass er gleichsam unter kritisch zusehenden Augen schrieb. Am wenigsten durfte er im Bericht von der wichtigsten Erfahrung der Urgemeinde die Wahrheit verlassen. Paulus geht auf die Einzelheiten der Ereignisse, wie sie von den Evangelisten erzählt sind, nicht ein. Das erklärt sich leicht. Denn diese waren längst schon öffentlich bekannt. Außerdem handelt er an dieser Stelle im zweiten Korintherbrief nicht von der Auferstehung Jesu um ihrer selbst willen, sondern nur als der Bürgschaft für die Auferstehung aller Toten. Nicht auf dem Hergang des Ereignisses, nur auf der Folgerung aus ihm für die Hoffnung der Christen liegt der Ton.

Der Sieg der christlichen Religion in die Breite und Tiefe ist nicht ohne den Osterglauben der Urgemeinde und dieser Osterglaube nicht ohne ein alles umwälzendes Ereignis zu begreifen. Es kam überraschend, unfasslich für alle, auch die Apostel. Sie hatten die Prophezeiungen darüber nie verstanden. Sie waren in dem Augenblick, als sie die Sache ihres Meisters verloren geben mussten, in die Heimat zu ihrem Handwerk zurückgekehrt. Wie kommt es, dass die verhagelte, führerlose Herde sich wieder zusammenfindet? Wer macht aus diesen abgründig Enttäuschten die martyrerstarken Bezeuger der Auferstehung? Betrug? Waren sie gute Menschen, so haben sie nicht betrogen. Wenn sie betrogen haben, waren sie schlechte Menschen; nur kann man nicht begreifen, dass sie für die eigene Lüge in den Tod gegangen sind. Oder sind sie betrogen worden? Es hätte nur von ihren Feinden geschehen können. Diese waren aber doch auch Jesu Feinde, die Urheber seines Todes. Sie hätten tausendmal lieber seinen unerstandenen Leichnam gefunden als die Herrlichkeit des Auferstandenen ausgerufen. Paulus z.B., damals als Saulus noch der Erzfeind der Gemeinde Jesu, hätte in seinem wilden Eifer jede Spur ergriffen, um den Glauben an das Auferstehungswunder aus der Welt zu schaffen. Nein, das Grab war leer, die Anklage auf Diebstahl war in den Wind geredet. Sowohl in Judäa wie in Galiläa erschien und sprach und aß und trank der Herr, sichtbar und greifbar im neuen Leib. Nicht nur im Geist der Jünger lebte er fort; vor ihren Augen bewies er ein Dasein in Form und Gestalt. So unbegreiflich erschien dies alles, dass die Apostel selbst die ersten Zweifler an der Auferstehung waren. Und nicht anders als die moderne Zeit wollten auch damals viele, so die Korinther, der Botschaft das Unglaubliche nehmen und den Sinn der Lehre darin sehen, dass sie eine zeitliche Wiedergeburt der Gesellschaft bezwecken solle. Paulus verwahrt sich dagegen, ein falscher Zeuge zu sein, und darum lässt er die unerhörte Botschaft von der Auferweckung des Herrn nicht ins Allgemeinmenschliche ziehen. „Ist Christus nicht auferstanden, so ist nichtig unsere Predigt und nichtig auch euer Glaube.“ Und in dieser Verwahrung schließt er alle Verkündiger der Osterbotschaft ein. „Wir würden aber auch als falsche Zeugen Gottes befunden, dass wir gezeugt hätten gegen Gott, er habe auferweckt den Christus, den er doch nicht auferweckt hat.“

Ohne den Glauben an den Erstandenen bleibt ein Rätsel das ganze alte Christentum. Und noch ein größeres Rätsel bleibt uns der Osterglaube ohne das Ereignis der Auferstehung. Dieses hat die Gemüter in der Tiefe aufgewühlt. Es hat das Feuer in ihnen heller als je in den Tagen des Umgangs mit dem Meister entfacht. Es hat der Predigt der Apostel eine unermessliche Kraft und ihrem Herzen die Stärke zum Tode für ihn gegeben, den sie erstanden und lebendig wussten über Zeit und Raum.

Eine Gefangene, die im Moskauer Polizeigefängnis, der „Lubjanka“, war, erzählt uns von diesem Ort des Schreckens, wo immer eisige Friedhofsstille herrschen musste: „Eines Abends flüsterte mir meine Mitgefangene in der einsamen Zelle zu: ‚Wissen Sie, was morgen für ein Tag ist? Morgen ist Ostern!ʻ War das frohe Osterfest tatsächlich so nahe? Ostern ist Freude für die ganze Menschheit. Aber wir waren von dieser Freude ausgeschlossen. Trostlos ging ich den Korridor entlang. Plötzlich durchbrach ein Schrei die unheimliche Todesstille: ‚Christus ist auferstanden!ʻ Wer hatte es gewagt, unseren Ostergruß zu rufen? Ich sah meine Gefährtin an. Die großen Augen leuchteten übernatürlich klar in dem blassen Gesicht. Da kam schon die Antwort. Aus jeder Zelle ertönten schwache, aber freudige Menschenstimmen: ‚Er ist wahrhaft auferstanden!ʻ“

Amen.

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