25. Dezember 2014
Einmaligkeit und Faktizität des weihnachtlichen Geschehens
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Feier der Geburt unseres Heilandes Versammelte!
„Seht, ich verkündige euch eine große Freude: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Da ist erschöpfend der Inhalt der Weihnacht ausgesagt. „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Die höchsten Begriffe, welche die Menschen über die göttliche Person gefunden haben, werden Jesus zugelegt: Sotär – Heiland. Die Griechen bezeichneten damit die Götter, die zur Rettung der Menschen kommen. Jetzt wird dieser Name auf Jesus angewandt. Auf ihn zum ersten Mal mit vollem Recht. Messias, der Gesalbte, der Christus: Das ist die Erwartung der Juden. Sie erhofften einen Herrscher gleich David für ihr irdisches Reich, aber die Hoffnung ist weit übertroffen und übererfüllt durch den, der jetzt kommt. Er ist der Messias, aber er ist der göttliche Messias. In der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes wird der Gottesname Jahwe wiedergegeben mit Kyrios – Herr. Und dieser Gottesname wird jetzt auf das Kind im Stalle von Bethlehem angewandt. „Heute ist euch der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Er ist nicht Herrscher über ein bestimmtes Gebiet, er ist der Herr über das Weltall. Jesus ist all das, was diese Namen sagen, aber er überbietet sie in unermesslicher Weise. Er ist der Sotär – der Heiland, aber er ist der göttliche Heiland. Er ist der Messias, aber er ist der göttliche Messias. Er ist der Herr, aber er ist der göttliche Herr.
„Heute – heute! – ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Das Wort „heute“ in der Weihnachtsbotschaft ist von unermesslicher Bedeutung. Es verknüpft nämlich die irdische Geburt Jesu mit der Geschichte. Die christliche Zeitrechnung, die wir benutzen, stammt aus dem 6. Jahrhundert. Sie ist von dem Mönch Dionysius Exiguus erfunden worden. Aber Exiguus hat einen enormen Fehler gemacht. Er setzte nämlich die Geburt Jesu auf das Jahr 753 seit Gründung der Stadt Rom. In Wirklichkeit ist Jesus in den Jahren 8 bis 6 vor unserer Zeitrechnung geboren, zur Zeit des Königs Herodes, und dieser ist im Jahre 4 vor Christus gestorben. Alles im christlichen Glauben hängt davon ab, dass die Geburt Jesu, dass die Geburt des Gottessohnes wirklich stattgefunden hat. Das Gebundensein an das brutale Faktum ist das Kennzeichnende des christlichen Glaubens. Dieses Faktum ist das wirkliche Eingehen in die geschichtliche Existenzweise. Menschwerdung, Fleischwerdung heißt: das Eintreten unter die Begebenheiten, die Gegenstand von Polizeirapporten, Objekte des Fotografen, Aufzeichnungen des Chronisten sind. Betastbare, fotografierbare, sinnvolle Einzeltatsachen, raum-zeitliche Vorgänge, Ausfüllung einer bestimmten Stelle in Raum und Zeit, das alles gehört zur Fleischwerdung des Gottessohnes. Der Apostel Johannes drückt es auf seine Weise aus: „Was von Anfang an war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir schauten und was unsere Hände betasteten vom Worte des Lebens, das verkünden wir euch.“
Der Glaube ist an das Faktum als an ein einmaliges Ereignis gebunden. Einmaliges gibt es außerhalb des christlichen Glaubens überhaupt nicht. Alles andere kann mehrmals geschehen, ist mehrmals geschehen oder wird mehrmals geschehen. Der christliche Glaube ist das Bezogensein auf das einmalige Faktum, das gerade in dieser Einmaligkeit die Offenbarung ist. Das Stehen auf diesem Grund, das Abstellen auf diese Tatsache ist der christliche Glaube. Das Kommen Gottes in die Welt ist ein einmaliger Vorgang. Es gibt in der Welt nichts wirklich Einmaliges als dieses allein. Dieses Geschehen hat keine Verwandtschaft mit anderen Ereignissen; es ist absolut für sich. Das ist der enorme Fehler der ungläubigen Theologen. Das ist der enorme Fehler, dass sie das Ereignis der Menschwerdung an anderen Geschehnissen der Geschichte messen. Sie suchen nach Parallelen in der Geschichte der Religionen. Aber zu der Menschwerdung Gottes gibt es keine Parallele. Die Religionsgeschichte hat eine große Zahl von Erzählungen ermittelt, in denen von einer heiligen Hochzeit, von der Verbindung eines Gottes mit einer menschlichen Frau die Rede ist. Und die ungläubigen Theologen meinen nun, die aus dem Heidentum kommenden Christen hätten in ähnlicher Weise für Jesus eine göttliche Herkunft angenommen. Diese Ansicht ist unhaltbar. Die Unterschiede zwischen den heidnischen Erzählungen und dem christlichen Glauben sind grundlegend. Niemand von den Heiden selbst glaubte an die Wirklichkeit dieser Erzählungen. Sie wussten alle: das sind Erfindungen, das sind Schilderungen von Naturvorgängen. So wie im Frühjahr die Blumen und Gräser sprießen, und so wie sie Herbst und im Winter verwelken, so stellten sie sich das Leben ihrer Götter vor. Die Dichte des Geschichtlichen zieht die schärfste Trennungslinie zwischen dem Christentum und den übrigen religiösen Erscheinungen. Diese sind allesamt Naturreligionen; in ihnen wird die Natur vergöttlicht. Das Christusereignis und die fantastischen Erzählungen der Mythen haben nichts miteinander zu tun. Das ist der wesentliche Unterschied des weihnachtlichen Geschehens von den Mythen: Die Mythologie hat es nicht mit einer einmaligen Erscheinung, mit einer aktuellen Anrede, sondern mit einem allgemeinen, einem immer wiederkehrenden, nie wirklich, d.h. nie einmalig sich Ereignenden zu tun. Dem Mythos fehlt gerade das, was für die biblische Geschichte entscheidend ist, nämlich die Einmaligkeit, das Ein-für-alle-Mal – „ephapax“ im Griechischen – das Ein-für-alle-Mal, die absolute Ernsthaftigkeit des Geschehens, das ist der Zug, der jeder Mythologie fremd ist. Der Mythos ist Gedanke und Fantasie; das Christentum ist geschichtliche Wirklichkeit. Der Mythos trägt den Bedürfnissen der Fantasie Rechnung; das Christentum ist Entscheidung des Glaubens und Gehorsam gegen das Wort. Zum Mythos gehören die vielen Götter – das ist der notwendige Hintergrund. Die Voraussetzung für die Christusoffenbarung ist der unbedingte, strenge Eingottglaube. Der Glaube an den Gott, der eifersüchtig über sein Alleinsein wacht.
Der Evangelist Johannes – wie wir ja eben gehört haben – nennt den in Bethlehem Geborenen „das Wort“ – Logos. „Im Anfang war das Wort – also der Logos –, und das Wort war bei Gott, und das Wort war selbst Gott.“ Der Begriff des Logos stammt aus der hellenistischen Populargnosis und den hermetischen Erlösungsmysterien. Der Religionsgeschichtler Bousset schreibt: „Das Christentum hat diesem Begriff nichts eigenes hinzugefügt. Es hat nur das eine hinzugetan: Es hat ihn in seinem ganzen Reichtum und in seiner ganzen Mannigfaltigkeit auf die Person Jesu angewandt.“ In der Tat, nur dies, und damit ist alles anders geworden. Damit ist aus einem Mythos die Geschichte geworden. Jesus ist der Logos, das Wort, das Gott uns zu sagen hat. Die Selbstmanifestation Gottes, das höchstpersönliche Eigenwort Gottes, das ist Jesus Christus. In ihm spricht Gott sich aus, weil er in ihm gegenwärtig ist. „Der Logos ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“, verkündigt Johannes. Die vom Heiligen Geist geführte Kirche hat diese Wahrheit verdeutlicht, indem sie lehrt: Christus hat die menschliche Natur angenommen. Das ist endgültig und für immer vom Konzil von Chalcedon 451 festgelegt worden. Christus hat die menschliche Natur angenommen. Natur, nun das ist alles das, was einem bestimmten Ding seine innerste Beschaffenheit gibt: sein Wesen, das Sosein, der Grund und die Quelle seiner Tätigkeiten – das nennen wir Natur. Damit ist die Totalität des menschlichen Lebensbestandes als Möglichkeit des persönlichen Lebens gemeint. Jesus ist wahrer Mensch. Es fehlt seinem Leben nichts, was zum menschlich-geschichtlichen Leben gehört, ausgenommen: die Sünde. Jesus hat wohl menschliche Natur, aber nicht menschliche Person angenommen. Person ist das Ich, das durch die Kräfte der Natur tätig wird, das ihnen bestimmend, befehlend gegenübertritt. Das Ich ist das Verantwortliche in mir für das, was geschieht. Die Natur steht in der Verfügungsmacht des Ich. Das Ich ist der Inhaber der Natur. Die Person, welche die menschliche Natur Jesu trägt, ist und bleibt der Logos. Nicht zwei Personen, wie es die Nestorianer anzunehmen schienen, nicht zwei Personen, sondern eine Person. Gott ist ein Mensch geworden. „Er blieb, was er war, aber er nahm an, was er nicht hatte.“ Jesus ist der göttliche Mensch, der Gottmensch.
Diese Wahrheit wird seit zweihundert Jahren von ungläubigen Theologen abgeschwächt, verdunkelt, eliminiert. Aus dem göttlichen Menschen im Sein machen sie einen gottinnigen Menschen in der Gesinnung. Aus der Ontologie wird bei ihnen Ethik. Darin liegt die totale Verkehrung der christlichen Weihnachtsbotschaft. Sie lautet nicht: Ich verkünde euch ein Problem, sondern: Ich verkünde euch eine große Freude. Ich sage es mit Schmerz: Viele – wahrscheinlich die meisten – evangelischen Theologen leugnen das Gottsein Jesu. Sie gestehen ihm lediglich eine besonders hohe menschliche Mentalität, Einstellung, Denkungsart zu. Mit dieser Ansicht wird der christliche Glaube entleert, wird der Inhalt des Weihnachtsgeschehens zerstört. Gott selbst kam in Christus zu den Menschen, und nicht ein Mensch, der göttlich gut gesinnt war. Er kam wirklich zu den Menschen und redete nicht bloß zu ihnen. Er kam als göttliches Sein, nicht bloß als Gesinnung. Christus sucht nicht Gott wie wir und alle Menschen; er bringt Gott. Er hat nicht Vergebung nötig; er vergibt. Er zittert nicht vor dem Gericht; er weiß sich auf der Seite des Weltenrichters. Er muss nicht trachten, in das Reich Gottes hineinzukommen; er wirft es in eigener Person auf die Erde. Er kommt herab und steigt nicht hinauf. Er muss sich nicht entscheiden, sondern in ihm entscheidet sich alles. Die Lehre von der göttlichen Natur Jesu, meine lieben Freunde, ist die notwendige Abwehr aller Vermenschlichung der Offenbarung, die Abwehr allen religiösen Heroenkultes. Die Lehre von der göttlichen Natur Jesu ist unaufgebbar, auch wenn sie im Protestantismus fast allgemein aufgegeben ist. Es handelt sich durchaus um das Gottsein Jesu, nicht um eine gottentsprechende Gesinnung.
Dieses unerhörte Ereignis geschah für die Menschen und um ihres Heiles willen. Mit dem Kommen Christi ist der Durchbruch aus einer anderen Dimension in die Geschichte gemacht. Der Ewige ist in die Zeitlichkeit eingetreten, der Unsichtbare ist sichtbar geworden. Das ist die Offenbarung Gottes. Das ist Sieg über jede von Menschen erfundene Religion. Dass er da ist, dass es ihn gibt, den Gottmenschen, das ist das Heil. Dass er zu uns gekommen ist, uns gegeben ist, das ist es, worüber wir uns freuen sollen. Indem Jesus von seinem Gekommensein und Gesandtsein spricht, redet er von seinem Mittlertum. Er ist der Mittler zwischen Menschen und Gott. Gott hat ihn gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Seine Existenz ist ihre Rettung von Sündenschuld. Er lehrt nicht bloß Vergebung; er vergibt. Jesus ist die personale Erlösung, er ist der göttliche Erlöser. Jesu Kommen und Bleiben, sein ganzes Leben, Reden, Wirken hat erlöserische Kraft. Es erreicht freilich seinen Gipfel in seinem freiwilligen Leiden und Sterben. Weil er der Erlöser ist, deswegen singen wir an Weihnachten: „Christ, der Retter (der Erlöser) ist da.“ In der Litanei vom heiligsten Namen Jesu, in dieser weihnachtlichen Litanei, betet das gläubige Volk: „Durch das Geheimnis deiner heiligen Menschwerdung, durch deine Geburt, durch dein göttliches Leben, erlöse uns, o Jesus.“
Ich habe nichts dagegen, meine lieben Freunde, dass man sagt: Weihnachten ist das Fest des Lichtes, der Liebe, des Schenkens. Ich habe nichts dagegen, wenn man nur hinzufügt: Weihnachten ist deswegen das Fest des Lichtes, weil die Menschwerdung Gottes die Welt hell gemacht hat. Weihnachten ist deswegen das Fest der Liebe, weil Gott in seiner übergroßen Liebe seinen eigenen Sohn dahingegeben hat. Weihnachten ist deswegen das Fest des Schenkens, weil uns der himmlische Vater in diesem Sohn alles geschenkt hat. Wahrhaftig: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt; die Herrschaft ruht auf seinen Schultern. Wunderrat lautet sein Name, Gottheld, Friedensfürst, Vater der Zukunft.“ Die römische Kirche hat den 25. Dezember als Geburtsfest Christi festgelegt. Früher, in der Heidenzeit, feierten die Menschen an diesem Tage den „Sol invictus“ – die unbesiegte Sonne – weil nämlich von diesem Zeitpunkt an die Tage wieder länger werden. Dieser heidnische Reichsfeiertag wurde ersetzt durch den Geburtstag der „wahren Sonne der Gerechtigkeit“. An die Stelle des Naturmythos trat die Realität. Im 19. Jahrhundert lebte und lehrte in Göttingen der große protestantische Theologe und Philologe Paul de Lagarde. Wir haben ihn in der Schule kennengelernt als sogenannten „völkischen Erneuerer“. Von ihm aber stammt ein wahrhaft weihnachtliches Wort, nämlich: „Die Kirche Roms hat durch die Einführung des Weihnachtsfestes das Christentum gerettet.“ Die Kirche Roms hat durch die Einführung des Weihnachtsfestes das Christentum gerettet. „Der Erlöser ist wahrhaft Gott und Mensch zugleich.“
Amen.