29. Mai 2003
Aufgefahren in die Wirklichkeit des Himmels
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Feier der Himmelfahrt des Herrn Versammelte!
Wenn man heute die Menschen fragen würde, welchen Tag wir begehen, dann würden viele, allzu viele, antworten: „Heute ist der Vatertag.“ Warum soll man nicht einen Vatertag begehen? Es gibt ja auch einen Muttertag. Aber wer Christ ist, müßte wissen, daß am heutigen Tage die Himmelfahrt des Herrn gefeiert wird. Der Herr ist zurückgekehrt, woher er gekommen ist, und das ist ein Anlaß, froh und dankbar zu sein.
Der Himmelfahrtstag wirft aber in unserer Zeit und in unserer Umgebung Fragen auf. Ich meine, es sind drei Fragen, die uns heute gestellt sind, nämlich
1. Ist der Bericht aus der Apostelgeschichte zuverlässig?
2. Gibt es einen Himmel?
3. Wissen wir etwas vom Himmel?
Die erste Frage lautet: Ist der Bericht der Apostelgeschichte zuverlässig? Wir wissen, meine lieben Freunde, daß es heute ungläubige Theologen gibt, Theologen, die Wissenschaft vom Glauben betreiben und diesen Glauben nicht teilen. Und diese Ungläubigkeit erstreckt sich auch auf den Inhalt des heutigen Festes. Sie reden davon, daß im 1. Kapitel der Apostelgeschichte eine Legende erzählt werde, also eine erfundene Geschichte. Wenn man den Bericht der Apostelgeschichte auf sich wirken läßt, dann sieht man, daß er nichts Legendarisches an sich hat. Hier wird schlicht und redlich ein wirklicher Vorgang geschildert, wie ihn die Augenzeugen beobachtet haben. Der Bericht in der Apostelgeschichte verrät die geschulte Feder des griechischen Historikers. Er ist rein sachlich und verzichtet auf alle Ausschmückung legendarischer Art.
Selbstverständlich muß man wissen, wie der Begriff Himmel zu deuten ist. Der Herr wurde emporgehoben in den Wolkenhimmel, das ist keine Frage. Er entschwand nach oben, da, wo die Wolken sind. Aber sein Weg führte über die Wolken hinaus. Wenn Sie einmal die Novene, die wir jetzt bis zum nächsten Pfingstsonntag beten, betrachten, da finden Sie den Satz, daß Jesus „über alle Himmel“ emporgehoben wurde. Also nicht in den Wolkenhimmeln hat er Platz genommen, nicht da, wo die Raumschiffe ziehen, nicht dort, wo die Sterne ihre genau bezeichneten Bahnen verfolgen, sondern über alle irdischen Himmel, über alle uns als Erfahrungswesen zugänglichen Himmel ist Christus emporgestiegen in jene Wirklichkeit, die Gott vorbehalten ist. Der Himmel, der hier gemeint ist, ist die Gott vorbehaltene Wirklichkeit. Wir nennen Gott mit einem richtigen Wort transzendent, das heißt übersteigend. Gott übersteigt die irdische Wirklichkeit. Er ist anders als alles, was wir kennen, was wir sehen, was wir hören, was wir mit unseren Apparaten ergreifen können. Und diese Wirklichkeit ist gemeint, wenn wir sagen: Gott hat seinen Sohn Jesus Christus in den Himmel aufgenommen. Er ist nicht, um mit den Worten der englischen Sprache zu reden, in den „sky“ aufgenommen worden, sondern er ist in den „heaven“, in die Gott vorbehaltene Wirklichkeit eingegangen. Die Berichte, die wir von der Himmelfahrt haben in der Apostelgeschichte und auch im Markusevangelium, sind zuverlässig. Es besteht kein Anlaß, sie zu bezweifeln. Bezweifeln muß sie nur derjenige, der nicht an Gott glaubt. Wer nicht an Gott glaubt, der braucht natürlich auch nicht an die Himmelfahrt zu glauben. Aber wenn Gott existiert, dann tut er Göttliches, dann sind seine Werke von anderer Art, als wir Menschen sie vollbringen. Man kann nicht bestimmen, was Gott tun darf und was er nicht tun darf. Wir müssen Gott überlassen, was er will und was er tut. Er hat hier eine Tathandlung gesetzt, eine Gleichnishandlung, gewiß ein Gleichnis, indem er nach oben emporfuhr, um zu zeigen, er ist nicht in die Unterwelt gegangen, er ist nicht dahin gegangen, wo die Hölle nach der Vorstellung der Zeitgenossen ist. Er ist dahin gegangen, wo Gott ist, wo die Wirklichkeit Gottes offenbar wird, und sitzt zur Rechten Gottes. Das sind alles Bilder, aber es sind Bilder, hinter denen eine Wirklichkeit steht. Es sind keine Phantasien, sondern es sind Wirklichkeiten, die uns hier von den Evangelisten bezeugt werden.
Die erste Frage lautet: Ist der Bericht zuverlässig? Wir dürfen ohne jeden Anflug eines Zweifels sagen: Er ist zuverlässig. Die Männer, die Jesus haben emporschweben sehen, haben berichtet, was sie erlebt haben. Sie haben nicht geflunkert, sondern sie haben bezeugt.
Die zweite Frage lautet: Gibt es einen Himmel? Auch diese Frage ist natürlich belastet durch unsägliche Vorstellungen vom Himmel, durch Phantasien, die die Menschen sich zurechtgemacht haben. Wir dürfen nicht die Vorstellungen vom Himmel mit der Wirklichkeit des Himmels verwechseln. Die Vorstellungen sind unzulänglich, und alle Phantasien über den Himmel werden von dem heiligen Paulus abgewiesen, wenn er sagt: „Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.“ Das ist die Abweisung jeder menschlichen Vorstellung, jeder irdischen Phantasie über den Himmel. Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Jawohl, es gibt einen Himmel. Jesus, der es wissen mußte, hat uns darüber Zeugnis abgelegt. „Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Wenn es anders wäre, hätte ich es euch gesagt. Ich gehe hin, euch eine Wohnung zu bereiten.“ Es gibt einen Himmel, es gibt eine Stätte der Seligkeit, es gibt eine Gott vorbehaltene Wirklichkeit, an der die Menschen teilnehmen sollen, die zu ihm gehören.
Die dritte Frage lautet: Wissen wir etwas von dieser Wirklichkeit? Können wir uns etwas Sicheres über den Himmel aneignen, das uns nicht enttäuscht, wenn wir einmal seine Wirklichkeit erfahren werden? Auch diese Frage ist mit ja zu beantworten. Wir können die Wirklichkeit des Himmels, wie sie uns Christus geschildert hat, in vier Worten zusammenfassen: Guter Hirt, Wohnung, Gewand, Mahl. Jesus nennt sich den Guten Hirten. Wir wissen, wer ein guter Hirt ist; das ist derjenige, der sich um seine Schafe sorgt, der sein Leben für seine Schafe hingibt. Er läßt neunundneunzig Schafe in der Wüste, um das verlorene zu suchen und zu retten. Das heißt, Gott liebt einen jeden Menschen persönlich. Er ist nicht zufriedengestellt mit neunundneunzig und mit drei Milliarden, sondern jeden einzelnen Menschen liebt er persönlich, und wen er einmal mit seiner Liebe umfangen hat, den läßt er nicht mehr aus seiner Liebe herausfallen. Es ist undenkbar, daß Gott, der seine Liebe und sein Blut für den Menschen verschwendet hat, ihn in das Nichts zurückfallen läßt. Nein, der Gute Hirt, der sein Leben für seine Schafe gibt, sorgt dafür, daß sie in Ewigkeit bei ihm sein können.
Am gestrigen Tage, meine lieben Freunde, war in der Mainzer Allgemeinen Zeitung eine Todesanzeige, wie ich sie noch nie gelesen habe. Da wurde ein Professor, Josef Scharf, angezeigt, dessen Leben liebevolle Zuwendung an seine Mitmenschen war, und seine Gattin schrieb: „So nehmen wir Abschied in Trauer und Dankbarkeit, daß Gott seine Seele befreit hat aus einem Körper, der ihm nicht länger dienen konnte.“ Wie wahr! Wie richtig! Gott hat seine Seele befreit aus einem Körper, der ihm nicht länger dienen konnte. Genau das ist es. Genau das meinen wir, wenn wir sagen: Es gibt ein ewiges Leben, das der Gute Hirt denen bereitet hat, die zu seiner Herde gehören.
Jesus spricht dann von den Wohnungen, die er bereitet. Für seine Zuhörer hat er Wohnung in einen Gegensatz gestellt zu einem Zelt. Das Zelt der Nomaden ist keine Wohnung. Das Zelt wird aufgebaut und wieder abgerissen. Wenn die Weideplätze leergeweidet sind, dann wird das Zelt anderswo aufgestellt. Es ist keine bleibende Stätte. Und jetzt kommt die Verkündigung Jesu: Im Himmel gibt es keine Zelte mehr, sondern eine Wohnung, eine Wohnung, die also Beheimatung und Geborgenheit gibt, eine Wohnung, die vor Unbilden schützt, eine Wohnung, die nicht mehr aufgegeben werden muß und abgebrochen werden kann, eine Wohnung, die immer bleibt. Das ist die trostreiche Verkündigung, die Jesus vom Himmel gibt. „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es anders wäre, hätte ich es euch gesagt. Ich gehe hin, euch eine Wohnung zu bereiten.“
Wenn wir das Bild von der Wohnung für unsere Zeit in einen Gegensatz stellen wollen, dann müssen wir sagen: Die Himmelswohnung ist keine Baracke. Eine Baracke haben wir kennengelernt, als wir aus der Heimat vertrieben wurden und man uns notdürftig und provisorisch unterbrachte. Baracken standen in de Konzentrationslagern; das waren keine Wohnungen, sondern Unterkünfte. Was Gott uns bereitet, das ist eine Wohnung, eine Stätte der Geborgenheit, des Friedens und der Ruhe.
Der Herr schildert den Himmel auch unter dem Bilde des Gewandes. Das Gewand, das er uns ankündigt, ist nicht irgendein Lumpen, mit dem man umhüllt wird, sondern ein Freudengewand, ein Prachtkleid, bildlich gesprochen selbstverständlich, aber hinter diesem Bild steht eine Wirklichkeit, und diese Wirklichkeit ist die: Gott schafft den Menschen um zu einem unschuldigen Wesen. Wir Menschen können auch verzeihen und vergessen, aber Gott kann verändern. Er kann eine Tiefenverwandlung vornehmen, und genau das ist es, was im Himmel geschieht und was mit dem Bild vom Gewand angedeutet wird. Keine Schuld mehr, keine Sünde mehr, keine Versuchlichkeit mehr, sondern Unschuld, so wie wir sie – Gott sei es geklagt – verloren haben und nicht mehr wiedergewinnen können. Diese Unschuld wird Gott uns im Himmel schenken. Er wird sie uns schenken unter dem Bilde des Gewandes, des weißen Gewandes, der Herrlichkeitsgewandes, das uns verbindet mit dem verklärten Christus.
Und schließlich ein letztes Bild, in dem der Herr den Himmel schildert, das Mahl. Das Mahl ist mehr als Sättigung. Das Mahl ist etwas anderes als Nahrungsaufnahme. Das Mahl ist ein festlicher Vorgang. Das Mahl, das uns Christus im Himmel ankündigt, ist ein Freudenmahl. Alle Trauer und alle Tränen sind vergangen. Es ist ein Mahl der Gemeinschaft. Sich sattessen kann man auch alleine, aber ein Mahl halten kann man nur in Gemeinschaft. Und der Himmel ist Gemeinschaft, Gemeinschaft der Erlösten, Gemeinschaft der Geretteten, Gemeinschaft der von Christus in seine Herrlichkeit Eingeführten. Ein Mahl der Gemeinschaft, ein Mahl der Freude, ein Mahl der Fülle. Nicht nur das Notdürftige wird gereicht, sondern es wird eine volle und vollendete Sättigung eintreten, so daß der Mensch nichts mehr verlangen wird. Unter dem Bilde des Mahls schildert uns Jesus die Freude und die Fülle und das Glück des Himmels.
Drei Fragen haben wir gestellt, meine lieben Freunde, und zu beantworten versucht. Die Antworten lauten: Der Bericht der Evangelisten über die Himmelfahrt Christi ist keine Legende, sondern eine Wirklichkeit. Es gibt einen Himmel, Gott enttäuscht uns nicht. Er läßt den, den er an sein Herz gezogen hat, nicht mehr ins Nichts zurückfallen. Und der Himmel ist eine Stätte, in der wir bleibend in Freude und in Gemeinschaft und in Glück versammelt sind.
Der heilige Paulus hat diese Wahrheit den Sklaven und kleinen Händlern in Korinth in folgender Weise beschrieben: „Wir sind gewiß, daß, wenn dieses unser irdisches Gezelt – Gezelt! – abgebrochen wird, wir einen Bau von Gott empfangen, ein nicht mit Händen gemachtes, ewiges Wohnhaus im Himmel.“
Amen.