23. Mai 1999
Die bleibende Einwirkung des Geistes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Feier der Herabkunft des Heiligen Geistes Versammelte!
Ostern und Pfingsten gehören eng zusammen. Ostern ist die Verherrlichung Jesu, seine Erhöhung ans Kreuz und zur Rechten des Vaters. Pfingsten ist das Sichtbarwerden des Erfolges, den Jesus errungen hat mit seinem Gehorsam bis zum Tode und mit seiner Erhöhung zur Rechten Gottes. „Wer dürstet, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt!“ „Denn“, so sagt die Schrift, „aus seinem Inneren werden Ströme lebendigen Wassers strömen.“ Genau das ist das Geheimnis von Pfingsten: „Wer dürstet, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt!“ Denn aus seinem – nämlich des Messias – Inneren werden Ströme lebendigen Wasser hervorströmen.
Diese Wirkung von Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu ist vom Herrn vorhergesagt worden. „Es ist gut für euch, daß ich hingehe. Wenn ich nicht hingehe, kann der Beistand nicht zu euch kommen. Wenn ich aber hingehe, werde ich ihn euch senden.“ Der Apostel Johannes kommentiert diese Worte Jesu, wenn er sagt: „Es war noch kein Geist, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.“ Das ist ein dunkles Wort, das der Erklärung bedürftig ist. „Es war noch kein Geist, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.“ Ja, hat denn Gott nicht durch die Propheten gesprochen? Hat nicht der Heilige Geist durch die Propheten gesprochen? War nicht auch schon, bevor Jesus verherrlicht war, Geist, vor allem in ihm selber? Er war ja doch ein vom Geist Erfüllter. „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen.“ Vom Geist wurde er in die Wüste getrieben. Gewiß. Das Wort: „Es war noch kein Geist...“ will nicht besagen, daß vorher überhaupt kein Heiliger Geist gewesen sei. Selbstverständlich hat der Heilige Geist von Ewigkeit her in der Dreifaltigkeit gelebt, und ebenso selbstverständlich hat er gesprochen durch die Propheten. Aber es gibt einen dreifachen Unterschied zu dem Wirken des Heiligen Geistes vor Jesu Erhöhung und nachher.
Erstens: Vor Jesu Erhöhung hat der Heilige Geist nur dann und wann einen Menschen ergriffen. Ein Bauer, ein Priester wurde vom Heiligen Geist benutzt als Werkzeug, um als Prophet vor das Volk hinzutreten und ihm Botschaften Gottes zu übermitteln. Aber das verging wieder. Wenn die Botschaft ausgerichtet war, dann kehrte der Bauer an seinen Pflug zurück, und wenn der Priester (Ezechiel) sein Werk geschrieben hatte, die Prophetien, dann hat er seinen Priesterdienst wieder aufgenommen. Der Geist hat also damals nur sporadisch gewirkt. Er kam, und er ging. Du hörst sein Brausen, aber weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er geht. Das ist der erste Unterschied zwischen dem Wirken des Geistes vor der Erhöhung Jesu und nachher.
Zweitens: Vor der Erhöhung Jesu war der Geist Gottes nicht so in der Welt, wie er es nachher ist, nämlich als einer, der in das dreipersönliche Leben Gottes einführt. Die Einführung in das dreipersönliche Leben Gottes konnte erst geschehen, nachdem der dreifaltige Gott geoffenbart war und nachdem die Erlösung hergestellt war. Erst mußte Jesus durch Kreuz und Auferstehung in die verklärte Herrlichkeit des Vaters eingehen; erst dann konnte er, wie wir eben im Evangelium gehört haben, seinen Jüngern verheißen, daß er kommen werde und bei ihnen Wohnung nehmen werde. Das ist die Einwohnung Gottes in der Seele des Gerechtfertigten. Das ist das dreipersönliche Leben im begnadeten Menschen. Das gab es vor der Erhöhung Jesu nicht, nicht so, wie es nachher möglich und wirklich war.
Der dritte Unterschied liegt darin, daß nach der Erhöhung Jesu der Geist dauernd und sichtbar auf Erden bleibt. Er ist nicht mehr ein blitzartiges Aufzucken, es ist auch nicht mehr nur eine mystische Entrückung. Nein, der Geist, der nach der Erhöhung Jesu zu den Menschen kommt, bleibt. Er bleibt so, wie er in Jesus gewohnt hat, in der Weiterung des Lebens Jesu, die wir die Kirche nennen. Er bleibt! Wir können jetzt sagen: Da ist der Geist, und dort ist der Geist. Wir wissen jetzt, wo der Geist ist, weil er sichtbar und spürbar in seiner Kirche wirkt.
Warum hat die Erhöhung Jesu eine solche Unterschiedenheit zwischen dem Wirken des Geistes vorher und nachher begründet? Die Verherrlichung Jesu hat seinen Leib, hat seine menschliche Natur verklärt; und aus dieser menschlichen Natur Jesu strömt der Geist. Erst mußte Jesu Natur verwandelt sein, bevor der Geist aus ihm ausströmen konnte. Aus dem irdischen Jesus konnte der Geist nicht diese Wirkung entfalten wie nach seiner Verklärung. Nach seiner Erhöhung aber schenkt er seinen Geist, und nicht nur hie und da, sondern für immer und als bleibende Gegenwart. „Wo die Kirche ist, da ist der Geist, und wo der Geist ist, da ist alle Gnade und Wahrheit“, sagt der Kirchenvater Irenäus. Die Kirche ist die Gegenwart des Geistes. Da erklärt sich vieles, meine lieben Freunde, was unverständige Menschen nicht wahrhaben wollen. Da erklärt sich, daß diese Kirche Sakramente hat, welche die Gegenwart des Geistes verbürgen. Wenn immer ein Kindlein zum Taufbrunnen kommt, dann schüttet der menschliche Diener Wasser über sein Haupt und spricht eine Formel; aber wer da wirkt, das ist der Geist; das innere Wirken ist Sache des Geistes. Wenn der Priester als unwürdiger Diener und Werkzeug seines Heilandes in der heiligen Messe die Wandlungsworte spricht, dann wirkt der Geist. Man kann nicht eigentlich sagen: Der Priester wandelt, sondern man muß sagen: Der Geist wandelt durch den Priester. Der Priester ist ein unerläßliches Werkzeug, gewiß, aber die Wirkung geht vom Heiligen Geiste aus. Und wenn ein Pönitent im Bußsakrament die Worte hört: „Ich spreche dich los von deinen Sünden“, dann ist es wiederum der Geist, der die Seele reinigt. Der Priester kann keine Sünden vergeben, sondern Gott vergibt sie durch den Priester; er bedient sich des Priesters als seines Werkzeugs. Der Priester ist gleichsam die Hand und der Mund, dessen sich der Heilige Geist bei der Nachlassung der Sünden bedient. In den geheimnisvollen Zeichen, die wir Sakramente nennen, ist der Geist wirksam, da ist er dauernd wirksam, da bleibt er bei der Kirche.
Aber nicht nur im Sakrament lebt der Heilige Geist; er wirkt auch im Wort. Wenn die Kirche ihre Botschaft verkündigt, dann hat, falls diese Botschaft richtig ausgerichtet wird, das Wort quasi-sakramentale Wirksamkeit. Es wirkt etwas in den Seelen, und wiederum nicht, weil ein vielleicht geschickter Mund diese Worte ausspricht, sondern weil der Heilige Geist die Seelen anrührt. Wenn das Wort Gottes in rechter Weise an die Ohren kommt, dann wirkt der Geist in der Seele die Aufnahme und die Fruchtbarkeit dieses Wortes. Das ist ja unser Glück, meine lieben Freunde, daß dieser Geist in seiner Kirche lebt, daß er die Wahrheit in der Kirche erhält, daß er sie in der Unversehrtheit der Lehre bewahrt. Andere beugen sich, schwächen die Glaubenslehre ab. „Man kann nicht“, sagt ein evangelischer Theologe, „elektrisches Licht benutzen und an die Wunderwelt des Neuen Testamentes glauben.“ Jawohl, das kann man, das muß man!
Der Heilige Geist sorgt dafür, daß die Wahrheit in der Kirche bleibt und daß sie ausgerufen wird, daß die Kirche sich nicht beugt, daß sie ihre Sittenlehre nicht abschwächt, wie man das so gern haben möchte, vor allen Dingen die Sittenlehre der geschlechtlichen Sittlichkeit. Das ist die Wirkung des Heiligen Geistes. Was die Menschen als Starrheit bezeichnen, das ist die Kraft und der Sieg des Geistes, der sich durchhält in seiner Kirche.
Schließlich ist das Wirken des Geistes auch zu spüren im Leben. Auch heute, wie in allen Zeiten der Kirchengeschichte, gibt es Menschen, die vom Heiligen Geist ergriffen sind, die unter dem Antrieb des Heiligen Geistes ihre Heimat verlassen und hinausgehen, um anderen das Evangelium zu verkünden. Es gibt Menschen, welche um Gottes willen auf das Glück von Ehe und Familie verzichten, weil der Heilige Geist sie beansprucht und seine Hand auf sie gelegt hat. Es gibt auch in der Kirche heute Menschen, denen das Zeugnis des Blutes wichtiger ist als das Behagen und das bequeme Leben. Das ist die dauernde und bleibende Wirksamkeit des Heiligen Geistes in seiner Kirche. Wo die Kirche ist, da ist der Geist, und wo der Heilige Geist ist, da ist alle Gnade und Wahrheit.
Heute wird oft vom Wirken des Geistes außerhalb der Kirche gesprochen. Meine lieben Freunde, wo der Geist ist, da ist die Kirche! Wenn der Geist außerhalb der sichtbaren Grenzen der Kirche wirkt, dann baut er dort ein Stück Kirche. Der Geist ist niemals ohne die Kirche. Immer wenn eine Spur der Kirche, ein Element, ein Moment der Kirche vorhanden ist, da kann auch Heiliger Geist sein, aber ohne eine solche Spur, ohne ein solches Element, ohne ein solches Moment gibt es keinen Heiligen Geist. Heiliger Geist und Kirche gehören untrennbar zusammen.
Wir müssen in dieser Stunde fragen: Wo ist in unserem Leben der Heilige Geist? Wo zeigt sich, daß wir geisterfüllte, daß wir geistliche Menschen sind? Gibt es in unserem Leben Anzeichen, daß der Heilige Geist auch uns ergriffen hat und daß wir uns mit Recht als „geistliche“ Menschen bezeichnen? Ja, meine lieben Freunde, die gibt es. Wir können die Spuren des Geistes auch in unserem Leben feststellen, wenn wir uns an die Aussagen des Apostels Paulus im Galaterbrief halten. „Laßt ihr euch vom Geiste leiten, so steht ihr nicht mehr unter dem Gesetz. Als Werke des Fleisches sind offenkundig Unzucht, Unkeuschheit, Wollust, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Ränke, Spaltungen, Parteiungen, Haß, Mord, Trunkenheit, Schlemmerei und dergleichen.“ Hier also ist eine ganze Litanei von Haltungen aufgezählt, die mit dem Geiste, mit dem Leben des Geistes, mit dem Besitz des Geistes unverträglich sind. Aber gleich danach kommt der Apostel auf die Früchte des Geistes zu sprechen. „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Mäßigkeit, Enthaltsamkeit, Keuschheit.“ Daran also vermögen wir zu erkennen, ob wir im Geiste leben und im Geiste wandeln. Wenn wir die Früchte des Geistes bringen, dürfen wir überzeugt sein, daß der Heilige Geist in uns lebt.
Noch ein anderer wichtiger Gesichtspunkt ist zu beachten für den, der im Geiste lebt. Denn wer im Geiste lebt, kommt dadurch noch nicht zur Schau Gottes. Auch der Geisterfüllte lebt im Glauben. Das heißt: Er hat nicht die unmittelbare Anschauung Gottes, und er kann das Göttliche nicht mit Händen gleichsam greifen. Es ist ihm verwehrt, das vorwegzunehmen, was für die Ewigkeit verheißen ist. Deswegen ist ein Geistträger immer dadurch ausgezeichnet, daß er im Glauben lebt, daß der Glaube die Kraft seines Lebens ist, daß der Glaube der Sieg seines Lebens ist. Wenn wir den Horizont absuchen nach der Erhörung unserer Gebete, wenn wir manchmal irrewerden möchten ob der scheinbaren Erfolglosigkeit unseres Flehens und Rufens, wenn die Entwicklung ganz anders geht, als wir sie uns nach unserem menschlichen Verstand vorgestellt haben, dann ist unser Glaube gefordert, dann müssen wir uns an unseren Glauben halten und überzeugt sein, daß Gott gegen alle menschliche Hoffnung, gestützt auf göttliche Hoffnung, seine Ziele erreicht. Wir dürfen nicht irrewerden an den Verheißungen Christi. Der Geist lebt, und er lebt in seiner Kirche; es kommt nur darauf an, daß wir die Geduld haben, seinen Sieg zu erwarten. Jetzt müssen wir rufen: Komm, Heiliger Geist! Jetzt müssen wir den Geist suchen, so wie Maria und Petrus im Abendmahlssaal nach dem Geist gerufen haben. Aber einmal wird er uns in die Fülle seines Lichtes führen, einmal werden wir an der verklärten Herrlichkeit des geisterfüllten Jesus Christus Anteil gewinnen, einmal werden wir unverhüllten Auges den Geist in der Dreifaltigkeit Gottes schauen.
Amen.