18. Januar 1998
Die Pflicht zur Erhaltung der Gesundheit
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir hatten uns vorgenommen, die Pflichten zu betrachten, welche der Mensch gegen sich selbst hat. Er ist ja durch das Gebot der Selbstliebe gehalten, an sein eigenes Wohl und Wehe zu denken. Der Leib ist dem Menschen übergeben, damit er in ihm sein Heil wirke. So ist auch der Leib eine große Gabe Gottes und entsprechend zu schätzen.
Der Leib ist nur für eine begrenzte Tätigkeit geschaffen. Auch der Geist ermüdet. Es gibt eine Erschöpfung von Leib und Geist. Daraus resultiert die Pflicht, dem Leib und dem Geist Erholung zu gewähren. Die Selbstliebe verpflichtet uns, Erholung zu suchen. Für die Erholung gelten bestimmte Grundsätze. Einmal muß die Erholung immer dem Sittengesetz entsprechen; es gibt keine Ferien von Gott. Sodann muß die Erholung nach Maß und Art den entsprechenden Bedürfnissen von Leib und Geist angemessen sein. Es muß also eine gewisse Mitte gefunden werden zwischen übertriebener Härte und Bequemlichkeit für den Leib oder zwischen Ausgelassenheit, Vergnügungssucht und Verdrießlichkeit. Die Erholung hat ihre Zeit. Unsere Vorfahren sprachen mit Recht vom „Feierabend“. Es gibt eben eine Stunde am Tage, wo man die Hände ruhen läßt und feiert, d.h. die Arbeit dahinter läßt.
Der Sonntag ist der Tag der Erholung. Jawohl, dafür hat Gott, der ein sozialer Gott ist, ihn eingesetzt, daß wir ihn ehren, aber auch, daß wir uns erholen. Es gibt sodann seit einiger Zeit – das war nicht immer so – den Urlaub. Meine lieben Christen, im Jahre 1931 betrug der Urlaub in Deutschland 4 Tage, heute sind es 30 Arbeitstage. Man sieht, was sich da für ein sozialer Wandel zugetragen hat. In jedem Falle gibt es Zeiten, in denen wir Erholung suchen dürfen.
Die Mittel der Erholung sind mannigfaltig. Man denke etwa an Spiele. Jawohl, harmlose Spiele, sei es auf dem Tisch oder zu Hause oder im Freien, können der Erholung dienen. Aber wie alles, was der Mensch anfaßt, auch dem Mißbrauch offen ist, so ist es auch bei den Spielen der Fall. Glücksspiele können zur Leidenschaft werden oder zum Verdruß zwischen den Spielern führen. Da heißt es auf der Wacht zu sein. Der Tanz ist ein Mittel der Erholung. Die Kirche hat den Tanz niemals ganz verworfen. Sie hat immer gesagt, er muß nur an sich, nach den Umständen und nach der Individualität ohne Gefahr zur Sünde sein. Der Tanz ist an sich ohne Gefahr zur Sünde, wenn die Tänze nicht sinnlich aufreizend sind. Sie wissen vielleicht, daß es heute Tänze gibt, die sich nicht sehr von einem in der Öffentlichkeit vorgenommenen Geschlechtsakt unterscheiden. Sodann muß der Tanz in einer Umgebung gehalten werden, müssen die Umstände des Tanzes einwandfrei sein. Heiße Musik in einer Disco, mit Gedränge und unter dem Genuß von Alkohol ist kaum geeignet, einen sittlich einwandfreien Tanz zu fördern. Und schließlich muß jeder sich selbst kennen und auf sich selbst achten, ob er nicht wegen seiner gesteigerten Erregbarkeit verpflichtet ist, den Tanz oder bestimmte Tänze zu meiden.
Reine und ungetrübte Erholung vermag die Natur zu vermitteln. Das Wandern oder Reisen, die Beobachtung von Gesteinen, Pflanzen und Tieren können wirkliche Quellen der Erholung sein. Die Natur ist vielleicht eine der schönsten und reinsten Quellen der Erholung.
Dazu tritt die Kunst. Die Kunst ist ein wichtiges Mittel der Erholung. Gewiß geht sie über die Erholung hinaus; sie hat ja auch einen Bildungszweck. Sie soll erheben, sie soll reinigen, sie soll veredeln. Aber die Kunst ist auch zum Vergnügen, zur Erholung geschaffen. Voraussetzung dafür ist freilich, daß sie sittlich ist. Die Kunst untersteht dem Sittengesetz. Es ist nicht richtig, daß man den Grundsatz aufstellt: „L’art pour l’art“. Nein, die Kunst ist nicht nur für die Kunst da, die Kunst ist für die Menschen da, und Menschen sind an die Sittlichkeit gebunden, und deswegen muß die Kunst sittlich sein, wenn anders sie vor Gott bestehen will. Das Formalobjekt der Kunst ist das Schöne. Schön ist das, was Klarheit und Harmonie in sich trägt. Wie kann aber eine Kunst harmonisch sein, der das sittliche Element fehlt? Die Künste, die wir zur Erholung gebrauchen können, sind mannigfaltig. Es wird wenige Menschen geben, die nicht Freunde der Musik sind. Tatsächlich vermag die Musik nicht nur Erholung zu gewähren, sie vermag auch zu erheben. Denken wir an die großen deutschen Komponisten Bach, Beethoven, Brahms, Bruckner. Diese vier B, wie man sagt, sind wahrlich eine Quelle der Erholung und der Erhebung. Auch hier freilich gibt es Musik, die wenig Erholungswert besitzt und auch Tiefen im Menschen aufrührt, die besser unaufgerührt blieben. Heiße Musik, Musik, die die Menschen aufpeitscht und aufrührt, besitzt nicht nur keinen Erholungswert, sondern ist sogar eine sittliche Gefahr.
Literatur kann erholen. Wir wissen, daß unser großer Staatsmann Konrad Adenauer gern des Abends oder wenn er in der Nacht nicht schlafen konnte einen Kriminalroman las. Er wollte sich damit entspannen und erholen. Und tatsächlich sind entgegen einer weitverbreiteten Meinung Kriminalromane häufig Quellen sittlicher Erhebung, weil nämlich gewöhnlich das Gute siegt. Ich erinnere Sie etwa an die Romane von Gilbert K. Chesterton, dem großen englischen Romancier. Gute Literatur – Hans Carossa, Werner Bergengruen, Gertrud von Le Fort, Gertrud Langgässer und andere – besitzt Erholungswert. Aber wir dürfen uns auch nicht von der Literatur hinabziehen lassen. Es gibt eine Schundliteratur, es gibt eine Schmutzliteratur, es gibt gefährliche und niederziehende Werke der Literatur, die wir besser meiden.
Erholung kann man weiter finden im Theater. Das Theater soll Kunstgenuß vermitteln, soll auch bilden, aber es besitzt auch Vergnügungs- und Erholungswert. Und wahrhaftig, es gibt viel Theater, das den Menschen sittlich erheben kann, das ihn wahrhaft über seine Untiefen hinwegheben kann, das auch Entspannung und Erholung bringt. Auch hier freilich lauern Gefahren. Gerade im Musiktheater sind die Libretti, also die Textbücher, häufig sittlich minderwertig. Selbst ein solches Genie wie Mozart hat Texte vertont, die kaum als hochstehend bezeichnet werden können. Denken Sie an „Cosi fan tutte“. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von schlüpfrigen Operetten, etwa von Jaques Offenbach und anderen, die zwar ihren Erholungswert haben, aber wegen ihrer sittlichen Seichtheit eine gewisse Gefahr in sich schließen. Auch das Kino besitzt Bildungs- und Erholungswert. Es ist eine gewisse Magie um diese Kultstätte Kino. Man ist im Gemeinschaftserlebnis irgendwie geborgen, und man wird natürlich auch angeregt, manchmal auch aufgeregt. Das Kino muß auch dem Sittengesetz gehorchen. Leider tut es das nicht immer. Es gibt ergreifende, ja erschütternde Filme. Denken Sie etwa an den großen Film, der nach Motiven von Heinrich Mann gedreht wurde: „Der blaue Engel“, ein erschütterndes Dokument, wie sich ein von Leidenschaft ergriffener Gymnasiallehrer seinen eigenen Untergang bereitet. Es gibt auch herrliche, freudevolle Filme. Ich denke etwa an „Der Gauner und der liebe Gott“, den Axel von Ambesser, dieser große Münchener Meister, hat drehen lassen. Daran darf man sich erfreuen, daran soll man sich erfreuen; aber Hände weg von jenen Produkten, die die Leidenschaft aufregen, die den Ehebruch verherrlichen, die die Sinnlichkeit befördern.
Das Erholungsmedium Nummer 1 ist in unserer Gegenwart das Fernsehen. Selbstverständlich kann das Fernsehen eine Rolle bei der Erholung spielen. Aber auch das Fernsehen steht unter dem Gesetz, Autorität, Gemeinwohl und Sittlichkeit nicht untergraben zu dürfen. Jeder Deutsche verbringt täglich – im Durchschnitt – drei Stunden vor dem Fernseher. Das heißt, da viele überhaupt nicht fernsehen oder wenig, daß manche nicht drei, sondern sechs oder sieben Stunden täglich vor dem Fernseher verbringen, manche die ganze Nacht. Dieser ungezügelte Fernsehkonsum ist in sich schon ein Fehler, ist auch ein klarer Gegensatz zur Erholung. Außerdem wird vieles aufgenommen, was den Menschen herniederzieht. Hier lauert eine ganz große Gefahr. Das Fernsehen als Medium liefert den meisten Menschen die Maximen, nach denen sie leben. Was sie im Fernsehen gesehen haben, das, so meinen sie, könnten sie nachmachen. Und darin ist eine ungeheure Gefahr beschlossen. Wir müssen uns zum Fernsehen erziehen; wir brauchen eine Askese des Fernsehkonsums. Wir müssen vor allem die Kinder davon überzeugen, daß sie sich nichts Gutes tun, wenn sie hemmungslos und ohne Unterschied vor dem Fernsehapparat hocken.
Erholung ist notwendig, weil Körper und Geist nur zu begrenzter Betätigung geschaffen sind. Der Mensch ist aber aufgrund seiner Pflicht gegenüber dem Leib auch verpflichtet, einen kranken Leib wieder gesundmachen zu lassen. Er hat die Pflicht zur Wiederherstellung der Gesundheit. Diese Pflicht schließt viele Einzelpflichten in sich, etwa sich einer bestimmten Behandlung zu unterziehen, ja eine Operation auf sich zu nehmen, wenn immer Gewähr besteht, daß dadurch der Gesundheit gedient wird. Man kann nicht sagen: Ich vertraue auf die Vorsehung. Das tun wir alle. Aber das Vertrauen auf die Vorsehung schließt die Pflicht gegen den Leib, die uns selbst obliegt, nicht aus. Erst müssen wir das Unsere getan haben, ehe wir auf Gottes Vorsehung vertrauen dürfen.
Schließlich gehört auch zur Leibespflege und zu den Pflichten gegenüber dem Leib die Frage: Dürfen wir uns Luxus erlauben? Ist der Luxus sittlich einwandfrei oder nicht? Was ist Luxus? Luxus ist ein Mehraufwand, der das gewöhnliche und angemessene Maß überschreitet. Hier wird also über die gewöhnlichen und angemessenen Aufwendungen Mehraufwand geübt. Der Luxus ist von der Kirche niemals in Bausch und Bogen verworfen worden. Die Kirchenväter hatten sich ja schon in der Zeit der römischen Kaiser mit dem Luxus zu beschäftigen, und sie haben die Prinzipien entwickelt, die für den Umgang mit dem Luxus gelten. Der Luxus ist erlaubt unter normalen Verhältnissen, aus berechtigten Motiven und wenn gleichzeitig volkswirtschaftliche und soziale Interessen gefördert werden. Unter normalen Verhältnissen! Wenn eine allgemeine Not herrscht, ist der Luxus nicht mehr gestattet. Aus gerechten, aus vernünftigen Motiven muß der Luxus betrieben werden, also etwa, um sich selbst angenehm in die Gesellschaft einzubringen. Das gehört durchaus zu den Pflichten, die wir gegenüber den anderen haben, daß wir uns nicht nur sauber, sondern auch gefällig darstellen und infolgedessen auch Schmuck und schöne Gewänder anlegen dürfen. Der Luxus hat auch eine wichtige volkswirtschaftliche Seite. Eine ganze Industrie lebt vom Luxus. Denken Sie etwa an Silber- und Goldschmiede, oder denken Sie an die Textilindustrie! Diese Industrien werden durch den Luxus, durch den recht betriebenen, vernünftigen Luxus gefördert. Wenn dagegen die Motive schlecht sind (weil man eitel ist, weil man sich zeigen will), oder wenn die Umstände es verbieten, weil die Verhältnisse eben nicht danach sind, daß man jetzt noch Luxus treiben darf, dann muß der Luxus unterbleiben. Verbotener Luxus kann nicht nur der Reiche treiben, auch der Arme, wenn er nämlich Anschaffungen macht, die unvernünftig sind, die überflüssig sind, die von seinem Einkommen und seinem Standort in der Gesellschaft nicht zu verantworten sind.
Schließlich gehört noch zu den Pflichten gegenüber dem Leib die Frage: Wie stehen uns zu den Tieren? Die Tiere sind keine Personen; die Tiere haben keine Rechte. Sie sind dem Menschen übergeben. „In usum hominis ordinantur“, schreibt der heilige Thomas, sie sind zum Gebrauch der Menschen hingeordnet. Aber freilich darf der Gebrauch kein willkürlicher sein. Wir müssen die Tiere mit Schonung behandeln, und wir müssen ein Mitgefühl mit ihnen haben; denn wir wissen, die Tiere haben Empfindungen. Deswegen ist alles zu vermeiden, was als Tierquälerei angesehen werden könnte. Tierquälerei üben heißt ein Tier ohne Zweck oder über den notwendigen Zweck hinaus quälen. Tiere dürfen zu Versuchen medizinischer Art verwendet werden. Die Vivisektion, also das Arbeiten am lebendigen Tier, ist zulässig, wenn anders die medizinische Forschung, der medizinische Fortschritt sie unerläßlich macht. Man kann sich auch in anderer Weise gegen die schuldige Tierliebe verfehlen, nämlich durch übertriebene Fürsorge, durch sentimentale Zärtlichkeit, durch luxuriöse Pflege. Auch das ist ein Verstoß gegenüber den Pflichten, die wir Gott gegenüber, zum Tiere hingewandt haben.
Das waren wesentliche Pflichten, meine lieben Freunde, die sich aus dem Gebot der Selbstliebe, speziell gegenüber dem Leib, ergeben. Niemand hat diese Pflichten besser zusammengefaßt als der Apostel, wenn er sagt: „Verherrlicht Gott in eurem Leibe!“
Amen.