27. November 1988
Der Himmel
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Am 5. Dezember 1805 fand die Dreikaiserschlacht bei Austerlitz statt. Kaiser Napoleon besiegte den österreichischen und den russischen Kaiser in einer glänzenden Schlacht. Aber auch er mußte einen schweren Verlust beklagen; nämlich sein Freund, ein der Marschall Lannes, wurde von einer tödlichen Kugel getroffen. Napoleon eilte zu dem Sterbenden und suchte ihn zu trösten. Er sagte zu ihm: „Es gibt ein anderes Leben.“ Napoleon war gläubig. Er glaubte an das ewige Leben der Seele.
Es gibt ein anderes Leben! Das war der Inhalt der Überlegungen, die wir seit vielen Sonntagen anstellen. Wir fragten nach den Letzten Dingen des Einzelmenschen, und die Letzten Dinge des Einzelmenschen lauten eben Tod, Gericht, Himmel und Hölle. Am vergangenen Sonntag hatten wir erkannt: Es gibt eine ewige Hölle. Es gibt einen Zustand der Verdammnis, in dem diejenigen weilen, die in der Auflehnung gegen Gott gestorben sind. Wo der Baum hinfällt und wie er hinfällt, so bleibt er liegen. Die Versuche, die Hölle durch pseudotheologische Redereien aus den Gedanken der Menschen zu entfernen, sind Attentate gegen die Offenbarung.
Es gibt eine Hölle – es gibt aber auch einen Himmel. Es gibt eine ewige Seligkeit, eine ewige Freude bei Gott. Wir beten nicht umsonst: „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen! Lasse sie ruhen in Frieden!“ Wir beten nicht umsonst dieses wunderbare Gebet. Das „ewige Licht“ und der „Friede“ sind Ausdrücke für den Zustand der Seligkeit. Es gibt einen ewigen Himmel. „Unruhig ist unser Herz, o Gott, bis es ruht in dir,“ hat einmal der heilige Augustinus geschrieben. Du hast uns für dich erschaffen, o Gott, und deswegen ist Unruhe in unserem Herzen, bis es ruht in dir.
Der Mensch auf Erden ist ständig auf der Suche nach dem Glück. Er will wenigstens ein Stückchen dieses Glückes erreichen, erjagen, erzielen. Es geht den Menschen wie den Goldsuchern in Alaska, die jeweils von einem Strom zum anderen eilen, wenn sie hören, ein funkelndes Metall sei gefunden worden. So sucht auch der Mensch ein Stückchen von diesem Glück zu erhaschen. Aber er stellt immer wieder von neuem fest: Es füllt nicht aus, es hält nicht vor. Das menschliche Herz ist zu weit, als daß es von den Schätzen dieser Erde ausgefüllt werden könnte. Besitz, Genuß, Macht – das alles vermag nur für kurze Zeit und niemals ganz den Menschen zu erfüllen. Es bleibt der Hunger nach dem unendlichen, großen, nie versagenden und nie endenden Glück.
Diesen Hunger, meine lieben Freunde, kann nur Gott stillen, und er hat sich vorgenommen, es tatsächlich zu tun. Es gibt einen ewigen Himmel, es gibt ein ewiges Glück bei Gott. Die Freude, den Frieden, die Ruhe findet der Mensch allein bei Gott.
Wie ist es mit der Freude auf Erden? Es gibt Freuden auf Erden, aber wir wissen, daß die Freudlosigkeit weit verbreitet ist, daß vielleicht die Mehrzahl der Menschen in Freudlosigkeit ihre Tage verbringt. Und selbst wenn die Menschen Freuden haben, sind sie oft enttäuscht, endet die Freude abrupt, ist sie vermischt mit Leid und Bitterkeit. In der Ewigkeit erwartet uns eine Freude, die nicht enttäuscht, die nicht vermischt ist mit Schmerz, die niemals endet. Es ist die Freude in der Anschauung Gottes. Wir werden ihn anschauen, wir werden ihn lieben, und das soll eine Ewigkeit unsere Freude ausmachen. Gott ist so reich! Er ist so unendlich reich, daß diese Freude eine Freude über alle Freuden ist. Gott ist so schön, er ist so beglückend schön, daß dieses Glück von einer unvorstellbaren Seligkeit begleitet ist. Und dieses Glück hört nicht auf.
Wir können uns das nicht vorstellen. Auf Erden hört alles auf. Auf Erden ist nichts ewig, und deswegen fehlen uns die Begriffe, es fehlt uns die Anschauung für Ewigkeit, für ewige Freuden. Aber Gott hat sie verheißen, und Gott trügt nicht, Gott belügt uns nicht. Was er sagt, das ist Wirklichkeit. Wenn er sagt: „Es werde Licht!“, dann wird es Licht. Und wenn er sagt: „Das ist mein Leib,“ dann ist es sein Leib. Und wenn er sagt: „Du bist für die Ewigkeit bestimmt,“ dann sind wir dazu bestimmt.
Ewige Freude wartet unser, auch ewiger Friede. Wir kennen alle die Friedlosigkeit dieses Lebens. Ständiger Kampf, Kampf ums Dasein, da ist schon etwas dran, nicht wahr, an dieser Konzeption vom Kampf ums Dasein, Unfriede um uns, auch Unfriede in uns. Der Streit, die Auseinandersetzungen, das ständige Ringen zwischen Gut und Böse. Auf dieser Erde gibt es keinen dauernden Frieden. Die Parole vom ewigen Frieden wird auf Erden immer ein Traum bleiben. Allen Bemühungen zum Trotz – die wir bejahen, die wir begrüßen und mit ganzem Herzen unterstützen – allen Bemühungen zum Trotz wird der Unfriede immer wieder ausbrechen. Es ist nicht so, wie die Marxisten in naiver Meinung lehrten, daß, wenn die Klassengesellschaft beseitigt ist und die klassenlose Gesellschaft geschaffen ist, dann der Friede kommt, weil nämlich der Unfriede allein aus Klassengegensätzen resultiert. Das ist ganz falsch. Es ist schon deswegen falsch, weil es eine klassenlose Gesellschaft überhaupt nicht gibt. In den marxistisch regierten Staaten hat sich eine neue Klasse gebildet, und deswegen kann selbst das Konzept des Klassenkampfes nicht stimmen. Aber wir wissen, daß die Kämpfe zwischen den Klassen nicht die tiefste Wurzel des Unfriedens sind. Die tiefste Wurzel ist das Böse! Weil die Menschen böse sind, nicht weil sie verschiedenen Klassen angehören, gibt es keinen Frieden auf Erden.
Im Jenseits dagegen ist völliger Friede, da sind alle Gegensätze ausgeglichen, da gibt es keinen Streit und keinen Zank mehr, da ist Spaltung und Unfriede ausgeschaltet. Wir werden den Frieden Gottes besitzen. Gott selbst ist ja der Friede, der wirkliche, der ewige, der unendliche Friede. Dann wird endlich einmal Friede in uns und um uns sein.
Gott ist aber auch die ewige Ruhe, und diese ewige Ruhe will er uns mitteilen. Wir wissen, auf Erden ist Unruhe, Unruhe, die die Menschen verbreiten, Unruhe, die aus Zorn und Angst kommt, Unruhe um uns, Unruhe in uns. Die ständige Unrast, die uns begleitet, das ist unser Anteil auf Erden. Ach, daß wir doch einmal Ruhe fänden!
Im Jenseits wird diese Ruhe uns geschenkt sein. Wir beten nicht umsonst: „Gib ihnen die ewige Ruhe!“ Das ist nicht die Ruhe des Friedhofs, wo toten Leiber begraben sind, das ist die Ruhe, die aus der Erfüllung und aus dem Glück kommt, das ist die Ruhe, die aus der Stillung jeder Sehnsucht und aus dem Gefühl, ewig gerettet zu sein, stammt. Das ist die Ruhe, der nichts mehr fehlt, die nichts mehr in banger Sorge erwartet. Das ist die Ruhe, die weiß: Ich ruhe in Gott. In seiner Anschauung, in seiner Liebe bin ich geborgen.
Ewige Freude, ewiger Friede, ewige Ruhe – das ist der Anteil der Seligen. Doch erhebt sich jetzt die Frage, meine lieben Freunde, die manche Menschen bedrückt: Wo ist denn der Himmel? So bin ich schon manchmal gefragt worden. Und da wir diese Frage, wie wir gleich sehen werden, nicht befriedigend beantworten können, bleibt bei manchen Menschen ein Gefühl der Unsicherheit, ob nicht vielleicht doch alles eine Täuschung, alles eine Illusion ist. Wo ist denn der Himmel?
Meine lieben Freunde, um diese Frage zu beantworten, muß man zunächst einmal sich vor Augen halten, daß die Seelen geistig sind. Sie brauchen also keinen ausgedehnten Raum, um sich in ihrer Existenz erhalten zu können. Solange die Seele im Körper lebt, ist ihr Ort zweifellos der Körper. Aber wenn sie den Körper verlassen hat, wo befindet sie sich dann? Die Seele ist zwar geistiger Natur, aber deswegen nicht vom Raum getrennt. Sie ist wohl irgendwie an den Raum gebunden. Daß die Seelen tatsächlich irgendwo sind, das kann man annehmen, aber wir können keinen Ort auf Erden oder jenseits der Erde angeben, der besser geeignet wäre als Aufenthaltsort für die Seelen.
Nun hat man in früheren Zeiten, aber auch in der Heiligen Schrift, wenn man vom Himmel sprach, immer nach oben verwiesen, und wenn man von der Hölle redete, nach unten. Diese Redeweise hat einen guten Sinn, denn oben ist eben die Sonne, ist das Licht, und unten ist die dumpfe und dunkle Erde. Und da der Himmel eben etwas Helles, etwas Lichtes, etwas Freudiges ist, hat man, wenn man vom Himmel sprach, nach oben verwiesen. Niemals hat die Heilige Schrift gesagt: Da, wo die Vögel fliegen, da, wo die Sterne sind, da ist der Ort des Himmels. Das hat sie niemals gesagt, sondern wenn sie vom Himmel oder von den Himmeln spricht. dann meint sie damit eine andere Qualität als alles das, was wir in der Erfahrung sehen, was wir mit den Augen erblicken, was wir mit den Fernrohren erkennen oder mit der Weltraumfahrt erfahren.
Wir sind noch lange nicht am Ende der Weltraumfahrt. Wir haben ja erst den Mond erreicht. Jetzt versucht man, den Mars zu erreichen. Aber selbst wenn es uns gelänge, weiterzukommen, wäre der Himmel da nicht zu entdecken. Das Licht legt in einer Sekunde 300.000 Kilometer zurück. Es gibt Sterne, die sind Millionen von Lichtjahren von uns entfernt, also die Entfernung, die ein Lichtstrahl – 300.000 Kilometer in der Sekunde – in einem Jahr zurücklegt und das Millionen mal genommen. Es ist also ausgeschlossen, daß menschliche Kunst, daß menschliches Leben je ausreichen könnte, diese Räume zu erreichen. Aber selbst wenn es gelänge, bin ich überzeugt, daß wir auch da den Himmel nicht entdecken würden. Warum nicht? Weil er von ganz anderer Qualität ist als das, was wir mit menschlichen Kräften erreichen, was wir empirisch, also durch Erfahrung erlangen können. Der Himmel ist eine andere Wirklichkeit, er ist ähnlich-unähnlich der Wirklichkeit Gottes. Genausowenig, wie wir Gott mit irdischen Mitteln erreichen können, genausowenig können wir den Himmel mit irdischen Werkzeugen gewinnen. Das muß so sein, das gehört zur Weltüberlegenheit Gottes, das gehört zu seiner Souveränität, zu seiner Uangreifbarkeit.
Bedenken Sie doch einmal, was es bedeutete, wenn es anders wäre! Dann könnten die Menschen gewissermaßen den Himmel erobern. Dann könnten sie mit ihren Fahrzeugen in den Himmel eindringen. So darf es nicht sein. Und genauso ist es mit der Hölle. Wenn die Menschen die Hölle durch Tiefbohrungen erreichen könnten, dann könnten sie ja die Verdammten befreien. Es muß anders sein! Es muß so sein, daß weder Himmel noch Hölle menschlichem Zugriff ausgeliefert sind. Wir können nur soviel sagen: Der Himmel ist dort, wo Gott ist. Der Himmel ist da, wo die Anschauung Gottes und die Liebe Gottes den Seligen gewährt wird. Eine weitere Antwort ist uns Menschen nicht möglich.
Als im 3. Jahrhundert vor Christus der punische Feldherr Hannibal mit seinem Heer, von Afrika aufbrechend, durch ganz Spanien ziehend, durch Südfrankreich marschierend, über die Alpen gekommen war, mit großen Verlusten im Winter, da stand er eines Tages auf einem Gipfel und fror. Aber vor ihm lag Italien, das sonnendurchstrahlte Italien, die Po-Ebene, dieses fruchtbare Gebiet. Seine Soldaten brachen in einen Jubelschrei aus, und Hannibal sagte ihnen: „Das alles ist euer, wenn ihr aushaltet und den Sieg gewinnt!“
Ja, meine lieben Freunde, ähnlich-unähnlich ist es mit dem Himmel. Der Himmel wird unser sein, wenn wir aushalten und den Sieg gewinnen!
Amen.