5. Februar 1989
Die „Kölner Erklärung“
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Es ist das erste Mal, daß ich zu Ihnen spreche mit einer Zeitung in der Hand. In dieser Zeitung ist eine Erklärung von 163 katholischen Professoren der Theologie gegen den Papst abgedruckt: „Der Papst und die Herrschaft“. Die Erklärung hat überall größtes Aufsehen hervorgerufen. Die Massenmedien haben dafür gesorgt, daß sie überall bekannt wurde, und was von offizieller Seite bisher dagegen gesagt wurde, ist winzig und völlig unzulänglich. Deswegen sehe ich mich veranlaßt, heute über diese Erklärung zu sprechen.
Zunächst einmal: Wer spricht da? 163 Professoren der Theologie, so heißt es. Diese Männer – es sind auch Frauen dabei – nehmen also in Anspruch, kraft ihrer Autorität als akademische Lehrer, als Professoren, zu reden. Sie müssen sich aber dann gefallen lassen, daß man sie nach ihrer wissenschaftlichen Qualifikation befragt, und um die ist es bei manchen, die da unterschrieben haben, sehr schlecht bestellt. Ich kenne Unterzeichner, die seit vielen Jahren kein wissenschaftliches Buch mehr geschrieben haben, ja die wissenschaftlich nichts bedeuten. Aber sie nennen sich Professoren, und davon haben viele, welche die Verhältnisse an den theologischen Lehranstalten nicht kennen, großen Respekt. Man muß die Unterzeichner auch fragen, wie sie zur Lehre der Kirche stehen. Da kann ich nur sagen: Unter ihnen ist eine ganze Reihe, die seit Jahren einen Kampf gegen die Lehre der Kirche führen. Einige von ihnen sind sogar offenkundig vom katholischen Glauben abgefallen. Aber auch sie haben unterzeichnet.
Man muß sie weiter fragen, wie sie in der Kirche stehen. Und da muß ich sagen: Einige von ihnen sind exkommuniziert. Aber auch sie haben unterschrieben. Exkommuniziert wegen Vergehens gegen den Zölibat, weil sie eine Zivilehe eingegangen sind. Aber auch sie haben unterschrieben. 163 Theologieprofessoren in Deutschland stellen sich offen gegen den Papst. Das ist ein unerhörter Vorgang. Man kann sich nicht damit beruhigen, daß man sagt: Viel mehr der katholischen Professoren der Theologie haben nicht unterschrieben. Das ist zwar richtig, aber von denen, die nicht unterschrieben haben, gehören viele gesinnungsmäßig zu denen, die unterschrieben haben. In Augsburg gibt es einen Professor, der sagte:“Ich unterschreibe nicht, weil diese Erklärung zu fromm ist.“
Die zweite Frage lautet: Was wird in dieser Erklärung gesagt? Es sind drei Vorwürfe, die darin gegen den Papst erhoben werden. Der erste lautet: Der Papst setzt sich willkürlich über die Rechte der Ortskirchen bei der Ernennung von Bischöfen hinweg. Man verweist auf den Fall Köln und die Fälle Salzburg und Feldkirch. Die Ordnung für die Ernennung der Bischöfe ist festgelegt im preußischen und im österreichischen Konkordat. Nach dieser Ordnung werden (für Köln) Listen von Kandidaten für das Bischofsamt eingereicht vom Domkapitel in Köln und von allen (ehemals) preußischen Bischöfen, das sind elf, wobei das Erzbistum Köln zur Zeit vakant ist. Jeder Bischof (also zehn) reicht eine Liste ein, und das Domkapitel des vakanten Bistums sendet ebenfalls eine Liste ein. Der Heilige Vater hat die Listen zu würdigen. Würdigen bedeutet werten, beurteilen, auf ihre Eignung prüfen. Wir wissen nicht, wer auf diesen vielen Listen – elf im ganzen – gestanden hat; aber jedenfalls hat der Papst diese Listen gewürdigt und dann eine Liste von drei Kandidaten an das Kölner Domkapitel geschickt, aus der es einen Erzbischof zu wählen hatte. Drei Kandidaten. Es ging nicht nur um Meisner, es standen auch noch ein zweiter und ein dritter drauf, und auch sie hätte das Domkapitel wählen können. Aber das Domkapitel versagte. Es war unfähig, eine Mehrheit für einen der Kandidaten zustande zu bringen, und damit hat es seine Pflicht verletzt, denn es hat die Pflicht, zu wählen. So steht es im preußischen Konkordat. Aus dieser Liste hat das Domkapitel zu wählen, und wer deutsch kann, weiß, wenn ich etwas zu tun habe, dann muß ich es tun.
Ähnlich ist es mit Salzburg in Österreich. Auch da sendet das Domkapitel eine Liste ein, und der Papst würdigt die Liste und schickt dann seinerseits eine Liste von drei Kandidaten zurück, aus denen das Domkapitel zu wählen hat. Aber offensichtlich haben die Kandidaten, die der Papst vorgesehen hatte, dem Domkapitel oder besser der Mehrheit des Domkapitels nicht gepaßt. Sie waren ihnen wohl zu fromm oder zu eifrig auf den Glauben bedacht oder nicht genügend liberal. Und so haben sie in Verhandlungen mit dem Papst über eine andere Liste eintreten wollen, was der Papst mit Recht zurückgewiesen hat. Er hat seine Pflicht getan, er hat sich genau an den Wortlaut des Konkordats gehalten. Er ist nicht einen Finger breit davon abgewichen. Das Recht ist auf seiten des Papstes, nicht auf seiten der Domkapitel und schon gar nicht auf seiten der 163 Erklärer.
Der zweite Vorwurf geht dahin, daß der Papst auch ein Wort mitsprechen will, wenn Universitätsprofessoren der Theologie ernannt werden. Nach dem geltenden Recht geschieht die Ernennung von Theologieprofessoren, etwas vereinfacht dargestellt, so, daß die Fakultät, also die an der Universität befindlichen Professoren der Theologie, Vorschläge machen, zu denen der Diözesanbischof seine Zustimmung geben muß. Nun hat aber die Ernennung eines Theologieprofessors eine Bedeutung, die über eine Diözese hinausgeht, denn seine Bücher werden selbstverständlich auch in anderen Diözesen gelesen, und seine Aufsätze und seine Besprechungen werden in vielen Zeitschriften des ganzen Erdkreises veröffentlicht. Die Ernennung eines Theologieprofessors geht also die Gesamtkirche an. Deswegen beansprucht der Heilige Vater, daß vor der Zustimmung des Bischofs zu der Ernennung eines Theologieprofessors seine eigene Meinung eingeholt wird. Er will sagen: Jawohl, er ist geeignet, oder: Er ist nicht geeignet. Damit hat er völlig recht. Hier geht es nicht nur um eine Angelegenheit der Fakultät in Mainz oder in Bochum oder in Münster, hier geht es um eine Angelegenheit der Gesamtkirche, für die dem Papst die Verantwortung zusteht.
Es hat sich außerdem erwiesen, daß die Bischöfe bei der Erteilung der Zustimmung zu leichtfertig vorgegangen sind, daß sie solchen häufig die Zustimmung gegeben haben, die sie nicht hätten bekommen dürfen. Das sieht man ja an diesem Papier. Es ist verfaßt und unterzeichnet von vielen, die mit Zustimmung der Bischöfe in die akademischen Lehrstellen gekommen sind, und jetzt wenden sie sich gegen den Heiligen Vater. Also auch dieser Punkt ist rechtlich und moralisch gesehen völlig in Ordnung. Der Papst hat das Recht, ja, er hat die heilige Pflicht, darüber zu wachen, daß nicht sogenannte Gelehrte in das Lehramt der Theologie kommen, die von ihrer Lehrstelle die Lehre der Kirche bekämpfen.
Der dritte Punkt, und das ist vernichtend, betrifft die Lehrbefugnis, die Lehrvollmacht des Papstes. Hier machen die Unterzeichner Front gegen seine Lehre in der Frage der Sexualethik. Unterleibsgedanken haben ja immer schon eine Rolle gespielt, wenn es um Rebellion in der Kirche ging. Hier wird also gegen die Sexualethik, wie sie die Kirche immer vertreten hat und wie sie der Papst mit bewundernswerter Klarheit und Festigkeit vertritt, Stellung genommen. Es wird nicht direkt erklärt, daß die Sexuallehre der Kirche falsch ist, aber es wird gesagt: Der einzelne kann sich gegen diese Sexuallehre auf sein Gewissen berufen. Ja, meine lieben Freunde, wenn das gelten würde, warum kann ich mich dann nur gegen die Sexuallehre auf mein Gewissen berufen, warum nicht auch gegen eine andere Lehre? Warum kann ich nicht sagen: Die heilige Dreifaltigkeit hat nur zwei Personen? Mein Gewissen sagt, es sind nur zwei, nicht drei. Das ist doch offenkundiger Unsinn, gegen die sichere Lehre der Kirche das Gewissen anzurufen. Man kann aus der Kirche ausscheiden, das kann man natürlich, ja das muß man, wenn das Gewissen es sagt. Aber man kann nicht in der Kirche bleiben wollen und gegen die Lehre der Kirche unter Berufung auf das Gewissen vorgehen. Das ist ja gerade das Wesen des Katholiken, daß sein Gewissen ihm gebietet, der Lehre der Kirche zu folgen. Sein Gewissen sagt ihm doch: Wir haben ein von Christus eingesetztes Lehramt, und falls sich Zweifel erheben, entscheidet dieses Lehramt, wenn nötig, unfehlbar. Und deswegen bin ich katholisch. Und wer das nicht annehmen will, der muß halt Protestant werden. Das ist ihm ja unbenommen, niemand hindert ihn! Aber in der katholischen Kirche bleiben und protestantische Positionen vertreten, das ist nicht möglich.
Das Gewissen ist nichts anderes als ein Urteil der praktischen Vernunft über das, was im konkreten Falle nach Gottes Willen zu tun oder zu unterlassen ist. Das Licht und die Normen empfängt das Gewissen von der Kirche. Wenn die Kirche uns nicht sagte: Du sollst oder du sollst nicht, ja, woher wüßten wir es denn? Und wenn wir jetzt erleben, wie Vertreter der Kirche, Männer der Kirche, Leute, die von der Kirche mit dem Lehramt betraut sind, sich gegen das höchste Lehramt der Kirche erheben, dann ist das ein Aufstand gegen den Vater.
Meine lieben Freunde, wir dürfen dieses Ereignis nicht leicht nehmen. Es handelt sich hier um einen ganz schwerwiegenden Fall von offenem Widerspruch gegen die Lehre und eindeutiger Rebellion gegen die Verfassung der Kirche. Was hier vor sich geht, kann der Anfang eines Riesenabfalls werden. Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Wir können nur bitten und hoffen, daß der Heilige Vater fest bleibt gegen die jetzt einsetzenden Pressionen, daß die Bischöfe endlich öffentlich und eindeutig an seine Seite treten, und daß sich das gläubige Volk gegen diese Irrlehrer auf Professorenstühlen wendet und seine Treue zum Heiligen Vater bekräftigt.
Selbstverständlich wollen wir gleichzeitig und vor allem wie der Blinde von Jericho rufen: „Jesus, Sohn Gottes, erbarme dich unser!“ Und wenn man uns hindern will, das zu rufen, dann wollen wir nur lauter rufen: „Jesus, Sohn Gottes, erbarme dich unser! Herr, hilf uns, wir gehen zugrunde!“
Amen.