Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. Januar 1989

Die heilige Familie

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das vorige Jahrhundert war die große Zeit der heiligen Familie. Im vorigen Jahrhundert hat die Verehrung der heiligen Familie einen wunderbaren Aufschwung in allen katholischen Ländern genommen. Die Päpste und die Bischöfe haben sich bemüht, die Verehrung der heiligen Familie unter den Gläubigen zu fördern. Da sind so wunderbare Gebete und Lieder entstanden, die wir heute noch kennen und singen: „Heilige Namen, allzeit beisammen, Jesus, Maria und Josef.“ Oder das ergreifende Gebet: „Jesus, Maria und Josef, euch empfehle ich meinen Leib und meine Seele. Jesus, Maria und Josef, steht mir bei im letzten Streit! Jesus, Maria und Josef, laßt meine Seele in Frieden scheiden!“ Viele Ordensgemeinschaften, die im vorigen Jahrhundert gegründet wurden, tragen den Namen der heiligen Familie. Sie wollen eben diese Botschaft hinausführen in die Welt und die Menschen und die Familien dafür gewinnen, daß heilige Fmilien entstehen. Die Gläubigen haben diese Botschaft aufgenommen und sich bemüht, nach dem Vorbild der heiligen Familie von Nazareth selbst eine heilige Familie zu werden.

Wir alle wissen, meine lieben Freunde, daß von dem Vorbild der heiligen Familie heute wenig oder gar nicht mehr die Rede ist. Heute streiten sich die Katholiken um Bischofsernennungen, aber sie wollen keine heiligen Familien mehr werden, und das ist die Wurzel des Übels. Die heilige Familie ist eine Freude für Gott, ein wunderbarer Anblick für Jesus und eine Auszeichnung für die Kirche. Wir brauchen uns nur zu erinnern, was es heißt, eine unheilige Familie zu sein, eine Schande für Gott, eine Unehre für die Kirche und ein schmerzlicher Anblick für Jesus Christus.

Wir wollen uns heute, da wir ja noch in der Nachfeier der Weihnacht stehen bis zum Fest Mariä Lichtmeß, die heilige Familie vor Augen führen und fragen, was sie uns zu sagen hat. Die heilige Familie wollen wir betrachten, wie sie sich verhält an Sonn- und Feiertagen, wie sie sich verhält an Tagen des Leidens und des Schmerzes und wie sie sich verhält im grauen Werktag, denn daraus sind ja die Tage unseres Lebens zusammengesetzt, aus Sonntagen und Sonnentagen, aber auch aus Tagen des Leidens und des Kummers und aus dem grauen Werktag.

Woran erkennt man eine heilige Familie an Sonn- und Feiertagen? Man erkennt sie daran, daß sie in echter Frömmigkeit und Treue gegen Gottes Gebot die Sonn- und Feiertage verbringt. Die Heilige Schrift hat uns über das häusliche Leben in Nazareth wenig aufbewahrt, aber das eine meldet sie, daß nämlich die heilige Familie die Pilgerfahrt nach Jerusalem machte. Von Galiläa im Norden Palästinas nach Jerusalem im Süden brach die heilige Familie auf und erfüllte so die Gebote Gottes. Wir dürfen aus dieser Pilgerfahrt, die ja sicher beschwerlich war, zu Fuß über eine weite Strecke, schließen, daß die heilige Familie auch alle anderen Gebote Gottes erfüllte. Sie sah im mosaischen Gesetz den Ausdruck des Willens Gottes, und sie hat diesem mosaischen Gesetz nachgelebt. Sie war eine fromme jüdische Familie, die vermutlich an jedem Sabbat sich in der Synagoge versammelte, um dort die Schriftlesung zu hören, Gott zu verherrlichen, die Psalmen zu beten und sich durch das Wort der Predigt belehren zu lassen. Das ist das Vorbild der heiligen Familie zu Nazareth.

Und wie steht es um die Nachbilder? Wie sieht es in unseren Familien aus an Sonn- und Feiertagen? Geben auch unsere Familien Gott die Ehre? Heiligen sie den Sonntag? Sie alle wissen, meine lieben Freunde, wie viele nicht einmal die primitivste Sonntagspflicht erfüllen, nämlich den Gottesdienst zu besuchen. Der Sonntag ist der Tag des Herrn, er ist ihm geweiht, und da muß man ihm auch diese Weihe durch den Besuch des Gottesdienstes bezeugen. Wenn man dem Sonntag den Gottesdienst nimmt, so ist es, wie wenn man einem Ring den kostbaren Stein herausnimmt. Am Sonntag sollen wir gemeinsam und öffentlich Gott die Ehre darbringen. Wir müssen es in unseren Familien den Kindern und den Heranwachsenden immer wieder unterbreiten, was es heißt, Pflichten gegenüber Gott zu erfüllen. Gott will und muß von uns verehrt werden. Er will und muß von uns öffentlich und gemeinsam verehrt werden; denn wir stehen auch als Gemeinschaft vor Gott, und wir müssen uns gegenseitig stützen und stärken, und eben das geschieht im gemeinsamen Gottesdienst.

Selbstverständlich kann man und soll man im stillen Kämmerlein beten. Das ist notwendig, ja unentbehrlich. Aber auch die Gemeinschaft muß vor Gott stehen, und deswegen ist der öffentliche und gemeinsame Gottesdienst unentbehrlich. Wenn wir nur in Eisamkeit für uns beten, dann verkümmert unser religiöses Leben, weil wir uns immer auf unsere Lieblingsgedanken zurückziehen. Wenn wir dagegen in der Gemeinschaft den Gottesdienst üben, dann werden wir befruchtet durch die Fülle der Ereignisse, die das Kirchenjahr uns bietet, durch die gemeinsam gesungenen Lieder und durch die festliegenden Gebete, durch den Kranz der Feste des Kirchenjahres. Das weitet unsere Seele.

Selbstverständlich müssen diejenigen, die in der Familie Verantwortung tragen, ihre Kinder zu diesem Gottesdienst erziehen. Das Kind hat ja zunächst keine Einsicht in die Notwendigkeit und in den Nutzen eines sonntäglichen Gottesdienstes. Es muß also durch das Wort, durch das autoritative Wort des Vaters und der Mutter dazu geführt werden. Aber dann freilich muß auch das einsetzen, meine lieben Christen, was das Allerwichtigste ist, nämlich die Überzeugung. Wenn Sie mich fragen: Wie kommt es denn, daß viele Kinder von braven Eltern ihre religiöse Praxis aufgeben, nicht mehr den Gottesdienst besuchen, ja von der Religion nichts wissen wollen, ich habe die Antwort dafür. Die Antwort lautet: Weil sie keine Überzeugung begründet haben, weil ihnen nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, daß Religion notwendig, lebensnotwendig ist, weil sie nicht überführt worden sind von der Wahrheit und der Sinnhaftigkeit der Religion, weil sie nur äußerlich etwas mitgemacht haben. Dann sind andere Einflüsse gekommen und haben diesen schwachen Einfluß der Religion des Elternhauses überwunden. Wovon ich überzeugt bin, das übe ich auch. Es kommt also alles darauf an, Überzeugungen zu begründen, Überzeugungen von der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit des öffentlichen und gemeinsamen Gottesdienstes am Sonntag.

Woran erkennt man eine heilige Familie an Tagen des Leidens und der Schmerzen? Man erkennt sie daran, daß sie willig und vertrauensvoll auf den Willen Gottes eingeht. Die heilige Familie von Nazareth bietet uns ein Beispiel für das Verhalten an Tagen des Kummers und der Sorge. Auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem ereignete es sich, daß der Knabe Jesus zurückblieb. Er wurde vermißt, man hatte ihn verloren. Es waren ja viele Menschen unterwegs, und die heilige Familie ist mit ihrer Sippe gereist. Und so hat man sich zunächst getröstet mit dem Gedanken: Er wird eben bei den anderen Verwandten sein. Aber er war es nicht. Da wurden die Eltern unruhig, suchten ihn und machten den Weg zurück, um ihn vielleicht unterwegs oder auch in Jerusalem zu finden. Und dann fanden sie ihn im Tempel. Im Tempel fanden sie ihn. Ein geheimnisvoller Befehl Gottes hatte ihn im Tempel festgehalten, im Hause seines Vaters, und das war ihm so selbstverständlich, daß er die verwunderte Frage stellte: Ja, warum habt ihr mich gesucht? Das ist doch gar nicht notwendig, ihr wußtet doch oder ihr hättet es wissen müssen, daß ich nur da sein kann, wo das Haus meines Vaters ist. Wußtet ihr nicht, daß ich im Hause meines Vaters sein muß? Da leuchtete, da blitzte etwas auf von der göttlichen Berufung Jesu. Da müssen die Eltern zum erstenmal gespürt haben: Das ist ein Kind anderer Art als die Kinder, die mit uns nach Jerusalem gepilgert sind.

Und sicher haben Maria und Josef auch geahnt, daß von dieser Stunde an ein gottverordnetes Geschick über diesem Knaben waltet, daß das nur der erste Fall war, wo er einem höheren Befehle nachkommen mußte. „Kind, warum hast du uns das getan?“ In dieser Frage zittert der Schmerz der Mutter. „Dein Vater und ich, wir haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Ja, wie Eltern eben, die ein Kind lieben, ein verlorenes Kind nur suchen können. Elternschmerz über verlorene Kinder, das ist einer der tiefsten Schmerzen, die es überhaupt gibt. Verlorene Kinder, sei es physisch verloren oder sei es psychisch verloren. Diese Begebenheit aus dem frühen Leben Jesu zeigt uns, wie heilige Familien in Tagen, wo das Gewölk den Himmel überzieht, sich verhalten sollen. Kein Murren gegen Gott, keine Anklage gegen Gott, sondern vertrauensvolle Ergebung in seinen Willen, unermüdliche Hoffnung auf seine rettende Macht. Selbstverständlich auch keine Untätigkeit, sondern Suchen, Bemühen, Anstrengen. Nicht die Hände in den Schoß legen. Gott will, daß wir uns rühren. Aber wenn wir alles getan haben, was wir konnten, dann bleibt immer noch die mächtige, nein, die allmächtige Hand Gottes über uns. Er kann schenken, was wir kaum zu hoffen wagen. Er kann bewirken, woran wir manchmal nicht mehr glauben möchten. Die allmächtige Hand des Herrn kann die Menschen, die verlorenen Menschen, in einem Augenblick umwandeln.

Und woran liegt es, woran liegt es meistens, daß wir die mächtige, daß wir die allmächtige Hand Gottes nicht erfahren? Es liegt an unserem mangelnden Glauben. „Wenn du Glauben hast wie ein Senfkorn groß und glaubst, daß dieser Berg sich hinweghebt, dann wir das geschehen,“ sagt der Herr in einer übertreibenden Redeweise, wie es nun einmal zu seiner Zeit üblich war. Wer im Glauben auf Gott Großes erwartet und erfleht und wer im Glauben an Gott in der rechten Weise secundum rationem salutis, d. h. nach der Ordnung des Heils, betet und fleht, der wird in irgendeiner Weise erhört werden. Es gibt kein rechtes Gebet, das nicht in irgendeiner Weise erhört wird.

Meine lieben Freunde, in den Tagen des Kummers und der Not sehen wir nur unseren Kummer und unsere Not, meinen, das müßte jetzt unbedingt weggehoben werden. Aber Gott sieht weiter. Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, eine wahre Geschichte: Es war einmal eine Mutter, die einen Sohn hatte, der Priester wurde. Und dieser priesterliche Sohn war seiner Mutter mit aller Liebe zugetan und umfing sie mit großer Sorge. Und eines Tages, im frühen Alter, starb dieser Sohn. Die Mutter war außer sich vor Schmerz, daß ihr der Sohn, der liebe Sohn genommen war. Sie meinte, Gott handle ungerecht an ihr und füge ihr Schmerzen zu, die er ihr besser erspart hätte. Es ging eine Reihe von Jahren dahin, und diese selbe Mutter sah, wie sich in unserer Kirche, in der Konzilskirche, in der Nachkonzilszeit immer mehr Entsetzliches ereignete, wie in dieser Kirche die Zerstörung immer weiter um sich griff, wie ein Niedergang einsetzte, den man zu Zeiten eines Papstes Pius XII. nicht für möglich gehalten hätte. Und da ging auch eine Wandlung in dieser Mutter vor. Eines Tages kam ihr die Erleuchtung: Vielleicht war es doch gut, daß mein Sohn starb. Wie hätte er das alles verkraftet? Wie wäre er mit all dem fertig geworden? Hätte er nicht aufbegehrt gegen die Zersetzung und den Zerfall? Diese Schmerzen hat ihm Gott erspart, indem er ihn hinwegnahm.

Das ist die Lösung, meine lieben Freunde. Gott sieht weiter, Gott sieht tiefer. Er kennt die Zukunft. Und das soll uns ruhig machen in den Tages des Leides und der Schmerzen. „Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl. Das macht die Seele still und friedenvoll. Ist doch umsonst, daß ich mich sorg' und müh', daß ängstlich schlägt mein Herz, ob spät, ob früh. Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt die Zeit. Dein Plan liegt fertig stets und ist bereit. Drum wart' ich still. Dein Wort ist ohne Trug. Du weißt den Weg für mich, das ist genug.“

Wie verhält sich eine heilige Familie im grauen Werktag? Sie erfüllt die Ordnung, die Gott für die Familie festgesetzt hat, und sie reift Gott entgegen. Die Heilige Schrift hat uns nicht einen einzigen Tag im Häuslein von Nazareth aufgezeichnet. Wie gern wüßten wir, wie es dort zugegangen ist. Aber wir können es ahnen, denn wir haben ja zwei Bemerkungen über das werktägliche Leben aufbewahrt, nämlich: „Er war ihnen untertan“ und „Er nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade vor Gott und den Menschen.“ Er war ihnen untertan. Wer denn? Der Sohn Gottes, auf Erden erschienen. Wem denn? Maria und Josef, diesen schlichten Menschen. Wie lange denn? Die ganze Zeit seines häuslichen Lebens. Und wie denn? Mit größter Demut und mit größter Liebe. Er war ihnen untertan.

Und er nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade vor Gott und den Menschen. Am Alter nehmen wir ja alle zu, gewiß. Aber nehmen wir auch zu an Weisheit und an Gnade vor Gott und den Menschen? Bei Jesus war es ein Reifen, ein Entgegenreifen. Reifen wir, wir Älteren, reifen unsere Kinder Gott entgegen, oder ist es nur ein Ableben der Tage? Das ist es, was von einer heiligen Familie erwartet wird, daß sie Gott entgegenreift.

Im Kolosserbrief ist eine Art Hausordnung für die heilige Familie aufgestellt, und die lautet wie folgt: „Ziehet an als Auserwählte, Heilige und Geliebte herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut, Geduld! Ertraget einander und vergebet einander, wenn einer wider den anderen einen Vorwurf hat! Wie der Herr euch vergeben, so sollt auch ihr tun. Über dies alles die Liebe, denn sie ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Gottes herrsche in eueren Herzen, zu dem ihr ja berufen seid in einem Leibe. Und seid dankbar! Das Wort Christi wohne reichlich unter euch in aller Weisheit. Lehret und ermahnet einander! Singet in Dankbarkeit Gott in euerem Herzen! Und alles, was immer ihr tut in Wort oder Werk, tut alles im Namen des Herrn Jesus Christus und saget durch ihn Gott, dem Vater, Dank!“

Das ist das Programm der heiligen Familie, wie es die Heilige Schrift uns aufbewahrt. Vom Ertragen – und das ist die unterste Stufe der Liebe – bis hinauf zu dem gemeinsamen Lobgebet und Dankgebet an Gott. So soll eine heilige Familie sich an den Werktagen, an den grauen Werktagen, verhalten. Sie soll die Ordnung bewahren, das heißt auch Über- und Unterordnung, sie soll entgegenreifen Gott. Wir sollen als Vollendete in die Ewigkeit gehen.

Wenig, meine lieben Freunde, kann uns dabei so viel helfen wie das Beispiel der heiligen Familie. Ein frommer Müller hat einmal am Vogelsberg an einem Bilde der heiligen Familie ein schönes Sprüchlein angebracht, und das lautet so: „Wo jeder Mann ein Josef ist, Maria jedes Weib, und jedes Kind wie Jesus Christ gedeiht an Seel' und Leib, da ist, mein Christ, o glaub' mir dies, ein jedes Haus ein Paradies.“

Amen.

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