12. August 2007
Die Taubheit des Herzens für Gott
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Taubheit des Gehörs ist eine schlimme Krankheit. Denken wir nur an den großen Komponisten Ludwig van Beethoven, der taub geworden ist und seine eigene Musik nicht mehr hören konnte. Aber noch schlimmer als die Taubheit des Körpers ist die Taubheit des Herzens, also die Abschließung gegenüber dem Willen Gottes, die Entfernung von den Geboten Gottes, die Aufgabe der Aufgeschlossenheit für Gottes Willen, der Verlust der Bereitschaft des Herzens, auf Gott zu hören, die Herzenshärte, die Verstocktheit. Die Unbußfertigkeit, die Verstocktheit ist die gefährlichste Sünde, die es gibt. Es ist die einzige Sünde, die nicht vergeben wird, solange sie anhält. Wer sich nicht bekehren will, dem kann selbst Gott nicht helfen. Hier kommt selbst Gott an eine Grenze, und von diesen Menschen, die taub geworden sind, gilt das Wort: „Sie haben Ohren und hören nicht.“
Die religiöse Taubheit fängt mit scheinbar harmlosen Dingen an: ein unterlassenes Gebet, eine versäumte Sonntagsmesse, eine aufgeschobene Beicht. Allmählich werden die Versäumnisse größer und zahlreicher, und am Schluß steht die völlige Taubheit für Gott. Wer Geringfügiges nicht wichtig nimmt, der stumpft sein Gewissen ab. Am Schluß ist das Gewissen begraben unter dem Schutt von überhörten Anrufen Gottes.
In meiner Kaplanszeit hatte ich ein großes Krankenhaus zu betreuen. Ich lernte auch den Internisten kennen, ein Rheinländer, katholisch, aber protestantisch verheiratet, die Kinder protestantisch. Er mied jeden Kontakt mit dem Priester, wozu ja Gelegenheit bestand, denn ich ging ja jede Woche in dieses Krankenhaus. Er wollte nichts mit dem Priester zu tun haben; er floh den Geistlichen, bis es zu spät war. Er war so stumpf geworden wie ein Stein, taub für den Gnadenruf Gottes, restlos und unabänderlich taub. So sind leider viele Menschen. Sie sind taub geworden für den Anruf Gottes. Aber manche, vielleicht sogar viele dieser Taube drehen den Spieß um. Sie sagen: Wir möchten schon hören, aber Gott redet nicht, Gott ist stumm geworden, es hat ihm die Sprache verschlagen. Die Menschen sind ihm gleichsam über den Kopf gewachsen. Die Herrschaft über die Welt ist ihm entglitten, und so zieht er es vor, zu schweigen, ein Schweigen der Ohnmacht, vielleicht sogar der Nichtexistenz. Darauf reden sich die Tauben heraus. Sie möchten hören, aber Gott redet nicht.
Ist das wahr, meine lieben Freunde? Ist Gott wirklich verstummt? Spricht er nicht? Ich behaupte: Das ist nicht wahr. Gott redet, und der Mensch hat die Fähigkeit, seine Rede zu vernehmen. Gott redet in der Natur, er redet in der Geschichte und er redet im Einzelmenschen.
Gott redet in der Natur, denn er ist ja der Herr der Natur. Er ist der Schöpfer, er ist der Erhalter der Natur. Er hat die Naturgesetze gegeben. Und wer die Natur beobachtet und ihre Erscheinungen zu deuten weiß, der hört in ihr die Stimme Gottes. Sogar die Heilige Schrift bezeugt, dass Gottes Wort in der Natur vernehmbar ist. In Psalm 104 heißt es: „Du machst dir die Winde zu Boten und lodernde Feuer zu deinen Dienern.“ Du machst dir die Winde zu Boten und lodernde Feuer zu deinen Dienern. Als Kinder wurden wir belehrt, die Stimme Gottes im Gewitter zu hören. Als wir dann in der Physikstunde lernten, dass Gewitter elektrische Entladungen sind, lächelten wir über diese Meinung. Aber heute, wo wir tiefere Einsichten gewonnen haben, wissen wir, dass Gewitter, Wind und Regen und Stürme die Stimme Gottes sind. Die Trockenheit und die Überflutungen sind Weisen, in denen Gott zu den Menschen spricht. Er ist der Schöpfer der Natur und der Schöpfer der Naturgesetze. Wenn immer der Mensch die Naturgesetze übertritt, wenden sich diese Naturgesetze gegen den Menschen. Das ist die Sprache Gottes. Der Rückschlag der Naturgesetze auf den Missbrauch, das ist die Sprache Gottes. Die Natur wehrt sich gegen den Missbrauch, den der Mensch mit ihnen treibt. Klimawandel und Erderwärmung, Tornados und Tsunamis sind die Sprache Gottes. Sie fragen nämlich die Menschen: Was habt ihr mit eurer Erde, mit meiner Erde gemacht? Wie seid ihr mit dem umgegangen, was ich, euer Schöpfer, euch anvertraut habe?
Gott spricht in der Natur. Der Mensch holzt die Wälder ab, die Erosion setzt ein, fruchtbares Land wird weggeschwemmt, kahle Hügel und wüstenähnliche Landschaften bleiben zurück. Das ist die Sprache Gottes. Wenn immer der Mensch seine Gesetze nicht beachtet, dann steht die Natur gegen den Menschen auf und entzieht ihm ihren Dienst. Die Tauben hören diese Sprache nicht. Wenn sie von einem Erdbeben hören, dann vertrauen sie der oberflächlichen Weisheit der Seismographen. Sie hören nicht die Sprache Gottes in den Naturkatastrophen. Die Frommen, die Gläubigen vernehmen diese Sprache.
Jahrzehntelang hat hier in dieser Kirche eine fromme Frau gesessen, und sie hat mir mehrmals gesagt, wenn lange Zeit kein Regen gefallen war: „Wir sind es nicht wert.“ Die Frau hat die Trockenheit als die Sprache Gottes verstanden. „Wir sind es nicht wert“, sagte sie, dass Gott Regen fallen lässt. Wir sind unwürdig, weil wir nicht genügend bitten und nicht genügend danken. Wahrhaftig, diese Frau hatte die Sprache Gottes in der Natur verstanden. Wir sind es nicht wert!
Gott redet in der Natur; er redet auch in der Geschichte. In den Geschehnissen und Ereignissen, in den Siegen und in den Niederlagen der Geschichte spricht Gott. Als ich ein Knabe war, las ich ein Buch mit dem Titel: „Und Gott schweigt“. Das Buch bezog sich auf die Sowjetunion und auf die dort geschehenden Greuel. Damals, 1937, fingen ja die Schauprozesse an, in deren Verlauf, Tausende, Hunderttausende hingerichtet, ermordet, verschleppt und deportiert wurden. Und Gott schweigt! So nannte der Autor sein Buch. Gemeint war, Gott hindert die Greueltaten der Bolschewisten nicht. Er greift nicht ein, er gebietet ihnen nicht Einhalt. Und Gott schweigt! Ist das wahr, meine lieben Freunde? Hat Gott geschwiegen zu den Greueltaten der Bolschewisten? Gott hat auch die Sowjetunion in seiner Hand gehalten, aber er hat ihren Beherrschern Zeit gelassen. Er wartet; er wartet in Geduld. Vor ihm sind ja tausend Jahre wie ein Tag. Er lässt den Menschen Zeit zur Bekehrung. Darum wartet er. Er handelt, wenn seine Stunde schlägt, und der Stundenschlag Gottes ist anders als unserer. Was niemand für möglich gehalten hatte, was selbst Papst Paul VI. nicht für möglich gehalten hatte, das ist eingetreten: Das Sowjetsystem gehört der Vergangenheit an. Der Zusammenbruch des Bolschewismus ist geschehen, und ich sage: Das ist die Sprache Gottes. Das ist die Erhörung der Gebete von Millionen. Hier hat sich wiederum erfüllt, was in Psalm 36 angedeutet ist: „Ich sah den Gottlosen hocherhaben wie eine Zeder; ich ging vorüber, und er war nicht mehr.“
Gott war auch nicht stumm, solange das bolschewistische System bestand. Gott hat gesprochen in den Bekennern und Martyrern, die gegen dieses mörderische System aufgestanden sind. Ihr Leiden und ihr Sterben, das ist die Sprache Gottes. Er hat sie erweckt, damit sie Zeugnis geben von Recht und Wahrheit; denn Gott bedient sich immer der Mittelursachen, um durch sie seine Botschaft auszurichten.
Und wie steht es um Deutschland? Als wir Knaben waren, sprach man uns vom „tausendjährigen Reich“. Angeblich hatte Hitler ein tausendjähriges Reich begründet. Aber nach zwölf Jahren war es zu Ende mit diesem Reich. Ist der Untergang des Nazismus nicht die Sprache Gottes? Und hat nicht auch Gott während des Bestandes dieses Systems seine Stimme vernehmen lassen? Er redete durch seine Dienstmänner. Meine lieben Freunde, Gott hat seine Zeugen erweckt, die damals gegen dieses mörderische System aufgestanden sind. Ihr Leben und ihr Sterben und ihr Handeln war Gottes Sprache. Ist es nicht Rede Gottes, wenn wir hören, dass Graf Stauffenberg, der Attentäter, dieser herrliche Mann, der das Volk und ganz Europa von einem Verbrecher befreien wollte, am Vorabend seiner Tat, eine katholische Kirche in Berlin betrat und dort gebetet hat? Die Männer, die sich selbst geopfert haben, um Deutschland und Europa von ihrem Verderber zu befreien, waren Dienstmänner Gottes. In ihrem Opfer war Gottes Stimme zu hören. Stauffenbergs Freund, der General Henning von Tresckow, einer der Hauptverschworenen, sagte nach dem mißlungenen Attentat des 20. Juli 1944: „Ich halte Hitler nicht nur für den Erzfeind Deutschlands, sondern auch für den Erzfeind der Welt. Wenn ich in wenigen Stunden vor den Richterstuhl Gottes treten werde, um Rechenschaft abzulegen über mein Tun und Lassen, so glaube ich mit gutem Gewissen das vertreten zu können, was ich im Kampf gegen Hitler getan habe. Wenn Gott einst Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, dass Gott auch Deutschland um unseretwillen nicht verderben wird.“ Ja, meine lieben Freunde, Gott schweigt nicht, Gott redet. Er redet anders, als manche es sich wünschen, aber er ist nicht stumm.
Er redet auch heute. Niemand zweifelt daran, dass in den letzten Jahrzehnten der Missbrauch des Geschlechtlichen enorme Ausmaße angenommen hat. In der letzten Nummer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war ein Bericht über den Stadtteil Marzahn in Berlin, und der Berichterstatter hatte mit einem Streetworker, mit einem Mann gesprochen, der sich um die verwahrlosten Jugendlichen annimmt. Mit 11 die erste Zigarette, mit 12 die erste Flasche Bier, mit 13 der erste Geschlechtsverkehr. Und stehen nicht an der Spitze unserer Gemeinwesen Männer, die himmelschreienden Sünden offen bekennen? Gott schweigt? Vielleicht nicht. Ist nicht die Lustseuche Aids auch eine Antwort Gottes? Spricht nicht Gott auch durch dieses furchtbare Leiden zu uns? Ist das nicht eine Mahnung, eine Warnung, und ist das nicht ein Urteil über unsere Gesellschaft?
Weite Teile des christlichen Abendlandes sind entchristlicht, von Gott abgefallen, beten nicht mehr, besuchen keinen Gottesdienst, geben Gott nicht die Ehre. Kirchen müssen verkauft, abgerissen, umgewidmet werden, Klöster stehen leer, werden aufgegeben. Und Gott schweigt? Vielleicht doch nicht. Ist nicht die militante Frömmigkeit vieler Muslime eine Sprache Gottes? Will uns nicht Gott durch die Treue, die sie ihrem Gebet bezeigen, beschämen? Haben diese Männer und Frauen nicht eine Aufgabe im Plane Gottes, nämlich die bequeme Christenheit aufzurütteln?
Gott redet in der Natur, Gott redet in der Geschichte. Gott redet auch im Leben des Einzelnen. Gott schweigt nicht. Gott redet zu Guten und Bösen in der Stimme des Gewissens. Im stillen Kämmerlein spricht die Wahrheit mit lauter Stimme. Sie lobt, was gut ist, sie tadelt, was schlecht ist. Aber die Wahrheit ist Gott. „Ganz leise spricht ein Gott in unserer Brust, ganz leise, ganz vernehmlich, zeigt uns an, was zu ergreifen ist und was zu fliehen“, so hat Goethe in wunderbarer Weise es ausgedrückt. Ganz leise spricht ein Gott in unserer Brust, ganz leise, ganz vernehmlich, zeigt uns an, was zu ergreifen ist und was zu fliehen. Tatsächlich, das Gewissen ist gleichsam die Empfangsstelle, wo die leisen Schallwellen der Nähe Gottes uns erreichen, wo das Flüstern seiner Gnade aufgefangen wird.
Dass Gott zum Menschen redet, wussten schon die frommen Heiden. Seneca hat einmal geschrieben: „Nahe ist dir Gott, er ist bei dir, er ist in dir. Ja, ein heiliger Geist wohnt in uns und wacht über das Gute und Böse in uns.“ Noch einmal dieses schöne Wort von Seneca: „Nahe ist dir Gott, er ist bei dir, er ist in dir. Ja, ein heiliger Geist wohnt in uns und wacht über das Gute und Böse in uns.“ Gott redet im Gewissen, aber nicht nur im Gewissen. Er wirkt auch auf die Menschen ein mit seiner helfenden Gnade. Das ist seine Sprache: Er redet durch Handeln, indem er uns Gnade um Gnade schenkt, in seinen Ermahnungen und Einladungen, die an unser Herz pochen, da redet Gott. Ohne diese Ermahnungen und Einladungen würden wir den Weg des Guten nicht gehen können, denn die Gnade kommt dem, der nicht will, zuvor, damit er wolle, und die Gnade folgt ihm, der will, damit sein Wollen nicht vergeblich sei.
Gott redet im Leben des Menschen. Er redet in den Bekehrungen, die wir immer wieder erleben. Immer wenn ein Mensch aus Sünde und Schuld aufsteht, ist Gott im Spiel. Im Alten Bunde wird uns berichtet, dass David seine Sünde erkannte und bekannte und Buße tat. Und im Neuen Testament hören wir von vielen Bekehrungen: Maria Magdalena, der reuige Schächer, Petrus, Zachäus, Paulus. Im 18. Jahrhundert büßte und sühnte im Karmelitinnenkloster von Saint Denis in Frankreich die Tochter des Königs Ludwigs XV. Ludwig XV. war ein schlimmer Mann, meine lieben Freunde, ein Mann, der in der Unzucht versunken war. Aber das Beten und Sühnen seiner Tochter war nicht vergeblich. Als er zum Sterben kam, sandte sie ihm das Kreuz, vor dem sie nächtelang durchwacht hatte, um ihrem Vater die Bekehrung zu erbeten. Als er das Kreuz sah, da ging er in sich, ließ einen Beichtvater kommen und bekannte seine ganze Schuld und bat ihn, er möge dem französischen Volke bekannt geben, er habe sich bekehrt, und das Volk möge ihm das Ärgernis, das er gegeben hatte, verzeihen. In China wurde und wird die katholische Religion verfolgt. Die Polizei jagt die Priester, die im Untergrund wirken. Aber hören und staunen Sie! Ich lese im Bericht der Schwestern des heiligen Petrus Claver, dass sich Universitätsprofessoren in China bekehren zum katholischen Glauben, dass hohe Regierungsbeamte zur katholischen Kirche stoßen. Ja, ist das keine Sprache Gottes? Die innere Gnade erfaßt die Seele, wirkt auf die Kräfte ein und führt den Menschen zur Bekehrung.
Aber es gibt auch äußere Gnaden. Äußere Gnaden sind solche Ereignisse, die uns etwas zu sagen haben. Wir müssen die Meldungen, die uns im Rundfunk oder im Fernsehen oder in der Presse zugehen, im Lichte Gottes betrachten, dann vernehmen wir die Sprache Gottes. Wenn in einer Stadt jeden Tag ein Zentner Brot im Abfall gefunden wird, ein Zentner Brot in einer kleinen Stadt, dann ist das eine Sprache Gottes, die uns mahnt und warnt, die Gabe Gottes zu schätzen und nicht zu vergeuden. Wenn ein zwölfjähriges Mädchen einen Selbstmordversuch unternimmt, weil ihm die Mutter verbietet, einen Pferdeschwanz zu tragen, dann ist das Sprache Gottes und zeigt uns, wohin wir gekommen sind. Jede Krankheit, jeder Unfall, von dem wir hören, ist Sprache Gottes. Jeder Tod, von dem wir vernehmen, ist ein Ruf Gottes: Sterblicher, denk ans Sterben! Heute noch kann dein Leben von dir gefordert werden. Und wenn du heute nicht bereitet bist, wie wirst du es morgen sein? Jede Sünde, die wir beobachten, die wir selbst begehen, muss uns wie heißes Erschrecken in die Glieder fahren. Gott redet, er sagt uns: dazu wäre ich fähig, wenn wir die Sünde des anderen sehen, dazu wäre ich fähig, wenn die Gnade mich nicht bewachte. Also sei nicht übermütig, sondern fürchte dich! Jedes Kreuz am Wege, meine lieben Freunde, ist ein Wort Gottes: Das tat ich für dich. Was tust du für mich? Jeder Glockenton ruft uns: Empor die Herzen, empor zu Gott! Jedes Bild der Schmerzensmutter, das wir sehen, mahnt uns: Dunkel vom Weinen sind meine Augen. O Christ, gedenkst du mein?
Mühen wir uns, feinhörig zu werden! Ich will hören, was der Herr redet. Auf seine Stimme hören. Herr, öffne meine Ohren! Ich will hören, was der Herr redet. Sicher redet er Frieden. Beten wir oft, meine lieben Freunde: Herr, öffne meine Ohren, beschneide mein Herz, neige mein Ohr zu deinen Geboten!
Amen.