Predigtreihe: Versuch der Selbsterlösung und der wahre Erlöser (Teil 3)
3. März 2019
Gott der einzige Erlöser der Menschen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Alle rein menschlichen Erlösungsversuche sind zum Scheitern verurteilt. Denn sie hätten eine Aufgabe zu bewältigen, die unerfüllbar ist, nämlich die Aufgabe, die Sünde zu überwinden. Dazu ist die Menschheit aus eigenem Vermögen nicht fähig. Weder die Heiden durch die Kraft der Natur noch die Juden durch den Buchstaben des Gesetzes waren imstande, sich selbst von der Sünde zu befreien und zu Gott zu erheben. Das Konzil von Trient hat es deutlich ausgesprochen: „Wer behauptet, dass der Mensch durch seine Werke, durch die Kräfte der Natur oder durch die Lehre des Gesetzes ohne die göttliche Gnade, die ja ist in Jesus Christus, vor Gott gerechtfertigt werden könnte, der sei ausgeschlossen.“ Was das Konzil ausspricht, ist die treue Wiedergabe der Lehre der Heiligen Schrift. Das ganze Alte Testament bezeugt, dass Gott allein die Rettung des verlorenen Menschen zu vollbringen vermag und dass er tatsächlich beschlossen hat, ihn zu retten. Er drängt ihm die Rettung nicht auf, er bietet sie an mit vielen Verheißungen, Drohungen und Warnungen, aber ohne die menschliche Freiheit aufzuheben. So kommt es zu einem jahrhundertelangen Ringen zwischen dem rettungswilligen Gott und dem rettungsunwilligen Menschen. Die Weise des göttlichen Rettungswerkes entspricht der Weise, in der sich der Mensch von Gott entfernt hat. Wie hat er sich entfernt? Indem er sich der Herrschaft Gottes zu entziehen sucht. Er löste sich aus der Herrschaft Gottes. Und so kann das Heil nur kommen, wenn er sich wieder in die Herrschaft Gottes begibt. Gott wirkt die Rettung des Menschen, indem er seine Herrschaft über ihn aufrichtet. So wird das Ringen zwischen dem rettungswilligen Gott und dem rettungsbedürftigen Menschen ein Kampf um die Herrschschaft Gottes. Der gleiche Gott, der über den sündigen Menschen und die von ihm verdorbene Welt Gericht hielt, ist es, der zugleich der Erlöser aus der Verzweiflung ist. Er öffnet den aus dem paradiesischen Leben Ausgewiesenen eine Hoffnung. Er verheißt die Rettung: „Feindschaft will ich setzen zwischen dir und dem Weibe“, so sagt er zu der Schlange, dem Symbol Satans, „Feindschaft will ich setzten zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, du aber wirst seiner Ferse nachstellen.“ Das ist die Urverheißung, das ist das Protoevangelium, das erste Evangelium im Buche Genesis, im ersten Buch der Heiligen Schrift. Damit war die Hoffnung auf den Schlangentreter im Menschengeschlecht begründet.
Die kommenden Zeiten waren aufgefordert, diese Hoffnung aufzunehmen und festzuhalten. Gottes Gerichte über den tiefer und tiefer fallenden Menschen haben in der Sintflut eine unheimliche Gewalt bekundet. Aber gerade mit Noe, der die Sintflut überlebte, schloss Gott einen Bund, der seinen künftigen Schutz verbürgte. Aus freier Huld bindet sich Gott im Noachitischen Bund in immerwährender Treue. Der Bund Noes mit Gott wurde fortgeführt durch den Bund Abrahams. Gott verhieß ihm, dass er ihn zum Stammvater eines großen Volkes machen werde und dass in ihm alle Völker der Erde gesegnet seien sollten. Die Urträger der göttlichen Verheißungen wankten nicht in ihrem Glauben. Sie waren überzeugt: Was ihnen die Gegenwart versagte, das wird die Zukunft bringen. Gott wird sein Wort einlösen und zu der von ihm bestimmten Stunde als Erlöser hervortreten. Als Abrahams Enkel, Jakob, sich anschickte, zu den Vätern zu gehen, versammelte er seine Söhne um sich. Zwischen den letzten Segensworten rief er aus; „Herr, ich warte auf dein Heil!“ Mit ihm wartete das ganze Volk Gottes. Moses erhielt den Auftrag, die in Ägypten in Bedrückung lebenden Stämme Israels in das verheißene Land zu führen. Als weithin sichtbares Signal der göttlichen Huld eröffnete das Wunder am Roten Meer die von Gott gestiftete Geschichte des Volkes Israel. Das Volk durchschritt das Meer trockenen Fußes, und seine Verfolger kamen um in den Fluten. Da zeigte sich die Macht und Entschlossenheit Gottes, allen feindlichen Gewalten zum Trotz, seine Herrschaft aufzurichten, den Heillosen das Heil zu bringen. Am Berge Sinai schließt Gott mit dem Volke Israel einen Bund, in dem die vorangehenden Gottesbündnisse erneuert und zu ihrer für die vorchristliche Zeit vollgültigen Gestalt gebracht werden. Dem Volke Israel fiel das Land Kanaan zu. Aber in diesem Lande waren sie einer neuen Gefahr ausgeliefert, der Gefahr eines jeden Siegers, nämlich der Gefahr, der hohen Kultur und den religiösen Kulten der im Lande verbliebenen Kanaaniter zu verfallen. Von den einheimischen Baal-Kulten ging eine verführerische Macht aus. Es waren Fruchtbarkeitskulte, es waren Kulte, die eine sinnenberauschende Fruchtbarkeit den Menschen verhießen. Die Israeliten fingen an, mit den Töchtern der Moabiter zu buhlen. Diese luden das Volk zu Opferfesten ihres Gottes Baal ein, und das Volk aß und betete ihren Gott an. Es hängte sich an den Baal, und da entbrannte der Zorn Gottes gegen sein Volk. In Katastrophen hielt der himmlische Bundesherr Gericht über sein treuloses Volk. In einer von Not zerrissenen Zeit zeigt sich zum ersten Mal in klar umrissener Gestalt die Hoffnung, dass, was Gott zur Zeit noch nicht gewährt, in der Zukunft gewährt werden wird: vollen Frieden und volles Heil, dass er selbst kommen und sich ein für allemal als König durchsetzen wird, in seinem Volke und auf der ganzen Erde. Er hat dazu die Macht, denn er ist der Schöpfer der Welt. Die Heidengötter sind Nichtse, sie können niemandem helfen. Sie haben einen Mund, aber sie sprechen nicht; sie haben Hände, aber sie handeln nicht; sie haben Beine, aber sie gehen nicht. Gott ist der Herr der Welt, der die Welt mit einer Spanne seiner Hand umfängt. Vor ihm sind die Völker wie Tropfen an einem Wassereimer. Sie fließen herab, ohne dass man ihrer achtet. Wer einen solchen Glauben an Gott hat, resigniert nicht, auch wenn in der Gegenwart das Dunkel nicht weichen will. Er sieht seine Zukunft umso intensiver begründet in den Verheißungen Gottes. Das Vertrauen auf Gottes unbedingte Macht und seinen Heilswillen ist so unerschütterlich, dass es durch keine Drangsal zerstört wird. Und diese Erwartung, diese Hoffnung auf Gottes Hilfe formt sich zur Bitte um Gottes unverhüllten Eintritt: „Komm, o komm, Immanuel, hilf deinem Volke Israel!“
Als das unbelehrbare Volk von neuem den Herrn verlässt, erweckt Gott die großen Schriftpropheten. Sie verkünden Gottes bevorstehende Gerichte über Israel. Es gibt keinen Propheten, der den Messias nicht gekannt hätte. Die Worte des Propheten sind Dokument und Fundament unseres Glaubens. Vor allem der große Evangelist unter den Propheten, Isaias: „Hört, ihr Himmel, horch auf, du Erde, der Herr hat gesprochen: ‚Kinder habe ich großgezogen; sie sind mir aber untreu geworden. Der Ochs kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn, nur Israel hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht.‘“ Aber das letzte Wort, das Gott seinem Volke zuruft, ist kein Drohwort, sondern ein Verheißungswort. Gott verheißt Rettung und Heil. Er selbst wird als Retter zu seinem Volke kommen. Er wird die Heilszeit herbeiführen. „Juble und freue dich, Tochter Zion, denn ich komme und wohne in deiner Mitte, Spruch des Herrn.“ Das Erscheinen Jahwes bringt Heil. Aus diesen Überlegungen, meine lieben Freunde, ergibt sich die Unentbehrlichkeit des Alten Testamentes. Es hat im Protestantismus bis heute Stimmen gegeben, die das Alte Testament abschaffen wollen. In der Zeit des Dritten Reiches fand der protestantische Reichsbischof Müller es unerträglich, dass in deutschen Schulen immer noch das Alte Testament als Fundament des Religionsunterrichtes gebraucht wird. Auch heute gibt es Stimmen, die dazu auffordern, es fallen zu lassen. Solche Stimmen sind völlig irrig. Das Alte Testament ist das Zeugnis von der in Christus erfüllten Gottesoffenbarung. Die in ihm bezeugte Gottesgeschichte hat in Christus ihr Ziel gefunden. Das Neue Testament ist im Alten verborgen, aber das Alte Testament ist im Neuen erfüllt.
Das Neutestamentliche Zeugnis von der Erlösung durch Gott geht über das Alttestamentliche wesentlich hinaus. Es enthält die Botschaft, dass der von Gott gesandte Erlöser und Heilsbringer der geschichtliche Jesus von Nazareth ist. Das Neue Testament bringt uns die Kunde von dem gekreuzigten und auferstandenen Christus als dem Retter der Welt. Christus selbst legt Zeugnis davon ab, dass der Vater durch ihn das Erlösungswerk vollbringt. Kein Mensch vermag diese Aufgabe zu erfüllen. Es bleibt nur die Hoffnung auf Gott. Er ist größer als alle menschlichen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Durch Christus handelt Gott. Christus ist der Knecht Gottes. „Seht, mein Knecht, der den Willen Gottes erfüllt“, so jubelt Isaias in den Gottesknechtliedern. Ihm hat der Vater ein schweres Werk anvertraut und ihn dafür ausgerüstet mit heiligem Geist und mit Kraft. Die Machttaten, die er vollbringt, sind Zeichen der göttlichen Allmacht. Seine Friedensbotschaft ist die Botschaft Gottes an sein Volk. Das Leben Jesu verläuft nach dem von Gott gefügten Stundenschlag. Nicht eher und nicht später, erst wenn die Stunde Gottes schlägt, da ist die Hinrichtung Jesu möglich. Sein Tod ist kein Zufall, sondern eine ewige göttliche Fügung. Die Machthaber können ihn keine Stunde früher hinrichten, als es dem göttlichen Willen entspricht. Auch seine Auferweckung ist eine Tat Gottes. Vielleicht sind Sie schon manchmal mit Erstaunen im Neuen Testament fündig geworden, wenn Sie gelesen haben: Gott hat Jesus auferweckt, und doch sprechen wir von der Auferstehung Jesu. Ja, beides gehört zusammen: Er steht auf aus eigener Kraft, aber diese Kraft stammt von Gott, dem Vater. Das Heilswerk Gottes ist noch nicht abgeschlossen. Zu der von ihm bestimmten Zeit wird er Christus senden, um durch ihn das in Tod und Auferstehung eingeleitete Werk der Erlösung zu vollenden. Das Leben, das Sterben und die Auferstehung Christi ist die zeitliche Verwirklichung des ewigen göttlichen Rettungsplanes.
Auch die theologische Überlegung lehrt uns, dass die Erlösung durch Menschen ausgeschlossen ist. Wäre die erste Sünde nichts weiter gewesen als Verletzung der sittlichen Ordnung oder der Lebensgesetze, dann hätte eine einfache Änderung der menschlichen Gesinnung und Handlungsweise wieder alles ins Geleise bringen können. Die erste Sünde aber war Abschüttelung der Herrschaft Gottes, Verletzung der Freundschaft mit Gott, Verlust des übernatürlichen Lebens, Untreue, Bruch der Freundschaft, Verrat der Liebe, Täuschung und Enttäuschung, Verleugnung Gottes. Ja, die sündige Welt ist nicht mehr eine Enthüllung Gottes, sondern ein Verschweigen Gottes. Wer diese Welt sieht, mit ihren Untaten und ihren Verbrechen, der kann meinen: Was ist das für ein Gott, der eine solche Welt geschaffen hat? Aber er hat sie anders geschaffen. Die Situation, die durch den Bruch des Vertrauens, den Verrat der Liebe und der Verletzung der göttlichen Ehre entstanden ist, kann von dem Frevler selbst nicht geändert werden. Er konnte sie heraufbeschwören, aber er kann sie nicht beseitigen. Er kann bereuen und sühnen, aber damit ist es nicht getan. Damit eine zerstörte Freundschaft wieder geknüpft wird, damit eine verratene Liebe wieder aufglüht, muss der Verratene selbst kommen und sagen: Es wird wieder gut sein. Dieses Wort lässt sich im Ernst nur sprechen, wenn die Reue des einen und die gereifte Liebe des anderen sich die Hand reichen. Das gilt im besonderen Maße für die Beziehung zwischen Gott und Mensch. Gott und Mensch stehen sich ja nicht ebenbürtig gegenüber und gleichberechtigt. Der Mensch ist im Sein und Tun gänzlich von Gott abhängig. Dass er wieder der Freund Gottes sein kann, ist eine Tat der göttlichen Liebe. Gottes Liebe wirkt jede Menschenliebe. Er wirkt auch die Liebe des Menschen zu ihm selbst. Auf dass es nach der zerstörten Freundschaft von neuem zu ihr kommen kann, muss Gott in einem schöpferischen Spruch Verzeihung gewähren und die erstorbene Liebe im menschlichen Herzen neu entfachen. Solche theologischen Überlegungen werden durch die Erfahrung bestätigt. Die Sündenmacht, meine lieben Freunde, in deren Knechtschaft der Mensch durch die erste Sünde fiel, ist so groß, dass es ihm nicht gelingt, sich aus eigenem Vermögen von ihr zu befreien. Er hat nicht die Kraft, sich der Herrschaft Gottes wiederum zu unterwerfen; das wäre die Voraussetzung des Heiles, aber das ist unmöglich. Glaube und Erfahrung bewahren den Menschen vor der Schwärmerei, als ob menschliches Bemühen jemals imstande wäre, eine von Elend freie Zukunft herbeizuführen. Der Gläubige ist ein Realist; ihm hat Gott die Augen geöffnet. Er erwartet von den menschlichen Anstrengungen kein Paradies auf Erden. Die Erfahrung lehrt uns: Wenn die Menschen in revolutionärem Aufschwung ihr Elend beseitigen wollen, dann sind Blut und Tränen ihr Los. Die Versuche, ohne Gott eine leidfreie Zukunft zu schaffen, lassen die jeweilige Gegenwart in Gewalt, Unrecht und Mord versinken, ohne eine Gewähr für eine glückliche Zukunft zu bieten. Wenn Gott nicht kommt, um uns zu erlösen, sind wir alle verloren. Aber Gott kam, uns zu erlösen, er sandte seinen Sohn, der uns ähnlich wurde durch das sündhafte Fleisch und wegen der Sünde, und er verdammte in seinem Fleisch die Sünde. In Christus besitzen wir die Erlösung durch seinen Tod. Er hat sich als Lösegeld für uns alle hingegeben. Durch den Tod des Sohnes Gottes wurden wir mit Gott versöhnt. Sein Blut macht uns von allen Sünden rein. In Erfüllung ging, meine lieben Freunde, am Ende der Jahrhunderte, was vor ewigen Zeiten beschlossen war. Jahrtausende sollten erst das „Kyrie eleison“ beten, bis die Engel von Bethlehem das „Gloria“ anstimmten. Der heilige Augustinus, der ja aus der Finsternis des Irrglaubens zum Licht des Evangeliums fand, schrieb einmal: „Ich suchte nach einem Weg, um zur Kraft zu kommen, und ich fand keinen, bis ich mich an den Mittler zwischen Gott und den Menschen klammerte, den Menschen Jesus Christus, der über alles ist Gott hochgelobt in Ewigkeit, ihn, der da ruft: ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.‘“
Amen.