21. Januar 2001
Die Universalität des göttlichen Heilswerkes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Im Laufe der Kirchengeschichte sind immer wieder Männer aufgestanden, welche die Universalität des Heilswerkes Jesu bezweifelten. Ich erwähne die Judaisten, die Prädestinatianer und die Jansenisten. Alle diese Gruppen nahmen bestimmte Kreise, bestimmte Personen vom Heil in Christus aus. Dagegen hat sich die Kirche auf Synoden immer wieder gewandt, hat erklärt, daß das Heil für alle bestimmt ist. Auf dem Konzil von Trient hat sich die Kirche zu der Wahrheit bekannt: „Der himmlische Vater, der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes, sandte Christus, seinen Sohn, zu den Menschen, damit er die Juden, die unter dem Gesetz lebten, loskaufe, damit auch die Heiden die Gerechtigkeit erlangten und alle als Söhne angenommen würden. Ihn hat Gott durch den Glauben in seinem Blut zum Versöhner aufgestellt für unsere Sünden, aber nicht nur für unsere Sünden, sondern auch für die der ganzen Welt.“ Es ist ein Glaubenssatz: Christus ist für alle Menschen gestorben.
Man sollte eigentlich meinen, daß angesichts des klaren Zeugnisses der Heiligen Schrift eine abweichende Meinung nicht möglich wäre; denn die Heilige Schrift spricht doch eindeutig, daß alle Menschen durch Christus erlöst sind, wenn etwa Paulus im Brief an die Römer schreibt: „Wie also durch des einen Sünde auf alle Menschen Verdammnis kam, so kommt auch durch des einen Gerechtigkeit auf alle Menschen Rechtfertigung zum Leben. Wie nämlich durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern geworden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechtigkeit gemacht.“ An einer anderen Stelle, im 2. Korintherbrief, schreibt der Apostel: „Er ist für alle gestorben, damit auch die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für die gestorben und auferstanden ist.“ Im 1. Brief an Timotheus heißt es: „Es ist nur ein Gott, ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Jesus, der sich selbst als Lösegeld für alle dahingegeben hat.“ Und schließlich noch ein letztes Wort aus dem 1. Brief des heiligen Apostels Johannes: „Ja, er ist die Versöhnung für unsere Sünden, doch nicht nur für unsere, sondern auch für die der ganzen Welt.“
Nun gibt es allerdings im Neuen Testament Worte Jesu, die den Leugnern der Universalität der Erlösung scheinbar als Stütze dienen können. Ich erinnere an die Begegnung, die Jesus hatte mit der kanaanäischen Frau. Er war aus dem Lande der Juden hinausgegangen ins heidnische Land, und dort, in der Gegend von Tyrus und Sidon, sprach ihn eine Frau an und bat ihn für ihre Tochter: „Erbarme dich meiner, Sohn Davids, meine Tochter wird arg von einem bösen Geiste gequält.“ Der Herr ist erstaunlich schroff; er entgegnete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger hinzu und baten: „Schick sie doch fort, sie schreit ja hinter uns her!“ Und jetzt kommt das Wort, das manchen als Ausweis dafür dient, daß Christus nicht alle Menschen berufen habe. „Er aber antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“ Hier scheint Jesus eine Beschränkung seines Heilswirkens auszusagen. „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“ Also zu den Juden, nicht zu den Heiden. Doch diese falsche Meinung wird alsbald korrigiert, denn er hat ja die Tochter der kanaanäischen Frau dann doch geheilt. Die Frau war nämlich in ihrem Glauben so stark, daß sie Jesus gleichsam bezwang, ihr zu helfen. Jesus sagte: „Es ist nicht recht, den Kindern das Brot zu nehmen und es den Hündlein vorzuwerfen.“ Da gab sie eine Antwort, die Jesus entwaffnet hat: „Jawohl, Herr, aber auch die Hündlein essen von den Brosamen, die vom Tische ihrer Herren fallen.“ Da antwortete Jesus: „O Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst.“ Und in jener Stunde ward ihre Tochter gesund.
Also Jesus hat bereits zu seinen Lebzeiten sich in seinem Heilswirken nicht auf das Judentum beschränkt. Er hat schon, als er auf Erden wandelte, auch Heiden angenommen, die sich in Vertrauen und Glauben ihm zugewandt haben. Soeben haben wir ja im Evangelium ein zweites Beispiel gehört. Der Hauptmann, der ihn für seinen Knecht bat, war ein Heide, kein Jude. Deswegen sagt der Herr: „So großen Glauben habe ich in Israel (nämlich bei den Juden) nicht gefunden.“ Auch ihm hat er seine Bitte erfüllt. Gewiß, der Weg des Heiles sollte über die Juden zu den Heiden führen. Christus war zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Er sollte die Juden sammeln in seinem Reiche. Aber da erlebte er die Enttäuschung; die Juden ließen sich nicht sammeln. Sie versagten sich seiner Botschaft. Sie sahen in ihm nicht den Messias, sondern einen Usurpator. Sie haben ihn abgewiesen, und sie haben ihn dem Tode überliefert.
Die Juden haben angesichts der Erscheinung des Messias den Glauben verweigert. Und so zog sich der Herr immer mehr zurück, schulte seine Jünger und bereitete sie für die künftige Aufgabe der großen Mission, der Heidenmission, die er ihnen nach seiner Auferstehung auftrug: „Geht hin und lehret alle Völker!“
Was ist nun mit den Juden? Die Juden haben den Glauben verweigert. Seitdem ruht der Fluch auf ihnen, daran führt nichts vorbei. Aber sie sind nicht verworfen. Sie sind nicht verworfen, auch wenn sie den Urheber des Lebens, wie Petrus in seiner Predigt sagt, getötet haben. Sie sind verantwortlich für den Tod Jesu, aber der Herr sucht sie gleichsam zu entschuldigen: Sie wissen nicht, was sie tun. Freilich ist ihre Verantwortung so groß, daß der Herr gleichzeitig bitten muß: „Vater, verzeih ihnen!“ Und die Bitte Jesu um Verzeihung ruft wirksamer zu Gott als das furchtbare Wort: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Die Juden haben Jesus dem Tode überliefert; sie sind schuld am Tode Jesu. Aber sie haben nur vollstreckt, was die ganze Menschheit verursacht hat. Die Juden waren nur die Ausführungsorgane, was die Schuld der Menschheit getan hat. Sie vollstreckten, was die Sündenmacht angerichtet hatte. Denn der Tod Jesu ist ja nicht ein Tod, wie er öfters in der Geschichte vorkommt, daß ein Unschuldiger hingerichtet wird. Nein, sein Tod ist ein Tod, in dem das Geheimnis des Heiles wirksam wird. Es ist ein Tod zugunsten aller Menschen und anstelle aller Menschen. Es ist ein Tod für alle Menschen. Die Juden haben nur vollstreckt, was die Sündenmacht verschuldet hat. Sie haben es ausgeführt, aber man muß zwei Einschränkungen machen: nicht in ihrer Gesamtheit und nicht allein. Zunächst waren für den Tod Jesu verantwortlich, hauptverantwortlich die Führer des Volkes. Sie waren es, die seinen Tod beschlossen haben. Sie waren es, die das Volk aufgehetzt und aufgewühlt haben. Sie waren es, die dem Volke die Forderung in den Mund legten: Nicht diesen, sondern den Barrabas gib uns frei. Das Volk hat freilich zugestimmt, verführbar und unwissend, wie es ist. Das Volk hat zugestimmt, aber seine Schuld ist geringer als die der Führer des Volkes. Es waren auch nur die Juden, die in Jerusalem anwesend waren, und von diesen vielleicht auch nicht einmal alle, sondern nur große Scharen, während die übrigen Juden an diesem Tode keinen Teil hatten.
Sie waren auch nicht allein daran schuld. Jesus wäre niemals zu Tode gebracht worden, wenn nicht die römische Besatzungsmacht ihn zum Tode verurteilt hätte. Die Juden haben ihn, Jesus, dem Pontius Pilatus überliefert, und er, der das ius gladii, der das Schwertrecht hatte, er hat Jesus zum Tode verurteilt. Das römische Imperium ist an diesem Tode mitbeteiligt.
Der Apostel Paulus hat am Schicksal seines Volkes furchtbar gelitten. Es war ihm ein unerklärliches Rätsel, daß sein Volk den erschienenen Messias nicht erkannt hat. Noch heute warten die Juden auf den Messias. Sie meinen, sie seien immer noch in der Zeit zwischen Abraham und dem Erscheinen des Messias. Paulus war das unbegreiflich, wie man Jesus den Glauben verweigern konnte, aber er hat Trostgründe gehabt für die Glaubensverweigerung seines Volkes, nämlich vier Trostgründe:
1. Das jüdische Volk war das auserwählte, und das wurde von Gott nicht rückgängig gemacht. Es hatte die Herrlichkeit, die Sohnschaft, die Annahme als Söhne, es hatte die Bundesschließung, es hatte das Gesetz, es hatte die Väter Abraham, Isaak, Jakob, es hatte die Verheißung, und aus ihm stammte Jesus nach dem Fleische. Das war der erste Trost, den Paulus hatte. Das auserwählte Volk war großer Vorzüge von Gott gewürdigt worden.
2. Nicht das ganze Volk ist ungläubig gewesen. Ein Teil des Volkes hat sich zu Jesus bekehrt. Seine Jünger waren Juden, die Apostel waren Juden. Die große Menge derer, die sich in der Frühzeit der Kirche in Jerusalem anschlossen, waren Juden. Also nicht das ganze Volk hat sich dem Messias verweigert, sondern nur der größere Teil. Das war der zweite Trost, den Paulus hatte.
3. Selbst die Glaubensverweigerung der Juden sollte zum Heile dienen. Denn darum, daß das Volk nicht in seiner Gesamtheit sich dem Messias anschloß, mußte ein neues Gottesvolk gebildet werden, eben das Gottesvolk aus den bekehrten Juden und aus den bekehrten Heiden. So hat also die Glaubensverweigerung des jüdischen Volkes in der Heilsgeschichte noch eine positive Bedeutung, nämlich sie diente dazu, das Bundesvolk des Neuen Bundes ins Leben zu rufen. Das war der dritte Trost, den Paulus hatte.
Und dann war noch ein vierter, nämlich: Die Akten Gottes über dem jüdischen Volk sind noch nicht geschlossen. Gott hat noch seine Pläne mit diesem Volke. Er züchtigt es, er straft es, es brechen immer neue Katastrophen über dieses Volk herein, aber dies geschieht nicht aus dem Haß Gottes, sondern aus seiner Liebe. Er will dieses Volk durch seine Zuchtrute zur Bekehrung führen, und Paulus ist überzeugt, daß Gott letztlich Erfolg haben wird. Am Ende wird sich das jüdische Volk bekehren. Es wird in Christus den Messias erkennen; die Vollendung der Welt wird nicht eher eintreten, bis sich das jüdische Volk bekehrt hat. Wer also auf die Endvollendung hofft, der hofft gleichzeitig auch auf die Bekehrung des jüdischen Volkes.
Gewiß, meine lieben Freunde, wir können uns das schwer vorstellen, denn wir wissen, wie ablehnend die Juden von heute gegen das Christentum sind, wie sie noch immer in ihrem Talmud die verwerflichsten Urteile über Jesus und Maria lesen. Aber wie sagt der Engel zu Maria: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Also ist auch nicht unmöglich, daß die Juden sich einmal bekehren.
Das Heil ist wegen der Glaubensverweigerung der Juden zu den Heiden hinübergegangen. Die große Masse der Kirche ist aus bekehrten Heiden zusammengesetzt, und der Herr hat schon eindeutig zu seiner Lebzeit vorausgesagt, wenn er verkündet, es werden viele von Osten und Westen, also von heidnischen Ländern, kommen, um mit den Kindern Abrahams, Isaaks und Jakobs zu Tische zu sitzen. Das heißt: Die Heiden werden den Messias erkennen und sich bekehren. Er hat damit nur aufgenommen, was schon im Alten Testament vorherverkündet war, etwa beim Propheten Isaias: „Am Ende der Tage wird es geschehen, daß der Berg mit dem Hause des Herrn festgegründet dasteht zu Häupten der Berge, erhaben über die Höhen. Dann strömen zu ihm alle Völker zusammen. Viele Nationen wallen dorthin und sprechen: Kommt, laßt uns hinaufziehn zum Berge des Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs. Er lehre uns seine Wege. Wir wollen wandeln auf seinen Pfaden.“ Diese Verheißung hat sich erfüllt. Millionen und Abermillionen aus den Heidenvölkern sind jetzt im neuen Gottesvolk versammelt.
Jesus ist für alle Menschen gestorben. Sein Heil ist für alle Menschen bestimmt. Aber wir müssen unterscheiden, meine lieben Freunde, die Bestimmung des Heils für alle Menschen und die Auswirkung des Heils an allen Menschen. Das Heil soll zu allen Menschen kommen. Christus will, daß alle in sein göttliches Leben eintreten. Er will, daß sein Sieg über Sünde, Tod und Teufel von allen ergriffen wird. Er will, daß alle sich seine Genugtuung aneignen. Aber ob es alle tun, das ist eine andere Frage. Deswegen, meine lieben Freunde, kann ich meine Bedenken nicht verbergen, wenn es in den Texten der Neuen Messe immer heißt: „...das Blut, das für euch und für alle vergossen wird.“ Im Neuen Testament heißt es: „Für viele.“ Der griechische Text spricht von „vielen“, nicht von „allen“. Man kann den Text richtig verstehen, und wenn man sagt, daß das Opfer Christi, daß das Blut Christi für alle ausreichend ist, dann ist das richtig, aber wenn man dabei denkt, daß es auch allen tatsächlich zugute kommt, dann ist es falsch; denn der Segen des Opfers Christi breitet sich nicht naturhaft über die Menschen aus, so daß alle gewissermaßen ohne ihre Zustimmung vom Blute Christi gereinigt werden. Nein, die Erlösung geht nur auf die über, die sich frei und verantwortlich ihr zuwenden. Nur wer sich ausstreckt zu Jesus, nur wer ihn ergreift, nur der wird erlöst. Und dieses Ausstrecken und dieses Ergreifen geschieht im Glauben und in den Sakramenten. Wer den Glauben verweigert, wer die Sakramente ablehnt, der kann auch des Heiles nicht teilhaftig werden. Teilhaftig werden kann nur, wer teilhaftig werden will, und wollen kann nur, wem Gott die Kraft zum Wollen gibt. Der Mensch ist aufgerufen, in die Bewegung der Gnade einzustimmen, aber er bleibt verantwortlich dafür, ob die Gnade in ihm zum Ziele kommt oder nicht. Das ist die furchtbare Verantwortung, das ist der furchtbare Ernst, der dem Glaubenssatz anhaftet: „Christus ist für alle Menschen gestorben.“ Jawohl, der Satz bleibt richtig, aber ob alle die Seligkeit des Todes Christi auch gewinnen, das hängt von ihnen ab. Gott nimmt den Menschen ernst, er nimmt ihn so ernst, daß er demjenigen, der ihm den Glauben verweigert, die Hölle androht.
So wollen wir in diese Stunde, meine lieben Freunde, in der wir uns über die Reichweite des Todes Christi klar zu werden versuchten, das Gebet an unseren Herrn richten:
„Herr, wir lassen nicht von dir. Du mußt uns Leben geben, und deinen Namen wollen wir anrufen. Zeig uns dein Angesicht, und wir sind heil. Gedenke unser, Herr, gedenke in Gnaden deines Volkes. Such uns heim in heilendem Willen. Zeig uns dein Angesicht, und wir sind heil.“
Amen.