Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Kommt, laßt uns Gott anbeten (Teil 6)

22. Dezember 1991

Das Sonntagsgebot

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das 1. Kirchengebot lautet: „Du sollst die gebotenen Feiertage halten.“ Das 2. Kirchengebot schließt sich ihm an: „Du sollst an jedem Sonn- und Feiertag eine heilige Messe mit Andacht hören.“ Diese beiden Gebote gehören zusammen, sie ergänzen sich. Es ist eine naturrechtliche Forderung, daß der Mensch Zeit ausspart von der Arbeit für höhere Betätigungen, vor allem für die Gottesverehrung. Wenn wir sagen, es handelt sich hier um Kirchengebote, so ist das natürlich nicht falsch, aber diese Kirchengebote kodifizieren göttliches Recht. Was in diesen Kirchengeboten geboten wird, das ist schon von Gott vorgeschrieben, daß man nämlich Zeit ausspart für Gott, daß man die Arbeit ruhen läßt und der Erholung, aber auch der seelischen Erhebung und der Gottesverehrung Zeit widmet. Die leibliche Natur des Menschen zwingt dazu, die Gottesverehrung nicht nur im Geiste, sondern auch im Körper darzubringen, und seine soziale Natur veranlaßt, daß diese Gottesverehrung in Gemeinschaft vor sich geht.

Der Ursprung des Sonntagsgebotes liegt in der Heiligen Schrift. Es war im Alten Bunde Sache der Autorität, den Tag festzulegen, der Gott gewidmet sein soll. Im Alten Bunde war es der Sabbat, zur Erinnerung an die Vollendung des Schöpfungswerkes. Im Neuen Bunde ist es der Sonntag, zur Erinnerung an die Auferstehung, das Heilsgeheimnis, das im Mittelpunkt des christlichen Glaubens steht, und zur Erinnerung an die Geistsendung zu Pfingsten. Auferstehung und Geistsendung haben den christlichen Glauben und die christliche Kirche begründet. Deswegen hat die Kirche den Sonntag als den Ruhetag, als den Festtag, als den Feiertag, als den Gebetstag eingesetzt. Schon im Neuen Testament ist zu erkennen, daß der Sonntag der dem Herrn geweihte Tag war. Als Paulus in Kleinasien, der heutigen Türkei, in Troas weilte und dort mehrere Tage blieb, da heißt es in der Apostelgeschichte: „Und am ersten Tage der Woche kamen wir zum Brotbrechen zusammen“. Der erste Tag der Woche ist der Sonntag. Wir haben noch ein anderes Zeugnis für die Sonntagsfeier im Neuen Testament. Als der Apostel Johannes verbannt wurde auf die Insel Patmos, da hat er an einem bestimmten Tage göttliche Geheimnisse offenbart erhalten, und zwar „am Tage des Herrn wurde ich vom Geiste erfüllt“. Der Tag des Herrn ist nichts anderes als der Sonntag, der dem Herrn geweihte Tag, der dem Herrn gehörige Tag. Das ist der Ursprung der Sonntagsfeier. Die Kirche kodifiziert göttliches Recht.

Der Inhalt der Sonntagsfeier besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist die Verpflichtung, eine heilige Messe zu hören. Die heilige Messe ist in körperlicher Gegenwart zu hören. Man kann sich nicht von der Teilnahme am Meßopfer dadurch entschuldigt halten, daß man einer Meßfeier am Fernseher beiwohnt. Das ist keine körperliche Gegenwart, sondern das ist eine Gegenwart durch das Bild. Wir sind aber zu körperlicher Gegenwart verpflichtet, und die körperliche Gegenwart muß getragen sein vom Geiste. Man muß wenigstens die virtuelle Intention haben, die Messe mitzufeiern, also den einmal gefaßten Entschluß, durch die Meßfeier Gott zu verehren. Man muß auch die ganze heilige Messe mitfeiern, alle Hauptteile; auch die Predigt gehört dazu. Die Predigt ist ein Bestandteil der heiligen Messe, und deswegen ist auch die Predigt verpflichtend vorgeschrieben für die Heiligung des Sonntags.

Der zweite Teil der Sonntagspflicht, nämlich die Arbeitsenthaltung, steht im Dienste des ersten. Unser kirchliches Gesetzbuch sagt, daß die Enthaltung von Arbeit notwendig ist, damit die dem Herrentage eigene Freude, die Erholung von Geist und Körper, aber auch vor allem die Gottesverehrung zu ihrem Recht kommt. Man kann nicht weiterarbeiten und gleichzeitig Gottesverehrung betreiben, und man muß auch dem Körper die notwendige Erholung gönnen. Früher hat man die verbotenen Arbeiten als knechtliche Arbeiten bezeichnet, opera servilia. Knechtliche Arbeiten sind jene, die früher von den Sklaven verrichtet wurden, also Handarbeiten im Unterschied zu den von den Freien verrichteten Arbeiten wie Kunst, Unterricht, Bildung. Die heutige Umschreibung der Pflichten des Sonntags zeigt, daß die Enthaltung von Arbeit im Dienste höherer Werte steht. Es geht nicht um das Nichtstun, sondern es geht um die Erhebung des Geistes, es geht um das Freisein für Gott, es geht auch um die Freude, die nun einmal durch schwere körperliche Arbeit getrübt wird. In diesem Sinne ist also die Arbeitsenthaltung zu verstehen.

Die Bedeutung des Sonntags kann überhaupt nicht überschätzt werden. Sie ist eine sittliche, eines sozialethische und eine religiöse. Die Bedeutung des Sonntags ist eine sittliche, d.h. sie hängt mit dem Sittengesetz zusammen. Der Mensch braucht eine Zeit, um von den Sorgen und Mühen des Alltags abzulassen. Er muß einmal seine Augen auf Höheres richten. Der Mensch verkommt, wenn er keine Feierkleider mehr anzieht. Er muß einmal die Plackereien und Mühen der Werktage dahinten lassen, um sich höheren Betätigungen zu widmen. Der Sonntag hat auch sozialethische Bedeutung, nämlich er soll die Familienbande festigen. Am Sonntag soll die Familie eins sein, eins auch in der Gottesverehrung. Da soll auch die Verbindung mit der Kirche geknüpft werden durch den Besuch des Gottesdienstes, durch die Gemeinschaft mit den Gläubigen. Da soll natürlich auch den hart Arbeitenden die notwendige Erholung gegönnt sein. Es ist ja merkwürdig,  meine lieben Freunde, daß der Sonntag viel mehr geschätzt war, als die Arbeitszeit länger war denn heute, wo sie so verkürzt ist. Es gibt kein Land der Welt, in dem weniger gearbeitet wird als in Deutschland. In Deutschland beträgt die jährliche Arbeitszeit 1.651 Stunden, in Japan beträgt sie 2.201 Stunden. Trotz dieser erheblichen Erleichterung ist der Sonntag heute weniger denn je geschätzt. Wir werden gleich noch auf die Gründe einzugehen haben. Vor allem aber die religiöse Bedeutung des Sonntags ist wichtig. Der Mensch braucht den Kontakt mit Gott. Er braucht die Verbindung mit der Kirche. Er braucht das heilige Meßopfer. Natürlich kann man auch am Strande fromme Gedanken hegen oder im Walde sich zu Gott erheben, aber da ist nicht das Meßopfer, da ist nicht der sich opfernde Christus gegenwärtig, da ist nicht die Gemeinschaft der Opfernden mit dem Priester an der Spitze. Das alles ist nur zu finden in einer katholischen Kirche, wo ein würdiger Priester das heilige Meßopfer feiert. Ich habe in meinem 40jährigen Priesterleben viele Menschen kennengelernt,  meine lieben Freunde. Ich habe noch nie einen verlorengehen sehen, der die Sonntagsfeier gehalten hat, aber ich habe oft erlebt, wie die Religion und dann auch die Sittlichkeit nachließ oder verloren ging bei denen, die schuldhaft die Sonntagsfeier unterlassen haben. Der Katholik kann nicht ohne Messe sein. Er kann sein Katholischsein nicht ohne Messe bewahren. Für diese Messe sind die Christen in der Verfolgungszeit in den Tod gegangen. Wir haben Martyrerakten, also gerichtliche Protokolle über Prozesse gegen Christen. In einem dieser Protokolle, wo 49 Christen bei der Feier der Sonntagsmesse von Häschern überfallen und nach Karthago geschleppt wurden, fragte der Richter im Verhör den Priester: „Hast du gegen des Kaisers Verbot diese Leute da beim Gottesdienst versammelt?“ „Ja, wir haben ruhig unseren Gottesdienst gehalten.“ „Warum?“ „Weil der Sonntagsgottesdienst nicht unterbleiben darf. So lehrt, so befiehlt uns das Gesetz.“ Der Priester wurde zur Folter abgeführt. Noch ehe er unter Pfeilen starb, stand schon der lector emeritus vor dem Richter: „Ich bin an allem schuld. In meinem Haus war die Versammlung.“ Der Richter fragte ihn: „Warum hast du das nicht unterlassen?“ „Das durfte ich nicht, denn wir Christen können nicht ohne Sonntagsgottesdienst sein.“ Auch er wurde furchtbar gemartert, nach ihm die übrigen Glaubensgenossen, die immer wieder versicherten: „Wir sind Christen, wir können nicht anders handeln, wir müssen Gottes heiliges Gesetz beachten, auch wenn es unser Blut kostet.“ Endlich kam die Reihe an den Jüngsten mit Namen Hilarius. Er sagte: „Ich bin Christ. Aus eigenem Antrieb habe ich mit meinem Vater und den Brüdern am Gottesdienst teilgenommen.“ Der Richter drohte ihm die Nase und die Ohren abschneiden zu lassen. „Tu, was du willst“, war die Antwort des kleinen Helden. Er wurde abgeführt und bestätigte noch die Entlassung zum blutigen Opfergang mit dem „Deo gratias“, Dank sei Gott, des heiligen Opfers. Wir katholische Christen können nicht ohne den Sonntagsgottesdienst, ohne die heilige Messe sein.

Deswegen, meine lieben Freunde, ist es nach richtiger Überzeugung schwere Sünde, den Sonntagsgottesdienst zu versäumen. Wer schuldhaft und in klarer Erkenntnis des Gebotes dieses Gebot übertritt, begeht eine schwere Sünde. Sie werden sagen: Dann begehen aber sehr viele diese schwere Sünde. Ich antworte: Eine Sünde hört nicht dadurch auf, eine Sünde zu sein, daß viele sie begehen. Der Heiland sagt: „Die Straße ist breit, die zum Verderben führt, und viele gehen sie. Der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige finden ihn.“ Es ist uns also vorausgesagt, daß die Masse den Weg ins Verderben geht, und wir dürfen daran, wenn es die Wahrheit ist, keinen Anstoß nehmen. Die Menschen haben die Kenntnis des Willens Gottes erlangt. Sie sind verantwortlich für den Gehorsam gegen diesen Willen, und sie werden nach dem Maße ihrer Verantwortlichkeit gerichtet werden.

Selbstverständlich gibt es Entschuldigungsgründe. Wer krank ist, ist entschuldigt, die heilige Messe zu besuchen. Wer durch eine Arbeit festgehalten ist, die nicht unterbrochen werden kann, ist entschuldigt. Man kann die Hochöfen am Sonntag nicht löschen; sie müssen immer unterhalten werden. Die Verkehrsbetriebe müssen auch am Sonntag ihren Dienst verrichten, und die häuslichen Arbeiten müssen auch am Sonntag weitergehen. Das alles ist vom Sonntagsgebot überhaupt nicht betroffen. Die das tun, sind entschuldigt und brauchen im Gewissen nicht beunruhigt zu sein. Es geht um jene, die unnötige, überflüssige Arbeiten verrichten oder jene, die schuldhaft die heilige Messe versäumen.

Als die sogenannte Liturgiereform vor sich ging, da sagte ein bekannter Theologe: „Wenn einmal die Messe ganz in Deutsch sein wird, dann werden die Kirchen die Gläubigen nicht fassen können.“ Das war offensichtlich eine Illusion. Die Messe ist jetzt ganz deutsch, und der Gottesdienstbesuch ist in einem katastrophalen Maße zurückgegangen. Als ich vor 25 Jahren nach Budenheim kam, hatten wir hier etwa 25  Prozent Gottesdienstbesucher. Jetzt sind es noch 10 Prozent.

Die Ursachen für diese Verhältnisse sind verschiedener Art. Selbstverständlich hat die Minderung der Arbeitszeit dem Sonntag Abbruch getan. Die Menschen haben den Sonntag gewissermaßen nicht mehr nötig. Sie legen ja schon am Freitag um 12 Uhr oder um 2 Uhr die Hände in den Schoß und haben dann Ruhe bis Montagmorgen. Da wird der Sonntag nicht mehr genügend herausgehoben. Ich halte es auch für eine gefährliche Entwicklung, von kirchlicher Seite dazu beizutragen, den Sonntag eucharistiefrei zu gestalten durch die Samstagabend-Messe. Auf diese Weise ist es möglich, daß jemand am Sonntag eben nicht zur heiligen Messe geht.  Er hat sie gewissermaßen schon vorweggenommen. Aber der Sonntag wird dadurch ausgehöhlt; dem Sonntag fehlt dann das Kernstück, das Herzstück. Es kommt natürlich dazu, daß der gesamte religiöse Bewußtseinsstand unserer Gläubigen in den letzten Jahrzehnten eminent gemindert worden ist, oder sprechen wir es deutlicher aus: Der Glaube bei Unzähligen ist erschüttert worden. Durch die verschiedensten Ursachen innerkirchlicher und außerkirchlicher Art haben viele früher Gläubige den Glauben verloren. Wer keinen Glauben mehr hat, dem kann man auch nicht mit Kirchengeboten kommen. Wer keinen Glauben mehr hat, der schätzt nicht mehr das, was die Kirche anzubieten hat. Vor einiger Zeit sagte mir ein Vater, der vier Töchter hat, er habe seine Töchter aufgefordert, den Sonntagsgottesdienst zu besuchen, aber die jüngste habe ihm gesagt: „Das gibt mir nichts.“ Ja, warum gibt es ihr nichts? Ja, weil sie nicht an den Inhalt dessen glaubt, was da vor sich geht. Für das, was ihnen etwas „gibt“, bringen die Menschen die größten Opfer. Im Festspielhaus von Bayreuth halten sie bei manchmal bis 40 Grad Wärme stundenlang, 5 Stunden bei den Meistersingern, aus. Es werden Leute ohnmächtig hinausgetragen, aber das hindert nicht, daß viel mehr Kartenwünsche vorhanden sind, als Karten vorhanden sind. Das schätzen die Menschen. Sie gehen hingegen nicht in die Messe, weil sie die Messe nicht mehr schätzen, und sie schätzen sie nicht, weil sie nicht mehr an den Inhalt dessen glauben, was da vor sich geht. Es wäre also, wenn eine Wende, wenn eine Neuevangelisierung einsetzen soll, damit zu beginnen, den Glauben wieder aufzubauen, den Glauben an die heilige Messe, den Glauben an das unverzichtbare Geschehen auf dem Altare, den Glauben an die wahre Gegenwart unseres Gottes und Heilandes. Wer das glaubt, der wird die größten Mühen auf sich nehmen, um zur heiligen Messe zu finden.

Schätzen wir, meine lieben Freunde, die heilige Messe! Halten wir auch die Werktagsmesse, soweit es möglich ist, weil die Werktagsmesse die Sonntagsmesse schützt. Wer auch am Werktag die heilige Messe besucht, der hat gewissermaßen schon ein Polster, auf das er sich zurückziehen kann, wenn einmal die Zeit knapp ist. Schätzen wir die heilige Messe, indem wir uns vertiefen in das Geheimnis der Opferung Christi, der wir uns anschließen! Schätzen wir die wirkliche Gegenwart Christi in der heiligen Wandlung! Nehmen wir mit Ehrfurcht und Dankbarkeit an diesem Geschehen teil, und heiligen wir den Sonntag, damit der Sonntag uns heiligt.

Amen.

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