19. Februar 2023
Sehend werden und hörend
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Das Evangelium des letzten Sonntags der Vorfastenzeit besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil sagt der Herr sein Leidensschicksal voraus. „Wir ziehen hinauf nach Jerusalem.“ Der Herr ist von Galiläa jordanabwärts gezogen bis Jericho, wie es die meisten Festpilger aus dem Norden des Landes taten. Nun beginnt der steile Aufstieg aus dem Jordantal. Jerusalem liegt 700 bis 850 Meter über dem Meeresspiegel. „Dort wird alles in Erfüllung gehen, was die Propheten über den Menschensohn geschrieben haben.“ Jesus sagt das Geschick, das ihn erwartet, in allen Einzelheiten voraus. Er wird den Heiden ausgeliefert werden. Das ist etwas Furchtbares für einen Juden, einen Angehörigen des auserwählten Volkes. Ausgestoßen aus der heiligen Gemeinschaft in eine unheilige Welt wie ein räudiges Schaf. Eine größere Schmach kann einem Angehörigen dieses Volkes nicht widerfahren. Daran knüpft Jesus die Vorhersage der Plagen und Qualen, die danach folgen. Er wird verspottet, misshandelt und angespuckt werden, man wird ihn geißeln und töten. Wie sich diese Misshandlung zwischen Juden und Heiden aufteilen, sagt er nicht. Jesus weiß um sein Schicksal. Der Vater im Himmel hat ihn belehrt. Es ist müßig, an der Geschichtlichkeit der Leidensvorhersagen Christi zu rütteln. Er fügt an die Vorhersage seines Leidens und Sterbens auch die Verheißung der Auferstehung, des Wiederlebendigwerdens. Doch als er beides beendet hat, blickt er in verständnisleere Augen. Die Jünger haben seine Worte gehört, aber nichts begriffen. Lukas häuft die Ausdrücke des Nichtverstehens. Er sagt in drei Sätzen hintereinander inhaltlich immer wieder dasselbe: Sie verstanden nicht.
Man sagt dem Menschen nach, dass er die Fähigkeit habe, etwas schwer oder gar nicht zu hören, was er nicht hören will. Das Nichthörenwollen und das Weghören ist der Versuch, Beschwerlichem, Unangenehmem aus dem Wege zu gehen. Im privaten Leben mag das Nichthören manchmal keine schwerwiegenden Folgen haben. Aber es kann schlimm ausgehen, wenn Menschen in führenden Positionen Unangenehmes nicht hören wollen. Dann verpassen sie die Wirklichkeit. Im Januar 1945 bereitete sich die Rote Armee auf breiter Front zum letzten Angriff vor. Als der Generalstabschef Hitler die Meldung von der gewaltigen Überlegenheit der sowjetischen Streitkräfte vortrug, nannte er diese Warnung „völlig idiotisch“ und verlangte, den Chef Fremde Heere/Ost, auf den die Meldung zurückging, sofort in ein Irrenhaus zu sperren. Er wollte nicht hören, was ihm nicht gefiel.
Seit Jahrzehnten gehen in der Kirche Geschehnisse vor sich, die gläubige Christen beunruhigen und besorgt machen müssen. Es fing damit an, dass die jungfräuliche Empfängnis Jesu im Schoße Mariens, die wahre Gottessohnschaft Christi, seine wunderbare Auferstehung geleugnet oder ausgehöhlt wurden. Es ging damit weiter, dass die Existenz innerlich böser Handlungen bestritten wird, die Gebote der geschlechtlichen Sittlichkeit bagatellisiert werden, die Sünde verharmlost wird. Schließlich ist man dahin gelangt, dass die sogenannte Lebenswirklichkeit, also wie sich die Menschen tatsächlich verhalten, als Quelle der Offenbarung und Bestandteil des kirchlichen Glaubens ausgegeben wird. Das alles sind fundamentale Verirrungen. Diese gefährlichen, abwegigen und glaubensschädlichen Aufstellungen gehen von angestellten Lehrern der Kirche aus. Sie blieben nicht unbemerkt, wurden vielmehr von wachsamen Christen beanstandet und zur Anzeige gebracht. Doch ohne Erfolg. Die Kirchenoberen haben jahrzehntelang zu den Verstößen gegen die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche geschwiegen. Sie haben gegen Ungehorsam und Verwirrung nichts unternommen. Jetzt kommt die Quittung für ihr Wegsehen und Weghören. Die Auflehnung gegen die verbindliche Lehre der Kirche hat die Ebene der Bischöfe erreicht. Der sogenannte synodale Prozess ist die Revolte innerhalb der katholischen Kirche, angestoßen und getragen von den Bischöfen. Die Bischöfe haben zu ihrem Teil aufgehört, Lehrer des Glaubens zu sein.
Der zweite Teil des heutigen Evangeliums berichtet von einem blinden Bettler. Er hat offensichtlich bereits gehört von dem großen Wundertäter aus Nazareth. Nun erfährt er, dass er mit seinen Jüngern vorüberzieht. In seiner Not schreit er ihn richtig an: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Diese Anrede setzt voraus, dass er weiß: Jesus ist der verheißene Messias aus dem Stamm Davids. Vom Messias erwartete man, dass er die Blinden heilen werde (Is 35,5; Mt 11,5 = Lk 7,22), und das lässt den blinden Bartimäus Hoffnung fassen. Den Begleitern Jesu ist er lästig. Sie schelten ihn, er solle schweigen. Aber der Blinde schreit noch viel lauter: „Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Jesus weist sein Bekenntnis und seine Bitte nicht zurück. Er bleibt stehen und sagt: „Ruft ihn!“ Das ändert die ganze Lage. Die Begleiter Jesu wenden sich zu dem Blinden und sagen zu ihm: „Sei getrost, steh auf, er ruft dich!“ Da wirft er den Mantel weg, springt auf und kommt zu Jesus. Der Herr fragt ihn: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ Jesus weiß selbstverständlich, welches Anliegen der Blinde hat. Aber er fragt ihn danach, um ihn zu einer Äußerung seines Glaubens zu veranlassen. Der Blinde antwortet: „Herr (= Rabbuni), ich möchte wieder sehen können.“ Aus der Anrede Rabbuni (= mein Herr), der ehrfurchtsvollen Steigerung des schlichten Rabbi, spricht die Ehrfurcht vor dem Messias. Jesus untersucht ihn nicht, fragt nicht nach der Ursache der Blindheit, nimmt keine Anamnese des Leidens vor. Er spricht nur: „Sei sehend; dein Glaube hat dich gerettet.“ Ein Wort, ein einziges Wort, nicht mehr. Aber dieses Wort ist ein mächtiges Wort, ist ein schöpferischer Befehl: Sei sehend. Und tatsächlich: Was er sagt, geschieht. Der Blinde sieht wieder. Ein ungeheuerliches Ereignis ist geschehen. Jesus wirkte sein letztes, von den Synoptikern erzähltes Heilungswunder. Aber Jesus hat ihm nicht nur das Augenlicht geschenkt, sondern auch die Schau der Seele, den Glauben. Der Blinde schließt sich Jesus an und folgt dem Sohn Davids auf seinem Wege. Er ist für Jesu Volk und Reich gewonnen.
Es ist etwas Schreckliches um die religiöse Blindheit vieler Menschen. Sie kennen Gott nicht und bemühen sich nicht, ihn kennenzulernen. Sie wissen nichts von Jesus und unternehmen keine Anstrengung, sich über ihn kundig zu machen. Sie haben keinen Drang, sich über Wesen und Wirken der Kirche zu informieren. Ihre Unwissenheit und Verlorenheit muss uns zu Herzen gehen. Wir dürfen unsere Mitmenschen nicht der Unwissenheit und der Desorientierung überlassen. Wir müssen versuchen, sie aufzuklären und zu unterrichten. Wir dürfen auch nicht zusehen, wie immer mehr Christen durch Täuschung und Irreführung aus dem mystischen Leib Christi gerissen werden. Wir müssen, so viel an uns liegt, den Strom des Abfalls zum Versiegen bringen.
Sie fragen vielleicht: Was können wir tun? Wir sind alt, müde, verbraucht, sagen die einen; wir sind unbekannt, unbedeutend, isoliert, sagen die anderen. Zuerst müssen wir uns selbst Kenntnisse verschaffen. Unsere religiöse Bildung erweitern. Sich nicht begnügen mit dem Wissen, das wir in Kindertagen erworben haben. Was kann man tun, um die Lücken unseres Gedächtnisses zu füllen? An erster Stelle: den Katholischen Weltkatechismus anschaffen und lesen. Hier ist unser Glaube vollinhaltlich zu finden. Sodann: Die drei Bände über unseren Herrn Jesus von Benedikt XVI. erwerben und sich zu eigen machen; 29 Euro! Weiter: Die zuverlässigen Zeitschriften halten und lesen: den „Fels“, das „Theologische“, die „Una Voce Korrespondenz“, die „Tagespost“. Die über das Land verstreuten Initiativkreise geben Blätter heraus, von denen manche geeignet sind, den grassierenden Irrlehren wirksam zu begegnen. Dann auf die Menschen zugehen. Zeugnis geben vom Glauben. Schon scheinbar achtlos hingeworfene Worte können andere Menschen zum Nachdenken bewegen. Zum Beispiel: Ich gehe zum Gottesdienst. Ich bete für Sie. Dieses letzte Wort kann, wenn es spürbar ernst gemeint ist, echte Freude, ja Ergriffenheit wecken. Das Kreuzzeichen machen. Ein religiöses Symbol tragen. Man kann Menschen, bei denen es angebracht ist, ein Heiligenbild, eine Medaille, einen Rosenkranz schenken. In einer Stellung an der Ostfront zerteilte ein katholischer Soldat auf die Bitten der Kameraden seinen Rosenkranz. Wir können andere Menschen auf die katholischen Fernsehsender aufmerksam machen: K-TV, Gloria TV. Wir können sie auf die täglichen Übertragungen von den Gottesdiensten aus Davos, Wemding und Semmering verweisen. Wir können sodann Schriftenapostolat betreiben. Geeignete Druckwerke empfehlen und vertreiben. Es gibt heute zahllose billige Kleinschriften religiösen und apologetischen Inhalts. Wir sollten sie erwerben und anderen zukommen lassen. Ich selbst durchstreife Budenheim und werfe in die Briefkästen gute religiöse Literatur. Die Broschüre von Ulrich Filler „Deine Kirche ist ja wohl das Letzte“ ist in einer halben Million Exemplare verbreitet. Der Lebensbericht des konvertierten evangelischen Pfarrers Andreas Theurer „Warum werden wir nicht katholisch?“ hat mehrfache Auflagen erlebt. Geben wir ihn weiter. Die Schriften von Gabriele Kuby und Christa Meves können Sie unbedenklich erwerben, empfehlen und verschenken. Sie sind für die Erziehung und Selbstbildung des christlichen Menschen von höchstem Wert. Sagen Sie nicht, diese Bemühungen seien vergeblich. Sie sind wirksam. Durch sie haben viele Menschen Argumente gewonnen zur Abwehr von Irrtümern. Der evangelische Theologe Heinrich Schlier hat als Beginn seines Weges zur katholischen Kirche diese Kleinschriften angegeben. Wir können weiter anderen empfehlen, zur Predigt zu kommen. Durch die Predigt ist die Kirche geschaffen worden. Gute Predigten, von überzeugten Priestern vorgetragen, können Menschen für unsere heilige Religion gewinnen. Seit vielen Jahren stellen apostolisch gesinnte Christen meine Predigten in das Internet. Lange habe ich mich dagegen gesträubt. Aber sie haben mir versichert: Sie erbauen mit Ihren Predigten die Leser oder Zuhörer. Sie festigen ihren Glauben. Dann habe ich zugestimmt. O meine Christen! Die meisten Menschen weisen die Wahrheit ab, weil sie sie nicht kennen. Machen wir sie damit bekannt. Lassen wir unseren Heiland nicht allein. Reihen wir uns ein in die Zahl seiner Apostel. Er hat keine anderen Hände als die unseren. Er hat keine anderen Beine als unsere. Tragen wir seine rettende Botschaft zu den Menschen unserer Umgebung. Die Studenten, die Mitglieder der Weißen Rose waren, haben unter Lebensgefahr versucht, die Zeitgenossen von der Verruchtheit des Naziregimes zu überzeugen. Versuchen wir, die Menschen unserer Zeit zu ihrem Heile zu Jesus, dem Heiland der Welt, zu führen.
Amen.