23. Juni 2002
Die Tröstungen des Herrn
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir haben aus den Abschiedsreden des Herrn die letzten Weisungen und Aufträge vernommen, die er seinen Aposteln und durch sie und über sie uns geben wollte. Wir wollen heute die Tröstungen betrachten, die uns der Herr in seinen Abschiedsreden hinterlassen hat. Das Christentum ist auch eine Religion des Trostes, und es gibt viele herrliche, tröstliche Wahrheiten in unserem Glauben. Wir wollen also die Tröstungen betrachten, die uns Jesus gibt im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Das sind jeweils verschiedene, wenn auch zusammengehörige Tröstungen.
Zunächst die Tröstung im Namen des Vaters. Da sagt der Herr: „Der Vater wird euch lieben, weil ihr mich geliebt und an mich geglaubt habt, daß ich von Gott ausgegangen bin. Und darum wird er euch alles geben, um was ihr in meinem Namen bitten werdet, denn er selbst wird euch lieben.“ Daß Gott uns liebt, ist eine grundlegende Wahrheit unseres christlichen Glaubens, daß nicht ein augenloses Fatum über der Erde waltet, sondern daß ein liebender Vater die Welt regiert. „Der Vater wird euch lieben.“ Es ist dies die große, tröstliche Wahrheit, die das Leben unseres Heilandes erfüllt hat. Das ist das einzige, was ihn getragen hat, gestützt und geborgen gemacht hat: Der Vater liebt mich. Und dasselbe sagt er jetzt von uns: „Der Vater liebt euch. Der Vater wird euch lieben.“ Er gibt auch den Grund an, warum der Vater uns liebt, „weil ihr mich geliebt und an mich geglaubt habt“. Das ist der Grund für die Liebe des Vaters, weil wir seinen Sohn angenommen haben, weil wir uns zu ihm bekannt haben, weil wir ihn geliebt und weil wir an ihn geglaubt haben. Jetzt wissen wir, wie wir in der Liebe des Vaters bleiben. Wenn wir den Sohn lieben und an ihn glauben, wenn wir uns an ihn hängen und sagen: „Mein Jesus, nimm mich mit!“, dann liebt uns der Vater.
Die Folge dieser Liebe wird sein: „Er wird euch alles geben, um was ihr in meinem Namen bitten werdet.“ Eine kühne, eine weittragende Aussage. „Er wird euch alles geben, um was ihr in meinem Namen bitten werdet.“ Wir müssen also den Vater in der Gesinnung Jesu, in der Verbindung mit Jesus bitten. „In meinem Namen.“ Er muß also unsere Bitten gleichsam aufnehmen und befürworten, sie vor dem Vater einführen, denn das heißt „in seinem Namen“ bitten. Da kann uns die Verzagtheit überfallen: Ja, das ist doch unmöglich, das können wir doch nicht. Wir sind ja unfähig, so zu beten, so zu bitten wie Jesus betet und bittet. Gewiß, aber es gibt Grade, es gibt Annäherungen, es gibt Stufen, so zu beten und so zu bitten, wie Jesus betet und bittet. Und dann ist unsere Bitte bei dem Vater willkommen. Wenn wir im Namen Jesu beten, dann wird er uns hören. Und wenn wir gegenteilige Erfahrung haben, dann liegt das an uns, entweder, weil wir etwas erbitten, was nicht im Namen Jesu erbeten ist, weil der Gegenstand unseres Bittens nicht willkommen ist, oder weil wir nicht empfänglich sind; wir sind nicht bereit, wir haben nicht die nötige Reife, um die Erhörungen Gottes zu erfahren. Es ist doch auch unter Menschen so, daß man nur dann einem Menschen alle Wünsche erfüllen kann, wenn er reif ist, und wenn er aus seiner Reife nur eben Wünsche vorbringt, die erfüllbar sind. So ähnlich ist es auch mit Gott. Wir müssen die innere Reife, die innere Empfänglichkeit, die innere Bereitschaft haben, um etwas zu erbitten im Namen Jesu. Und schon gar nicht bitten wir im Namen Jesu, wenn wir keinen Glauben haben, wenn wir kein Vertrauen haben, wenn wir sagen: Es hilft ja doch nichts. Ja, das ist nicht im Namen Jesu gebetet. Man muß überzeugt sein, daß Gott uns die Gebete erhören will und erhören kann. Er ist der barmherzige, und er ist der allmächtige Gott. Das ist die Tröstung im Namen des Vaters.
Die zweite Tröstung ergeht im Namen des Sohnes. „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen. Ich werde zu euch kommen, und ihr werdet mich sehen. Die Welt sieht mich nicht mehr, aber ihr werdet mich sehen, und eure Trauer wird in Freude verwandelt werden. Ihr werdet erkennen, daß ich im Vater bin und daß ihr in mir seid.“ Diese Tröstung setzt damit ein, daß uns der Herr seine Gemeinschaft verheißt. „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen. Ich werde zu euch kommen, und ihr werdet mich sehen.“ Das ist nicht das Sehen mit den Augen des Leibes. Das hat aufgehört, seitdem der Herr in den Himmel aufgenommen wurde. Aber es gibt ein inneres Sehen; es gibt ein Sehen mit den Augen des Geistes. Es gibt ein Sehen im Glauben. Und dieses Sehen meint er, dieses Sich-Einfühlen in seine Gesinnungen, dieses Begreifen seiner Ziele und seiner Bestrebungen. Dieses innere Sehen, das können wir haben, das sollen wir haben. „Ihr werdet mich sehen.“ Dieses Sehen wird eine Zusammengehörigkeit sein, wird eine Verbundenheit bringen. Wir werden durch das Sehen mit ihm verbunden sein, und deswegen sagt der Herr: „Ich bin in euch, und ihr seid in mir.“ Es ist eine Verbundenheit innigster Art, eine Verbundenheit, die in die tiefsten Wurzeln unserer Seele hineinreicht. „Ihr seid in mir, und ich bin in euch.“ Und dann geht die Verheißung noch weiter. „Wir werden kommen und Wohnung bei euch nehmen.“ Der Vater und der Sohn und natürlich der Heilige Geist kommen und nehmen Wohnung in der Seele des Gerechten. Das sind Wirklichkeiten so überaus gewaltiger Art, daß wir manchmal meinen, es ist fast zu viel, was Gott uns hier verheißen hat.
Ich traf einmal einen Theologieprofessor, und er sagte zu mir: „Ich meine, die Kirche macht zu große Versprechungen.“ Man kann zu dieser Meinung kommen, wenn man die Verheißungen vernimmt, die Jesus uns gegeben hat und welche die Kirche uns verkündigt. Aber sie sind nicht zu groß, sie sind göttlich groß! Sie sind zu groß für Menschen, aber sie sind nicht zu groß für Gott. „Wir werden kommen und Wohnung bei euch nehmen.“ Wir dürfen also eine Stätte, eine Heimstätte bereiten für unseren Herrn und Heiland, wie es Johannes Sorge, ein früh im Kriege gefallener Dichter, einmal formuliert hat: „Gott wird klein, sinkt dir ein, Menschenherz heißt sein Schrein.“ Wahrhaftig, das ist das Kommen, das Jesus verheißen hat: „Gott wird klein, sinkt dir ein, Menschenherz heißt sein Schrein. Hier wird neu die erste Liebe. Schöpfer küßt brennender Liebe das Geschöpf, das er ersann, Kindlein sein, das ihm entrann. Süß wie die Blüte; Gott mich behüte!“ So hat dieser jugendliche Held gedichtet und gelebt. Wahrhaftig: „Wir werde kommen und Wohnung bei euch nehmen.“
Aber nicht alle sehen Jesus. „Die Welt sieht mich nicht mehr“, die gottlose, die unsittliche Welt. Deren Stunde ist abgelaufen, sie sieht ihn nicht mehr. Sie hat ihn gesehen, als er auf Erden wandelte, und sie hat ihn nicht angenommen. Sie kann heute noch seine Worte lesen in den Evangelien, aber sie will sie nicht hören. Die Welt sieht ihn nicht mehr. Nur diejenigen sehen ihn, die ihn angenommen haben. „Allen, die ihn annahmen, die an seinen Namen glauben, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“ Das ist die Verheißung im Namen des Sohnes.
Und nun die dritte, die Verheißung im Namen des Heiligen Geistes. „Ich werde euch den Tröster senden, den Tröstergeist vom Vater. Er wird zu euch kommen und bei euch bleiben, und er wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe, und er wird Zeugnis von mir geben.“ Der Herr hat den Geist verheißen, und er hat ihn gesandt, den Tröstergeist vom Vater. Dieser Geist ist aktiv; er ist lebendig. Er ist nicht von jener Schwäche, wie wir sie gern dem Geist zudichten. Nein, von diesem Geist werden vier wesentliche Tätigkeiten ausgesagt: „Er wird euch alles lehren.“ O, wie sind wir bedürftig der Lehre! Wie wissen wir oft nicht, was wir tun sollen! Wie sind wir ratlos, wie sind wir hilflos, wie sind wir machtlos! „Er wird euch alles lehren.“ Alles, was ihr braucht, alles, was ihr nötig habt, er wird euch alles lehren. „Er wird euch an alles erinnern.“ Wir schieben so vieles in die Vergessenheit. Wir möchten an manches nicht erinnert werden, an die Untiefen unseres Lebens, an unser Versagen, an unsere Schuld, an unsere Sünde. „Er wird euch an alles erinnern.“ Ihr könnt nicht ins Bodenlose fallen. Und das ist notwendig, damit ihr wißt, woher ihr kommt und auch wohin ihr geht. „Er wird euch an alles erinnern.“ „Und er wird Zeugnis von mir geben.“ Wir Christen sind aufgerufen, für Christus zu zeugen, d.h. unser Überführtsein von Christus den Menschen kundzumachen. Das ist Zeugnis. Aber unser Zeugnis ist oft ängstlich und schwach, und wir fürchten uns, Zeugnis zu geben. Da tritt der Geist ein und verhilft uns zum Zeugnis. Er wird das Zeugnis in die Hand nehmen, und er wird durch uns Zeugnis geben. Wenn wir Zeugnis geben, dann ist das nicht unsere Kraft. Wenn wir Zeugnis geben, dann ist das die Macht des Geistes. „Er wird Zeugnis von mir geben.“ Er wird euch das Zukünftige erschließen. Wir sind oft ratlos und ängstlich, was die Zukunft bringen wird. Und wahrhaftig, wenn wir die Welt anschauen, dann ist diese Ängstlichkeit begründet. Aber der Geist wird uns auch durch die Zukunft führen. Wir dürfen gewiß sein: Es mag vieles mangeln, es mag vieles zugrunde gehen an irdischen Werten und Schätzen, die Macht des Geistes wird bei uns bleiben. Er wird uns das Zukünftige erschließen. „Und er wird die Welt überführen, daß es eine Sünde, eine Gerechtigkeit und ein Gericht gibt.“ „Eine Sünde, weil sie nicht an mich geglaubt haben.“ Es gibt also Sünde. Es ist nicht alles nur Irrtum und Wahn und Schwäche. Es gibt Sünde, d.h. etwas, was nicht sein darf, was nicht sein soll, etwas, was Gott verabscheut. Es gibt Sünde! Wehe der Christenheit, die vergißt, daß es Sünde gibt! Der Geist erinnert sie daran. Und die Hauptsünde ist der Unglaube, der Unglaube, der nicht anerkennen will, daß Jesus der gottgesandte Messias und Heiland ist, der Unglaube, der eine Christenheit verhindert, wirklich, in der Praxis, im Leben christlich zu sein. Der Unglaube ist die tiefste Wurzel der Sünde. Weil die Menschheit keinen Glauben hat, hat sie auch keine Liebe, keine Ehrfurcht, keine Reinheit, keine Hingabewilligkeit. Das alles fehlt, weil der Glaube fehlt. Er wird die Welt überzeugen, daß es eine Gerechtigkeit gibt, nämlich „daß ich zum Vater gehe“. Zunächst glaubte man ja, das Unrecht würde auf Erden triumphieren. Als der gekommene Messias im Spottgewand vor Herodes stand, als er mit einem Mantel der Einsamkeit angetan wurde von den Soldaten, da dachte man, nun ist die Gerechtigkeit endgültig gestorben; jetzt triumphiert das Unrecht, die Schande, jetzt triumphiert die Gewalt. Nein, es gibt eine Gerechtigkeit. Dieser Zerschundene, dieser Zerrissene, dieser ans Kreuz Geheftete geht zum Vater, in die Herrlichkeit des Vaters, verklärt und neu geboren. Es gibt eine Gerechtigkeit.
Und es gibt auch ein Gericht, „weil der Fürst dieser Welt schon gerichtet ist“. Der Fürst dieser Welt ist schon gerichtet. Das besagt zunächst natürlich einmal, daß der Satan aus dem Himmel gestürzt wurde. „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel stürzen“, sagt der Heiland einmal. Das ist das Gericht. Aber das Gericht setzt sich auf Erden fort, und dieses Gericht besteht darin, daß die Menschen durch ihre Sünde sich selbst die Hölle bereiten. Das ist das Gericht, daß das Böse auf sich selbst zurückschlägt, daß die Sünde den Schaden in sich selbst trägt. Wir können es jeden Tag beobachten, an uns und an anderen, wie die Sünde selbst die Strafe in sich trägt. Das ist das Gericht, das Gott festgelegt hat. Nur die Reinheit, nur die Tapferkeit, nur die Ehrlichkeit, nur die Wahrhaftigkeit, nur die Güte, nur die Liebe – das ist es, was trägt, was in Ewigkeit bestehen bleibt. Und alles, was dem entgegengesetzt ist, das ist gerichtet mit dem Fürsten dieser Welt.
So lassen wir uns, meine lieben Freunde, vom Herrn trösten im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Lassen wir uns trösten in unserer untröstlichen Situation! Lassen wir uns trösten, wenn unser Herz verzagt und verzweifelt sein will! Lassen wir uns trösten vom Herrn! Denn das ist der Trost, den die Welt nicht geben kann, den sie aber auch nicht nehmen kann.
Amen.